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Ausgabe:

1995

Spalte:

169-171

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Furger, Franz

Titel/Untertitel:

Moral oder Kapital? 1995

Rezensent:

Jäger, Alfred

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169

Theologische Literalurzeitung 120. Jahrgang 1995 Nr. 2

170

Uberblick von der Entstehung Israels als alternativer Kontrast-
gesellschaft bis zur Jesusbewegung und den messianischen
Gemeinden, wobei er die wesentlichen Ergebnisse der sozialgeschichtlichen
Erforschung der Bibel autarbeitet. Überzeugend
ist ebenfalls der von D. angebotene Systematisierungsversuch
des biblischen Befundes. Wahrend die Staats- und die Kirchentheologie
- verstanden als Vergötzung der Macht bzw. Anpassung
an die herrschenden Machtstrukturen - als Fehl wege abgewiesen
werden, sind die folgenden drei Optionen als legitime
Ansätze des Kircheseins zu betrachten: „I. Die Zähmung politisch
-ökonomischer Machtslrukluren durch Prophetie und
Recht... 2. Die exemplarisch transformierte Gesellschaft in einer
Nische der Weltreiche... 3. Verweigerung gegenüber totalitären
Systemen und vernetzte Alternativen im Kleinen" (199). In der
gegenwärtigen Situation hält D. allein die Optionen 1 und 3 für
realisierbar und plädiert für eine entsprechende Doppelstrategie
(vgl. 219), wofür er sich u.a. auch auf die Reformatoren als
Vorbilder beruft, (vgl. 208ff)

Der letzte, handlungsanweisende Teil entfaltet nun diese
Doppelstrategie, wobei allerdings die Option der Verweigerung
und der vernetzten Alternativen im Kleinen deutlich im Mittelpunkt
steht. Hier ist offenkundig in besonderer Weise das Anliegen
D.s zu erkennen - „unsere schärfsten Waffen im Kampf
(267) - und er kann sachkundig eine Vielzahl beeindruckender
Beispiele aufzählen. Demgegenüber bleibt das Kapitel „Alternative
Wirtschaftspolitik für das Leben" (265ff), in dem die
Option der Zähmung der politisch-ökonomischen Machtstrukturen
konkretisiert werden soll, eher blaß. Es werden - neben
weiteren Beispielen, die eher in den Bereich der Option 1 fallen
- im wesentlichen die Forderungen des UN-Entwicklungsprogramms
von 1992 und des Forums der Nicht-Regierungs-Organisationen
vom Erdgipfel in Rio 1993 dargestellt. Letzlich
bleibt es in diesem Teil bei einem scharfen Kontrast von „lst"-
Beschreibungen und „Soll"-Forderungen. Konkrete, auch ökonomisch
begründbare Zwischenschritte werden kaum aufgezeigt
. Für diese Schwäche dürften zwei Gründe aussschlagge-
bend sein. Neben den bereits genannten Defiziten im analytischen
Teil ist die von D. entwickelte Theologisierung der
Gesellschaftsfrage zu problematisieren. D. führt m.E. zu schnell
die Alternative von Gott und Götze ein, so daß es bei den von
ihm dargestellten ökonomischen Fragen nur ein bekenntnishaftes
„Entweder - Oder" und kein Adiaphoron geben kann. Die
Suche nach einem Komparativ, nach den graduell verbesserten
Lösungen, die durchaus auch Kompromisse einschließt, ist aut
diese Weise kaum mehr möglich. Sie wird von D. vielmehr, wie
in seiner Auseinandersetzung mit der EKD-Denkschrift „Gemeinwohl
und Eigennutz" deutlich wird (224), als Verweigerung
einer Entscheidung interpretiert.

Trotz der kritischen Anfragen bleibt festzuhalten, daß D. ein
äußerst wichtiges Buch geschrieben hat. Es ist ihm zu danken,
daß er mit seiner engagierten Stellungnahme eine weitere Beschäftigung
mit dem Thema, sicherlich manche kontroversen
Diskussionen, vor allem aber auch konkrete Aktionen für die
Opfer gegenwärtiger wirtschaftlicher Entwicklungen hervorrufen
kann.

Bochum TfBUgoU Jährlichen

Furger, Franz: Moral oder Kapital. Grundlagen der Wirtschaftsethik
. Zürich: Benziger: Mödling: St. Gabriel 1992.
329 S. 8°. Kart. DM 38.-. ISBN 3-545-24102-5.

