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Ausgabe:

1995

Spalte:

155-157

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Gnilka, Christian

Titel/Untertitel:

Der Begriff des "rechten Gebrauchs" 1995

Rezensent:

Haendler, Gert

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Theologische Literaturzeitung 120. Jahrgang 1995 Nr. 2

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Aber: „Die wiederholten hermeneutischen Mahnungen und Anweisungen
sprechen indirekt dafür, wie gefahrvoll nahe dem
Exegeten und seinen Hörern das natürliche Verständnis des
Canticum lag." (363)

Der durch mehrere Exkurse angereicherte systematische Teil
(224-390) hat zum Brennpunkt die Darstellung der Gottesbeziehung
, die in der Braut-Bräutigam-Metapher beschrieben wird.
Überraschend ist der Einsatz bei der „pädagogischen Perspektive
", der die häufig auftretende Rede von Erziehen und Lehren
zum Ausgang nimmt. Gregor kommt in die Reihe Plato - Philo
- Clemens von Alexandrien zu stehen, bei denen gleichfalls das
Paideia-Konzept übergeht in das des Aufstiegs, die Didaktik zur
Propädeutik der Mystik wird. So kommt (trotz Einschränkung)
der von Jean Danielou herausgestellte Schlüsselbegriff der
Epektasis (so auch der Titel der dem Meister gewidmeten Festschrift
von 1972) zu seinem Recht. Der Ort des Bösen, die
Unfaßbarkeit Gottes und das Problem Eros und Agape (mit
deutlicher Wendung gegen Anders Nygren, 334f.), bei dem versucht
wird, die Transzendierung der erotischen Motive hin zum
mystischen Bleiben (menein) aufzuweisen, sind eigene Traktate
des abschließenden Teils.

Es lag außerhalb der Aufgabenstellung dieser Arbeit, verdient aber dennoch
einen Hinweis, daß die rabbinische Exegese des Hohenliedes vor den
gleichen Problemen stand wie Gregor. Es galt auch hier: nicht weil das Hohelied
allegorisch auslegbar war, gelangte es in den Kanon, sondern umge
kehrt, weil es kanonische Geltung hatte, mußte es allegorisch interpretiert
werden.

Die der christlichen Allegorese vergleichbare Deutung des Targum und
des Midrasch Rabba ist wohl ohne Einfluß auf die Vaterexegese geblieben,
hat aber dennoch christliche Kxegeten bis hin /u Augustin Bea {Ctmticum
Canticorum, Rom 1953) beeindruckt. Es mag immerhin bedeutsam erscheinen
, daß obwohl das jeweils andere Element nicht fehlt, bei Gregor die indi-
viduale, bei den Rabbinen die ekklesiale Deutung dominiere

Halle (Saale) Wolfgang Wietel

Gnilka, Christian: Chresis. Die Methode der Kirchenväter im
Umgang mit der antiken Kultur. I: Der Begriff des „rechten
Gebrauchs". II: Kultur und Conversion. Basel: Schwabe
1984/93. 151 S. u. 201 S. gr.8° ■ Westfälische Wilhelms-
Universitäl Münster, Inst. f. Altertumskunde. ISBN 3-7965-
0815-4 u. 3-7965-0951-7.

Das auf drei Bände angelegte Werk begann 1984 mit Band I,
der 1994 der ThLZ nachgereicht wurde. Der Begriff „Chresis"
(Usus bzw. Usus justus) wurde in der Philosophie und Medizin
der Antike untersucht, danach bei den Kirchenvätern von Ter-
tullian bis zu Johannes Damaszenus. Gnilka kam zu dem gut
begründeten Ergebnis, „daß die kirchlichen Denker die Problematik
des Umgangs mit nichtchristlicher Kultur in voller Schärfe
gesehen haben" (134). Er sprach von einer „Theologie der
Befreiung" und formulierte, „daß es sich bei jener Befreiung
um einen zielgerichteten Vorgang handelt, der auf einen vorgegebenen
geistigen Zusammenhang hin (ad Dei litteras) erfolgt,
der seinerseits außerhalb der antiken Kultur und oberhalb
menschlicher Erkenntnis steht" (93).

Band II beginnt mit der Frage des Pilatus „Was ist Wahrheit
"? Der Römer Varro hätte wohl die Frage nach der Wahrheit
ähnlich skeptisch beantwortet wie Pilatus (14). Im Streit
zwischen Ambrosius und Symmachus sympathisiert G. einseitig
mit Ambrosius, „die modernen Toleranzbegriffe" schätzt er
nicht (24). Laktanz bot „ein Schulbeispiel der Chresis" (35): Es
ging um „Bewahrung des Brauchbaren und Aussonderung des
Unbrauchbaren, Stärkung des Wahren und Auswaschung des
Irrtums" (38). Augustin hat zwar dem Heidentum mit seinen
Gesetzen und Wegen „das Streben nach dem himmlischen
Vaterland zuerkannt", aber Augustin läßt keinen Zweifel daran.

