Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1995

Spalte:

119-121

Kategorie:

Religionswissenschaft

Titel/Untertitel:

Der Islam 1995

Rezensent:

Preißler, Holger

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

Theologische Literaturzeitung 120. Jahrgang 1995 Nr. 2

120

Mulack60 oder Georg Baudler61 das Alte Testament als unerträglich
patriarchalisch verurteilt.

Aber der Vorwurf einer einseitigen Männer- und besonders
Vaterorientierung geht tiefer als die z.T. naiv-anachronistische
feministische Kritik. Der Gott Israels mit seiner klaren Forderung
, Härte und Konsequenz steht analytisch gesehen für den
Vater, was die große Fülle der Autoren belegt, die die Gotteserzählung
in der Matrix der Kind-Vater-Beziehung deuten. Jahwe
hat keine Frau an seiner Seite, drängt damit die Göttin aus dem
Bereich des Religiösen heraus. Dieter Funke wie viele andere
diagnostizierten, daß Israel gegenüber den subjektzerstörenden
weiblich-verschlingenden Seiten der kanaanäischen Göttinnen
nicht nur eine Abgrenzung, sondern eine „Überabgrenzung"
vollzogen habe mit einer „fatalen Entwicklung, nämlich mit den
böse-verschlingenden Anteilen der ,Großen Mutter' zugleich
das Weibliche insgesamt aus dem Gottesbild zu exkommunizieren
"62. In dieser Perspektive erscheint das Alte Testament und
das Judentum als prinzipiell männlich und wird so tendenziell
zu einem Feind, der mit einem halben, gespaltenen Gottesbild
beängstigend wirkt und ausgeschaltet werden muß. Entsprechend
wird tiefenpsychologisch für die Wiederentdeckung des
Weiblichen in der Religion votiert. Dies vollzieht sich z.T. in
neuen „Wunsch-Jesusen" wie z.B. dem Wolff-Jesus, z. T. in der
neuen Verehrung von Göttinnen, die in wildem Synkretismus
mit allen möglichen Formen von Glauben und Aberglauben
auferstehen.

5. Fazit und Ausblick

Um zunächst ein mögliches Mißverständnis auszuschließen,
möchte ich betonen, daß selbstverständlich nicht alle tiefenpsychologisch
analysierenden Autoren antisemitischen Tendenzen
erliegen6-'! Vielmehr sind ihre auf die Macht des Unbewußten
abzielenden Einsichten sehr häufig eine anregende Erhellung
von Sinndimensionen des biblischen Textes, die historisch-kritischen
Auslegern entgehen müssen; sie stellen somit eine Bereicherung
des Verstehens unserer selbst und auch der Bibel
dar. Dennoch sind - wie bei vielen anderen Zeitgenossen - auch
hier unbewußte Tendenzen am Werk; tiefenpsychologischer
Antisemitismus ist also fast schon repräsentativ. Es bedarf daher
in gewissem Sinne einer tiefenpsychologischen Analyse tiefenpsychologischer
Bibelanalysen. Nur dies wurde hier versucht
. Denn es ist leicht zu beobachten, daß selbst in so aufgeklärten
Leserkreisen irrational heftige, bisweilen unzulässig
pauschalisierende Abqualifizierungen der Bibel Alten Testaments
vorkommen.

Mit den angeleuchteten acht Aspekten sind gewiß längst
nicht alle Gesichtspunkte für eine solche Metakritik der Tiefenpsychologie
berührt. Dennoch hoffe ich, daß zweierlei deutlich

geworden ist. Erstens: Das Alte Testament ist in seiner Würde
und in seinem Wert durch eine Fülle von unbewußten Faktoren
immer wieder bedroht. Wie eine permanent wuchernde Dornenhecke
schließen sich diese unbewußten Mechanismen immer
wieder um die Heilige Schrift Israels. Zweitens: Jeder von uns
muß sich prüfen, in welcher Weise solche Faktoren bei seiner
eigenen Urteilsbildung am Werke sind.

