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Ausgabe:

1995

Spalte:

1085-1087

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Titel/Untertitel:

Heinrich Seuses Philosophia spiritualis 1995

Rezensent:

Hasse, Hans-Peter

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Theologische Literaturzeitung 120. Jahrgang 1995 Nr. 12

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ses auf die jüdische Minim-Einfügung in das Achtzehngebet.
Die besondere Krise, in die der johanneische Gemeinde verband
geraten sei. sei der Ausschluß aus der Synagoge gewesen. Man
kann das mit Jo 16.2-4 begründen. Aber es irritiert doch, daß Jo
16,2 ff. erst in einem (zweiten!) Nachtrag zur primären
Abschiedsrede erscheint. Wäre es nicht viel radikaler zu fragen,
warum es Überhaupt zur Aufnahme der Redegattung ins vierte
Evangelium gekommen ist? Wenn die Gattung in ntl. Zeit
besonders für apokalyptische Antworten geeignet erschien, sind
dann etwa die johanneischen Abschiedsreden - als der ideale
Ort für Fragen der Eschatologie! - das Feld, auf dem sich die
Auseinandersetzung zwischen der präsentischen und der „kirchlichen
" Eschatologie (was immer das heißen soll) hätte vollziehen
müssen? Das gilt noch mehr, wenn diese Abschiedsreden
redigiert, also in redaktionellen Schüben „gewachsen" wären.
Hier hätte man es also mit einem bevorzugten Ort zur Überprüfung
älterer Hypothesen (etwa der These Bultmanns zur Eschatologie
iles vierten Evangeliums) zu tun.

Aber solche Fragen wie überhaupt die gesamte historische
Fragestellung bleiben bei W. weitgehend ausgeklammert. Das
ist schade, und zwar um so mehr, als man den ersten Teil der
Untersuchung als eine Bereicherung empfehlen kann, doppelt:
a|s Versuefa der Verbindung all. und ntl. Fragen und als gelungenen
Schritt zur Entscheidung gattungsgeschichtlicher Fragen.

Borsdorf Gottfried Schille

Kirchengeschichte: Mittelalter

Blumrieh. Rüdiger, u. Philipp Kaiser [Hrsg.]: Heinrich Seu-
ses Philosophia spiritualis. Quellen, Konzept, Formen und
Rezeption. Tagung Eichstätt 2.-4. Oktober 1991. Wiesbaden:
Reichert: 1994. VIII. 271 S. gr.8° = Wissensliteratur im Mittelalter
. 17. Lw. DM 98,-. ISBN 3-88226-576-0.

Irn Rahmen der Arbeit des Sonderforschungsbereiches 226
l..Wissensorganisierende und wisscnsermittelnde Literatur im
Mittelalter". Würzburg/ Eichstätt) entstand der vorliegende
Sammelband, der insgesamt 13 Beiträge vereint. Entsprechend
der interdisziplinär angelegten Konzeption wurde das Werk
Seuses aus historischer, philologischer, philosophischer und
theologischer Perspektive untersucht Der thematische Bogen
ist weit gespannt von der Biographie und den Quellen Seuses
b|s bin /u Fragen seiner Theologie, Didaktik und Rezeption.
Die Reihe der Beiträge wird sinnvoll eröffnet durch die biographisch
orientierte Studie von Walter Senner OP: „Heinrich
Seuse und der Dominikanerorden- (3-31). Dargestellt werden
Seuses Selbstverständnis als Dominikaner, wichtige Stationen
seines Lebensweges wie Ausbildung und Studium sowie die
Station vor das Generalkapitel, wo Anklagen gegen ihn vorgebracht
wurden. Eingegangen w ird auch auf Konflikte und Richtungskämpfe
innerhalb der deutschen Dominikanerprovinz
-Teutonia". Symptomatisch sind die zahlreichen Absetzungen
von Priorei!. Trotz der Anfeindungen habe Seuse jedoch zu

einer persönlichen Spiritualität gefunden, die ..... nicht ohne

Verbindung mit dem dominikanischen Ordensleben ist und
nicht ohne Anspruch auf es." (30).

