Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

November/2012

Spalte:

1194–1195

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Ehrman, Bart D.

Titel/Untertitel:

Forged. Writing in the Name of God – Why the Bible’s Authors Are Not Who We Think They Are.

Verlag:

New York: HarperOne 2011. X, 307 S. Geb. US$ 26,99. ISBN 978-0-06-201261-6.

Rezensent:

Armin D. Baum

Bart D. Ehrman kombiniert in seinem Buch über neutestamentliche Pseudepigraphie zwei historische Thesen: 1. Viele neutestamentliche Briefe tragen unzutreffende Verfassernamen. 2. Bei diesen falschen Verfasserangaben handelt es sich um Täuschung und Betrug. Die entsprechenden literatur- und einleitungswissenschaftlichen Argumente werden von autobiografischen Berichten untermalt: E. hat im Laufe seiner akademischen Entwicklung sowohl die traditionelle theologische Überzeugung, dass Autoren biblischer Bücher nicht lügen, als auch die moderne bibelwissenschaftliche Hypothese, dass antike und neutestamentliche Pseudepigraphie keine literarische Fälschung sei, hinter sich gelassen.
Das Paradox, um das es E. in seinem Buch geht, lautet: »Christen, die festlegen wollten, was der richtige Glaube war, taten dies, in­dem sie logen, um ihre Leser durch Betrug dazu zu bringen anzuerkennen, dass sie die Wahrheit sagten.« (218) »Dass man für die Verbreitung der Wahrheit betrog, kann als eine der beunruhigendsten Ironien der frühchristlichen Tradition gelten.« (250)
Im Anschluss an eine Einleitung (1-12) und einen ausführlichen Überblick über die wichtigsten Inhalte seines Buches im ersten Kapitel (13–42) stellt E. in den Kapiteln 2 und 3 kanonische und außerkanonische Pseudepigraphen vor, die unter den Namen der Apostel Petrus (43–77) und Paulus (78–114) in Umlauf gebracht wurden. In Kapitel 4 weist E. Versuche zurück, bestimmte Gruppen an­tiker Pseud­epigraphen (wie geistgewirkte Pseudepigraphen, einer Tradition verhaftete Pseudepigraphen, in Schulkontexten beheimatete Pseudepigraphen) als täuschungsfrei einzustufen. Als ebenso unzulänglich bewertet er die Sekretärshypothese, mit deren Hilfe umstrittene Texte indirekt auf den Autor zurückgeführt werden, dessen Namen sie tragen (115–141). In den Kapiteln 5 und 6 werden christ­-liche Pseudepigraphen vorgestellt, mit denen Chris­ten pagane und jüdische Gegenpositionen bekämpften (143–178) und in innerchristliche theologische Debatten eingriffen (179–218). Aus den ersten vier Jahrhunderten gibt es über 100 Texte, die von mindestens einem antiken Autor als literarische Fälschung bezeichnet worden sind (19). Kapitel 7 befasst sich mit sekundären Falschzuschreibungen, inhaltlichen Fälschungen, Interpolationen und Plagiaten, allesamt litera­rische Phänomene, die mit der primären Falschzuschreibung verwandt sind (219–250). In seinem kurzen Ab­schlusskapitel betont E., dass den Verfassern frühchristlicher und neutestamentlicher Pseudepigraphen der Täuschungsvorwurf auch dann nicht erspart werden kann, wenn sie einen guten Zweck verfolgten (251–265).
E. erhebt nicht den Anspruch, mit seinem Buch einen eigenen Forschungsbeitrag zur wissenschaftlichen Debatte über antike und neutestamentliche Pseudepigraphie zu leisten. Die Stärke seines Buches liegt vielmehr darin, dass es E. gelingt, für Leser, die sich ohne fachwissenschaftliche Voraussetzungen für sein Thema in­teressieren, relativ komplexe literaturwissenschaftliche Zusam­menhänge klar und verständlich (und weitestgehend zuverlässig) darzustellen. Das Anliegen seiner historischen Argumentation besteht darin, eine breite Öffentlichkeit darüber zu informieren, wie anfechtbar die Grunddokumente des christlichen Glaubens (den E. im Laufe einer längeren persönlichen Entwicklung aufgegeben hat) aus wissenschaftlicher Perspektive sind.
Über die autobiographischen Hintergründe des Buches erfährt der Leser, dass E. am Moody Bible Institute, am Wheaton College und am Princeton Theological Seminary studiert hat. In Princeton traf er auf seinen Doktorvater Bruce M. Metzger, dessen herausragendes Lehrbuch »The Text of the New Testament« er 2005 in 4. Auflage als Zweitautor mit verantwortet hat. Metzgers Ansicht, zehn der 13 Paulusbriefe seien authentisch und von den Pastoralbriefen seien mindestens weite Teile des Inhalts paulinisch, hält E. jedoch für unhaltbar. Nicht ganz überzeugend ist, dass E. in seinem Buch zur Pseudepigraphie den Eindruck erweckt, sein Lehrer Metzger habe (wie er) eine Täuschungsabsicht neutestamentlicher Pseudepigraphen angenommen (122–123), was nachweislich nicht der Fall ist (JBL 91 [1972] 22).
Eine zweite Anfrage betrifft einige der von E. präsentierten Standardargumente gegen die Echtheit neutestamentlicher Bücher. E. hat sehr wahrscheinlich recht, dass die Wir-Stellen der Apostelgeschichte anzeigen sollten, dass das Buch von einem Augenzeugen stammt (202-209; vgl. Bib 88 [2007] 473–495). Die Diskrepanzen zwischen den Paulusreden der Acta und den unumstrittenen Paulusbriefen bewegen sich m. E. allerdings auf der sprachlichen und nicht auf der inhaltlichen Ebene (vgl. EThL 82 [2006] 405–436). Das Argument, der 1. Petrusbrief könne erst nach dem Martyrium entstanden sein, das der Apostel Petrus in den 60er Jahren unter Nero erlitt, weil die metaphorische Absenderangabe »in Babylon« (1Petr 5,13) auf die Zerstörung Jerusalems im Jahre 70 n. Chr. zurückblicke (68), ist ebenfalls anfechtbar. Es klingt nur plausibel, solange man die Rolle Babylons als Ort des Exils in der antiken Literatur und die prägnante Exilsmetaphorik des 1. Petrusbriefes außer Betracht lässt. Die Ortsnamenmetapher »in Babylon« war seit dem 6. Jh. v. Chr. möglich und lässt sich m. E. nicht gegen eine Entstehung des 1. Petrusbriefes vor 70 n. Chr. ins Feld führen.
Schließlich scheinen mir einzelne Aussagen E.s über das Phänomen der Fälschung in der Antike den Quellenbefund etwas überzustrapazieren. Zwar sprechen einige Gründe dafür, dass es sich auch bei den frühjüdischen Apokalypsen um literarische Fälschungen handelt (29-31; vgl. BBR 21 [2011] 65–92). Es ist m.E. aber nicht mehr durch die Quellen gedeckt, wenn E. behauptet, bei der Benutzung des Markusevangeliums durch Matthäus und Lukas habe es sich nach antiken Maßstäben um geistigen Diebstahl gehandelt, der in unserer modernen Terminologie als Plagiat bezeichnet werden müsse (247–249).
Das Buch stellt noch nicht die Monographie zum Thema dar, mit der ich als Rezensent zunächst gerechnet hatte. Die fachwissenschaftliche Untersuchung, an der E. seit fünf Jahren arbeitet, soll aber in näherer Zukunft erscheinen.