Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Juli/August/2007

Spalte:

877–889

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Udo Rüterswörden

Titel/Untertitel:

Alte und neue Wege
in der Deuteronomiumforschung

Eine der wichtigsten Neuerscheinungen auf dem Gebiet der Deuteronomiumforschung1 stellt ohne Zweifel der Kommentar von Timo Veijola dar.2 Leider war es ihm nur vergönnt, die Kommentierung bis zu Dtn 16,17 voranzutreiben.
Die literarische Ansetzung der im Deuteronomium festgestellten Schichten3 folgt dem Modell, das Veijola maßgeblich mitentwickelt hat. Es richtet sich im Wesentlichen am deuteronomistischen Geschichtswerk aus, dem es wesentliche Parameter entnimmt; so ist mit Anteilen des DtrH zu rechnen, vor allem in Dtn 1–3. Veijola sieht in diesen Kapiteln den Anfang des deuteronomis­tischen Geschichtswerks. In der Schichtenfolge des sog. Göttinger Modells ist als nächstes der prophetische Redaktor DtrP zu berück­sichtigen, dem Veijola die wesentliche Gestaltung von Dtn 5 zu­weist. Diese auf den ersten Blick ein wenig überraschende Idee begründet Veijola mit der Funktion des Mittlers, die Mose in diesem Abschnitt zugewiesen wird. Ist diese Zuweisung punktuell auf Dtn 5 konzentriert, so ist die nächst folgende Schicht DtrN vielerorts im Deuteronomium anzutreffen; sie bildet mit Dtn 4,1a.10–12a.13 f.22 den Kernbestand von Dtn 4. 4
Auf diesen Schichten lagert der von Veijola so bezeichnete DtrB auf, ein bundestheologischer Redaktor, zu dessen Intention Veijola bemerkt: »Inhaltlich geht es dem DtrB vor allem um das Erste Gebot als vornehmste Verpflichtung des Gottesbundes, von dessen Einhaltung das Wohl und Wehe des Gottesvolkes abhängt …«.5 Diese Bearbeitung ist nach Veijola im Deuteronomium weit verbreitet; als Beispiel sei auf die Erlass-Regelung von Dtn 15,1–11 hingewiesen. In V. 4–6 wird zumeist ein Nachtrag gesehen. Nach Veijola wird er DtrB zugewiesen, was zunächst überrascht, da vom Bund dort keine Rede ist. Die Begründung liegt in den Themen: Segen, Land und Gesetzesgehorsam, die nach Ausweis einer Anzahl von Belegen für diese Redaktion konstitutiv sein sollen.6 Methodisch erinnert dies an die Analysen zum deuteronomistischen Geschichtswerk, bei denen die Zuweisungen zu den einzelnen Schichten mit terminologischen und thematischen Gesichtspunkten vollzogen wurden – mit den inhärenten Gefahren eines Zirkelschlusses.
Auf Grund des Umstands, dass in DtrB der Numerus der Anrede wechseln kann, gibt sich Veijola berechtigt, dieses – und andere– redaktionskritische Kriterium in Dtn 13 herunterzuspielen und den Text als wesentlich einheitlich der späten Redaktion DtrB zu­zuweisen: »Der üblichste Irrtum in der Literarkritik von Dtn 13 besteht darin, dass der Numeruswechsel zu ihrem Ausgangspunkt genommen wird.«7
In seiner nunmehr dritten Monographie zum Deuteronomium8 hat Eckart Otto die forschungsgeschichtlichen Gründe aufgehellt, die zu einer derartigen Spätansetzung der alttestamentlichen Bundestheologie führen können, in deren Rahmen auch Veijolas Situierung von Dtn 13 zu sehen ist.9 An seiner Beobachtung, dass Dtn 13 Bezüge zu den Vasallenverträgen Asarhaddons (VTE) erkennen lässt, hält Otto fest – auch an den Konsequenzen, die sich damit für eine zeitliche Ansetzung von Dtn 13 noch zur Zeit der assyrischen Westexpansion ergeben. Die Idee, die Parallelen zu den VTE anzuerkennen und gleichzeitig Dtn 13 spät anzusetzen, kommentiert Otto mit: »Eine Verdünnung des Einflusses keilschriftlicher Vertragstexte zu einem Beiwerk zeitloser Ornamentik einer rein inneralttestamentlichen Literaturgeschichte der exilischen und nachexilischen Zeit, wie es T. Veijola vorschwebt, bewährt sich weder für die Literaturgeschichte der altorienta­lischen Loyalitätseide noch der alttestamentlichen Bundestexte.« 10
Galt für Veijola die Zuordnung des Deuteronomiums zum deuteronomistischen Geschichtswerk als wesentlicher Gesichtspunkt, so verneint Otto mit Kratz dessen Existenz: »Damit wird der Weg frei, einen mehr als zweihundertjährigen Forschungstrend, die Literaturgeschichte des Pentateuch von der Genesis anzugehen, umzukehren und das Deuteronomium mit Blick auf den Tetrateuch als Teil des Pentateuch in den Blick zu nehmen. Wird das Deuteronomium aus einer captivitas babylonica befreit, so zeigt sich, daß es der Schlüssel für die Literaturgeschichte des Pentateuch ist, da es zusammen mit der Priesterschrift Wiege von Hexateuch und Pentateuch ist.«11 Nach Otto ist mit einem ursprünglichen Kern in Dtn 13* und 28* zu rechnen, in den noch vorexilisch we­sentliche Gesetze von Dtn 12–26* eingefügt wurden. Die deuteronomistische Redaktion DtrD nimmt den Dekalog hinzu und formuliert das Deuteronomium als Moserede. Mit der Einbindung in eine Landnahmeerzählung (DtrL) tritt eine Tendenz hervor, die in eine hexateuchische Perspektive einmündet. Gegenläufig dazu steht die Tendenz, mit dem Deuteronomium den Pentateuch abzuschließen.
Trotz der markant hervorgehobenen Standpunkte gibt es einige Gemeinsamkeiten der beiden Verfasser: 1. Es gibt ein vorexilisches Deuteronomium, dessen Umfang in manchen Punkten bei beiden Verfassern übereinstimmt. 2. Die Analyse zeigt im Detail durchaus Übereinstimmungen; es differieren die literarischen Zuweisungen und der Gesamthorizont, in den das Deuteronomium eingeordnet wird. 3. Dtn 13 fällt aus seinem Kontext heraus und ist anders zu datieren als Dtn 12 und die Folgekapitel.
Ein gewisses Unbehagen artikuliert E. Otto anmerkungsweise: »Die heutige Situation zeigt mit der Ausuferung der Schichten und Siglenvielfalt Parallelen zur Schlußphase der Literarkritischen Schule, die in Jos 6 bereits 7 identifizierbare und weitere ›verschiedene Hände‹ unterschied.«12 Bevor das dahinter stehende metho­dische Problem ventiliert wird, sei ein kurzer Seitenblick auf eine neue Abhandlung zum deuteronomistischen Geschichtswerk ge­stattet.