In kritischer Auseinandersetzung mit traditionellen und fest
etablierten Deutungsmustern (Denifle, Bihlmeyer u.a.) eröffnet
Loris Sturlese einen neuen, in mancher Hinsicht provozierenden
Zugang zum Verständnis des „Buches der Wahrheit"
(BDW). das als philosophische Abhandlung betrachtet wird
(32-48: „Seuses .Buch der Wahrheit': Versuch einer .vernünftigen
' Interpretation"). Für das bisher vernachlässigte BDW
Wird bewußt eine ..nicht-mystische", „vernünftige" Deutung angestrebt
. Der entscheidende Leitbegriff ist „vernunftikeit", wodurch
nach Seuse die Unterscheidung von wahrer innerlicher
„Gelassenheit" und falscher „Gelassenheit" ermöglicht wird.
Entgegen der bisherigen Kommentierung des BDW, die den
Text vor allem durch Aufweis von Parallelen bei Thomas von
Aquin zu erläutern suchte, wird besonders auf die Abhängigkeit
Seuses von Eckhart abgehoben, dessen Theorem „Deus est in-
telligere" Seuse übernahm und mit dessen Begriffsinstrumentarium
er Gott als „vernunftikeit" bestimmte. Hinzuweisen ist auf
die inzwischen erschienene, vom Sturlese und Blumrich hg. kritische
Ausgabe und Übersetzung des BDW (Hamburg 1993;
Philosophische Bibliothek 458), wo der Interpretationsversuch
inzwischen weitergeführt worden ist. - Rüdiger Blumrich bietet
nicht nur eine wertvolle Übersicht über die Autoritätsverweise
im „Büchlein der ewigen Weisheit", sondern zugleich eine
methodisch beeindruckend durchgeführte Fallstudie zur Auswertung
von Seuses Quellen (49-70: „Die gemeinü ler des
.Büchleins der ewigen Weisheit': Quellen und Konzept"). Die
Analyse der Quellen und die Beurteilung von deren Funktion
beruht auf der vom Vf. begründeten These, daß die in den
Handschriften enthaltenen Glossen mit Autoritätsverweisen
nicht nur Beigaben der Schreiber, sondern Bestandteil des Textes
sind, also auf Seuse als Vf. zurückgehen und demzufolge
einen hohen Quellenwert besitzen. An einzelnen Zitaten (Thomas
von Aquin, Bernhard von Clairvaux, Cassian ua.) wird
gezeigt, wie Seuse die Tradition in seinem Sinne verwendet und
umgeformt hat, wobei immer wieder die geistige Verwandschaft
Seuses mit Dionysius und Eckhart hervortritt, selbst
wenn diese im Text nicht expressis verbis genannt werden. -
Auch der Beitrag von Ruedi Imbach ist den Quellen Seuses
gewidmet: „Anmerkungen zu den thomistischen Quellen des
.Horologium sapientiae'" (71-83). Kritisch geprüft werden die
Thomasverweise der von dem Schweizer Dominikanerpater
Pius Künzle herausgegebenen Edition (Freiburg 1977). die von
der Tendenz geprägt ist, Seuses Verankerung in der Spiritualität
seines Ordens aufzuzeigen. Der von Künzle betonte Einfluß des
Thomas von Aquin wird jedoch durch die Analyse Imbachs
relativiert, da von den in der Künzle-Edition angeführten 79
Thomasverweisen (Liste im Anhang!) nur 14 Fälle nachgewiesen
werden können, bei denen es sich talsächlich um wörtliche
Anleihen bei Thomas handelt. Das „Horologium" ist demnach
keine „thomistische" Schrift, sondern vielmehr ein Text, der
auch andere Quellen voraussetzt.

Der lateinische Stil Seuses ist Gegenstand der Untersuchung
von Benedikt K. Vollmann (84-93: „Stil und Anspruch des .Horologium
sapientiae'"). Einige Wertungen können nicht überzeugen
: Ist es wirklich eine „Seusesche Stileigentümlichkeit", „Dinge
in der Schwebe zu lassen, sowohl das eine wie das andere zu
insinuieren" (91)? Der Vf. spricht in diesem Zusammenhang
regelrecht von einer „Unbestimmtheitsrelation". - Parallelen bei
Seuse und Eckhart im Blick auf den Vernunftbegriff sind wohl
der Grund, daß auch eine Studie über Eckhart in den Band aufgenommen
wurde: Georg Steer. „.würken vernünfticlichen': das
.christliche' Lehen nach den .Reden der Unterweisung' Meister
Eckharts" (94-108). Allerdings vermißt der Leser in dieser Eckhart
breit paraphrasierenden und zitierenden Darstellung eine
klare Strukturierung der Gedanken.

Philipp Kaiser zeigt, daß Seuses theologisches Denken ausgesprochen
christozentrisch ausgerichtet ist (109-123: „Die
Christozentrik der .philosophia spiritualis' Heinrich Seuses").
Die Christologie Seuses ist auf einen engen Themenkreis
beschränkt: den „Christus passus et crueifixus". Der gekreuzigte
Christus erweist sich als das Urbild des gelassenen Menschen
. Die Christozentrik von Seuses Theologie wird auch
durch die Studie von Peter Ulrich aufgezeigt: „Zur Bedeutung
des Leidens in der Konzeption der .philosophia spiritualis'
Heinrich Seuses" (124-138). Der Vf. arbeitet den Wandel von