Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1995

Spalte:

136-137

Kategorie:

Judaistik

Titel/Untertitel:

Wolkensäule und Feuerschein 1995

Rezensent:

Osten-Sacken, Peter

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

135

Theologische Literulurzeitung 120. Jahrgang 1995 Nr. 2

136

Die Grobgliederung des übersetzten Textmaterials ist nach sog.
Mukroformen vorgenommen worden Dabei versteht der Vf.
unter einer Mukroform einen (erst) von den Handschriften-
Schreibern und -Redaktoren geschaffenen Text, d.h. einen solchen
Text, der zwar aus einer Reihe „z.T. disparate(r) und z.T.
sicher auch fragmentarische!r) Stücke zu einem Ganzen geordnet
" ist, bei dem sich aber dennoch auch „bestimmte thematische
Komplexe bzw. auch formal strukturierte Texteinheiten
(Mikroformen) abgrenzen lassen" (II. XXV). Solche Mukroformen
nennt der Vf.: Heklialol Rabbati, Hekhulot Zularti, Mu'use
Merkava, Harba de-Moshe. Merkava Rabba und Shi'ur Qoma.

Dementsprechend enthält Band II die Übersetzung der SS 81-334 der
Synapse, d.h. im wesentlichen die Übersetzung der Hekhulot Rabbali.

Band III umfaßt die Übersetzung der SS 335-517 und SS 544-5%, d.i. der
Hekhulot Zularti und Ma'ase Merkava.

Im Band IV schließlich finden sich die Übersetzungen der SS 598-985,
d.i. von Harba tle-Moshe. Merkava Rabba und Shi'ur Qoma. abzüglich der
SS 728-741. die bereits in Band III. da Paralleltexte zu dem dort Übersetzten
, aufgenommen worden sind (III. Xlllf). und der SS 855ff (3.Henach),
die in den noch ausstehenden Band I eingearbeitet werden sollen (IV, VII).

Jedem Band vorangestellt ist eine Einleitung, die teilweise
geradezu monographisches Eigengewicht besitzt. Bei diesen
Einleitungen handelt es sich nicht um Wiederholung dessen,
was bereits in der Einleitung zur Synopse zu den jetzt übersetzten
Texten gesagt worden ist. Hatte die Synopse. wie aus der
Rückschau erkennbar ist, eine mittlerweile bemerkenswert
intensiv gewordene Beschäftigung mit der Hehkalot-Literatur
insgesamt ausgelöst, so findet diese nun ihr Echo in den genannten
Einleitungen. Darin hat es der Vf. unternommen, aufgrund
der nunmehr zum Teil zumindest veränderten Forschungslage
alle die Texte betreffenden Einleitungsfragen erneut
zu diskutieren. Ausgehend von dem grundsätzlichen Problem
der äußeren, aber auch der inneren Abgrenzung der Hek-
halot-Literutur, d.h. der zu ihr zu zählenden Einzeltexte (II,
VII-XIV), erörtert der Vf. sodann eingehend die Einleitungsfragen
der einzelnen von ihm als Makroformen klassifizierten
Texte |zu Hekhulot Rabbati: II. XIV-XXXII; zu Hekhulot
Zularti: III. VII-XXVII; zu Ma'ase Merkuvu: III, XXVII-XLI;
zu Harba de-Moshe: IV. VII-XVII; zu Merkava Rabba: IV.
XVII-XXX und zu Shi'ur Qoma: IV. XXXI-XLV|)

Dabei geht es um die (mögliche) Herkunft der Texte und ihre
Datierung ebenso wie um ihr literarisches Werden, die Eigentümlichkeiten
ihrer Sprache und ihre handschriftliche Überlieferung
. Besonders ausführlich stellt der Vf. ihren jeweiligen Aufbau
, ihre Gliederung dar, was dem Leser hilft, sich zugleich
einen Überblick über die Vielfältigkeit des Inhaltes der jeweiligen
Texte zu verschaffen. Doch - so der Eindruck, der auch nach
der Lektüre dieser Einleitungen bleibt, trotz aller bisherigen Forschungen
und Bemühungen um Klärung der genannten Einleitungsfragen
- die meisten von ihnen sind noch immer, nicht
wenige von ihnen auch wieder, völlig offen, jedenfalls weit
davon entfernt, daß Abschließendes zu ihnen schon jetzt gesagt
werden könnte. Das gilt für die zeitliche Ansetzung der Hekha-
lot-Literatur nicht minder als für deren geographische Ansetzung
. also für das Problem ihrer talsächlichen Herkunft insgesamt
. Deren Klärung muß letztlich weiteren und weiterführenden
Studien vorbehalten bleiben, für die die hier vorgelegten Übersetzungen
in Verbindung mit den zuvor edierten Handschriften
freilich eine tragfähige Grundlage zu bilden geeignet sind.