Die Monographie von Erik Aurelius setzt mit der Beobachtung ein, dass das theologische Schlussfazit 2Kön 18,12 eine terminologische und sachliche Nähe zum Prolog der Sinaiperikope Ex 19,3b–8 zeigt.13 Zwischen diesen beiden Texten besteht eine redaktionelle Beziehung; ihnen kommt eine rahmende Funktion zu. Das Muster für diese Rahmung ist »das Miniaturbild der Geschichte des Jhwh-Volkes von der Erwählung bis zum Gericht«14 in Jer 7,22–28.
Eine Anzahl von sprachlichen und sachlichen Besonderheiten in 2Kön 18–25 zeigt nach Aurelius, dass hier Redaktionen am Werk sind, die später sind als die in den vorhergehenden Kapiteln. Dies führt jedoch nicht zu einem Revival der double redaction theory im Sinne von Cross, Nelson und Weippert; hier legt Aurelius eine ausführliche (Gegen-)Argumentation vor, die schon in L. Camp einen Vorläufer hatte.15
Anhaltspunkte für seine redaktionsgeschichtlichen Analysen gewinnt Aurelius aus der Analyse von 2Kön 17.16 Am Anfang stehen die Beurteilungen der Könige, die DtrH zu verdanken sind. An ihre Betonung des einen legitimen Kultortes schließt sich 2Kön 17,21–23 an, wobei indes nicht der König, sondern das Volk in die Kritik gerät. Später ist dieser Text durch den Vorspann 17,7a, 8–11,18 er­gänzt worden, in dem der Bruch des Ersten Gebots im Mittelpunkt steht; die nachfolgende Erweiterung V. 13–17.19 f. konzentriert sich auf das Gesetz.
Mit 2Kön 17,7–20 ist der Prolog des Richterbuchs Ri 2,11–3,6 verwandt; aus dem Umstand, dass sich eine nähere Beziehung erst zu der zweiten Erweiterung in diesem Abschnitt ergibt, zieht Aurelius den Schluss, dass das Richterbuch nicht zum Werk des DtrH gehört haben kann – ursprünglich ist von einer Einheit 1Sam bis 2Kön auszugehen, und das Josua- und Richterbuch sowie das Deuteronomium (darunter Dtn 1–3) sind kein genuiner Bestandteil dieses Werkes.17 2Kön 17,7–17 ist ein Begründungssatz; eine Redaktionskritik in diesem Satz könnte durch eine ausführliche Analyse der Syntax an Plausibilität gewinnen.
Je später die Schichten werden, umso weniger rechnen sie mit dem Königtum als gestaltendem Merkmal für die Zukunft:
»Der Untergang beider Reiche wird gleichermaßen auf Gottes Zorn zurückgeführt (2 R 17:18, 24:20a), und der Anlaß dieses Zorns wird in 2 R 17:7–20 in bezug auf beide Reiche ausführlich erörtert. Dadurch wird die Jojachinnotiz 25:27–30 neutralisiert. Nach den theologischen Begründungen des Untergangs in 2 R 17 und der allerletzten Bemerkung über Gott in 24:20a kann sie schwerlich als eine Andeutung, wie leise auch immer, auf eine noch bestehende Möglichkeit der Dynastie gelesen werden. Wenn Juda eine Zukunft hat, so jedenfalls nicht als politische Größe, als Königreich.
Letzteres betont mit womöglich noch größerem Nachdruck die nächste DtrN-Bearbeitung. Von ihr stammen einerseits die zusätzlichen Beurteilungen der Könige Hiskia (18:5–7a), Manasse (21:7–9) und Josia (23:25–27) und der Epilog zur Geschichte des Nordreiches 18:12 (mithin die ganze Komposition 18:5–12), andererseits der mit 2 R 18:12 korrespondierende Prolog zur Sinaipe­rikope Ex 19:3b–8. Diese Bearbeitung setzt daher ein zusammenhängendes Ge­schichtswerk Gen–2 R, zumindest Ex–2 R voraus. Nach ihr sind die unleugbaren und nicht verschwiegenen, sondern hervorgehobenen Vorzüge Judas vor Israel (die Frömmigkeit Josias, die Erwählung Jerusalems, die Gegenwart des Jhwh-Namens im Tempel) durch die Sünden Manasses aufgewogen worden. Die Betonung der Sünden Manasses bewahrt somit trotz der Vorzüge Judas dessen Gleichstellung mit Israel in Sünde und Strafe. Das wird in 2 R 21:7–9 und besonders 23:25–27 deutlich.
Dadurch, daß nun eher ein König als das Volk Zielscheibe der vernichtenden Anklagen ist, ebnet jedoch diese Bearbeitung gleichzeitig den Weg, um etwas Neues über die Zukunft des Volkes anzudeuten. Die Möglichkeit einer Zukunft ohne einen eigenen irdischen König, aber mit Gott wird aktualisiert, anders gesagt: die Möglichkeit einer Zukunft nicht als Staat, aber als Kirche, als Religionsgemeinschaft.«18

Bei dieser Sicht der Dinge stellt sich die Frage, warum ausgerechnet deuteronomistische Redaktoren, wie vielfach gern angenommen, das Königsgesetz Dtn 17,14–20 in das Deuteronomium eingetragen haben sollen.19
Aurelius differenziert das Siglum DtrN in drei redaktionelle Stufen.20 Bei dieser Differenzierung stellt sich indes die Frage, ob das redaktionsgeschichtliche Modell nicht an seine Grenzen stößt und nicht vielmehr gleitend in ein Fortschreibungsmodell übergeht.21 Diese Frage stellt sich auch bei Veijola, wenn er konzediert, dass sich hinter seinen Siglen nicht Einzelpersonen, sondern Gruppen verbergen.22 Ist Redaktionsgeschichte der Versuch, Ordnung zu schaffen – angesichts des ungeordneten Chaos, das sich bei der Annahme lokal begrenzter Fortschreibungen böte?
