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Ausgabe:

1995

Spalte:

1088-1089

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Titel/Untertitel:

Bonaventura Sanctus, De triplici via 1995

Rezensent:

Haendler, Gert

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1087

Theologische Literaturzeitung 120. Jahrgang 1995 Nr. 12

1088

Seuses Leidensverständnis heraus und stellt sich auch den
Schwierigkeiten eines Vergleiches mit Eckhart.

Eine den Leser in besonderer Weise herausfordernde und beanspruchende
Art der Beschäftigung mit Seuse stellt der Versuch
von Markus Enders dar, auf der Metaebene einer „Ontologie der
Mystik" das „mystische Wissen" Seuses darzustellen: „Das
mystische Wissen Seuses: ein Beitrag zu seiner theologischen
Relevanz" (139-172). Hinzuweisen ist auf das inzwischen erschienene
Buch des Vfs. zum gleichen Thema (Paderborn 1993).

Beachtung verdient der instruktive Beitrag von Ulla Williams
über eine von der Forschung bisher vernachlässigte Gattung
mystischer Texte: Sammlungen von Sprüchen, Zitaten und Sentenzen
, in denen Merksätze zur Lebensführung programmatisch
zusammengestellt wurden (173-188: ...Vatter ler mich': zur
Funktion von Verha und Dicta im Schrifttum der deutschen
Mystik"). Als Seuse von Elsbeth Stagel um Belehrung gebeten
wurde, hatte er mit einer Auswahl von Sprüchen der Altväter
(Vitae patrum; Cassian) geantwortet. Es gelang der Vfn., eine
Reihe der durch Seuse oft zu einem Kernsatz reduzierten Altvätersprüche
in den Quellen nachzuweisen (Liste!). Damit dürfte
der Nachweis für die Bedeutung des Spruches im Rahmen von
Seuses Unterweisungsmethode erbracht sein, zu der das unaufhörliche
Memorieren und Meditieren von Lebensregeln gehört.
Über Seuse hinausgehend zeigt die Vfn. am Beispiel von zwei
Codices, die die „Alemannischen verba seniorum" enthalten,
den hohen Stellenwert des geistlichen Spruches für die Überlieferung
und Aneignung mystischer Texte.

In einem Forschungsbericht von Rüdiger Blumrich wird die
handschriftliche Überlieferung des „Exemplars" und einzelner
Werke des „Exemplars" sowie die Drucküberlieferung der Werke
Seuses bis 1661 (mit Standortnachweisen!) beschrieben
(189-201: „Die Überlieferung der deutschen Schriften Seuses
"). - Beeindruckend im Blick auf das geleistete Arbeitspensum
beim Sammeln und Vergleichen einer großen Zahl von
Handschriften ist die Studie von Werner J. Hoff'mann: „Die
volkssprachliche Rezeption des .Horologium sapientiae'in der
Devotio moderna" (202-254). Anhand einer Analyse der Handschriften
der mittelniederländischen Übersetzung des „Horolo-
gium" (Liste!) wird die Rezeption dieses Textes in der Devotio
moderna aufgezeigt. Vorgestellt werden daneben drei weitere
Zeugnisse für die Wirkungsgeschichte des „Horologium": das
erste Kollatienbuch des Dirc van Herxen (1381-1457, Rektor
des Hauses der Brüder vom gemeinsamen Leben in Zwolle),
eine mittelniederländische Bearbeitung von Bonaventuras „Soli-
loquium" und ein in den Niederlanden weitverbreiteter Traktat
über die Tugend der Geduld. - Der rezeptionsgeschichtliche
Teil des Bandes wird beschlossen durch einen Ausblick ins 17.
Jh. von Birgit Boge: „Das frühneuzeitliche Köln als medialer
Ort der mystischen Frömmigkeit Heinrich Seuses: die deutsche
Ausgabe der Bücher und Schriften Heinrich Seuses von 1661"
(255-266). Geschildert werden die Umstände der Publikation
der Rückübersetzung der lateinischen Seuse-Ausgabe von Laurentius
Surius in Köln, das als „deutsches Rom" galt und sich
seit dem ausgehenden 16. Jh. zum führenden Verlags- und
Buchhandelszentrum für gegenreformatorisches Schrifttum entwickelte
. Die Edition ist signifikant für das Profil des Verlagsprogramms
von Friessem, das zugleich ein Bekenntnis ist.
Beachtenswert ist die in Gebetsform gekleidete Dedikation des
Verlegers an Seuse. Der Aufsatz basiert auf den Ergebnissen
der inzwischen gedruckten Dissertation der Vfn. über das Sortiment
der Kölner Offizin Wilhelm Friessem (Tübingen 1993).

Der vorliegende Tagungsband ist ein bedeutender Beitrag zur
Seuse-Forschung, der auch dadurch der weiteren Arbeit Impulse
geben wird, daß eine Reihe von Problemen und Fragen als
Desiderate der Forschung benannt worden sind.

