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Ausgabe:

1995

Spalte:

1125-1126

Kategorie:

Kirchenrecht

Titel/Untertitel:

Evangelisches Kirchenrecht in Bayern 1995

Rezensent:

Kästner, Karl-Hermann

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Seite 1

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1125

39

Theologische Literulur/.eitung 120. Jahrgang 1995 Nr. 12

I 126

Insgesamt bietet der sorgfältig edierte Band mehr als eine
anregende und informative Lektüre. Wer einen aktuellen Einblick
in die große Spannweite evangelischen Kirchenrechts und
aktueller staatskirchenrechtlicher Probleme erhalten will, wird
mit Gewinn zu diesem Buch greifen. Ein umfassender kaleidoskopartiger
Überblick nebst einer tiefgreifenden Einführung in
das Kirchenrecht und die angrenzenden staatskirchenrechtli-
chen Probleme belohnen die mit Verständnis Lesenden. Nur
wenige Kirchen der Reformation können auf ein derartiges,
historisch gewachsenes Rechtskorpus und die in ihm gesammelten
Rechtserfahrungen zurückgreifen.

Heidelberg Wolfgang Bock

Grethlein. Gerhard. Böttcher. Hartmut. Hofmann, Werner, u.
Hans-Peter Hübner: Evangelisches Kirchenrecht in Bayern
. München: Claudius 1994. XXII, 642 S. gr.8o. ISBN 3-
532-62166-5.

Das vorliegende Werk schließt eine seit Jahren bestehende
Lücke, da die letzten Gesamtdarstellungen des Rechts der
Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern bereits Ende der
sechziger Jahren erschienen und somit inzwischen in weiten
Passagen überholt sind.

Wie seine Vorganger zielt es vor allem auf einen Benutzerkreis
, den Kirchenrecht in der praktischen Anwendung angeht:
Pfarrerinnen und Pfarrer wie auch andere kirchliche Mitarbeiter
sehen sich in der täglichen Arbeit ständig mit kirchenrechtlichen
Fragen konfrontiert und bedürfen deshalb der soliden
Unterrichtung, die sich auch dem Verständnis des Nichtjuristen
erschließt; nicht selten wird überdies das eine oder andere
Gemeindeglied Aufschluß über die rechtliche Struktur semer
Kirche oder über juristische Einzelfragen kirchlichen Wirkens
suchen: hoher Bedarf an fundierter Information über das Recht
der bayerischen Landeskirche dürfte schließlich in den Verwaltungsabteilungen
der übrigen deutschen Kirchen sowie bei Juristen
des nichtkirchlichen Bereichs bestehen, die mit Kirchensaehen
befaßt sind.

Damit sind die Schwierigkeiten bereits angedeutet, denen
sich die vier Autoren zu stellen hallen. Eine angemessene Darstellung
kirchlicher Ordnung muß dem komplexen Verhältnis
des Kirchenrechts zum Wesen und Auftrag der Kirche Rechnung
tragen und darf sich deshalb den Spannungslagen zwischen
Recht und Theologie nicht verschließen. Sie muß die
Grundstrukturen der hoch differenzierten kirchlichen Ordnung
verdeutlichen, gleichzeitig aber auch dem konkreten Informationsbedürfnis
der Benutzer in Einzelfragen Genüge tun. Sie muß
schließlich ein angemessenes rechtswissenschaftliches Niveau
aalten, ohne für den nicht juristisch vorgebildeten Leser „ungenießbar
" /u werden. Alles m allem handelt es sich also um ein
ausgesprochen vielschichtiges Anforderungsprofil. Das Buch
wird ihm - um es vorweg zu sagen - durchweg gut gerecht.

Die Darstellung setzt ein mit der Kardinalfrage nach den
Grundlagen, der Legitimität und den Grenzen äußerer rechtlicher
Ordnung der Kirche. Selbstverständlich ist nicht zu erwarten
, daß in einem für einen sehr heterogenen Benutzerkreis konzipierten
Buch auf wenigen Seiten eine adäquate Darstellung
der rechtstheologischen Diskussion vieler Jahrzehnte geboten
wird. Doch gelingt es Hartmut Böttcher, die bestimmenden
Grundprobleme und Lösungsansätze plastisch zu skizzieren und
dadurch in Verbindung mit umfangreichen weiterführenden
Literaturhinweisen dem Interessierten den Einstieg in diese
komplexe Materie zu erleichtern. Gleiches gilt für den folgenden
Abschnitt, der sich zunächst grundsätzlich und dann im
konkreten Bezug auf die Evangelisch-Lutherische Kirche in
Bayern mit der Kirchenverfassung beschäftigt.