Die Weiterarbeit an der Textüberlieferung des Deuteronomiums, wie sie uns in den Texten aus Qumran begegnet, wirft eine Anzahl methodischer Fragen auf, die U. Dahmen formuliert hat:
»Eine Differenzierung in die beiden Arbeitsschritte Textkritik und Literarkritik bzw. Redaktionsgeschichte beschränkt sich rein äußerlich auf das Faktum, ob für bestimmte Text- oder Fortschreibungsphänomene definitive materiale Textzeugen vorliegen oder nicht. Je älter die Textfunde sind – und in Zukunft bei neuen Funden sein werden –, desto mehr werden und müssen diese die innerbiblische, hypothetische Vorstufenrekonstruktion ablösen und schließlich obsolet machen. Jede Textvariante steht also grundsätzlich – bis zum Erweis des Gegenteils – unter redaktionsgeschichtlichem Verdacht und ist als solche zu behandeln. Nur diese redaktionsgeschichtliche Analyse verschiedener Textformen kann ein Korrektiv zur klassischen Literarkritik darstellen, insofern sie aufzeigt, daß Fortschreibung nicht eindimensional, sondern auf ganz unterschiedliche Weisen zustande kommt, und vor allem daß Fortschreibung nicht notwendig textimmanent durch Kohärenzstörungen erkennbar sein muß. Es ist ein unbegreifliches Phänomen der Forschungsgeschichte der Biblischen Exegese, daß nach den Jahrzehnten, in denen mit wachsender (Selbst-)Sicherheit – die inzwischen aber oftmals schon wieder heftig destruiert worden ist! – mit der textimmanenten Literarkritik Vorstufen und redaktionsgeschichtliche Abläufe rekonstruiert wurden, nun, wo tatsächlich Paralleltexte in differierenden, und das heißt: fortgeschriebenen, Textformen zum Vergleich zur Verfügung stehen, auf analoge Arbeiten auf dieser festen Basis materialiter vorhandener Untersuchungsgegenstände nicht nur weitgehend verzichtet wird, sondern diese Versuche im Winkel der Textkritik ein Schattendasein fristen mußten (müssen). Liegt es vielleicht daran, daß die Textevidenz vieles von dem bisher sicher Behaupteten in Frage stellt, daß man von vielen lieb gewonnenen Prämissen und Hypothesen der Vorstufenrekonstruktion Abschied nehmen müßte, daß Fortschreibung wesentlich vielgestaltiger und (zumindest textimmanent) möglicherweise weniger rekonstruktionsfähig daherkommt, als wir bislang anzunehmen bereit waren? Die Varianten der Qumrantexte zeigen schließlich zur Genüge, daß Fortschreibungen eben auch ohne die Produktion von inhaltlichen Differenzen, Spannungen, Widersprüchen und Syntax- bzw. Stilunterschieden vorgenommen worden sein konnten und daß aus einer solcherart entstandenen Version ohne Kenntnis der Vorläuferstufe diese nicht rein textimmanent zu rekonstruieren ist.«23
Dahmens materialreiche und minutiöse Studie, die für jeden, der sich mit der Textüberlieferung des Deuteronomiums befasst, eine Pflichtlektüre darstellt, lässt die von ihm angesprochenen Methodenprobleme vielfach im An­satz in der qumranischen Textüberlieferung erkennen. Sehr deutlich werden sie an der Tempelrolle aus Qumran, auf die Molly M. Zahn hinweist:
»Even more telling are texts like the Qumran Temple Scroll, which demonstrate that even a single author can utilize several compositional techniques within a single work. That means that pentateuchal theorists attempting to reconstruct an earlier source within a biblical text must reckon with a whole range of possible techniques, any of which might have been used by the later redactor to modify the source. Maybe the redactor has preserved his source text with only minor alterations; then again, maybe he has transformed it exten­sively. In the absence of the source text itself, it is impossible to know. In fact, the evidence of the Temple Scroll impells Stephen Kaufman to level a stinging critique against ›higher criticism‹: if biblical authors used their sources in as many different ways as the author of the Temple Scroll used his biblical sources, and transformed them as radically, most attempts by biblical scholars to reconstruct the literary history of the Pentateuch are ›nothing more than so much wasted effort‹.« 24
Das Problem, das sich hier zeigt, lässt sich nicht an dem Konflikt zwischen synchroner und diachroner Exegese festmachen;25 vielmehr liegt diesen methodologischen Anfragen die Einsicht zu Grunde, dass mit einer Diachronie der Texte unbedingt zu rechnen ist, unsere Methoden jedoch grundsätzlich nicht ausreichen, um die Vorstufen der Texte in den meisten Fällen zu rekonstruieren. Die verbleibenden Schritte historisch-kritischer Exegese reduzieren sich zwar nicht auf Null, orientieren sich jedoch zunächst an dem Vergleich biblischer Texte untereinander. So analysiert Molly M. Zahn Ex 13 im Hinblick auf die inneralttestamentlichen Vorläufertexte; die ›empirical models for Biblical Criticism‹ können Hinweise geben, wie der Verlauf der Abhängigkeit zu bestimmen ist. 26
Dieser Ansatz erstreckt sich auch auf den Vergleich masoretischer und nicht-masoretischer Textformen; aus solchen Vergleichen zieht R. F. Person seine Schlussfolgerungen für deuteronomistische Redaktionen im Bereich des Deuteronomiums, der Geschichtsüberlieferung und der Prophetie.27 Da hier der Grenzbereich zwischen Text- und Redaktionskritik in den Blick kommt, ergibt sich eine Spätdatierung: Die Deuteronomisten geraten in die Zeitgenossenschaft Zerubbabels. Dabei wird jede Möglichkeit einer Differenzierung zwischen Schichtungen innerhalb des Deuteronomismus zurückgewiesen; auch die Unterscheidung zwischen »deu­teronomisch« und »deuteronomistisch« wird aufgegeben.28 Im Hintergrund steht hier die Erzählforschung; in einer Kultur, die noch mündliche Überlieferung kennt, würden Ausdrucksvarianten nicht als unterschiedlich empfunden.29
Die nachexilische Ansetzung rückt nach Person die Deuteronomisten in die Nähe Deuterojesajas.30 Hier rächt sich wohl der Verzicht auf jegliche Differenzierung von Schichten und Nachträgen; Ausgangspunkt für die Überlegung Persons sind zumeist die anerkanntermaßen späten Texte wie z. B. Dtn 30,1–14 und Jos 1,1–11.31
Vermögen die Resultate Persons vielleicht nicht in jedem Punkt zu überzeugen, so bleibt jedoch seine Frage nach den institutionellen und kulturellen Voraussetzungen der deuteronomistischen Redaktorentätigkeit relevant; nach Person liegen sie im Bereich des Kanzleiwesens32 – Otto dagegen weist auf einen priesterlichen, nä­herhin zadokidischen, Hintergrund,33 wogegen Veijola einen Vorläufer zum Schriftgelehrtentum erblickt.34
Die beiden schon erwähnten Sammelbände vereinen neben den Beiträgen von Dahmen, Zahn und Otto eine Anzahl weiterer wichtiger Studien. So verweist R. Achenbach auf Grundlinien redaktioneller Arbeit in der Sinai-Perikope und auf das Verhältnis zwischen dem Numeri-Buch und dem Deuteronomium. C. Nihan nimmt die Diskussion um das Heiligkeitsgesetz auf; G. A. Knoppers befasst sich mit Num 33,50–56; W. M Schniedewind geht es um die Schriftwerdung der Tora in der deuteronomistischen Überlieferung. Th. C. Römer weist die mehrschichtigen Bezüge zwischen Dtn 12 und 1Kön 8 nach; H.-Ch. Schmitt unternimmt den Nachweis von P in Dtn 34; das Epitaph auf Mose trenne den Pentateuch nicht ab, sondern markiere nur einen Abschnitt im Enneateuch. 35 K. Schmid nimmt den Ort des Deuteronomiums innerhalb der Deuterono­mis­tischen Geschichtswerke in den Blick.
