Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1995

Spalte:

1104-1107

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Eichhorn, Mathias

Titel/Untertitel:

Es wird regiert! 1995

Rezensent:

Fangmeier, Jürgen

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2, Seite 3

Download Scan:

PDF

1103

Theologische Literaturzeitung 120. Jahrgang 1995 Nr. 12

1104

tualisierbare Titel verweist, im Zentrum dieser Untersuchungen.
In Berücksichtigung wissenssoziologischer Einsichten (11, 13)
fragt der Vf., wie Hegel als „programmatischer Denker des
gesellschaftlichen Umbruchs" (13) die „systematisch-begriffliche
Transformation" (24) der religionstheoretischen und -praktischen
Intentionen seiner Jugendschriften verarbeitet habe.
Obwohl Hegel zwischen 1799 und 1802 „vom eingreifenden
Verändern zur begreifenden Analyse der gesellschaftlichen
Verhältnisse" übergehe, verzichte er doch nicht auf „eine Vermittlung
des Eingreifens in die gesellschaftliche Entwicklung
mit dem Begreifen der immanenten Eigenbewegung dieser Entwicklung
" (143).

In seiner „zugleich entwicklungsgeschichtlich, lebenswelt-
lich-hermeneutisch wie auch begriffslogisch-rekonstruierend
ansetzenden Arbeit" (21) untersucht der Vf. daher „die Bedeutung
der Religionsproblematik für das Philosophie- und Methodenverständnis
Hegels" (24). Zu diesem Zweck behandelt er
zunächst Hegels immer wieder neu ansetzende Beschäftigung
mit der (christlichen) Religion in den verschiedenen Fragmenten
seiner Frühschriften von 1793-1802 (27-72), wobei er der
Thematisierung der Person Jesu besondere Aufmerksamkeit
schenkt (51-72). Dann wendet er sich der Verhältnisbestimmung
von Religion und Philosophie zu, wie sie in den Berliner
„Vorlesungen über die Philosophie der Religion" (73-90) und
in den „Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes" (90-
105) zutage tritt. Daran schließt sich eine knappe Behandlung
des Religionsthemas in der „Phänomenologie des Geistes" an
(106-118). Des weiteren wird das von Hegel in seinen „Vorlesungen
über die Geschichte der Philosophie" vorgetragene religionspolitische
Verständnis der Französischen Revolution ebenso
diskutiert wie der ideengeschichtliche Zusammenhang von
protestantischer Reformation und politischer Revolution (119-
140). Im abschließenden Teil faßt der Vf. die Ergebnisse seiner
Untersuchungen zusammen (141-152).

Die Diskrepanz zwischen der im Literaturverzeichnis (153-
165) teilweise fehlerhaft aufgelisteten und der im Text faktisch
zitierten Sekundärliteratur zeigt, daß der Vf. seine linkshegelianisch
-marxistisch orientierte Sicht des Verhältnisses von Religion
und Philosophie im Zuge seiner Überarbeitung offensichtlich
nur geringfügig verändert hat. Hegels Umgang mit der
Religion wird nach dem Vorbild von K. Marx auf die doppelte
Funktion festgelegt, Religion sei „Ausdruck" des Elends der
bürgerlichen Gesellschaft und „Protest" gegen dieses Elend
zugleich. In diesem Sinne schreibt der Vf. Hegel die Auffassung
zu, eine „kompensatorische", aber illusionäre und eine
„ideell-antizipatorische Funktion" der Religion zu vertreten
(144 f.). Angesichts des Vorwurfes der „Zweideutigkeit", der
die Publikation von Hegels „Vorlesungen über die Philosophie
der Religion" von Anfang an begleitet hat, könnte einiges für
die linkshegelianische Option des Vf.s sprechen. Jedoch hat
sich der Vf. von den politischen Entstehungsbedingungen seiner
Arbeit nicht gelöst, so daß er es versäumt, seine These in
Auseinandersetzung mit der von ihm bloß genannten, aber nicht
benutzten Literatur zu diskutieren. Überdies hat der Vf. wichtige
neuere Forschungsbeiträge zu Hegels Religionsphilosophie
nicht einmal in sein Literaturverzeichnis aufgenommen, so daß
seine Arbeit an vielen entscheidenden Stellen hinter dem
erreichten Forschungsstand zurückbleibt.