Die Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften
wirken innerhalb der rechtlichen Ordnung des Gemeinwesens
und damit im Wirkungsbereich der staatlichen Hoheitsgewalt
. Diese (staats-)verfassungsrechtliche Ausgangslage steht,
nachdem die unter dem Eindruck des Wiederaufbaus nach dem
Zweiten Weltkrieg in der Bundesrepublik Deutschland entwickelte
Koordinationslehre in der wissenschaftlichen Literatur
und im wesentlichen ebenso in der Rechtsprechung Uberwunden
worden ist, inzwischen auch für die Kirchen nicht mehr in
Frage. Sie ermöglicht ihnen zwar ein auch im internationalen
Vergleich außerordentlich hohes Maß an freier Entfaltung ihres
Selbstverständnisses, unterwirft sie aber mit Rücksicht auf die
staatliche Gemeinwohlverantwortung gleichzeitig gewissen
Grenzen.

Die Anwendung kirchlichen Rechts ist in dieses vielschichtige
rechtliche und tatsächliche Beziehungsgeflecht zwischen
Staal und Kirche ständig eingebunden und wird sachlich in
gewissem Umfang dadurch präjudiziert. soweit der Regelungsbereich
staatlicher Ordnung berührt ist. Dieser Rahmenbedingungen
muß man sich stets bewußt sein, wenn man Kirchenrecht
anwendet. Zu Recht skizzieren die Autoren deshalb, bevor
sie die Einzelheiten des kirchlichen Rechts darstellen, die
Grundlinien des geltenden Staatskirchenrechts. Der Überblick
folgt im wesentlichen der in Literatur und Rechtsprechung
„herrschenden" Meinung und orientiert sich insoweit verständlicherweise
an den Bedürfnissen der Zielgruppe dieses Buches.
Dieser Linie entspricht auch ein in § 13 gebotener Querschnitt
durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu
wichtigen Einzelfragen. Insgesamt wird ein der praktischen
juristischen Arbeit sicherlich gut dienlicher komprimierter und
im Urteil durchweg abgewogener Abriß der Grundzüge des geltenden
Staatskirchenrechts geboten. Allerdings tritt geleeent
lieh eine stark pausehalisierende Darstellungsweise hervor, die
trotz der immerhin zur Verfügung stehenden fast einhundert
Druckseiten im vorliegenden Rahmen vielleicht unvermeidlich
war, jedoch die vielfältigen Differenzierungen der bestehenden
Rechtslage über Gebühr und teilweise mißverständlich einebnet
(so fällt z.B. die parallele Bewertung des religiösen Selbstbestimmungsrechts
, des Körperschaftsstatus und des Sonn- und
Feiertagsschutzes als „institutionelle Garantien" auf. 67 f. mit
Fußnote 16).

Der größte Teil des Buches umfaßt eine detaillierte Darstellung
des geltenden Kirchenrechts der Evangelisch-Lutherischen
Kirche in Bayern; hier wird solide Information geboten. Dem
juristisch nicht vorgebildeten Leser werden die zahlreich eingeschobenen
Problemhinweise, Beispiele und Begriffserklärungen
sowie einige Schaubilder willkommen sein. Einem gleichen
„pädagogischen" Anliegen dienen die am Ende des Buches
gelösten kirchenrechtlichen Fälle, die typische Situationen des
Kirchenalltags aufgreifen. Das Werk wird abgerundet durch
eine Übersicht über die Struktur, den Aufgabenkreis und die
Arbeitsweise der deutschen und internationalen kirchlichen Zusammenschlüsse
.

Die gut strukturierte, in den Fußnoten überlegt dokumentierte
und bei aller Seriosität keineswegs „trockene" Darstellung, die
trotz ihres Praxisbezugs durchaus auch den erforderliehen Kontakt
zur wissenschaftlichen Durchdringung der einschlägigen
Grundsatz- und Einzelprobleme nicht verliert, spiegelt die vertiefte
Erfahrung der Autoren als Juristen im kirchlichen Verwaltungsdienst
wider.

Eine Fülle von Literaturhinweisen ermöglicht dem interessierten
Leser eine weiterführende Beschäftigung mit einzelnen
Fragenkreisen. Alles in allem liegt hier eine sehr erfreuliehe
Neuerscheinung zum Kirchenrecht vor, die ihren Weg nicht nur
in Bayern machen dürfte.

Halle Karl-Hermann Kästner