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Ausgabe:

1995

Spalte:

1130-1132

Kategorie:

Religions- und Kirchensoziologie

Autor/Hrsg.:

Bäumler, Christof

Titel/Untertitel:

Menschlich leben in der verstädterten Gesellschaft 1995

Rezensent:

Rau, Gerhard

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1129

Theologische Literaturzeitung 120. Jahrgang 1995 Nr. 12

I 130

lieh die Norm des c. 119 CIC über den kollegialen Akt juristischer
Personen, die er - zur Ausfüllung der vorhandenen Gesetzeslücke
- als allgemeine Subsidiärnorm zur Bestimmung des
Handlungswillens einfacher Kollegien verstanden wissen will.

Die Rechtserfordernisse(reqnisitaiaris) haben mit den Rechtsßrmtichkti-
len (sollemnia iuris) gemeinsam, daß sie beide nicht zum Wesen einer
Rechtshandlung gehören, jedoch bisweilen vom kanonischen Recht zur Gültigkeit
oder Erlaubtheit vorgeschrieben sind. Nachdem der Autor kurz auf die
Rechtsförmlichkeiten (Schriftlichkeit, Unterschrift, persönliche Wahrnehmung
von Rechtshandlungenleingegangen ist. behandelt er unter den Rechtserfordernissen
ausführlich die Beispruchsrechte Dritter (Anhörungs- und
Zustimmungsrechte). für die c. 127 CIC als allgemeine Norm gilt, und geht
auf die gültigkeitsrelevanten Mitwirkungsrechte (Zustimmung oder Erlaubni-
serteilung) von kirchlichen Oberen an Handlungen Untergebener oder nebengeordneter
Personen und Organe ein. Gerade die Beispruchsrechte als gesetzlich
zugestandene Mitwirkungsrechte Untergebener an den Rechtshandlungen
kirchlicher Autoritäten erscheinen als ein gutes Beispiel für den Praxisbezug
der theoretischen Erörterungen dieser Studie.

Der zweite Hauptteil der vorliegenden Arbeit (169-240) trägt
die Überschrift: „Ungültige Rechtshandlungen". Selbst wenn
alle äußeren Voraussetzungen einer gültigen Rechtshandlung
(von denen im ersten Hauptteil die Rede war) gegeben sind,
kann sie dennoch fehlerhaft, und d.h. ungültig oder vernichtbar
sein. C. 125 CIC nennt als äußere Gründe fehlerhafter Rechtshandlungen
: von außen zugefügter Zwang (vis), schwere,
Widerrechtlich eingeflößte Furcht (metus) und arglistige Täuschung
(dolus). Als innere Gründe kennt c. 126 Unkenntnis
(ignorantia) und Irrtum (error). Der Autor behandelt erstere ausführlich
als „Fehler im Bereich des Willensaktes", zu denen er
korrekt Total- und Partialsimulation hinzunimmt und letztere
als „Mängel der Erkenntnis", wobei sowohl schwere Furcht und
arglistige Täuschung im Bezug auf die Eheschließung als auch
die Fehlerhaftigkeit kollegialer Akte", für die der CIC keine
allgemeine Norm kennt, besondere Erwähnung finden. In einer
zusammenfassenden Übersicht erfährt man, welche Rechtshandlungen
aufgrund schwerer Furcht, arglistiger Täuschung,
Unkenntnis oder Irrtum und anderer Tatbestände ungültig oder
anfechtbar und damit aufhebbar (vernichtbar) sind. In logischer
Konsequenz erläutert er sodann die Rechtsmittel der Feststellung
der Nichtigkeit einer Rechtshandlung bzw. der Aufhebung
ihrer Rechtswirksamkeit durch Urteil oder Dekret. Er macht
darauf aufmerksam, daß das Rechtsinstitut der Restitutio in integrum
im CIC nur noch gegen (offensichtlich ungerechte)
Urteile im kanonischen Prozeß, nicht aber mehr als allgemeine
Norm zur hoheitlichen Aufhebung gültiger Rechtshandlungen
zur Verfügung steht. Die Thematik der ungültigen Rechtshandlungen
wird abgeschlossen mit Hinweisen auf mögliche „Heilung
nichtiger Rechtshandlungen", (vor allem durch einfache
Gültigmachung und sanatio in radice). Ein angehängter Exkurs
über die Schadenersatzpflicht' (241-243) berücksichtigt den in
den CIC neu eingeführten c. 128. der den dortigen Titel über die
Rechtshandlungen beendet.

So übersichtlich und präzise wie die Einleitung sind auch die
Schlußhemerkungen (245-248), die Ergebnisse der Arbeit und
Anregungen prägnant zusammenfassen „mit Hinweisen auf
heinerkenswerte Details".

