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Ausgabe:

1995

Spalte:

143-145

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Ellis, Edward Earle

Titel/Untertitel:

The Old Testament in early Christianity 1995

Rezensent:

Koch, Dietrich-Alex

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Theologische Literaturzeitung 120. Jahrgang 1995 Nr. 2

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eigene Arbeit an den Quellen stattgefunden hätte. Im traditionsgeschichtlichen
Teil kommen Rabbinica nur in einer Anmerkung
vor (39 auf S. 164). Der dort als „interessant" bezeichnete
Text aus SifDev§§ 1861 enthält genau das, was auf S. 181 als
spezifisch für das johanneische Liebesgebot gilt. Der in der
genannten Anmerkung nach Michel zitierte Satz des R. Elieser:
„Wer seinen Nächsten haßt, gehört zu den Blutvergießern"
nennt auch dessen unvollständige Quellenangabe: Derek Erez
11. Gemeint ist DER. Gegenüber den Kollegen, die diesen Satz
bei Bill. (1 282) abschreiben, hat A. immerhin den Vorteil, daß
Michel die richtige Kapitelangabe bietet. Hätte er den Kontext
nachgeschlagen, wäre ihm aufgegangen, daß auch dieser Satz in
der Wirkungsgeschichte von Lev 19 steht.

3. An nicht wenigen Stellen, die immer dieselbe Struktur aufweisen
, spricht A. Gedankengänge des Johannesevangeliums
unproblematisiert nach, die wir m.E. nicht mehr nachsprechen
dürfen. Das geschieht zum ersten Mal auf S. 59, wenn er deutlich
macht, daß die Rezeption der alttestamentlichen Wendung
die Funktion hat, „das Wort Jesu durch das unumstrittene Wort
seines Vaters" zu legitimieren. „Denn das Wort Jesu ist kein
anderes als das Wort, das Gott an sein Volk richtet und das in
der Schrift niedergelegt ist." Darauf folgt, was ich den „Umkehrschluß
" nenne: „Jeder, der diesen Zusammenhang nicht
erkennt, vernimmt das Wort weder in der Schrift noch in der
Rede Jesu und ist ungläubig."

Nach demselben Muster heißt es auf S. 61, um noch ein
zweites Beispiel zu nennen, in Auslegung von Jo 8,42, daß „die
Juden", teilten sie das Grundbekenntnis von Dtn 6,4f, „Jesus
auch lieben und damit den zweiten Teil des Hauptgebotes erfüllen
(würden). Statt dessen überführt sie ihre fehlende Liebe der
Abgötterei"! Inder von A. benutzten Autlage meiner Arbeit
zum Johannesevangelium habe ich diesen „Umkehrschluß"
noch nachgesprochen. Ich habe es ab der 3. Auflage nicht mehr
getan, weil ich gelernt habe, daß das Bedenken der Wirkungsgeschichte
- und die Wahrnehmung des jüdischen Selbstzeugnisses
- nicht etwas ist, das allenfalls im Anschluß an die Exegese
auch noch kommen kann, sondern in ihren Vollzug selbst
hineingehört.

Schließlich sei doch auch noch angemerkt, daß ich die vielen
Kommafehler und eine Reihe von „Druckfehlern", die eher
Grammatikfehler zu sein scheinen, als ärgerlich empfinde.

Bochum Klaus Wengsl

Ellis, E. Earle: The Old Testament in Early Christianity.

Canon and Interpretation in the light of Modern Research.
Tübingen: Mohr 1991. XIII. 188 S. gr.8« > Wissenschaftliche
Untersuchungen zum Neuen Testament, 54. Lw. DM 78,-.

Die hier anzuzeigende Veröffentlichung ist als Weiterführung
von Untersuchungen zu würdigen, die E. E. Ellis bereits früher
zum Problem der Verwendung der Schrift im NT vorgelegt hat.

Zu nennen sind "Paul s Use uf the Old Testament" (Edinburgh 1957) und
die Aufsatzsammlung "Prophecy and Hermeneulic in Karly Christianity"
(Tübingen 1478). Auch die vorliegende Veröffentlichung stell! eine Zusammenstellung
bereits andernorts erschienener Aufsätze dar. Die beiden wichtigsten
Kapitel. Kap. 1 ("The Old Testament in the Karly Church". 3-50) und
Kap. III ("Biblical Interpretation in the New Testamen! Church" 77-121)
sind erschienen in: J. Mulder. H. Sysling |Ed.|. Mikra. Text, Translation.
Reading and Interpretation of ihe Hebrew Bible in Ancienl Judaism and
Harly Christianity (CRINT II. I Assen 19X8; vgl. ThLZ 117, 1992. 181-
1831 Ergänzenden Charakter haben Kap. II. eine Skizze der Forschungsgeschichte
(53-74). zuerst erschienen 1988 in ISBE Bd.IV. sowie Appendix I
("Jesus and his Bible". 125-138 - erschienen in Criswell Theologieal
Review 1989) und Appendix II ("Typological Interpretation". 141-157 -
das Vorwort des Vf.s zur englischen Ausgabe von 1982 von E. Goppel!.
Typos).

