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Ausgabe:

1995

Spalte:

124-126

Kategorie:

Religionswissenschaft

Titel/Untertitel:

Neumandäische Texte im Dialekt von Ahwāz 1995

Rezensent:

Rudolph, Kurt

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Theologische Literaturzeitung 120. Jahrgang 1995 Nr. 2

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teilung folgt der Ordnung des liturgischen Vortrags, denn mit
Vers 75 beginnt der zweite Hizb, das zweite Sechzigstel des
Gesamttextes. Der Abschluß mit Vers 212 scheint drucktechnisch
bestimmt worden zu sein. Ansonsten entspricht das Vorgehen
dem des ersten Bandes: Auf eine Anzahl von Versen, die
im arabischen Text und in deutscher Übersetzung wiedergegeben
werden, folgen Lesevarianten und der fortlaufende, meist
knappe Kommentar, wobei bei den einzelnen Versen auch Parallelstellen
sowie stellenweise ausführliche Zitate aus der prophetischen
Tradition, dem Hadith (z.B. S. 179-182 zu 2,155),
angeführt werden. Ebenso wird auch auf traditionelle islamische
„Anlässe der Offenbarung", die angeblichen und wirklichen
Anlässe für einzelne Verse, eingegangen (z.B. S. 67-69 zu
2,97-98, S. 107 zu 2,114, S. 109f. zu 2,115). Mehrmals sind
kleine und größere Exkurse eingeschoben worden, die teilweise
auch als solche gekennzeichnet sind. Die zahlreichen Anmerkungen
bringen Literaturverweise, vor allem auf den voluminösen
arabischen, theologisch orientierten Korankommentar von
Fakhr ad-Din ar-Razi (st. 1210) und auf die zahlreichen Publikationen
des Hg.s, aber auch längere Erörterungen. Die
hauptsächliche Literatur entspricht der des ersten Bandes, doch
finden sich hier einige Ergänzungen.

Die längeren Erörterungen einzelner Themen werden durch
die Erwähnung von bestimmten Tatbeständen in den jeweiligen
Versen verursacht und erscheinen nicht immer ausgewogen. So
finden sich S. 76f. islamische Auffassungen von Zauberei, S.
77f. von Harut und Marut, den gefallenen Engeln, S. 94-98
Ausführungen über die Apostasie im Koran und im Rechtssystem
, die durch jüngste Ausfälle politisierter islamischer Kreise
gegen kritische Intellektuelle besondere Aktualität gewonnen
haben, S. 108f. Uber den Besuch von Moscheen, S. 167-169
über das Anliegen des Korans und die Pluralität der Religionen,
S. 207-209 über die Liebe Gottes im Islam, S. 222-227 über
Speisevorschriften und das Problem des erlaubten Schlachtens,
S. 289-295 über die Wallfahrt nach Mekka und Umgebung. In
die längeren Exkurse sind wiederum Übersetzungen wichtiger
Quellen und Darlegungen aufgenommen, so S. 225-227 moderne
offiziöse Stellungnahmen zum rituellen Schlachten, das dem
jüdischen Schächten gleicht und gerade in der islamischen
Diaspora oft nur mit Schwierigkeiten auszuüben ist, S. 291-294
zur Abschiedswallfahrt Muhammads im Jahre 632, mit der er
durch das persönliche Vorbild die entsprechenden Riten festgelegt
haben soll. Warum findet sich aber z.B. keine Ausführung
zum Fasten im Monat Ramadan anläßlich der grundlegenden
Verse 2,185ff. oder zum „Kampf auf Gottes Weg", dem Djihuä,
anläßlich der Verse 2,190ff. und wo kann man sie vielleicht
später finden? Hier wäre ein Verweis auf noch zu behandelnde
entsprechende Themen wünschenswert gewesen.

Durch dieses Herangehen wird aus dem durchgehenden
Kommentar ausgehend vom Korantext zunehmend eine handliche
und in dieser Form in deutscher Sprache bislang nicht vorhandene
Anthologie islamischer Literatur aus Vergangenheit
und Gegenwart und Sammlung von Darlegungen zu wichtigen
Einzelthemen. Die Ausführungen des Hg.s sind knapp und
übersichtlich, doch fehlt ihnen gelegentlich innere Konsequenz
und Vertiefung. Die Auswahl der Belegstellen und benutzten
islamischen Autoren erscheint oft etwas willkürlich und für den
Leser nicht immer einsichtig. So beschreibt er S. 222-224 ausführlich
Haltungen des hanbalitischen Rechtsgelehrten und
Mystikers Ibn al-Qaiyim al-Djauziyya (st. 1350), ob und wann
es erlaubt ist, daß Muslime von Christen geschlachtetes Fleisch
essen, gibt dann aber auch dessen Polemik gegen die Schi'iten
wieder. Gewiß genießt dieser Gelehrte heute bei sunnitischen
Muslimen besondere Beachtung. Weshalb wird er aber hier so
bevorzugt und nicht aufgrund von auch sonst in der islamischen
Rechtsliteratur leicht zu findenden Meinungen zu diesem Thema
eine Zusammenfassung unterschiedlicher Auffassungen