Der bekannte katholische Sozialethiker Franz Furger engagiert
sich mit dem vorliegenden Werk unter „christlichem Vorzeichen
" (136) im auch in Europa breit angelaufenen Diskurs über
Wirtschaftsethik. Das Ziel seines Entwurfs bezeichnet er dabei

zurückhaltend als eine „systematische Einführung" (296), die auf
der Basis von Traditionen christlicher Sozialethik „Grundlagen"
einer Wirtschaftsethik erarbeitet, welche den ökonomischen Herausforderungen
der Zeit standhalten sollen. F. will dabei den
Wirtschaftswissenschaften nicht normativ ins Handwerk pfuschen
. Bestenfalls möchte er ein ökonomisch ernst zu nehmender
Gesprächspartner im Dialog über Wirtschaftsfragen sein, der
„Christen, die als Wirtschaftsfachleute direkt Ökonomie gestalten
", die nötigen „Grundinformationen" bereitstellt (ebd.).

Dem in der Theologie noch immer dominanten Paradigma
des Historismus entsprechend, setzt das Werk mit einer lexikalischen
Aufarbeitung der Vorgeschichte von Wirtschaftsethik
seit den Griechen und den biblisch-kirchlichen Traditionen ein
(27-47), um anschließend einen knappen Abriß der volkswirtschaftlichen
Dogmengeschichte von der Aufklärung bis zur
Gegenwart zu bieten (48-110). Das lapidare Fazit dieser ethischen
Thematisierung von Volkswirtschaftslehren lautet: „Wirtschaftswissenschaft
ruft nach Wirtschaftsethik" (110).

Der ausführliche und besonders gewichtige dritte Teil (111-
240) bietet „systematische Grundlagen", die insgesamt als Versuch
einer umfassenden Theorie der sozialen und ökonomischen
Gerechtigkeit in christlicher Sicht bezeichnet werden
kann. Im Rahmen des ganzen Werks bildet dies die tragende
Säule. F. bearbeitet darin traditionell klassische als auch aktuelle
Themen einer Wirtschaftsethik, die er als „Teil der Sozialethik
" und analog dazu als „Ordnungsethik" verstanden haben
will (128; 294). Als maßgebliches Leitkriterium gilt ihm dabei
„das christliche Menschenbild" (137), mit dem er die Maßgabe
der Menschenwürde und der Egalität aller Menschen, jedoch
auch der Sündhaftigkeit verbindet. Strikt wendet er sich gegen
jeden „Fundamentalismus", der unbedacht biblische Normen
auf heutige ökonomische Gegebenheiten anzuwenden versucht.
Biblische Vorgaben bieten allenfalls eine „Predigt oder Paräne-
se zu einem in eschatologischer Verantwortung stehendem
innerweltlichen Lebensvollzug" (139). Unter diesen Aspekten
entwirft der Vf. eine ausführliche Theorie der Arbeit, die im
differenziert zu verstehenden Postulat eines „Rechts auf Arbeit"
als „soziales Menschenrecht" gipfelt (163). Planwirtschaftliche
Experimente hält er insgesamt für gescheitert; so plädiert er um
so überzeugender für eine soziale Marktwirtschaft auf der Spur
des Ordoliberalismus, dessen ethische Grundlagen es immer
wieder herauszustellen gilt (240). Eine Wirtschaftsethik unter
sozialethischer Ägide sieht darin sogar ihre kritische, aber auch
konstitutive Aufgabe.

Im vierten Teil wagt sich F. an zwei „Konkretionen" seines
Ansatzes. Relativ kurz begibt er sich auf die Ebene einer Unternehmensethik
, die er als Reflexion auf das „Ethos einer Arbeitskultur
" verstanden wissen will (248-261). Etwas ausführlicher
fällt die Diskussion über eine „globale Ökonomie" unter der
Leitfrage nach einer neuen und gerechteren Weltwirtschaftsord-
nung aus (262-290). Mit dem Postulat der „Chancengleichheit"
fordert der Vf. als Fluchtpunkt anzustrebender politischer und
ökonomischer Prozesse auch global eine „soziale Marktwirtschaft
", die sich „z.T. unter mitgestaltender Einflußnahme der
christlichen Sozialethik herausgebildet und auf nationaler Ebene
bewährt hat" (273). Ein umfangreicher und benutzerfreundlicher
Apparat schließt das Werk ab.

F.s Entwurf steht in vielfacher Hinsicht, sowohl was Stärken
als auch Schwächen betrifft, in deutlicher Analogie zu Arthur
Richs „Wirtschaftsethik in theologischer Perspektive", ohne
daß dieser Bezug eigens thematisiert wird. Beide verstehen
Wirtschaftsethik als „Spezialgebiet christlicher Sozialethik",
was zu einer deutlichen Dominanz sozialethischer und darin vor
allem ordnungspolitischer Reflexionen in auffallender Distanz
zu akuten ökonomischen Themen und Problemen führt. Eine
herkömmliche Affinität christlicher Sozialethik zur Volkswirtschaftslehre
, die sogar als „die Wirtschaftswissenschaft" (107)