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Ausgabe:

Dezember/2007

Spalte:

1391–1393

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Schambeck, Mirjam

Titel/Untertitel:

Mystagogisches Lernen. Zu einer Perspektive religiöser Bildung.

Verlag:

Würzburg: Echter 2006. XVI, 458 S. gr.8° = Studien zur Theologie und Praxis der Seelsorge, 62. Kart. EUR 35,00. ISBN 3-429-02760-8.

Rezensent:

Stephan Weyer-Menkhoff

Die in drei Teilen historisch, theologisch und religionspädagogisch gründlich vorgehende Regensburger Habilitation eröffnet in der Rezeption der Theologie Karl Rahners die Möglichkeit, von Alltagserfahrungen auszugehen und diese einer christlichen Deutung zu­gänglich zu machen. Damit ist ein religionspädagogischer Ansatz vorgestellt, der durch eine schülerspezifische Erfahrungsorientierung unterrichtlich höchst wirksam ist. Gerade diese klare Posi­tionierung und konsequente theologische Grundlegung ruft den Widerspruch des Rezensenten hervor.
Wie christlich gebetet wird und wie Gott dadurch christlich erscheint, könnte zu den im Religionsunterricht zu erwerbenden Kompetenzen gehören, wenn das Lernen mystagogisch eingerichtet und damit an den Phänomenen christlicher Religion ausgerichtet würde. Genau das soll der Religionsunterricht aber nicht, jedenfalls nicht elementar und fundamental leisten, wenn man der vorgelegten Alternative folgt.
Der erste Teil untersucht Mystagogie in der Alten Kirche (18–77). Eine Konzentration zu Ende des 4. Jh.s gibt dem Begriff die Bedeutung der geordneten und reflektierenden Einführung in gottesdienstliche Formen. Die christliche Religion, die nicht das Eigene, sondern mit Christus immer ein Anderes und Gegebenes ist, erscheint nicht jenseits ihrer Darstellung und ist darum auch di­daktisch nur in ihrer Darstellung zugänglich. Dieser traditionelle Begriff der Mystagogie wird jedoch relativiert, wenn historisch vor oder nach jener Zeit ausgegriffen wird. Clemens von Alexandrien und Gregor der Große werden als Zeugen für einen erweiterten Mys­tagogiebegriff aufgerufen: »Mystagogie als Einführung in die Gotteserkenntnis (Gnosis)«, womit im Kontext vor allem die Gottesschau gemeint ist.
Damit ist die entscheidende Weichenstellung der Arbeit aufgezeigt. Der zweite Begriffsgebrauch wird nun von der vorliegenden religionspädagogischen Studie mit solcher systematischen Dominanz aufgenommen, dass der erste Gebrauch als bloßes Beispiel nachrangig wird. Mystagogie als Einführung in Gnosis, in Gotteserkenntnis und -schau wird normativ, während Mystagogie als Einführung in die gottesdienstliche Gegebenheitsweise dazu nur noch instrumentell bestimmt werden kann (67). In der Diskussion der religionspädagogischen Rezeption einer form- und erscheinungsorientierten Mystagogie wird dann auch deren instrumentelles Ungenügen attestiert. Der Traditionsabbruch ließe den re­ ligionspädagogischen Ausgang von gottesdienstlichen Formen christlicher Religion in »Isolation und Gettoisierung der christlichen Glaubensbotschaft« führen (220 ff.). Eine mit den Formen wahrnehmungsstrukturierte Mystagogie tendiere zur Reduktion auf »ein kognitives Kennenlernen von Glaubensinhalten« (221). Nicht zu Gesicht kommt solcher Kritik der fundamentale Zusam­menhang von Gegebenheitsweise und Gegebenem, von Form und Wahrnehmung, von Erscheinung und Erscheinendem. Die erhobene Begriffsbestimmung für die Alte Kirche war denn auch: »Mystagogie bezieht sich nicht auf irgendein Phänomen im Christentum oder irgendeine Wahrheit, sondern zielt auf die Kernfrage des Christlichen, nämlich die Gottesfrage und ihre spezifische Gestalt« (74). Phänomene verblassen in einer Mystagogie, die »das Eigentliche des Glaubens, nämlich das In-Beziehung-Treten mit Gott« intendiert (232).
Das Eigentliche, die Kernfrage des Christlichen, wird der phänomenalen Gegebenheit christlicher Religion systematisch vorgeordnet. Grundlage dazu bietet nach einem Vorlauf durch die Theologie Bonaventuras (78–108) die luzid und mit viel Sympathie vor­gestellte Theologie Karl Rahners (109–212). Rahner führt zur Mys­tagogie zwar nichts explizit aus, aber schließlich ist seine ganze Theologie mystagogisch (111 f.). Schon bei Bonaventura wurde keine Mystagogie, sondern eine »mystagogische Dimension« seiner gesamten Theologie ausgemacht (78). Mystagogie soll eben nicht bei wahrnehmbaren Formen anfangen, sondern mit dem Gottesverhältnis, und dies liegt in jeder Wirklichkeitserfahrung vorgängig vor. Rahner »nimmt eine vorgängige Einheit von Gnade/Gottesgeheimnis und übernatürlichem Existential/Mensch an« (143). Die Spiegelungen einer »anthropologisch gewendeten Theologie« werden mystagogisch fundamental (15.251).