Der andere Sammelband setzt ein mit den Prolegomena zu einer Rechtshermeneutik von N. Lohfink; der Beitrag von S. Gesundheit nimmt die schwer entwirrbaren Fäden der Passa- und Massotverordnung in Dtn 16 in den Blick; A. Moenikes untersucht die Beziehungen zwischen dem Deuteronomium und den Büchern Jos–2Kön. Die beiden gewichtigen und detailliert ausgeführten Ein­zelstudien von H. U. Steymans und R. Rothenbusch beziehen alt­orientalisches Vergleichsmaterial in der Darstellung der Vertragsrhetorik der VTE und des Deuteronomiums bzw. des Eherechts in Dtn 22,13–19 mit ein. – Der erhellende Beitrag von W. Groß zu syntaktischen Fragen und zur Übersetzungspraxis des Deuteronomiums ist in der Fortführung seiner beiden Monographien zur Syntax zu sehen. Beiträge zur Auslegungsgeschichte von G. Braulik, N. Hofmann und A. Siquans runden den Band ab.
Eine ganz eigenständige Antwort auf die Methodenprobleme der Literar- und Redaktionskritik in der Exegese des Deuteronomiums stellt die Leipziger Dissertation von Raik Heckl dar.36 Das gängige Methodeninventar wird ergänzt durch eine Analyse der Kohärenz im Gefolge der Arbeiten von Klein/v. Stutterheim, Vater u. a.
»Das Metier der Literarkritik ist neben der Eingrenzung von Einzeltexten bekanntlich die Frage nach der literarischen Einheitlichkeit. Vielfach wird auch heute noch versucht, die literarische Einheitlichkeit von Texten primär auf der Ebene der Grammatik bei vorausgesetztem Seitenblick auf den Inhalt zu bestimmen. Da nun aber die Kohärenz eines Textes nicht durch die Gegebenheiten der Textoberfläche hergestellt wird, sondern aufgrund kognitiver Prozesse der Sprachanwender, ist vor der Überprüfung der literarischen Einheitlichkeit eines Textes die Funktion der betreffenden sprachlichen Äußerungen im Rahmen der Kohärenzstrukturen zu rekonstruieren. Der Inhalt ist damit das Hauptkriterium, welches für die Frage nach der literarischen Einheitlichkeit heranzuziehen ist.
In der vorliegenden Arbeit wird zwischen den Gegebenheiten an der Textoberfläche und den Kohärenzstrukturen unterschieden. Die Kohärenz eines Textes ist – wie bereits zitiert – ›Kontinuität des Inhalts im Sinne einer Sinnkonfiguration‹, die ›das Ergebnis kognitiver Prozesse der Textverwender‹ ist. Entsprechend ist die grammatische Verknüpfung der einzelnen sprachlichen Äußerungen nicht maßgebend für die Frage nach der literarischen Einheitlichkeit. Bei ihr spielt die Kohärenzstruktur des Textes die entscheidende Rolle. Finden sich aber im Rahmen der referenzsemantischen Analyse (Kohärenz­analyse) Kohärenzprobleme, so liegen in ihnen Hinweise auf literarische Überarbeitungen vor. Hier gilt, dass literarischen Überarbeitungen ein Textrezeptionsprozess vorausgeht, der bei dem jeweils vorliegenden Textbestand an­gesetzt und damit eine neue Kohärenzstruktur eröffnet hat. Verursacht wird dies durch eine gegenüber dem vorangehenden Text veränderte Intention.
Es gilt daher, dass auch überarbeitete Texte als im o. g. Sinne kohärente Texte anzusehen sind, nur dass sich in überarbeiteten Texten divergierende Kohärenzstrukturen finden, also sich widersprechende bzw. inkompatible Sinnkonfigurationen erkennbar sind. Die Gegebenheiten an der Textoberfläche können in diesem Fall zur Verifizierung von Überarbeitungen herangezogen werden. So können anhand der bisher als Anzeichen für Uneinheitlichkeit gewerteten Oberflächensignale wie Spannungen, Doppelungen etc. zusammen mit anderen Oberflächensignalen wie Redeeinleitungen etc. die Ränder von Überarbeitungen bestimmt werden. Isolierte Oberflächenbesonderheiten ohne Anzeichen auf divergierende Kohärenzstrukturen haben dagegen primär stilistische oder pragmatische Ursachen, die es zu erheben gilt.« 37

Die Arbeit ist ein ausführlicher Kommentar zu Dtn 1–3 mit Übersetzung, Textkritik und einer Textanalyse, in der die Literarkritik aufgenommen wird. Im Ergebnis ist sie zurückhaltender als der Kommentar von Veijola; so werden vor allem die historisierenden Bemerkungen in Dtn 2 und 3 sowie einige weitere Glossen als se­kundär angesehen. Ein besonderes Augenmerk liegt auf der Darstellung der Kommunikationsebenen, die übersichtlich in der Übersetzung (336–343) aufgezeigt wird. Nach Heckl ist Dtn 1–3 eine Einleitung zum deuteronomischen Gesetz, »konzipiert als Kompositionselement zwischen der Hexateuchüberlieferung und Dtn«. 38 Nach Dtn 1,18 wäre das Bundesbuch als die Rechtsverkündigung des ersten (gescheiterten) Versuchs zur Landnahme zu sehen, das Deuteronomium dagegen als das Recht, das nach der zweiten, ge­glückten, Landnahme gelten soll.39
Im Unterschied zu der Dissertation von Heckl, der die diachrone Dimension der Texte nicht nur im Auge behält, sondern auch die Analyse mit einem neuen Methodenset bereichern will, be­schränkt sich die Habilitationsschrift von Finsterbusch40 bewusst auf den synchronen Befund, allerdings nicht ohne wenigstens an­merkungsweise41 auf diachrone Aspekte aufmerksam zu machen.
»Für die vorliegende Untersuchung wurde vor allem aus inhaltlichen Gründen der synchrone Zugang gewählt: Die Frage nach der Bedeutung von religiösem Lehren und Lernen im Deuteronomium ist, so eine der Thesen der Untersuchung, untrennbar mit den im Buch erkennbaren narrativen Prozessen verbunden. Als Beispiel sei angeführt, dass der dtn Mose seine Lehre in Bezug auf die Tora im Zuge seiner ersten und zweiten Rede entfaltet; die Leserschaft des Buches bzw. – in der Innenwelt des Deuteronomiums – die Hörerschaft des Mose in Moab wird, wenn man so will, sukzessiv belehrt. Die Lehre ist als Prozess angelegt, dessen zentrale Aussageintentionen sich nur in der Wahrnehmung der Gesamtheit dieses Prozesses erschließen. Von daher ist für die Analyse dieser Lehre eine synchrone Exegese sinnvoll.«42
Anders als bei R. Heckl diskutiert die Arbeit nicht ausführlich Methoden der gegenwärtigen Literaturwissenschaft, legt sie aber implizit zu Grunde und nimmt Anregungen von J. P. Sonnet43 auf, indes ohne auf dessen Konzept der verborgenen Tora des Mose44 im Deuteronomium detailliert einzugehen.
