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Ausgabe:

1995

Spalte:

1102-1104

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Bialas, Wolfgang

Titel/Untertitel:

Von der Theologie der Befreiung zur Philosophie der Freiheit 1995

Rezensent:

Wagner, Falk

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Theologische Literatur/.eitung 120. Jahrgang 1995 Nr. 12

I 102

Erfurt war die überragende Fernhändlerstadt, der eindeutige
Mittelpunkt Thüringens, es hatte seine Grundherrschaft über ein
weites Gebiet mit vielen Dörfern ausgebildet und strebte trotz
mainzischer und kursächsischer Ansprüche zur Reichsunmittel-
barkeit. Mühlhausen besaß als große Mittelstadt zwar die
reichsstädtische Qualität und ein umfangreiches Territorium,
hatte aber den Höhepunkt seiner wirtschaftlichen Entwicklung
schon Uberschritten. Langensalza unterstand als ansehnliche
landsässige Mittelstadt dem Herzogtum Sachsen, während die
Kleinstadt Thamsbrück /.war landtagsfähig war, in ihrem wirtschaftlichen
und gesellschaftlichen Habitus aber in die Nähe
eines Dorfes gerückt werden konnte. Die weit differenzierte
Bevölkerung der größeren Städte wies Unterschichten als
Potential etwaiger Unruhen auf. während die Ackerbürger der
kleineren Städte vermutungsweise mit den aufbegehrenden
Bauern in Beziehung treten konnten. Aber diese simple Rechnung
ging in der geschichtlichen Wirklichkeit nicht auf. Es gab
keine grundsätzliche Solidarität des gemeinen Mannes in der
Stadt mit den kämpfenden Bauern draußen auf dem Lande, weil
auch für die städtischen Unterschichten die Bindung an die
soziale Welt der Stadt stärker war und zwischen Städtebürgern
und Bauern ein Grunddissenz der sozialen Qualität bestand, der
keine Interessengemeinschaft und keine Verbrüderung aufständischer
Kräfte in Stadt und Land zuließ. Bestenfalls konnten
kurzfristig anhaltende Aktionsgemeinschaften entstehen. Die
ständische Zugehörigkeit zum städtischen Bürgertum oder zum
dörflichen Bauerntum war stärker als eine für das 16. Jahrhundert
künstlich konstruierte Klassensolidarität.

Der Vf. legt großen Wert auf die Klärung von Begriffen,
wobei er im Falle der Stadt genauso ratlos ist wie alle diejenigen
, die sich vor ihm daran versucht haben, während die bis
heute unbefriedigende Definition des Ackerbürgers auch von
'hm nicht geklärt werden kann. Immerhin zeigen gerade diese
'heoretisch-reflektierenden Passagen ein hohes Maß an Sach-
und Literaturkenntnis und Problembewußtsein. Das gilt namentlich
für die angebotene Typologie städtischen Verhallens
im Bauernkrieg /wischen völliger Ablehnung des bäuerlichen
Bündnisangebots durch die Stadt und völliger Beteiligung an
den Aktionen der Bauern. Freilich lassen sich die Beobachtungen
an lediglich vier Beispielen nicht zu allgemeingültigen
Aussagen erweitern, was zu dem Ergebnis führt, daß sich die
Vorgänge im Bauernkrieg einer abstrahierenden Verallgemeinerung
entziehen, weil jeder Einzelfall nur für sich allein sieht.
Es ist auf jeden l all ein Verdienst des Verlässers, darauf hingewiesen
zu haben, daß die Fragen um den Bauernkrieg von 1525
im Zusammenhang mit der Reformation auch heute noch nicht
endgültig geklärt sind. Die umfassende Literatur- und Problemkenntnis
macht die Arbeit für jede Weiterarbeit an diesem Thema
wichtig.

Dresden Karlheinz Blaschke

U-uther. Martin:] Martin Luthers Werke. Kritische Gesamt
ausgäbe. Lateinisches Sachregister zur Abteilung Schriften
Band 1-60. Hrsg. im Auftrag der Heidelberger Akademie der
Wissenschaften von U. Köpf. 65. Bd.: daemon-hysteron pro-
teron. 66. Bd.: iaeeo-nyeticorax. Weimar: Böhlau 1993/95.
XVIII. 635 S. u. VII. 635 S. 4o. Kldr. je DM 180,-. ISBN 3-
7400-0121-6 u. 3-7400-171-2.

