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Ausgabe:

1995

Spalte:

1089-1091

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Gause, Ute

Titel/Untertitel:

Paracelsus 1995

Rezensent:

Bunners, Michael

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1089

Theologische Literaturzeitung 120. Jahrgang 1995 Nr. 12

1090

(12). Die Bibliographie ist hilfreich, sie nennt mitunter mehrere
Ausgaben und Übersetzungen, z.B. bei Bernhards De considera-
tione (214). Die Register zeigen bei den Bibelstellen einen
Schwerpunkt bei den Psalmen und beim Hohenlied (225), besonders
wichtige Väter sind Augustin. Bernhard, der Areopagite.
Franz von Assisi sowie Hugo und Victor von St. Victor (227).

Anselms Werke wurden in 2 Bänden 1984 in 2. Aufl. von
Franziscus Salesius Schmitt in 2. Aufl. ediert, der auch einzelne
Schulten Anselms in lateinisch-deutscher Ausgabe herausgebracht
hatte. Die Fontes Christiani wollten ursprünglich die
bekanntesten Schritten von Anselm, - sein Monologion, Proslogion
sowie Cur deus homo - in der Ausgabe von Schmitt
übernehmen und dazu eine neue Übersetzung bringen. Dieser
Plan scheiterte an verlagsrechtlichen Gründen. Daher entschloß
man sich zur Herausgabe von Anselms Freiheitsschriften, obwohl
dieses Verfahren ein „Verstoß gegen den ausdrücklichen
Willen Anselms" ist, der seine Werke als eine Einheit in der
ursprünglichen Abfolge verstanden wissen wollte (55). Ein
Kommentar zu allen Werken Anselms stellt einen sinnvollen
Ausweg dar.

Die Entstehung der Werke Anselms wird chronologisch skizziert
(8-14). Der Abschnitt „Das Verhältnis von Theologie und
Philosophie" geht Fragen nach, die das Proslogion aufgeworfen
hat (14-28). Es folgen Überlegungen zum Monologion (29-33)
und zu De veritate (33-38). Zur Schrift De übertäte arbitrii heißt
es: „Wie Augustin - und Kant - geht es Anselm nicht um Freiheit
in einem allgemeinen Sinn, unter den auch die Wahlmög-
lichkeit etwa zwischen verschiedenen Zahnpasten im Supermarkt
fiele, sondern nur um jene, derentwegen jemand für gutes
«der böses Tun zur Verantwortung gezogen wird" (39). Die
Schrift De casu diaboli erörtert die „Möglichkeit zum Bösen,
die dem geschaffenen Willen innewohnt", und hebt „ausdrücklich
die Notwendigkeit dieser Möglichkeit als Bedingung für
Gerechtigkeit hervor" (45). Die dritte Freiheitsschrift - das letzte
vollendete Werk Anselms - betrifft die Frage, „ob Freiheit
nicht letztlich doch bloßer Schein, und damit, ob Schöpfung im
eigentlichen Sinne wirklich ist" (50).

Bei beiden Bänden sei nachdrücklich auf den pädagogischen
Werl hingewiesen: Sie sind für Studenten als Einstieg in die
Theologiegeschichte des Mittelalters zu empfehlen. Beide Bände
enthalten wichtige Texte, verständliche Übersetzungen und
dazu noch eine Kommentierung, die für ein konzentriertes
Selbststudium hilfreiche Voraussetzungen anbietet.

Rostock Gert Haendler

Cause. Ute: Paracelsus (1493-1541). Genese und Entfaltung
seiner frühen Theologie. Tübingen: Mohr 1994. XI. 299 S.
gr.8o = Spätmittelalter und Reformation. NR 4. Lw. DM
148,-. ISBN 3-16-146090-1.

Der in Kontinuität durch die Geschichte ziehende Strom der
Paracelsus-Literatur erreicht nunmehr in den Umbrüchen der
Wissenschaften und der Zeit der Postmoderne neue Qualität.
Starken Schub für die Forschung brachten die beiden Erinnerungsjahre
1991 (450. Todestag) und 1993 (500. Geburtstag)
mit einer Fülle von Publikationen. Gewichtige neue Einsichten
für die Biographie konnten gewonnen werden; auch besonders
die unermeßlich weite Wirkungsgeschichte des Gesamtwerkes
erfuhr neue Klärungen. (Die vollständige Ausgabe wird etwa 29
Bände umfassen: 14 Bände theologisches Schrifttum, von dem
noch 7 Bände der Veröffentlichung harren). Endlich geriet die
theologische Erkundung in Bewegung und trägt dazu bei, neue
Denkbereiche in den Horizonten des Paracelsus zu ersehließen.