Die Hauptlinien der sich wechselseitig ergänzenden Untersuchungen
werden am besten in den beiden Hauptkapiteln (I und
III) greifbar. Für die Geschichte des atl. Kanons (Kap. I) kommt
der Vf. zu einem doppelten Ergebnis:

1. Die christliche Kirche des 2. und 3. Jh.s übernahm unverändert
den Kanon der 22 (bzw. 24) Bücher der Schrift. E. lehnt
(unter Berufung auf R. T. Beckwith) die Existenz eines besonderen
LXX-Kanons ab und bewertet die umfangreicheren nordafrikanischen
Kanonslisten als regionalen Sonderfall.

2. Hinsichtlich der Entstehung des Kanons selbst gelangt E.
zu dem Ergebnis "that in the first Christian Century (Philo, Jose-
phus) and even two centuries earlier (Ben Sira, Qumran)
Judaism possessed a defined and identifiable canon, twenty-two
books arranged in three (or four) divisions" (36). Im Blick aul
Rö 3,21 oder Lk 24,27.44 sowie 4 QMMT oder Sir Prot. lf. 8-
10 ist diese Sicht durchaus begründet. An diesen Stellen ist die
Existenz einer aus der gesamten vorhandenen Literatur ausgegrenzten
Gruppe normativer Leittexte klar vorausgesetzt. Daß
in Einzelfällen die Zugehörigkeit (noch) strittig war, ist in der
Tat kein Argument gegen die Existenz der Konzeption eines
Kanons, sondern setzt diese voraus.

Nicht überzeugend (und sachlich auch nicht notwendig)
scheint mir dagegen die Bestreitung einer schrittweisen Vorgeschichte
des Kanons (37-44) zu sein. Gravierender ist, daß E.
nicht nach der Funktion der Kanonbildung fragt.

Keinen Ersatz hierfür bieten E s Erwägungen zum Kanon als hermeneu-
tical process" (47) oder 'hermeneulical progression' (46). Was E. hier darstellt
, sind traditionsgeschichtliche Rückbezüge späterer atl. Schriften aul
ältere Überlieferungen, sagt aber über die Funktion der als Kanon hervorge
hobenen Schriften insgesamt (im Gegenüber zu weiteren, nicht unter .Gesetz
. Propheten und Schriften' zu rechnenden Bücher) nichts aus.

So sehr E. die frühe, definitive Bildung des hebräischen Kanons
betont, so sehr rechnet er gleichzeitig mit einem ungebrochenen
Fortgang des Interpretationsprozesses (47: "Rewri-
ting"), ja sogar mit einer „Ergänzung" des Kanons (18, 490-
Hier bleibt jedoch vieles ausgesprochen unklar (auch wenn es
viele bedenkenswerte Einzelbeobachtungen gibt): Warum die
Chronikbücher in den Kanon aufgenommen wurden, das Jubiläenbuch
dagegen nicht (beides rewriting of the bible"), wird
nicht deutlich. Der Rekurs auf die Theorie vom Ende der Pro-
phetie (49) bestätigt dies nur. Und die Sicht von einer .Ergänzung
' des Kanons in Qumran aufgrund des Fortwirkens des
Geistes (50) bleibt unbefriedigend. Schließlich werden in Qumran
gerade die als prophetisch angesehenen Bücher der Schrill
(und nur sie, und nicht die anderen als apokalyptisch verstandene
Schriften!) kommentiert - und diese Kommentierung wird
ihrerseits (wie der Prophetentext selbst) in lQpHab II 7-10: v"
1-5 auf Gottes Offenbarung zurückgeführt. D.h. eine echte Ver-
hältnisbestimmung zwischen kanonischen Schriften, weiterer
(neben oder nach der Kanonsbildung entstandener) Literatur
und Kommentarliteratur fehlt. Hier wirkt sich nachteilig aus.
daß E. an keiner Stelle nach der identitätsstiftenden Rolle d<--r
Kanonsbildung in der innerlich komplexen und differenzierten
Situation des Judentums zu der von ihm vorausgesetzten Entstehungszeil
des Kanons fragt.1

In Kap. III ("Biblical Interpretation in the New Testament
Church") ist es das Bestreben von E.. die ntl. Verwendung der
Schrift als genuinen Ausdruck jüdischer Schriftverwendung 'ü
erweisen. Damit stellt sich das Problem, wann und aus welchen
Gründen frühjüdische und früchchnstliche Schriftinterpretalion
auseinandergetreten sind. Diese Frage beantwortet E. mit einer
recht eigenwilligen These (I I5f): Aus dem "i mprecisc mono
theism" des frühen Judentums habe sich im I. und 2. Jh. n.Chr-
aul Seiten des rabbinischen Judentums ein .unitarischer Monotheismus
" entwickelt, während "Jewish-Christian-apostels an"
prophets, via "coporate personality' coneeptions and Christo!""
gical exposition, sei a course that led to a tnnitanan mono-
theism of later christianity". Doch betrifft diese Entwicklung