In den einzelnen Arbeitsschritten befasst sich die Arbeit von K. Finsterbusch mit religiösem Lehren und Lernen im Jesajabuch, Jeremiabuch, den Proverbien und – im Hauptteil – im Deuteronomium. Die Arbeit bietet eine eingehende synchrone und philologische Analyse der Rahmenkapitel des Deuteronomiums, die die Lern- und Lehrtheorie dieses Buches entfalten. Dabei ist die Bedeutung des Verbs ראב in Dtn 1,5 von erheblichem Interesse; mit K. Finsterbusch ist anzunehmen, dass von »erklären« auszugehen ist. Das Deuteronomium ist indes nicht als Ganzes die erklärte Tora, vielmehr bezieht sich die Einleitung Dtn 1,1–5 nur auf den Teil des Buches, der bis Kapitel 4 reicht. Aus diesem Abschnitt des Deuteronomiums geht hervor, warum es eine Tora gibt, warum Mose sie an dem bestimmten Ort und zu der bestimmten Zeit verkündet. Entscheidend ist das Tun der Tora; die nachhaltige Begründung bietet Dtn 4. Der Lehrinhalt entspricht der Vorgabe Jahwes am Horeb, ist jedoch nicht als wortwörtliche Wiedergabe gedacht, sondern lässt bei der Vermittlung ein gewisses Maß an Eigenständigkeit zu. Ist nach der Auffassung des Deuteronomiums Religion lehrbar? Es gibt auch eine Bewegung, die den »inneren Menschen« in Anspruch nimmt und dort die Bindung an Jahwe knüpft, ihren Ausdruck findet diese in der Verbindung von Lernen und Gottesfurcht. 45
Beispiele synchroner Exegese finden sich auch in dem neuen Sammelband mit Aufsätzen von N. Lohfink.46 Laut Klappentext vereint er »weitere Vor- und Begleitstudien zu einem großen Kommentar zum Deuteronomium, an dem Norbert Lohfink und Georg Braulik zusammen arbeiten.« Exemplarisch sei auf den Beitrag zur Rechtshermeneutik des Pentateuchs47 hingewiesen, der erstmalig in dem oben genannten Sammelband von G. Braulik publiziert wurde. Laut Klappentext betritt er mit seinem strikt synchronen Ansatz forschungsgeschichtliches Neuland. Der Ausgangspunkt liegt in Num 36,13, einem Vers, in dem das Ende der Gesetzgebung konstatiert wird – wie verhält sich diese Aussage zu dem Umstand, dass mit dem Deuteronomium noch ein weiteres Gesetz gegeben wird? Nach Lohfink erlässt Gott im Deuteronomium nicht Gesetze, sondern er schwört Israel auf sie ein.48 Ein Anzeichen dafür ist das Verb ראב, das Lohfink anders als Finsterbusch nach dem Ak­kadischen Verb bâru »eine Sache in Geltung setzen, einer Sache Rechtskraft verleihen« versteht.49 Im Lichte dieses Verständnisses ergibt sich auch für die Verben דמל und הוצ ein neues Verständnis; דמל hat eine juristische Konnotation, die K. Finsterbusch in ihrer umfassenden Studie so nicht herauspräpariert hat.50 Bei הוצ rückt Lohfink von seiner jahrzehntelang vorgetragenen Deutung im Sinne einer Promulgation ab und formuliert für dieses Verb (und für die Funktion des Deuteronomiums) zusammenfassend:
»Jetzt läßt sich wohl deutlicher sagen, was das Verbum הוצ, das im ›Promulgationssatz‹ so häufig Moses deuteronomisches Tun zusammenfassend aus­drückt, im Deuteronomium eigentlich bedeutet und bezeichnet. Die übliche Bedeutungsangabe unserer Wörterbücher, ›befehlen‹, ist auch schon unabhängig von unserer Frage zu eng. Ein deutscher Terminus, der weiter greift und deshalb den Sinn besser trifft, ist vielleicht ›verpflichten zu‹. Ich habe ihn deshalb bisher benutzt. Im Deuteronomium läuft nun alles auf eine Vereidigung ( תירב) Israels durch Mose auf die deuteronomische Tora hinaus. Diese Verpflichtung Israels auf Gottes Gesetze durch einen Schwur, herbeigeführt durch Mose, ist im Deuteronomium dann, wenn Mose Subjekt des Wortes הוצ ist, seine Referenz. Will man bei ›verpflichten‹ bleiben und doch auch die Referenz ein wenig anklingen lassen, dann könnte man den partizipialen ›Promulgationssatz‹ übersetzen mit: ›(das Gesetz,) auf das ich euch heute eidlich verpflichte.‹
Damit wäre die sogenannte Gesetzgebung Moses im Deuteronomium in ihrem Charakter klar abgehoben von der göttlichen Gesetzgebertätigkeit, auf die sich Num 36,13 bezieht. In beiden Fällen geschieht etwas mit den göttlichen Gesetzen. Wovon Num 36,13 spricht, könnte man im Blick auf heutige legislative Abläufe vielleicht mit der Promulgation von Gesetzen vergleichen. Für das Deuteronomium müßte man dann jedoch eher die Analogie internationaler Verträge heranziehen, wo die schon endgültig ausgefertigten und paraphrasierten Rechtstexte am Ende noch einmal von den Länderparlamenten ratifiziert werden müssen. Doch zeigt allein die Notwendigkeit, verschiedene Analogien miteinander zu verbinden, daß es sich im Pentateuch um eine eigene, aus sich selbst zu erklärende Rechtsfigur handelt.« 51

Vergleicht man die Analysen von K. Finsterbusch und N. Lohfink und nimmt man noch die Arbeit von Sonnet hinzu, ergibt sich, dass synchrone Studien genauso zu divergenten Resultaten führen wie diachrone. Die Divergenz der Resultate ist kein Argument für die Bevorzugung oder Desavouierung einer der beiden methodischen Zugangsweisen.
Das Neuland der Synchronie, das N. Lohfink auf dem Gipfel seines Lebenswerkes mustert, war für die Paderborner Habilitationsschrift von A. Moenikes noch nicht recht im Blick.52 Sie orientiert sich in ihren Grundzügen an den Entwürfen von G. Braulik und N. Lohfink. Das Ziel der Untersuchung ist die Rekonstruktion eines hiskiazeitlichen Deuteronomiums, ein eminent diachrones Unterfangen. Aus Dtn 6,17 – mit dem Bezug zu 2Kön 23,3 – und Dtn 28,45 wird ein maßgebliches Kriterium gewonnen: Nicht Mose, sondern Jahwe promulgiert das Gesetz.53 Auch wenn Lohfink das Konzept der Promulgation mittlerweile modifiziert hat, bleibt diese Beobachtung bestehen; ein gravierender Einwand betrifft indes die re­daktionelle Stellung dieser Verse.54 Weitere Kriterien, die vor allem aus dem Geschichtswerk gewonnen werden, bestehen in dem verschiedenen Umgang mit den Kultstätten: In der hiskianischen Reform werden sie respektvoll außer Betrieb gesetzt, in der josianischen brutal zerstört. Die Aufnahme der archäologischen Befunde ist eigentümlich schwankend, einerseits bestätigen sie die genannten Kriterien, andererseits ist sich Moenikes der mannigfachen Probleme bewusst.55 Sozialgesetze hat das hiskiazeitliche Deuteronomium nach Moenikes nicht, denn dem sozialen Aspekt schenken die hier heranzuziehenden Texte aus dem deuteronomistischen Ge­schichtswerk keine Beachtung. Das anhand dieser Kriterien durchpflügte Deuteronomium gibt als hiskiazeitlichen Kern Dtn 6,4 f. 17. 20–22.24 f.; 12,1aα.13–14a.15–19*; 16,1–3aα (bis ץמה).4b–7.9–15; 28,1aα. 2a.3–6.15aα.b–19.45*f. preis.56 Dankenswerterweise druckt Moenikes diese Vorform ab,57 und bei der Lektüre stellt sich sofort die Frage, wer denn dort spricht. Jahwe ist zwar der »Promulgator«, aber nicht der Sprecher des Textes, da Jahwe in der dritten Person genannt wird. Die Antwort ist lapidar: Er ist anonym.58 Jahwe hat Gebote promulgiert, aber er spricht nicht selbst, Mose aber auch nicht, sondern jemand, den wir nicht kennen. Bei einer Kritik an dieser und manch anderer Annahme ist zu berücksichtigen, dass mit Moenikes Arbeit eine Weiterentwicklung des Konzepts von G. Braulik und N. Lohfink vorliegt, das in gleichem Sinne zu hinterfragen wäre.
