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Ausgabe:

1995

Spalte:

1092-1093

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Lücking-Michel, Claudia

Titel/Untertitel:

Konkordanz und Konsens 1995

Rezensent:

Kandler, Karl-Hermann

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1091

Theologische Literaturzeitung 120. Jahrgang 1995 Nr. 12

1092

der Quelle des Johann von Staupitz, der seit 1520 in Salzburg
als Abt von St. Peter und Hofprediger des Kardinalerzbischof
Matthäus Lang bis zu seinem Tod am 28.12.1524 amtierte,
stammen, - es ist die Zeit des Paracelsus in der Stadt an der
Salzach. G. stellt diese Überlegung an. Sie unterläßt jedoch den
Hinweis, daß sich im Salzburger Territorium bereits ein lutherisches
Ambiente sehr früh ausgebreitet hatte. Bergknappen aus
Sachsen brachten lutherische Schriften im regen Verkehr mit
ihrer Heimat an ihren Arbeitsort.

Aus den Salzburger Jahren des Paracelsus 1524/25 stammt
seine Schrift „De Septem punctis idolatriae Christianae", die
zusammen mit der Schrift „De imaginibus idolatriae" (1525-28?)
im dritten Hauptteil „Reformatorische Kritik" (118-159) mit
ihren theologischen Grundaussagen erforscht wird. Paracelsus
fordert immer wieder die Individualisierung des Glaubens ein in
radikalster Kirchenkritik mit Ablehnung von Kirchengebet und -
gesang. Aufschlußreich bleibt, daß der Antiklerikalismus in der
Prämisse der Rechtfertigung des Sünders aus Glauben wurzelt.
Dieser Glaube ist immer Angelegenheit des Einzelnen. In der
Bilderfrage votiert Paracelsus für christliche Bilder, die als Glaubenshilfe
dienen können. Es gibt sogar bewußte „Höherschät-
zung gegenüber einer wie auch immer gearteten Verkündigung"

- „bei konsequent spiritualistischem Ansatz".....der auf jegliche

Institution, ja zum Teil selbst auf das äußere Wort verzichtet"
(159). - Außer Betracht läßt die Autorin die Frage, wieweit eben
das bereits im Salzburger Land agierende reformatorisch-lutherische
Ambiente Vorbildfunktion für den Laientheologen und Arzt
bietet. Er wendet sich gewiß nur gegen die alte päpstlich-klösterliche
Kirche, denn evangelische Kirchenstrukturen bilden sich
generell langsam und mühsam heraus. Evangelische Amtsträger
in Salzburg damals sind doch nicht vorhanden.

Die Sympathie für Luther beweisen die „Frühen Ausarbeitungen
zum Matthäuskommentar mit Begleitbrief an Luther,
Bugenhagen und Melanchthon", die zunächst im vierten Teil
„Die Bibelauslegungen" (160-284) vorgestellt werden. G. gibt
in ausführlicher Zitation diese exegetische Arbeit - bisher noch
ungedruckt - wieder. Paracelsus bemüht sich originell „um die
aktuelle, existenzverwandelnde Bedeutung der biblischen Aussagen
" (161). Auch ist durchgehend ein starker Antiklerikalismus
zu finden.

Die Predigt soll aussprechen, „was die Menschen in ihren
Seelen empfinden sollen" (176). Paracelsus hat für seinen Matthäuskommentar
ausführlichst die Annotationes des Erasmus
von Rotterdam benutzt. - Auch die etwas späteren Kommentare
zu Matthäustexten des Paracelsus in seiner Frühzeit werden
vorgestellt. „Das Leiden Christi als alleiniger Grund der Rechtfertigung
des Sünders" steht im Vordergrund (184). Glauben
soll verifizierbar werden; „das hat später Paracelsus für den Pietismus
besonders attraktiv gemacht" (ebd.). Spiritualisierung
und Ethisierung ergänzen einander.

Von Grund aus gearbeitet, liegt nun die Genese und Entfaltung
der frühen Theologie des Paracelus vor. Damit wird der
Anspruch im Obertitel „Paracelsus (1493-1541)" erfüllt, denn
die reformatorisch-biblische Frömmigkeit wird in ihrer Ausprägung
vorgestellt. Mit erfreulicher Redundanz, die den facetten-
reichen Modulationen in den vielen intensiven theologischen
Bemühungen des Paracelsus sorgfältig zu folgen weiß, erscheint
immer wieder: „das eindeutige Bekenntnis zu Christus,
das sich... als Herzstück der paracelsischen Theologie zeigt"
(287); Christus als Grund des Lebens, der erst zu Glauben,
Hoffnung und Liebe befähigt.

So öffnet sich ein neuer Forschungsbereich: Wie wirkt dieser
Glaube in dem medizinisch-naturwissenschaftlichen Schriften-
corpus und seiner Terminologie? Es gilt, den ganzen Paracelsus
von seiner Mitte her zu erfassen.