'm Abstand von drei bzw. fünf Jahren sind zwei weitere Bände
des lateinischen Sachregisters zur Abteilung Schriften m der
WA anzuzeigen. Über Anlage und Prinzipien wurde zum ersten
Band (ThLZ 1990. 90 f.) informiert. Das Vorwort zu Band 65
v'on Manin Heckel. dem Vorsitzenden der neugebildeten Kommission
für das Luther-Register bei der Heidelberger Akademie
der Wissenschaften, gibt ausführlich Auskunft über die wichtigsten
Stationen der WA-Kommission, vor allem über den Wechsel
zur Heidelberger Akademie im Zuge der Neustrukturierung
der deutschen Forschungsorganisation und die derzeitigen Ar-
beiisgegebenheiten der Register-Kommission. Heckel grenzt
noch einmal klar ab, was das lateinische und auch das spätere
deutsche WA-Regisier nicht sein wollen: kein monographisch
angelegtes Begriffslexikon, auch keine vollständige Wortkonkordanz
, ebenfalls kein Bedeutungswörterbuch. Positiv gewendet
heißt das: „Das Register will vielmehr dem Benutzer die
vielseitige wissenschaftliche Eigenarbeit ermöglichen, indem es
ihm in paradynamischer Erfassung und Auswahl. Differenzierung
und Zusammenschau des Quellenmaterials an Luthers
Schriften heranführt und es ihm zur selbständigen Forschung
aufbereitet, ohne ihn zu lenken, zu beschränken und der Forschung
methodisch und sachlich vorzugreifen" (XVII). Wenn
man die beiden neuen Bände durchblättert, fällt schon an der
Quantität auf. welches Gewicht die zentralen reformatorischen
Begriffe in Luthers Werk haben, z.B. euangelium (18 Sp.),
misericordia (22 Sp.), lex (27 Sp.), gratia (28 Sp.). iustitia (34
Sp.). fides (52 Sp.): andererseits episcopus (7 Sp.) oder missa (6
Sp.). Es ist zu wünschen, daß solcherart Beobachtungen den
Reiz verstärken, das neue Handwerkszeug verstärkt für die qualitative
Arbeit in Anspruch zu nehmen. Besonders hingewiesen
werden soll auf die warmherzige Würdigung der verdienstvollen
WA-Verlegerin Leiva Petersen durch Gerhard Ebeling in
seinem Nachruf zu Beginn von Band 65 (VII-XII).

S. B.

Philosophie, Religionsphilosophie

Bialas. Wolfgang: Von der Theologie der Befreiung zur Philosophie
der Freiheit. Hegel und die Religion. Freiburg/
Schweiz: Universitätsverlag 1993. 168 S. gr.8° = Ökumenische
Beihefte zur Freiburger Zeitschrift für Philosophie und
Theologie, 23. Kart. sFr 28.-. ISBN 3-7278- 0905 - 1.

Dieses Buch stellt die überarbeitete Fassung einer philosophischen
Dissertation dar, die W. Malus 1982 unter dem Titel ..Die
Bedeutung der Auseinandersetzung Hegels mit der Religion für
die Herausbildung und Entwicklung seiner Philosophie" an der
„Sektion für marxistisch-leninistische Philosophie" i I I) der
Universität Leipzig eingereicht hatte. Insbesondere im „Vorwort
" (7-9) und im ersten Abschnitt der Einleitung (11-26)
„Hegel und die protestantische Revolution in der DDR" (11-15)
reflektiert der Vf. die von „der revolutionären Wende in der
DDR" (14) ausgelösten politischen und soziohistorischen Veränderungen
, die die „Bearbeitung" (9) seiner Dissertation milbestimmt
haben. Aber der Vf. betont zugleich, daß eine Be-
schäftigung mit der Philosophie Hegels und seiner ..lebenslange
^) Auseinandersetzung mit der Religion" (ebd.) auf eine
Situation sozio- und religionspolitischer Umbrüche immer
schon vorbereitet sei. Denn aus Hegels theologischen Frühbzw
. Jugendschriften lasse sich die Einsicht in die „Notwendigkeit
der detaillierten, konkret historischen Analyse gesellschaftlicher
Verhältnisse" entnehmen. Aufgrund dieser Einsicht gebe
Hegel die Absicht auf, „unmittelbar verändernd in gesellschaftliche
Entwicklung einzugreifen" (141). „Den Verzicht auf eingreifendes
Denken sucht er durch die Hinwendung zum begreifenden
Denken zu kompensieren." (58) Das Problem dieses
Übergangs Hegels vom „eingreifenden" Denken seiner theologischen
Frühschriften zum „begreifenden" Denken seiner systematischen
Philosophie steht, worauf auch der nicht platt (9) ak-