Noch einen Schritt weiter als K. Finsterbusch geht N. MacDon­ald in seiner Monographie zum Monotheismus im Deuteronomium.59 Seine Bemühungen stellt MacDonald in den Kontext der »post-critical interpretation«,60 näherhin des sogenannten »ca­nonical approach«.61 Textgrundlage ist die »received form of the Hebrew text of Deuteronomy.«62 Bemerkenswert bei dieser Art Endtextexegese ist der Umstand, dass eine Behandlung der einschlägigen Texte in der Leserichtung des Deuteronomiums nicht in den Blick kommt. »So long as texts are considered in their contextual relationship to the rest of the book (rather than their putative historical relationship) then a final form reading may begin from any appropriate point.«63 So gemahnt der Aufbau der Arbeit an das Schema älterer Lokaldogmatiken. Das erste Kapitel gibt einen geistesgeschichtlichen Abriss zu dem Begriff »Monotheis­mus«, wobei im Folgenden der Nachweis versucht wird, dass diese Kategorie, die sich der Aufklärung verdankt, zur Anwendung auf das Deuteronomium ungeeignet ist. Die alttestamentliche Forschungsgeschichte, die in Israel eine Entwicklung zum Monotheismus aufspürt, trägt in den Begriff ein diachrones Moment ein.64 Den zentralen Text für die Fragestellung der Arbeit, Dtn 6,4, behandelt das zweite Kapitel. Die verschiedenen Verstehens- und Übersetzungsmöglichkeiten werden erwogen. Als Fazit formuliert MacDonald: »Within the context of Deuteronomy, the verse is best understood as a single predication, with דחָאֶ as the predicate … The principle difficulty is the seemingly redundant second הוהי, but this can, perhaps, be solved if וּניהֵׁלאֱ הוהי is understood as a casus pendens65 Leider verdeutlicht MacDonald seine Erwägungen nicht durch eine eigene Übersetzung.66 Den hebräischen Ausdruck דחָאֶ fasst MacDonald in Analogie zu Hld 6,8–9 als »unique, without peer«67 auf. Für das Deuteronomium insgesamt ergibt sich in der Sicht MacDonalds bemerkenswerterweise keine Polemik, die die Existenz anderer Götter bestreitet. Hier ist vor allem auf die Wortuntersuchungen zu Dtn 4 und Dtn 32 hinzuweisen.
Ein Moment, das sich im Deuteronomium gegen die aufklärerische Kategorie »Monotheismus« sperrt, ist die Liebe zu Gott, der sich das dritte Kapitel widmet: »›Monotheism‹ is a truth to be comprehended, not a relationship in which to be committed.«68 Das Gegenstück der Liebe zu Gott ist die Bannvorstellung, die zur Metapher abgeschwächt wird. Die Modi der Übermittlung, die Verbindung zum Thema der Erwählung, die Abgrenzung zur Idolatrie sind Ge­genstände der folgenden Kapitel. Die Arbeit schließt mit salvatorischen Be­merkungen wie: »At no point do I intend to repudiate every aspect of the En­lightenment.«69 Die Frage, ob ein Be­schreibungsbegriff seinem Gegenstand adäquat ist, ist gewiss be­rechtigt; aber der Versuch, eine Kategorie wie »Monotheismus« im Rahmen einer synchronen Darstellung zu behandeln, bedürfte wohl doch noch weiterer methodologischer Anstrengungen.
Eine – längst überfällige – Erweiterung des Horizonts der Deuteronomiumforschung stellt die Oxforder Dissertation von An­selm C. Hagedorn dar, die einen Vergleich des Deuteronomiums mit dem griechischen Recht zum Ziel hat.70 »Rather than a traditional his­tor­ical-critical explanation for how the book of Deuteronomy de­velop­ed into its present form we will focus on its cultural setting and background, trying to locate it within the cultural area of the eastern Mediterranean.«71 Zwar stehen die literar- und redaktionskritischen Fragen nicht im Mittelpunkt der Arbeit, gleichwohl wird ihnen in den Einzelanalysen gebührend Rechnung getragen. Die kulturelle Verortung geschieht – nach einem beliebten Muster an­gelsäch­sischer Dissertationen – mithilfe der cultural anthropology:72
»As a starting point for the comparison of the individual and society in the legal systems of Israel as represented in the Book of Deuteronomy and ancient Greece we will take ›the Mediterranean honour theory‹ which is based on the observation that there are certain notions of honour, which can be found in the cultures that border the Mediterranean Sea.«73 Die Formung der Person wird auf S. 89–99 entfaltet: »Thus the ancient personality is constantly in need of the other to assure his or her current status, so that we can speak of a group-embedded personality.«74
Ein umfänglicher Teil der Arbeit befasst sich mit den Ämtergesetzen Dtn 16,18–18,22.75 Unter Ausblendung des Priestertums stehen das Königtum und die Gerichtsorganisation im Mittelpunkt. Die im Hinblick auf den Alten Orient starke Eingrenzung der Befugnisse des Königs im Deuteronomium hat mannigfache Analogien im griechischen Bereich. Ausgangspunkt der Darstellung ist für Hagedorn der Text des Deuteronomiums, dem im Text und in den Anmerkungen Belege aus den verschiedenen Epochen und Gebieten der griechischen Antike an die Seite gestellt werden. Bei der Darstellung des griechischen Königtums reicht dies von den Li­near B Texten bis Aristoteles. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf dem Bild des Königs bei Homer. Dieser ist kein Gesetzgeber, kein Richter, und er entscheidet auch in militärischen Dingen nicht völlig autonom. 76 Die Einsetzung der Richter erfolgt in Dtn 16,18 durch die männlichen Vollbürger;77 wobei das Urteil Hagedorns schwankt, ob es sich um professionelle78 oder Laienrichter79 handelt. Die Skepsis gegenüber mantischen Praktiken, die in Dtn 18,9–14 genannt werden, findet sich auch in der griechischen Antike.