Für die Zukunft wird ein Prozeß der gegenseitigen Infragestellung
dringend wünschenswert. Das übliche Verhältnis der
beiden Disziplinen Tiefenpsychologie und alttestamentliche
Exegese muß auch im Bereich der Universität aufgebrochen
werden; wir müssen wegkommen von einem gegenseitigen,
gezielt böswilligen lgnorieen. Auch die gegenseitige Pathologi-
sierung und „Verfolgung" sollte einer sachlichen Kontroverse
weichen. Sonst droht die Frage nach der Wahrheit und den
Wahrheiten biblischer Texte - wie im Falle Drewermanns - zu
einer bloßen Machtfrage zu verkommen. Es ist ein tragisches,
manchmal fast komisches Spiel von Übertragung und Gegenübertragung
, von Schattenprojektion und unbewußter Schuldzu-
weisung. Gewiß muß man die Tatsache zur Kenntnis nehmen,
daß hier zwei Welten aufeinanderstoßen. Dieser Hiatus kann
den einzelnen schwer belasten, der beides gerne harmonisch
verbunden sehen möchte. Denn tiefenpsychologische Autoren
artikulieren zum großen Teil das Selbstverständnis und Wertbewußtsein
des modernen Menschen - an dem wir alle partizipieren
-, der sich in seiner autonomen Moral dem Anspruch der
Bibel verschließen möchte und sich ihr z.T. überlegen fühlt.
Solche Wünsche nach Koexistenz dürfen aber den Blick für
klare Distinktionen nicht trüben. Trotzdem kann die Begegnung
den Horizont beider erweitern. Der Ort, wo über alle unleugbaren
harten Gegensätze hinweg ein Zusammendenken Sinn erzeugen
kann, ist die Auslegung konkreter Bibeltexte, um deren
angemessenes Verstehen es uns als Theologen und als Psychologen
gehen müßte. Die interdisziplinare Begegnung sollte auf
beiden Seiten einen selbstanalytischen Prozeß in Gang bringen
und halten, um in verantwortlicher Weise an der Abarbeitung
einer unheilvollen Geschichte, am gegenwärtigen christlich-
jüdischen Dialog wie am Prozeß der Entwicklung einer gesamt-
biblischen Theologie teilhaben zu können.

W)Ch. Mulack. Jesus - der Gesalbte der Frauen. Weiblichkeit als Grundlage
christlicher Ethik, 1987.

61 G. Baudler. Gott und Frau. Die Geschichte von Gewalt. Sexualität und
Religion. 1991

fl- Funke, a.a.O. 129; vgl. auch ders.. Der gespaltene Gott. 1993.

^ Sicherlich sind auch manche historisch-kritisch arbeitenden F,xegeten
unbewußten antijüdischen Mechanismen erlegen. Ja sogar die neutestunient-
lichen Autoren selbst werden in der gegenwärtigen neutestamentlichen Forschung
allesamt kritisch auf ihren Antijudaismus hin verhört und viele von
ihnen verklagt.

Religionswissenschaft

Antes, Peter. Durän. Khalid. Nagel, Tilman u. Wiebke Walther
: Der Islam. Religion - Ethik - Politik. Stuttgart-Berlin-
Köln: Kohlhammcr 1991. X. 152 S. gr.8°. Kart. DM 29,80.

Unaufhörlich nehmen Publikationen über den Islam zu. Zumeist
behandeln sie aktuelle Vorgänge vor allem in Westasien
und in Nordalrika. seltener in anderen Verbreitungsgebieten
dieser Religion wie Süd- und Südostasien. Dabei erscheint der
Islam häufig aufs engste mit Kriegen und Unruhen, Terrorakten
und Intoleranz verbunden. Der religiöse Gehalt und die innere
Vielfalt des Islams geraten so leicht aus den Augen. Auch das
vorliegende Buch ist unter dem Eindruck politischer Entwicklungen
entstanden. Das Vorwort von Peter Antes datiert vom
Februar 1991, als im Nahen Osten noch der zweite Golfkrieg in
vollem Gange war. Doch auf diesen geht das Buch nicht ein. Es
bietet vielmehr eine sachkundige Hintergrundinformation über
einzelne Bereiche des Islams. Der Verlag W. Kohlhammer legt
hier einen Sammelband von vier unveränderten Beiträgen aus
der eigenen Produktion vor. Aus dem Standardwerk „Der Islam
III", der 1990 als Band 25,3 in der Reihe „Die Religionen der
Menschheit" erschienen ist, stammen die Artikel von Tilman
Nagel über „Theologie und Ideologie im modernen Islam" (I-
57), von Wiebke Walther über „Die Frau im Islam" (98-124)
und Khalid Durän über „Die Muslime und die Andersgläubigen
" (125-152). Dem Band „Ethik in nichtchristlichen Kulturen
" aus dem Jahre 1984 ist „Ethik und Politik im Islam" von
Peter Antes entnommen. Diese Auswahl ist gelungen und
berücksichtigt sowohl oft diskutierte als auch weniger beachtete