Dresden/Leipzig Hans-Peter Hasse

Bonaventura: De Triplici via. Über den dreifachen Weg.
Übers, u. eingel. von M. Schlosser. Freiburg-Basel-Wien-
Barcelona-Rom-New York: Herder 1993. 228 S. 8° = Fontes
Christiani, 14. Kart. DM 28,-. ISBN 3-451-22118-7.

Anselm von Canterbury: Freiheitsschriften. De libertate arbi-
trii. Über die Freiheit des Willens. De casu diaboli. Vom Fall
des Teufels. De concordia praescientiae et praedestinationis et
gratiae dei cum libero arbitrio. Über die Vereinbarkeit des
Vorherwissens, der Vorherbestimmung und der Gnade Gottes
mit dem freien Willen. Übers, u. eingel. von H. Verweyen.
Freiburg-Basel-Wien-Barcelona-Rom-New York: Herder
1994. 382 S. 8» = Fontes Christiani, 13. Kart. DM 48,-. ISBN
3-451-22113-6.

Die Reihe Fontes Christiani hat neben altkirchlichen Dokumenten
bereits zweimal auch das Mittelalter berücksichtigt mit Texten
zur Klosterfrömmigkeit: Die frühen Kartäuserbriefe (Bd.
10, ThLZ 1993, 625 f.); die Lebensordnung des Regularkanoni-
kerstifts Klosterrath (Bd. 11,1/II, ThLZ 1994, 958 f.). Jetzt werden
zwei große Gestalten des Mittelalters vorgestellt: Bonaventura
war vermutlich 1243 als Student in Paris in den Franziskanerorden
eingetreten, der ihn 1257 in einer besonders spannungsvollen
Phase zum Ordensgeneral berief; 1273 wurde er
Kardinal und starb 1274 (9). Anselm von Aosta wurde 1033
geboren und trat 1060 in das Kloster Bec in der Normandie ein;
1078 wählte man ihn zum Abt, 1093 wurde er Erzbischof von
Canterbury. Im Kampf mit dem englischen König ging er zweimal
ins Exil, erst in den beiden letzten Lebensjahre (1107-1109)
„konnte Anselm erstmalig vom König unangefochten seinen
Amtspflichten nachgehen" (13). Bonaventura und Anselm hatten
großen Einfluß auf die Theologie und Frömmigkeit des Mittelalters
.

Bonaventuras Werke edierte Quaracci 1882-1902 in 10 Bänden
; die Schrift De triplici via steht in Band 8,3-18. Diese sehr
kleine Schrift wird jedoch für exemplarisch gehalten. Bonaventuras
Anliegen wird im Prolog umrissen, der wörtlich wiedergegeben
sei, um so auch die gelungene Übersetzung zu würdigen.
Er beginnt mit einem Bibelwort: „Siehe, dreifach habe ich sie dir
beschrieben... (Spr 22,20 Vg)". Daran schließt Bonaventura die
Sätze: „Da jede Wissenschaft das Zeichen der Dreifaltigkeit
trägt, muß insbesondere jene Wissenschaft, welche in der Heiligen
Schrift gelehrt wird, die Spur der Dreifaltigkeit aufweisen.
Daher sagt der Weise über diese Wissenschaft, er habe sie dreifach
beschrieben, da sie einen dreifachen geistlichen Sinn hat,
den moralischen, allegorischen und anagogischen. Dieses dreifache
Verständnis entspricht drei hierarchisierenden Akten, nämlich
der Reinigung, Erleuchtung und Vollendung. Die Reinigung
aber führt zum Frieden, die Erleuchtung zur Wahrheit, die Vollendung
zur Liebe. Hat die Seele diese drei vollkommen erreicht,
so bewirkt das ihre Seligkeit; insofern sie aber jetzt auf diesem
Weg wandelt, erlangt sie Wachstum ihrer Verdienste. An der
Erkenntnis dieser drei hängt die Wissenschaft von der ganzen
heiligen Schrift, ja an ihr hängt auch der Gewinn des ewigen
Lebens. Du mußt nun wissen, daß man sich, was diesen dreifachen
Weg angeht, auf dreifache Weise einüben kann: durch
betrachtende Lesung, durch Gebet und durch Beschallung" (95).
Im parallel gedruckten Urtext findet man die lateinischen Begriffe
: purgatio - illuminatio - perfectio sowie auch die noch wichtigere
Dreiheit meditatio - oratio - contemplatio (94).

Der Kommentar folgt den Überschriften der drei Teile: Meditatio
(41-56), Oratio (56-69), Contemplatio (69-89). Die
Schrift entstand nach 1259, eine genauere Datierung ist nicht
möglich. Sie verbreitete sich rasch und fand Leser vor allem im
deutsch-niederländischen Sprachraum, wo man sie eine „Summe
der mystischen Theologie" nannte; sie trug „entscheidend zu
Bonaventuras Ruhm als Lehrer des geistlichen Lebens bei und
gilt auch heute noch als ein Kleinod mittelalterlicher Mystik"