So erscheinen die Ausführungen zum Verhältnis von Religion und Philosophie
hzw. von Vorstellung und Begriff und die Hinweise zur Behandlung
der Religionsthematik in der ..Phänomenologie des Geistes" als ebenso
unzureichend wie die oberflächlichen Bemerkungen zur Hegeischen Refor-
mulierung der Gottesbeweisthematik und zum Verhältnis des Logischen
und des Real- bzw. Religionsgeschichtlichen. Noch gravierender fällt ins
Gew icht, daß der Vf. Hegels „Vorlesungen über die Philosophie der Religion
" nach der völlig veralteten und überholten „Jubiläumsausgabe" zitiert,
aber die von W. Jaeschke besorgte kritische Neuedition ignoriert. Der Vf.
formuliert in seiner Arbeit zwar durchaus diskutable Thesen. Aber wegen

der mangelhaften Berücksichtigung einschlägiger Primär- und Sekundärliteratur
und der unzureichenden Aneignung Hegelscher Argumentationen
gelingt es ihm nicht, seine Thesen zu validieren. Als Einführungslektüre in
Hegels religionsphilosophisches Denken kann die Arbeit nicht empfohlen
werden. Als Diskussionsbeitrag zur Auslegung von Hegels Religionsphilosophie
würde sie sich nur nach einer grundlegenden argumentativen Überarbeitung
empfehlen.

Wien Falk Wagner

Eichhorn, Mathias: Es wird regiert! Der Staat im Denken Karl
Barths und Carl Schmitts in den Jahren 1919 bis 1938. Berlin
: Duncker & Humblot 1994. 290 S. gr.8» = Beiträge zur
Politischen Wissenschaft, 78. Kart. DM 98,-. ISBN 3-428-
08131-5.

Dem Buch liegt eine Frankfurter Dissertation aus dem Jahr
1993 im Fachbereich Gesellschaftswissenschaften zugrunde.
Der Vf. ist von Hause aus nicht Theologe, doch spürt man, daß
er gern ein weit ins Theologische hinreinragendes Thema bearbeitet
hat. Die Arbeit gilt zwei einander zeitgenössischen Denkern
, Theologe der eine und Jurist der andere, die beide in sehr
gewichtigem Sinne den Staat, konkret insbesondere den deutschen
, ins Visier genommen haben. Der Leser täuscht sich
nicht, wenn ihm unbekannt ist, daß beide aufeinander Bezug
genommen hätten. Sie haben es tatsächlich so gut wie nicht
getan. (Eichhorn weiß lediglich eine Tagebuchaufzeichnung C.
Schmitts zu nennen, in der Barth direkt angesprochen ist: „Gib
Acht, Freund Barth, es kommt plötzlich das ganz Andere, und
zwar ganz anders. ... Dann ist plötzlich das Diesseits das ganz
Andere gegenüber dem Jenseits...", 22 f.) Daß es sinnvoll ist,
beide trotzdem zueinander in Beziehung zu setzen, zeigt sich
nicht auf jeder Seite des Buches, ist indes am Schluß sehr deutlich
.

Den Titel gibt dasjenige Wort ab, das K. Barth am letzten
Abend seines Lebens durchs Telefon seinem alten Freund Thurn-
eysen als ein auf Gottes Regiment bezogenes Trostwort zurief.
Geprägt hat es Chr. Blumhardt (vgl. 40). Daß regiert werde,
bzw. daß faktisch nicht regiert werde, war in der Zeit der Weimarer
Republik C. Schmitts politische Sorge, die ihn nach dem
„totalen Staat" rufen und dann mit dem NS-Staat sympathisieren
ließ.

Hinsichtlich der Darstellung fällt auf, daß der Vf. systematische
Kenntnis C. Schmitts eher voraussetzt, offenbar weil er da
selber beheimatet ist. während er K. Barth Phase um Phase vorstellt
. Hierbei ist ihm ein achtbares Verständnis des Theologen
und des Theologischen zu attestieren. Auch wo er sich auf dem
Feld kontroverser Barth-Diskussion bewegt, beweist er ein feines
Gespür für den tatsächlichen Karl Barth und dessen Intentionen.
Es dürfte kaum die Regel sein, daß ein Autor sich auf dem Boden
eines anderen Fachs so kompetent bewegt wie E. auf dem theologischen
. Nur selten hält er dieses sein Niveau nicht: Barth hat
nicht „bis zu seinem Tode" (14) an der Kirchlichen Dogmatik
gearbeitet. Es ist zu einseitig, daß „bei Barth die Theologie nicht
die Kirche, sondern die Kirche die Theologie" voraussetze (36),
auch, daß „im Weltmaßstab.... Luther... gegenüber Calvin
nahezu ohne Bedeutung geblieben ist" (121). Ist es einerseits
übertrieben, den Protestantismus eine „Theologenkirche" zu
heißen (121), so gleichfalls nach der andern Seite zu einseitig,
daß für Barth „ein Lehramt die Offenbarung Gottes einzuschränken
versucht" (131). Es könnte ja auch Gottes Offenbarung
offenzuhalten versuchen, und in solchem Sinn hat doch Barth
selber ein theologisches Lehramt wahrgenommen. Auf S. 131
befindet sich außerdem ein etwas peinlicher Zitatfehler: Die Tri-
nitätslehre ist nach E. Jüngel nicht „das Sein Gottes", vielmehr
„Interpretation der Offenbarung und damit des Seins Gottes".
Weiter: Barth wird einmal allzusehr im Lichte C. Schmitts und