Katharina Biegger veröffentlichte 1990 ihre Züricher Dissertation
„De invocatione Beatae Mariae Virginis. Paracelsus und

die Marienverehrung" (Besprechung durch den Rez. in ThLZ
117. 1992, 71 ff.), in der Eigenart und Eigenständigkeit des
Paracelsus aufscheint. Ute Gause untersucht nun den gesamten
Komplex der frühen theologischen Schriften, in denen sich
spannungsvoll der Beginn des theologischen Denkens des Paracelsus
konturiert. Erstaunlich wirkt, wie im ersten Hauptteil der
Arbeit „Das Gottesverständnis" die Mariologie als Quellort in
fünf der Gottesmutter gewidmeten Frühschriften aufgezeigt
werden kann. Dem Arzt liegt daran, aus seiner Intention, substantiell
zu denken, die Gottleiblichkeit Christi durch die Gottheit
Marias zu sichern. Maria gehört für ihn von Anfang her in
die trinitarische Gottheit hinein, wobei es Paracelsus gelingt,
die absolute Transzendenz trotz seines massiven Monophysitis-
mus zu wahren. Die Inkarnation Christi geschieht, um „die
Menschen zu erlösen und von der Last ihrer Kreatürlichkeit zu
befreien" (17).

Beachtlich bleibt als Ergebnis der eingehenden Einzelinter-
pretationen der paracelsischen Marienschriften durch G., daß in
den „essentiell/existentiellen" Kategorien der Mariologie, die
selbst noch die immaculata coneeptio im franziskanischen Sinn
behandelt, letztlieh evangelisches Gnadenverständnis intendiert
ist. Bereits die Menschwerdung „offenbart jedoch die radikale
und grenzenlose Liebe Gottes zu den Menschen" (34). Der
Mensch „steht coram deo als ganz auf die Gnade Angewiesener
" (46). Wünschenswert wäre trotz der sorgfältigen Hinweise
auf literarische Zeugnisse der zu Beginn des Reformationsjahrhunderts
kulminierenden Marienfrömmigkeit die Erörterung
der kunstgeschichtlichen Zeugnisse in den Marienaltären in
ihrer unendlichen Vielfalt, die den durch ganz Europa wandernden
Arztl ins Nachdenken führten. Biographisch höchst bedeutsam
bleibt der Marienkult in Maria Einsiedeln. In frühester
Kindheit schon war Paracelsus am Ort seiner Geburt von intensiver
Marienfrömmigkeit auch der Massen umgeben. Im Alter
von 8 Jahren nahm ihn der Vater nach dem Tod der Mutter mit
nach Villach in Kärnten.

In einem zweiten Hauptteil „Die Anthropologie'" (74-117)
finden die in den medizinisch-naturphilosophischen Frühschriften
zahlreich enthaltenen Aussagen zum Menschen und seinem
Gottesverhältnis ausführliche Interpretation. Die naturphilosophische
Gedankenwelt ruht auf dem Bekenntnis zur Vollkommenheit
der Schöpfung und zur Freiheit des Menschen. Aufgewiesen
wird der Denkweg von einem neuplatonischen hin zu
einem christlichen Menschenbild. Von entschiedenem Gewicht
ist für den Arzt, daß zum Menschen „existentielle Mangelhaftigkeit
und Krankheit", die in der „Bresthaftigkeit" des Leiblichen
deutlich ist, gehört. Dem Mensehen eignet trotz seiner
wundervollen Erschaffung als Mikrokosmos im Makrokosmos
eine „viehische Natur", die es zu Uberwinden gilt in der Entscheidung
für die Gottesebenbildlichkeit. Die Kräfte der Seele
sollen deshalb durch die Vernunft aktiviert werden. Der Mensch
ist für sein Heil verantwortlich. „Die fleischliche F.xistenz. die
auf Befriedigung der Begierden des Leibes aus ist. wird als
unchristlich qualifiziert und abgelehnt" (96/97). Im Interesse
einer Existentialisierung gelangt Paracelsus dabei zu starker
Individualisierung des Glaubens. Die Erbsünde wird bei ihm
eingeschränkt als biologische Erklärung für Endlichkeit.

Zur Erläuterung der Anthropologie in der Frühzeit wird der
„Liber de iustitia" (um 1524/25) herangezogen, um auch die
Variationen und oft unterschiedlichen Akzentuierungen bei
Paracelsus verständlich zu machen. Erfreulich ist der Mut, mit
dem die Autorin in den Vorstellungen des Paracelsus ..ein Korrelat
zur lutherischen Rechtfertigungslehre" sieht, wenn auch
der Akzent von der Rechtfertigung mehr auf die Heiligung
gelegt wird (117). „Das Leben im demütigen Bewußtsein des
Sünderseins, im beharrlichen Glauben an Gott bewahrt den
Christen vor Rückfall in eine veräußerlichte Lebensweise''
(101). Die strenge Demutstheologie des Paracelsus könnte aus