Für die mit aller Gründlichkeit und Sorgfall erarbeiteten
Übersetzungen werden sicher viele Benutzer der Synopse dankbar
sein, und dies nicht allein deshalb, weil sie einen willkommenen
(sprachlichen) Zugang zu den darin abgedruckten Texten
ermöglichen. Begleitet werden die Übersetzungen von
einem insgesamt beachtlich umfangreichen Kommentar in Gestalt
von Fußnoten zur Übersetzung. Darin werden nicht nur
vorhandene (wichtige) Textvarianten übersetzt, sondern ebenso
die wünschenswerten und vielfach erforderlichen sprachlichen

wie inhaltlichen Erläuterungen zu den Texten einschließlich
von Querverweisen auf biblisches und nachbiblisches, rabbini-
sches Schrifttum sowie weiterführende, vertiefende Literaturhinweise
(an(geboten. Für den Leser sind gerade diese Fußnoten
an vielen Stellen - im wahrsten Sinne des Wortes - aufschlußreich
. Geben sie ihm doch einen zum Verstehen der oft
mehr als spröden Texte in mancherlei Hinsicht unerläßlichen,
unverzichtbaren Schlüssel in die Hand, ohne dessen Verfügbarkeit
sie ihm weithin verschlossen, eben das blieben, was sie
sind: Zeugnisse einer esoterischen Überlieferung und Literatur.

Tübingen Stefan Schreiner

Judaica

Brocke, Michael, u. Herbert Jochum [Hg.]: Wolkensäule und
Feuerschein. Jüdische Theologie des Holocaust. Gütersloh:
Kaiser 1993. 286 S. 8« = Kaiser-Taschenbücher. 131. Kart.
DM 34,-. ISBN 3-579-05131-8.

Die Anthologie vereint zwölf Beiträge jüdischer Autoren vorwiegend
aus den USA, darüber hinaus aus England, Frankreich und
Israel, und wird durch ein längeres Resümee der Herausgeber
beschlossen (238-270). In dieser Form ist sie zuerst 1982 als
Band 13 der „Abhandlungen zum christlich-jüdischen Dialog"
erschienen. Im Rahmen des Nachdrucks als Kaiser-Taschenbuch
sind die Angaben zu den Autoren sowie das Literaturverzeichnis
aktualisiert, außerdem begründen die Hgg. in einem kurzen Vorwort
im wesentlichen überzeugend den unveränderten Nachdruck
: In den letzten zehn Jahren sind „keine eigenständigen
theologischen Entwürfe neu hinzugekommen", außerdem ist das
Buch „noch immer das einzige in deutscher Sprache", „das den
Pluralismus jüdischen Denkens über den Holocaust in größeren
zusammenhängenden Texten spiegelt" (8). Man mag allerdings
fragen, ob nicht die zusätzliche Aufnahme des Beitrags von Hans
Jonas (Der Gottesbegriff nach Auschwitz, 1984/1987) gelohnt
hätte. Zwar erscheinen wesentliche Aspekte seiner Ausführungen
, vor allem die Theodizeefrage nach dem Verhältnis von
Macht und Liebe Gottes angesichts des .Holocaust', der Sache
nach auch in den abgedruckten Beiträgen. Dennoch hat sein
Essay hierzulande das wohl nachhaltigste Echo ausgelöst, außerdem
ist er in einer ersten Fassung bereits 1967 deutsch zugänglich
gewesen. Er gehört damit zu den frühen Äußerungen - auch
gemessen an den in der Anthologie vereinten Beiträgen, die sich
über den Zeitraum von 1961-1981 erstrecken und mehrheitlich in
die siebziger Jahre fallen.

In ihrem einfühlsamen, der vorgängigen Lektüre empfohlenen
eigenen Aufsatz zeichnen Brocke und Jochum in knappen Strichen
den Gang der Diskussion nach, deren Beiträge man vielleicht
auf den Begriff einer „Jüdischen Theologie des Holocaust"
bringen kann. Nach der Zeil der Sprachlosigkeit unmittelbar
Betroffener werden erste Stimmen aus dem Kreis der |üdischen
Orthodoxie laut, die das Grauen der Nazi-Zeit mit Hille traditioneller
Kategorien jüdisch-theologischen Deutens zu erfassen
suchen. Verstärkte Reflexionen, gerade auch aus nichtorthodoxen
Kreisen, fallen in die Zeit äußerster Existenzbedrohung des
Staates Israel (1967, 1973). Auls Ganze gesehen lassen sich nach
B. u. J. drei zentrale Themen erkennen, mit deren Erörterung die
Autoren die Frage nach dem Sinn von .Auschwitz." theologisch
aufnehmen: die - in der Zwischenzeit durch den sog. Histonker-
streit neu virulent gewordene - „Frage nach der Einzigartigkeit".
„Holocaust und Staat Israel" und - als Schlüsselfrage - die „Frage
nach Gott". Das Spektrum der Antworten in den aulgenommenen
Beiträgen reicht von der radikalen, durchaus noch einmal
jeweils spezifischen Infragestellung traditionellen jüdischen