Wismar/Meckl. Michael Bunncrs

Lücking-Michel, Claudia: Konkordanz und Konsens. Zur

Gesellschaftstheorie in der Schrift „De concordantia catholica"
des Nicolaus von Cues. Würzburg: Echter 1994. 242 S. gr.8° =
Bonner dogmatische Studien, 16. Kart. DM 39,-. ISBN 3-429-
01602-9.

Aus der Schule von P. Hünermann (Kath.-Theol. Fakultät Tübingen
) sind inzwischen mehrere Dissertationen zur cusani-
schen Theologie erarbeitet worden, die vorliegende 1992. Sie
stellen weniger Spezialuntersuchungen als vielmehr kommentarhafte
Studien dar; die von Frau Lücking-Michel ist dem
..Jugendwerk" des Nikolaus von Kues (= NvK) „De concordantia
catholica" (= DCC) gewidmet. Nach dem Untertitel zu urteilen
, müßte es sich dabei weniger um einen dogmatischen als
vielmehr um einen kirchenrechts- und gesellschaftshistorischen
Kommentar von DCC handeln, doch will die Vfn. mehr bieten.
Die Ekklesiologie ist ihr mindestens gleich wichtig. Daß das
dreiteilige Werk des NvK in der Cusanus-Forschung (zu) wenig
beachtet wird, ist eine Beobachtung, der man zustimmen muß.
wenn auch inzwischen das Cusanus-Symposion 1993 vor allem
dieser Schrift gewidmet war. Schon in ihr tauchen die beiden
Begriffe auf, die NvK nun zeitlebens verwenden wird: Konkordanz
und Konsens. Sie bestimmen künftig sein Denken.

„Concordantia" versteht die Vfn. als „Schlüsselbegriff für Einheit
als innere Form der ecclesia", Konsens dagegen als „Einheit
im Vollzug" (13). Dementsprechend Uberschreibt sie auch die
Teile II und III ihrer Arbeit. Doch ist die Unterscheidung beider
Begriffe voneinander nicht recht einsichtig beschrieben. Der Teil
I berichtet über die historische Einordnung, die Entstehung von
DCC und über die Quellen bzw. Autoritäten, die NvK benutzt.
Auch wird ein Forschungsüberblick geboten.

Man wird der Vfn. darin recht geben, daß DCC im Zusammenhang
mit dem Erfahren der Kirche als „deformatio" von
ihrem ursprünglichen Zustand zu verstehen ist (28). Das NvK
„zu den ersten Verfechtern einer frühen Form der historisch-kritischen
Methode" (31) gehört, wird angesichts der Art, wie
NvK die Autoritäten benutzt und die Quellen auswertet, schon
gesagt werden können. Andererseits hat er seine Quellen recht
eklektisch benutzt und, falls sie seinem Anliegen entsprachen,
seitensweise abgeschrieben. Seine Quellenkritik führte ihn
dazu, die Glaubenswahrheit geschichtlich zu verstehen, doch
kaum dazu, sie zu relativieren (gegen 43). Er bleibt stets von
der Ildes orthodoxa des Christentums überzeugt.

Zum Begriff der Konkordanz sagt die Vfn.: „Concordantia
kann laut Cusanus gewußt werden, der Weg zu ihr führt über
rationale Erkenntnis. Die Bedingung ihrer Möglichkeit ist... ein
klares Verständnis und gute Kenntnisse der einer concordantia
zugrundeliegenden Regeln, die alle aus der Tradition erhoben
werden können. Die darin festgeschriebene Gesellschaftsordnung
gilt es zu kennen und zu bejahen, ... weil von dem rechten
Wissen um die concordantia nicht nur das Wohl hier auf Erden,
sondern auch das ewige Heil abhängt" (65). Dabei ist Christus
„concordantiae medium ad deum" und so mit der Kirche verbunden
. Daß diese Aussage „die Ekklesiologie als Entfaltung
der Christologie" zeigt, hätte die Vfn. mit Hinweis auf De docta
ignorantia III erhärten können.

Am Schluß weist sie auf den „congregatio-Charakter der Kirche" hin
(214), was au CA VII erinnert. Zugleich aber sieht NvK concordantia als
„Voraussetzung für das bonurn commune" (72); Konkordan/, schlicl.il Plura-
lität nicht aus. Statt daß Einheil und Vielheit gleichzeitig nebeneinander in
der Konkordanz bestehen können (75), sollte die Vfn. lieber mit NvK von
der Einheit in der Vielheit und der Vielheit in der Einheit sprechen, denn es
geht ihm stets nicht um ein Nebeneinander, sondern um ein Ineinander. Von
seiner Bestimmung der „concordantia differentiarum" ist nur noch ein kurzer
Schritt zur „coincidentia oppositorum". Diesen Begriff hat NvK eigenständig
geprägt.

Konsens als Zentralbegriff der Gesellschaftslehre und als
Strukturelement kirchlicher Ordnung hat NvK aus seiner