Das Hauptverdienst dieser Arbeit besteht sicher darin, daß
das für das Rechtsleben so bedeutsame Feld der Gültigkeit und
Ungültigkeit von Rechtshandlungen umfassend und - soweit
wie notwendig und möglich - detailliert, gediegen und zuverlässig
untersucht wurde. Der Vf. kennt sich gut in der einschlägigen
(auch aus dem romanischen Sprachraum stammenden)
Literatur ans und berücksichtigt sie angemessen (allerdings vermißt
man bei der Diskussion um Verpflichtungs- und Erfüllungswillen
im Eherecht, 180 f., einen Hinweis auf K. Uidicke,
Familienplanung und Ehewille. Der Ausschluß der Nachkommenschaft
im nachkonziliaren kanonischen Eherecht). Der
Autor referiert bei divergierenden Rechtsstandpunkten die
jeweils unterschiedlichen Auffassungen (meist in Form von

Zitaten) und begründet die Meinung, der er sich anschließt bzw.
die er vertritt. Er bedient sich durchgängig einer klar verständlichen
und präzisen Ausdrucksweise (gelegentliche Härten können
vernachlässigt werden). Auffällig erscheint das m.E. etwas
übertriebene Bedürfnis der Absicherung durch eine Vielzahl
von Anmerkungen (würde man sie durchzählen, wären es mehr
als 1500 auf 248 Seiten Text).

Die Untersuchung ist eine Dissertation zur Erlangung des akademischen
Grades eines Doktors des Kanonischen Rechts, die
bei Winfried Aymans angefertigt wurde. Der Autor läßt erkennen
, daß er sich weitgehend den Auffassungen seines Lehrers
anzuschließen vermag (z.B. in der Frage der Laienrichter. 82); er
glaubt, sich auch überaus häufig auf ihn berufen zu sollen, wobei
es sich in den meisten Fällen um das überschaubare 8. Kapitel
von Aymans-Mörsdorf, Kanonisches Recht, Bd. I. handelt.

Die Arbeit ist sorgfältig erstellt; einige wenige Druckfehler
mindern dieses Urteil nicht. Auf zwei Versehen sei hingewiesen
: S. 77: c. 668 statt 688; S. 100: c. 321 statt c. 320. Insgesamt
handelt es sich um eine sehr fleißige, mit großer Umsicht und
Sorgfalt angefertigte Untersuchung, die einen soliden und
zuverlässigen Beitrag zur kanonistischen Diskussion auf dem
Gebiet der Rechtshandlungen darstellt.

Erfurt Konrad Hartelt

Religions- und Kirchensoziologie

Bäumler, Christof: Menschlich leben in der verstädterten
Gesellschaft. Kirchliche Praxis /wischen Öffentlichkeit und
Privatheit. Gütersloh: Kaiser; Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus
1993. 390 S. gr.8o. Kart. DM 98,-. ISBN 3-579-
02031-5.

W enn ein Wissenschaftler berufslebenslang eine bestimmte
Thematik umkreist, so kommt dabei eine im wahrsten Sinne des
Wortes „enzyklopädische" Leistung zustande. In der Kontinuität
seines bereits vor einem Jahrzehnt erschienenen Buches
„Kommunikative Gemeindepraxis" (München 1984) ist die systematische
Frage die gleiche geblieben: Wie kann Kirche ihren
Auftrag unter den Bedingungen einer „westlichen Industriege-
sellschaft" definieren und gestalten, und zwar in einer konkret
erfahrbaren Weise'.' Da es zu den Merkmalen dieses sogenannten
modernen westeurop.-nordamerikanischen Gesellschaftsty-
pos gehört, daß die Menschen in größeren Agglomerationen
zusammenleben müssen, ist der sogenannte Verstädterunuspro-
zeß eine der markantesten modernen Lebensbedingungen, die
es zu beschreiben, zu verstehen, zu deuten und u.U. zu korrigieren
gilt. Damit ist zugleich das wiss. Selbstverständnis mitdefiniert
: Wiss.-praktische Theologie kann sich nicht damit begnügen
. Phänomene sprachlich zu erfassen, also zu beschreiben;
noch nicht einmal damit, die dabei eingesetzten sprachlichen
Kategorien aus theoretischen Gcsamt/.usammenhängen abzulei
ten - nein, sie fordert darüberhinaus eine „kritische Punktion"
der Wissenschaft insofern ein. als Wissenschaft normativ auf
die Wirklichkeit immer schon einwirkt - ganz im Sinne des
Wissenschaftsverständnisses der Kritischen Sozialphilosophie
(Horkheimer, Habermas!).

Von Barth - auch biographisch - herkommend, eröffnet B.
einen Dialog zwischen einem normativ hochbesetzten Gemeinde
-Begriff und der realen Wirklichkeit des Zusammenwohnens.
-arbeitens, -lebens, also mit der kommunikativen Existenz, wobei
allerdings nicht die Theologen „präskriptiv" vorschreiben,
wie diese Existenz zu sein habe, sondern dafür werden zunächst
einmal „deskribierend" Stadtsoziologen und Stadtjournalisten
als deren Anwälte angehört. Ernst Langes Modell vom Streit