Ein Krieg ist nach den deuteronomischen Kriegsgesetzen in Dtn 20 nicht führbar, doch finden sich Vorstellungen, die insofern nicht völlig unrealistisch sind, als sie Analogien im griechischen Bereich haben. Hagedorn denkt hier an die Kriegführung der Hopliten, die ihre Ausrüstung aus eigenen Mitteln stellen. Dies ist nur möglich, wenn eine materielle Grundlage in Form von Landbesitz zur Verfügung steht. Die Ausnahmeregelungen in Dtn 20,5–7 sind kein individuelles Recht, sondern garantieren den Bestand Israels, das sich nach Hagedorn in den Kriegsgesetzen in »fighters and maintainers« unterteilt. 80 Die für die Kriegführung notwendige Ausstattung mit Landbesitz ist auch ein wesentlicher Gesichtspunkt im Familien- und Erbrecht.81 Das Deuteronomium macht allerdings keine Angaben über die Austattungspflicht der Heeresangehörigen.
Neben die Landbesitzordnung, die die Wehrfähigkeit der Ge­meinschaft si­chern soll, tritt im Familien- und Erbrecht auch die »Mediterranean honour theory«, die bei den Gesetzen über Ehebruch und Vergewaltigung deutlich hervortritt: »On the one hand men are expected to play Don Juan and on the other hand it is required of them to protect their women against the intrusion of such Don Juans, since such ability is a major component of reputation and manliness.«82 Das Deuteronomium greift hier ordnend ein, da es »honour kill­ings« reduziert und die Auseinandersetzung in ge­richtliche Bahnen lenkt.83 Eine weitergehende Frage wäre, ob dessen Verfasser hier nicht nur die Folgen der »Mediterranean honour theory« eingrenzen, sondern sie in Dtn 13 in Frage stellen. Wenn der Status eines Menschen durch den Blick, den die anderen auf ihn werfen, definiert ist, so wird in Dtn 13 dazu aufgerufen, eben nicht den Autoritäten oder den nahestehenden Mitgliedern der Gesellschaft bei der Verehrung fremder Götter zu folgen. Der Abfall einer ganzen Stadt macht vollends klar: Die Wahrheit ist nicht notwendig bei der Mehrheit.
Ein wesentlicher Ertrag der Arbeit liegt in dem seit längerem dis­kutierten utopischen Charakter des Deuteronomiums:
»We have seen that it is not possible to argue that, only because a state as en­visaged in Deut 16:18–18:22 has never been put into practice, the authors of such a constitutional document aimed at the construction of a ›cloudcuckoo-state‹. The state reflected in this passage has to be regarded as a real alternative to the reality its deuteronomic authors currently experience. Using everyday language they construct what they perceive as a better society. The Biblical text does not allow us to reflect upon the question whether such a construction would have worked, but the evidence surveyed from archaic Greece in our comparison seems to suggest that it could have been possible.« 84
Bei dem Vergleich des Deuteronomiums – sei es mit dem Keilschriftrecht, sei es mit dem Recht der griechischen Polis – ist gewiss ein Blick auf eine zusammenfassende Darstellung der antiken Rechtskulturen sinnvoll. Hier ist der von U. Manthe herausgegebene Sammelband zu nennen,85 in dem S. Allam das Recht im pharaonischen Ägypten, H. Neumann das Recht im antiken Mesopotamien, R. Haase das Recht im Hethiter-Reich, E. Otto das Recht im antiken Israel, G. Thür das Recht im antiken Griechenland und É. Jakob und U. Manthe das Recht in der römischen Antike behandeln. In knapper und bündiger Form werden die einzelnen Bereiche mit einer Auswahl der wichtigsten neueren Literatur vorgestellt. Wichtig ist der ägyptische Bereich mit seiner Gerichtsor­ ganisation, der in der Deuteronomiumforschung bisher kaum be­rücksichtigt wurde. Aber auch angesichts des neu erwachten Interesses an Vergleichen mit dem frühen Griechentum ist eine problemorientierte Darstellung des antiken griechischen Rechts zu begrüßen, wobei G. Thür schon am Eingang seiner Darstellung darauf hinweist, welche Schwierigkeiten sich bei dem Sammelbegriff »griechisches Recht« ergeben.86 Ein konstitutives Element des Ge­richtsverfahrens bei Homer und in dem Recht von Gortyn ist der Eid.87 Den Eid als Weg zur Rechtsfindung kann man zwar als Hin­tergrund in Dtn 19,17 vermuten, doch spielt er in der Gerichtsver­fassung des Deuteronomiums nicht die Rolle, die G. Thür für seine frühen griechischen Beispiele nachgewiesen hat. Bei aller Vergleichbarkeit im Rahmen der ostmediterranen Lebenswelt, auf die A. C. Hagedorn hingewiesen hat, sind die unterschiedlichen Ausprägungen der beiden Rechtskulturen nicht ganz zu vernachlässigen.



Fussnoten:

1) Besprechung von: Aurelius, Erik: Zukunft jenseits des Gerichts. Eine redaktionsgeschichtliche Studie zum Enneateuch. Berlin-New York: de Gruyter 2003. VI, 244 S. gr.8° = Beihefte zur Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft, 319. Lw. EUR 68,00. ISBN 3-11-017854-0; Braulik, Georg [Hrsg.]: Das Deuteronomium. Frankfurt a. M.-Berlin-Bern-Bruxelles-New York-Oxford-Wien: Lang 2003. 378 S. gr.8° = Österreichische Biblische Studien, 23. Kart. EUR 49,00. ISBN 3-631-51018-7; Finsterbusch, Karin: Weisung für Israel. Studien zu religiösem Lehren und Lernen im Deuteronomium und in seinem Umfeld. Tübingen: Mohr Siebeck 2005. XIV, 349 S. gr.8° = Forschungen zum Alten Testament, 44. Lw. EUR 99,00. ISBN 3-16-148623-4; Hagedorn, Anselm C.: Between Moses and Plato. Individual and Society in Deuteronomy and Ancient Greek Law. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2004. X, 351 S. gr.8° = Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments, 204. Lw. EUR 69,00. ISBN 3-525-53888-X; Heckl, Raik: Moses Vermächtnis. Kohärenz, literarische Intention und Funktion von Dtn 1–3. Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2004. X, 486 S. gr.8° = Arbeiten zur Bibel und ihrer Geschichte, 9. Geb. EUR 54,00. ISBN 3-374-01955-2; Lohfink, Norbert: Studien zum Deuteronomium und zur deuteronomistischen Literatur V. Stuttgart: Verlag Katholisches Bibelwerk 2005. 303 S. 8° = Stuttgarter Biblische Aufsatzbände, 38. Kart. EUR 48,00. ISBN 3-460-06381-5; MacDonald, Nathan: Deuteronomy and the Meaning of ›Monotheism‹. Tübingen: Mohr Siebeck 2003. X, 271 S. gr.8° = Forschungen zum Alten Testament. 2. Reihe, 1. Kart. EUR 49,00. ISBN 3-16-148054-6; Manthe, Ulrich [Hrsg.]: Die Rechtskulturen der Antike. Vom Alten Orient bis zum Römischen Reich, München: Beck 2003. 346 S. m. 6 Ktn. u. 1 Zeittafel. 8°. Geb. EUR 29,90. ISBN: 3-406-50915-0; Moenikes, Ansgar: Tora ohne Mose. Zur Vorgeschichte der Mose-Tora. Berlin-Wien: Philo 2004. 254 S. gr.8° = Bonner Biblische Beiträge, 149. Geb. 49,80. ISBN 3-86572-523-6; Otto, Eckart: Gottes Recht als Menschenrecht. Rechts- und literaturhistorische Studien zum Deuteronomium. Wiesbaden: Harrassowitz 2002. VIII, 331 S. gr.8° = Beihefte zur Zeitschrift für Altorienta­lische und Biblische Rechtsgeschichte, 2. Geb. EUR 78,00. ISBN 3-447-04276-1; Otto, Eckart, u. Reinhard Achenbach [Hrsg.]: Das Deuteronomium zwischen Pentateuch und Deuteronomistischem Ge­schichts­werk. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2004. VIII, 222 S. gr.8° = For­schungen zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments, 206. Lw. EUR 59,00. ISBN 3-525-53070-6; Person, Jr., Raymond F.: The Deuteronomic School. History, Social Setting, and Literature. Atlanta: Society of Biblical Literature 2002. X, 175 S. gr.8° = Studies in Biblical Literature, 2. Kart. US$ 29,95. ISBN 1-58983-024-5; Veijola, Timo: Das 5. Buch Mose (Deuteronomium). Kapitel 1,1–16,17. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2004. X, 366 S. gr.8° = Das Alte Testament Deutsch, 8/1. Kart. EUR 56,00. ISBN 3-525-51138-8.
