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Ausgabe:

Dezember/2007

Spalte:

1381–1383

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Boss, Günther

Titel/Untertitel:

Verlust der Natur. Studien zum theologischen Naturverständnis bei Karl Rahner und Wolfhart Pannenberg.

Verlag:

Innsbruck-Wien: Tyrolia-Verlag 2006. 372 S. 8° = Innsbrucker theo­logische Studien, 74. Kart. EUR 36,00. ISBN 978-3-7022-2799-9.

Rezensent:

Johanna Rahner

Die 2005 in Fribourg (Schweiz) eingereichte Dissertationsschrift sucht nach der »theologische[n] Antwort auf die Frage des Verhältnisses des Menschen zur Natur«, um sie zugleich als Frage des Verhältnisses Gottes zur Natur zu verhandeln (vgl. 12). Dabei stehen zwei Studien im Mittelpunkt, die das Verhältnis von Gott, Welt und Mensch im theologischen Werk Karl Rahners und Wolfhart Pannenbergs analysieren. Beide Autoren werden auf Grund ihrer ›epochalen Bedeutung‹ für eine Theologie nach der anthropologischen Wende ausgewählt. Denn mit dieser Wende ist der Begriff ›Natur‹ fraglich, ja labil (vgl. 15) geworden: »Wie transformiert sich das Naturverständnis der Theologie, wenn sie die anthropologische Wende mitvollzieht, wenn sie den Gottesgedanken primär in Bezug zur ›Subjektivität‹ des Menschen entfaltet? Muss nun auch das Naturverständnis von der menschlichen Selbsterfahrung her entwickelt werden? Oder fällt der Naturbegriff ganz aus? Wird Gott natur-los, wenn die Natur gott-los wird? Bleibt weiterhin ein direkter Weg bestehen, das Verhältnis Gottes zur Natur zu bestimmen? Und was wäre denn diese ›Natur‹?« (15) Und: Wie transformiert sich »das Naturverständnis der Theologie, wenn sie sich auf die neuzeitliche ›Subjektivitätsproblematik‹ einlässt« (19)?
Die Rahnerstudie überzeugt zunächst durch eine klug gewählte Einschränkung der Primärquellen auf den ›Grundkurs‹ als Leitfaden und Referenzrahmen, in den andere Beiträge eingearbeitet werden. Die Problematik einer adäquaten Erfassung des Gottesbegriffs angesichts der notwendigen Transzendentalität des Gottesgedankens lässt innerhalb der gnadentheologischen Grundlegung erste Impulse für eine veränderte Verhältnisbestimmung von Gott, Mensch und Natur erwarten (Kapitel I [29–83]). Dieser Blick wird – ganz dem Duktus des ›Grundkurses‹ folgend – durch eine chris­ tologische Durchführung vertieft, um anhand des Themas der Menschwerdung jene in der transzendentalen Grundlegung des Gottes­gedankens vermisste theologische Relevanz der Natur zu entdecken. Da Rahner mit seiner »Fassung des Gedankens der Selbst­mitteilung Gottes … eine Perspektive für ein theologisches Na­turverständnis« eröffnet, weil Selbstmitteilung »bei ihm ein Geschehen vom transzendenten Gott auf die geistige Natur hin, auf den Menschen hin« bleibt, die die ›Natur‹ des Menschen nur als dessen Transzendentalität, als Subjekt von Freiheit und Erkenntnis, wahrzunehmen bereit ist (vgl. 47), soll nun die christologische Situierung Abhilfe schaffen. Doch leistet sie das nur bedingt. Denn »Rahner liest den biblischen Jesus und die dogmatisch-christologischen Aussagen (Chalcedons) offensichtlich von einem neuzeitlichen Subjektdenken her … [er] macht, um es etwas karrikierend zu sagen, aus dem Jesus des Palästina um die Zeitenwende einen neuzeitlichen, aus der Natur herausgerissenen, sich selbst und die Welt manipulierenden, in Einsamkeit seine ungeheuerliche Willensfreiheit vollziehenden Menschen des 20. Jahrhunderts.« (82) So bleibt der inkarnatorische Impuls mit dem Gottesgedanken Rahners ›seltsam unvermittelt‹ und es kommt trotz der Dominanz des Themas ›Menschwerdung Gottes‹ zu einer klaren ›Grenzziehung‹ zwischen Gott und Welt (vgl. 83).