Wenn Gottes Gnade aller Wirklichkeitserfahrung vorausgeht, dann kann prinzipiell jede Wirklichkeitserfahrung zum Ausgangspunkt einer Reflexion des Gottesverhältnisses gemacht werden. Postmodern ist dies anschlussfähig (251). Darin liegt der Gewinn des Ansatzes. Mystagogie wird reflexiv und selbstreferentiell. »My­stagogie setzt beim Geheimnis des Menschen an und versucht in menschliche Grunderfahrungen einzuüben, um im Erleben des Humanum die Spur des Divinum auszumachen« (253). Fortan ist qualifiziert von »einer transzendentalen Mystagogie« im Gegensatz zum herkömmlichen Sprachgebrauch zu reden, weil dieser mit seiner phänomenalen Orientierung die Mystagogie »eingeengt« habe (215.217).
Die Transzendentalisierung der Mystagogie blendet Formen und Erscheinungsweisen christlicher Religion zwar zu Gunsten der religionspädagogisch relevanten Erfahrungsuniversalität aller Wirklichkeit aus, sie nimmt aber auch dieser die Priorität und Dominanz. »Das Christliche erweist sich in diesem Entwurf nicht als das Besondere, im Sinne eines eigenen, abgesonderten, Geltungsbereiches, sondern vielmehr als das allgemeine Einfache, das auf Grund des christlichen Schöpfungs- und Erlösungsgedankens die Welt durchzieht, aber vom Menschen entdeckt, aufgedeckt und schließlich angenommen und umgesetzt werden muss« (280). Ein Gedanke wird zur Grundlage der Mystagogie. Transzendental, Bedingung der Möglichkeit von Erfahrung, bleibt das Gottesverhältnis. Dies aber geht aller Erfahrung systematisch voran. Damit droht es zur vorgängigen Identifizierung und Feststellung aller nur möglichen Erfahrung zu kommen: Bei transzendentaler Mystagogie kann Glaube nicht zur Erfahrung werden, sondern muss erfahrungstranszendente Deutung von Erfahrungen bleiben. Glaube wird zur Voraus-Setzung. Diese Voraussetzung zeigt sich in einer »Konzentration des Glaubens in sogenannten Kurzformeln«, wie sie Rahner forderte (112, vgl. 327), von denen jedoch unklar bleibt, wie sie erschwinglich, wahrnehmbar und erlernbar werden könnten. Glaube wird transzendental, und Transzendentalität ist gerade nicht wahrnehmbar. Zwangsläufig führt der modern mystagogisch ausgerichtete Religionsunterricht in »das Geheimnis« einer unendlichen Spiegelung menschlicher Erfahrung mit göttlicher Dimension. In solch unentrinnbarer Entsprechung fallen Erscheinung und Fremdheit aus, weil sie jeweils ein Anderes ins Spiel brächten und die Totalität der Spiegelungen – oder Deutungen – aufsprengten. Die unausweichliche Aufhebung des anderen gehört zu den Kosten einer transzendentalen Religionsphilosophie der Gläubigkeit. – Diese kritische Zuordnung des »Mystagogischen Lernens« darf jedoch die religionspädagogische Aktualität der zu besprechenden Arbeit nicht verstellen: »Die vorliegende Perspektive religiöser Bildung will die subjektive Religion und den persönlichen Lebensglauben der Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen wahrnehmend und achtend, zugleich die religiöse Tradition des Christentums für diese Suchbewegungen dienstbar machen« (418). Dieses Programm wird im letzten und ausführlichsten der drei Teile (281–415) in breiter Rück­bindung an die Lernpraxis religionspädagogisch ausgeführt. Hier wird nun die Ebene der Phänomene und Erfahrungen aufgesucht. Die der Religionspädagogik seit den 1980er Jahren attestierte »Er­fahrungsorientierung« wird transzendental ausgeführt (281).
In den höchst anregenden und wünschenswert konkreten Ausführungen tritt das religionspädagogische Grundproblem deutlich hervor: Ein Lernkonzept, das die Phänomenalität christlicher Religion in unendlicher Entsprechung des Allgemeinen zum Verschwinden bringen kann, bietet sich zwar für die kulturelle Situation des Verschwindens christlicher Phänomene an, droht aber einen kulturell gestaltenden Anspruch und kritischen Bildungsauftrag zu verlieren. Das Buch thematisiert eine aktuelle Position der Religionspädagogik in wünschenswerter Deutlichkeit und Gründlichkeit.