2) T. Veijola, Das 5. Buch Mose (s. Anm. 1).
3) A. a. O., 1–6.
4) A. a. O., 93 ff.
5) A. a. O., 4 f.
6) A. a. O., 315.
7) A. a. O., 282, Anm. 928.
8) E. Otto, Gottes Recht als Menschenrecht (s. Anm. 1).
9) A. a. O., 128–166.
10) A. a. O., 159.
11) A. a. O., 3 f.
12) A. a. O., 42, Anm. 167
13) E. Aurelius, Zukunft jenseits des Gerichts (s. Anm. 1), 1 ff.
14) A. a. O., 208.
15) A. a. O., 39–56; L. Camp, Hiskija und Hiskijabild. Analyse und Interpretation von 2Kön 18–20 (MThA 9), Altenberge 1990.
16) E. Aurelius, a. a. O., 88 ff.
17) A. a. O., 93 f.
18) A. a. O., 37 f.
19) A. a. O., 41, Anm. 77.
20) A. a. O., 95.
21) A. a. O., 67.
22) T. Veijola, a. a. O. (s. Anm. 1), 5.
23) U. Dahmen, Das Deuteronomium in Qumran als umgeschriebene Bibel, in: G. Braulik [Hrsg.], Das Deuteronomium (s. Anm. 1), 274 f.
24) M. M. Zahn, Reexamining Empirical Models: The Case of Exodus 13, in: E. Otto/R. Achenbach [Hrsg.], Das Deuteronomium zwischen Pentateuch und Deuteronomistischem Geschichtswerk (s. Anm. 1), 38.
25) S. dazu den Beitrag von E. Otto, in: E. Otto/R. Achenbach, a. a. O., 14–35.
26) M. M. Zahn, a. a. O., 36–55.
27) R. F. Person, Jr., The Deuteronomic School (s. Anm. 1), 31–63.
28) A. a. O., 6 f.
29) A. a. O., 89 ff.
30) A. a. O., 105.
31) A. a. O., 106 ff.
32) A. a. O., 65–81.
33) E. Otto, a. a. O., 57–75.
34) T. Veijola, a. a. O., 5 f.27 f.
35) E. Otto/R. Achenbach, a. a. O., 182.
36) R. Heckl, Moses Vermächtnis (s. Anm. 1).
37) A. a. O., 15–17.
38) A. a. O., 456.
39) A. a. O., 350–353.396–399.
40) K. Finsterbusch, Weisung für Israel (s. Anm. 1).
41) A. a. O., 116, Anm. 6, und 314, Anm. 746.
42) A. a. O., 10.
43) J.-P. Sonnet, The Book within the Book. Writing in Deuteronomy (BIS 14), Leiden-New York-Köln 1997.
44) Ein markantes Zitat von Sonnet ist dem eigentlichen Hauptteil der Arbeit, Kapitel 3, vorangestellt.
45) K. Finsterbusch, a. a. O., 311 ff.
46) N. Lohfink, Studien zum Deuteronomium und zur deuteronomistischen Literatur V (s. Anm. 1).
47) Prolegomena zu einer Rechtshermeneutik des Pentateuchs, ebd., 181–231.
48) So die Absatzüberschrift, 197.
49) A. a. O., 203. Hierbei scheint Lohfink nicht völlig auf diachrone Aspekte verzichten zu können.
50) S. die zusammenfassenden Bemerkungen bei K. Finsterbusch, a. a. O., 313.
51) N. Lohfink, a. a. O., 204.
52) A. Moenikes, Tora ohne Mose (s. Anm. 1).
53) A. a. O., 64 f.
54) Der Passus in Dtn 6,17 ist nach T. Veijola, a. a. O., 176 f.190 f., ein Nachtrag zu DtrB; zu Dtn 28,45 s. G. Seitz, Redaktionsgeschichtliche Studien zum Deuteronomium (BWANT 93), Stuttgart-Berlin-Köln-Mainz 1971, 263 f.
55) A. Moenikes, a. a. O., 72 ff.
56) A. a. O., 207.
57) A. a. O., 202 ff.
58) A. a. O., 183.
59) N. MacDonald, Deuteronomy and the Meaning of ›Monotheism‹ (s. Anm. 1).
60) A. a. O., 219.
61) A. a. O., 1.60.
62) A. a. O., 1.
63) A. a. O., 60, vgl. 78.
64) A. a. O., 53 f.
65) A. a. O., 70.
66) A. a. O., 151, wird dem Leser nur die Wortfolge »YHWH – our god – YHWH – one« geboten.
67) A. a. O., 74.
68) A. a. O., 97.
69) A. a. O., 219.
70) A. C. Hagedorn, Between Moses and Plato (s. Anm. 1).
71) A. a. O., 12.
72) A. a. O., 52.
73) A. a. O., 51.
74) A. a. O., 92 f.
75) A. a. O., 108–171.
76) A. a. O., 149 ff.
77) A. a. O., 120 f.
78) A. a. O., 127.
79) A. a. O., 170.
80) A. a. O., 186.
81) A. a. O., 200–239.
82) A. a. O., 272.
83) A. a. O., 276.
84) A. a. O., 283.
85) U. Manthe [Hrsg.], Die Rechtskulturen der Antike (s. Anm. 1).
86) A. a. O., 195 f.
87) A. a. O., 202–207.