Die sich andeutende Engführung wird am Thema der Anth­ro­pologie weiter verfolgt (Kapitel II [85–126]). Rahners Anthropologie wird als ›dezidierte Freiheitsanthropologie‹ (vgl. 109) vor­ge­stellt, so dass Freiheit zum anthropologischen Spezifikum schlechthin, damit aber auch zum entscheidenden Differenzkriterium von Mensch und Natur wird. Die auf der Basis einer transzendentalen Anthropologie entwickelte existentiale Deutung des Christentums hat aber »eo ipso ein Problem damit, den Welt- und Naturbegriff theologisch zu bestimmen« (127). Zumindest fällt es innerhalb eines solchen Rahmens schwer, eine Beziehung außerhalb der transzendentalen Vollzüge zu verorten und eine ontologische Basis jenseits dieser Bezüge zu suchen. Natur ist zum »Material menschlicher Freiheit« geworden (vgl. 133). Diese ›Lücke‹ innerhalb des Ansatzes Rahners ist festzuhalten, ob ihr tatsächlich ein theologischer Mangel entspricht, versucht der Vf. nun auf der Basis des Werks von Wolfhart Pannenberg zu verdeutlichen, dessen Theologie er als ›komplementär‹ zum Werk Rahners beschreibt (vgl. 137).
In Pannenbergs apokalyptisch-universalgeschichtlicher Konzeption der ›Offenbarung als Geschichte‹ (143–171) wird sowohl die hermeneutische Methode der transzendentalen Rahners gegenübergestellt und wie dessen Rekurs auf eine ›apriorische Vernunft‹ mit einer ›geschichtlichen Vernunft‹ konfrontiert. Beides setzt einen breiteren Rahmen, »in dem auch die Themen ›Mensch‹ und ›Natur‹ an je ihrem Ort situiert werden« können (155). Obgleich auch Pannenberg den Schwerpunkt nicht auf ein ›naturales Offenbarungsdenken‹, sondern auf »eine biblisch-eschatologische Theologie der Geschichte« legt (vgl. 151), grenzt er damit die Frage nach der Natur nicht notwendig aus, wenngleich sie zunächst nur in ihrer Kontingenz deutlich wird und somit die Frage aufwirft: Ist in dieses Programm der ›Offenbarung als Geschichte‹ »so etwas wie Offenbarung als Natur integrierbar?« (145) Freilich dominiert die theologische Dimension des Naturverständnisses (172–193). ›Na­türlich‹ bedeutet hier: von Gott konstituiert. So macht der Vf. zu Recht den geradezu offenbarungspositivistischen Grundzug des Entwurfs (und damit – trotz aller Differenz – die unverkennbare Nähe Pannenbergs zum Ansatz Karl Barths) deutlich.
Diese Grundperspektive verhält sich zu einer anthropologisch-existentialen Fragestellung notwendig spannungsvoll. Diese Spannung lässt sich bis hinein in Pannenbergs Strukturierung der Chris­tologie verfolgen (194–213). Formal ist sie zwar als eine historisch orientierte und fundierte ›Christologie von unten‹ zu beschreiben. Die dominierende offenbarungstheologische Grundperspektive wird aber gerade in dieser Zuspitzung die Auferstehung als proleptisches ›Ereignis‹ des Handelns Gottes und ›retroaktive‹ Begründung der Einheit Jesu mit Gott (207) deutlich, ebenso wie sie die Kritik der – im Anschluss an Schleiermacher als aporetisch bewerteten – Zweinaturenlehre bestimmt und sie zu Gunsten einer schöpfungstheologischen Fundierung trinitätstheologisch überformt.