gegeben? Das benutzte Werk fehlt übrigens in der Bibliographie
auf den S. 329-332. Die Zitierweise ist unheinheitlich und
nicht bei jedem Verweis findet sich auch die zu erwartende
Quellenangabe, so z.B. auf S. 109 anläßlich der Erwähnung der
Position von Ibn Taimiyya zum möglichen Besuch von Moscheen
durch Nichtmuslime. Bei den anregenden Äußerungen
auf S. 110 zum berühmten Vers 115 „Gottes ist der Osten und
der Westen. Wohin ihr euch auch wenden möget, dort ist das
Antlitz Gottes. Gott umfaßt und weiß alles" folgt der Hg. weitgehend
der immer nach konkreten „Offenbarungsanlässen" suchenden
islamischen Exegese, ohne eine allgemeinere Deutung
zu versuchen, die sich hier, auch aus moderner islamischer
Sicht, anbietet. Die Vermutung auf S. 110, hier könne, historisch
gesehen, eventuell ein Zwischenstadium der mekkani-
schen Periode gesehen werden, wo die erste Gebetsrichtung
nach Jersualem bereits aufgehoben, aber die zweite und später
geltende Richtung nach Mekka noch nicht eingeführt worden
war, bedürfte weiterer Diskussion. Konnte man sich damals
überhaupt ein rituelles Gemeinschaftsgebet ohne eine einheitliche
und damit integrierende Ausrichtung vorstellen?

Auch dieser Band schließt mit dem Verzeichnis der im Band
genannten Stellen aus Koran und Bibel (333-380) sowie einem
Personenregister (381-384). Man kann hoffen, daß nach
Abschluß dieses großen Werkes noch ein Sachregister unter
besonderer Beachtung der zahlreichen kleinen und großen Ausarbeitungen
hergestellt wird, um die Gesamtorientierung zu
erleichtern.

Leipzig Holger PreiLller

Macuch, Rudolf: Neumandäische Texte im Dialekt von
Ahwaz. Unter Mitwirk, von G. Dankwarth. Wiesbaden: Har-
rassowitz 1993. XXXVIII, 444 S., I Taf., 2 Ktn gr.8» =
Semitica Viva, 12. geb. DM 194,-. ISBN 3-447-03382-7.

Das Erscheinen dieses Buches hat Rudolf Macuch nicht mehr
erlebt; er verließ uns im August 1993 und riß eine nichtschließ-
bare Lücke in die dünne Schar der Semitisten, die sich vornehmlich
den kleinen semitischen Dialekten, vor allem dem
Mandäischen, widmeten. Auch für die mandäische Religionsgeschichte
ist sein Tod ein schwerer Verlust. Freunde und Kollegen
trauern noch heute um ihn. Welche Bedeutung er gerade für
die Mandäistik hat, zeigt nicht zuletzt der vorliegende Titel, der
eine Art Vermächtnis an die Nachwelt auf diesem Gebiet ist.

M. hat die Mandäistik in bahnbrechender Weise seit Th. Nöl-
deke und M. Lidzbarski gefördert: ihm verdanken wir die Entdeckung
und Darstellung der neumandäischen Dialekte, die uns
vorher nicht bekannt waren. Angefangen von der ersten Studie
"The Bridge of Shushtar" in der Festschrift für seinen Lehrer J.
Bakos in Bratislava (1965), über sein monumentales "Handbook
of Classical and Modern Mandaic" (1965) und die 1989
vorgelegte „Neumandäische Chrestomathi" (NmChr) in der
Porta Linguarum Orientalium sind die jetzt veröffentlichten
neumandäischen Texte im Dialekt von Ahwaz Marksteine in
der Erschließung dieser vorher kaum bekannten neuostaramäi-
schen Sprachinseln in Hüzistän, und dies im Angesicht eines
schwindenden Umganges mit dieser Sprache bei ihren letzten
Vertretern (wenn auch neuerdings deren Bemühungen groß
sind, den Verlust zu stoppen). Die physische Zerstörung und
teilweise Zerstreuung der mandäischen Gemeinde in alle Welt
infolge der beiden Golfkriege auf iranischer und irakischer Seite
ist das noch schlimmere Übel. Es war daher ein Glücksumstand
und M.s großes Verdienst, daß er im Okt./Nov. 1990 die
Möglichkeit hatte, den mandäischen Pnesterkandidaten Seih
Sälem CoheylF aus Ahwaz, den er bereits aus seiner Zeit in Teheran
(bis 1963) kannte, nach Berlin einzuladen. Er war bereit.