„daß es Einen Weg gibt, der tatsächlich dorthin führt, wohin
alle anderen nur streben" (48). Dieselbe Grundlinie findet G.
auch in Texten des 2. vatikanischen Konzils (55-57). Die
Ansicht, man solle die Völker bei ihrer ursprünglichen Religion
und Kultur lassen, vertraten „die erbittertsten Feinde des Christentums
wie Kelsos, Kaiser Julian und Symmachus... in hartem
Kampf gegen sie setzten die Missionare der frühen Kirche die
Bekehrung der vielen Völker durch - und die Christianisierung
der antiken Kultur" (58). Der Kampf von damals entbrennt
„heute mit größter Stärke von neuem" (60).

Der Abschnitt „Bewahrung und Veränderung" (63-91) untersucht
das Wort Umwandeln (metarhythmizein) bei Clemens
von Alexandrien, der Begriff Metamorphose spielt eine Rolle
bei Gregor von Nyssa. Die Vokabel „Zurückgeben" gebrauchte
Chrysostomos bei der Auslegung des Pauluswortes vom „Unbekannten
Gott": Der Name „Gott" auf jener Inschrift wurde
„dem Einen, Wahren Gott zurückgegeben" (80). Die Worte
Veredeln. Würzen und Salzen weisen auf das Gleichnis vom
Sauerteig zurück (83-91). Das Kapitel „Kultur und Conversion"
(93-127) beginnt mit der Bekehrung Cyprians, die die Kirchenväter
Gregor von Nazianz und Augustin rühmten (941.). Es folgen
die Worte „Reifen und Verjüngen" (104-113). Der „Kulturwandel
als Merkmal des Christentums" (114-120) wird vor
allem mit Augustinzitaten belegt. In ähnliche Richtung weisen
Zitate aus der „Adhorlatio apostolica Evangelii Nuntiandi"
Papst Pauls VI. von 1975 (124-127).

Der kenntnisreichen Sammlung des Materials folgt der Abschnitt
„Das Prinzip der Reinigung" (129-176). Die Polemik
gegen das Heidentum führte auch zur Zerstörung heidnischer
Tempel: „Kann man da noch von Erhaltung und Bewahrung der
Kultur sprechen?" (129). Der Autor bejaht diese Frage: Die
Zerstörung von Tempeln war „lediglich eine der möglichen
Formen der Reinigung, die von den Denkern und Akteuren
jener Zeit teilweise als Notwendigkeit angesehen wurden. Dabei
kommt viel darauf an, die Grenzen zu beachten, die diesem
äußersten Mittel gezogen wurden" (131). Abfällig erwähnt G.
„das Grauen, das den Altertumsfreund befällt, wenn er von der
Zerstörung der Tempel und Kulturbilder hört, und ebenso den
Haß, den derjenige kaum verhehlen kann, dessen Gottheit die
moderne Toleranz ist". Wörtlich fährt G. fort: „Ich könnte freilich
auch fragen, ob die Kathedralen von Chartres, Reims und
Paris tatsächlich stünden, wenn St. Martin die keltischen Heiligtümer
geschont hätte, oder die Dome Englands, wenn St.
Gregor seinen Missionaren befohlen hätte, die einheimischen
Kulte als Heilswege zu achten". Jener Absatz führt zu der Behauptung
: „All das. was damals geschah, kann nicht als peinliche
Entgleisung behandelt werden. Fragen wir also: welche allgemeinen
Linien zeichnen sich ab?" (132).

G. geht näher ein auf die Zerstörung eines keltischen Tempels
durch Martin von Tours (133-135) und eine Kirchweihpredigt
Augustins (136-139). In den ganz unterschiedlichen Vorgängen
sieht G. dasselbe Prinzip: „Wir dürfen den Bischof von
Hippo nicht deswegen für toleranter halten als den Bischof von
Tours, weil jener die Möglichkeit öffentlicher und sogar kirchlicher
Nutzung gewisser Teile heidnischer Kultanlagen, vielleicht
auch schon der Tempel selbst, für möglich und empfehlenswert
erachtet, dieser dagegen das ganze Heiligtum niederbrennt
. Was dort möglich erschien, war hier eben nicht möglich
" (139). Bei der Zerstörung eines heidnischen Tempels in
Jerusalem ließ Kaiser Konstantin sogar den Baugrund abtragen,
weil er befleckt sei. Dazu meint G.: „Es gab Gründe, das Prinzip
der Reinigung nach Zeit, Ort und Umständen verschieden
anzuwenden, aber immer ist es erkennbar, nie schwindet es. Nie
wird daraus ein Prinzip der Toleranz, Liberalität oder Weitherzigkeit
im modernen Si nne" (145). Die Rede, die Prudentius
dem Kaiser Theodosius in den Mund legt, fordert klar die Erhaltung
der Kunstwerke. Aber G. warnt, dies geschehe „nicht