Die Leitfrage wird auch hier im Rahmen der Erarbeitung der Anthropologie (217–276) wie der trinitarisch situierten Schöp­fungs­­theo­logie (277–344) vertieft. Wird Natur auch bei Pannenberg nur als Naturerfahrung und damit als anthropologische Größe wahrgenommen? Oder kommt der Grundsatz Pannenbergs zum Tragen: »Nur methodisch ist die Anthropologie ›fundamental‹. Der Sache nach kann nur Gott und seine Offenbarung in Jesus Christus das Fundament sein. Meine letzte Absicht bei der Beschäftigung mit der Anthropologie geht dahin, sie … aufzuheben, nämlich aufzuheben in das Konzept einer systematischen Theologie« (224)?
Die als ›exzentrische Selbsttranszendenz‹ bestimmte, radikal ge­schichtlich durchbuchstabierte Anthropologie Pannenbergs vermeidet eine neuzeitlich-anthropologische Verengung, aber es bleibt die Frage: Wird innerhalb einer exzentrisch-theozentrischen Anthropologie eine Wahrnehmung von ›Natur‹ diesmal aus theologischen Gründen verunmöglicht? Die Wahrnehmung der naturwissenschaftlichen Sicht auf den Menschen, die Pannenbergs Anth­ropologie so grundlegend prägt, wirkt angesichts der dominierenden theologischen Grundperspektive daher weniger naiv, vorkritisch oder amalgamierend (vgl. 327 f.331), wie der Vf. sie kennzeichnet, als dass sie letztlich theologisch vereinnahmt wird. Die offenbarungstheologische Perspektive ›liquidiert‹ nicht nur den Menschen, »um am Ende umso resoluter Gott als den alles Bestimmenden auf den Plan treten zu lassen« (266), auch die ›Natur‹ tritt letztlich nur als Spielfeld des trinitarischen Gottes in Erscheinung. Darum ist der Verlust der Perspektive auf die Natur bei Pannenberg nicht allein in jener vom Vf. beklagten spiritualisierenden Tendenz und damit einer Entmaterialisierung des Na­turbegriffs (343) zu suchen, sondern in der nicht auflösbaren Spannung seines geschichtlich-apokalyptischen Denkens und des theozentrischen Ursprungsdenkens (vgl. 332), das den Verdacht einer monistischen Grundorientierung nie ganz auszuräumen vermag.
Der vom Vf. im Anschluss an Thomas Pröppers Kritik der Pannenbergschen Anthropologie beobachtete Verlust der Perspektive auf die menschliche Freiheit (vgl. 267–269) macht sich letztlich auch in schöpfungstheologischer Perspektive bemerkbar. Die Do­minanz der theozentrischen Grundperspektive lässt Natur zwar nicht mehr als Ap­pendix der Anthropologie, wohl aber der Theologie erscheinen (vgl. 299). Der Gedanke einer Freilassung der Schöpfung, die für Gott selbst ein Risiko darstellen kann, und damit ein wirklicher Eigenstand der ›Natur‹ bleibt der Pannenbergschen Schöpfungstheologie notwendig fremd, indem jeder Differenzgedanke immer schon trinitarisch-ontologisch unterfangen, proleptisch vollendet oder hamartiologisch desavouiert und damit auf­gehoben erscheint. Ob hier ein Versuch der Rückgewinnung der Natur in einem in den Spuren Rahners grundgelegten freiheits­theo­logischen, transzendental ansetzenden, aber zugleich mate­rial, d. h. intersubjektiv wie leibhaftig an­gereicherten Ansatz nicht doch Erfolg versprechender gewesen wäre?