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Ausgabe:

1995

Spalte:

1079-1080

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Löhr, Hermut

Titel/Untertitel:

Umkehr und Sünde im Hebräerbrief 1995

Rezensent:

Weiß, Hans-Friedrich

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1079

Theologische Literaturzeitung 120. Jahrgang 1995 Nr. 12

1080

Lohr. Hermut: Umkehr und Sünde im Hebräerbrief. Berlin-
New York: de Gruyter 1994. IX, 375 S. gr.8° = Beihefte zur
Zeitschrift für die neutestamentliche Wissenschaft und die
Kunde der älteren Kirche, 73. Lw. DM 168,-. ISBN 3-11-
014202-3.

Die vorliegende Arbeit, ursprünglich eine in der Schule von E.
Gräßer entstandene und von der Evangelisch-theologischen
Fakultät der Universität Bonn angenommene Dissertation, bietet
im einzelnen wie im ganzen weit mehr als das, was man
zunächst von einer „Anfänger"-Arbeit erwartet. Obwohl zunächst
mit einem speziellen, in der Auslegungsgeschichte des
Hebräerbriefes (Hebr) schon oft erörterten Thema befaßt, gehört
doch zu ihren grundlegenden Vorzügen die konsequente
Einbeziehung der auf die Lexeme „Umkehr" und „Sünde" bezüglichen
exegetischen Analyse in den Gesamtkontext und -
damit auch - in die Gesamtintention des Hebr als einer „Trost-
und Mahnrede" (13,22). Solches Verfahren des Vf.s ist in einer
bereits in der „Einführung" (1-10) ausgesprochenen Grundentscheidung
begründet: Die für den Hebr charakteristische „Verknüpfung
von hoher Theologie mit pastoraler Abzweckung"
zwingt alle exegetische Arbeit am Hebr dazu, „Gedankenduktus
, Intention und Wirkweise des Quellentextes herauszuarbeiten
, ohne daß dieser als absolute Geltung beanspruchende, zeitlose
Wahrheit akzeptiert oder verworfen werden müßte" (4).
Zugleich gilt aber auch: Indem die exegetische Arbeit am Hebr
„von einer rein produktionsästhetischen Betrachtungsweise zu
einer Berücksichtigung auch kommunikationswissenschaftlicher
Aspekte übergeht, versucht sie, den Text als Entwurf einer
- theologisch konzentrierten - Kommunikation für eine konkrete
historische Situation zu lesen. Gerade dadurch wird aber
geglückte Exegese andererseits auch Hilfe zu gegenwärtiger
theologischer Arbeit bieten" (ebd.). Von daher gesehen ist es
nur konsequent, wenn der Vf. am Ende seiner Arbeit über alle
exegetischen Einzelergebnisse seiner Untersuchung hinausgehend
„Perspektiven der Paraklese" vom Hebr her eröffnet (291-
297), in diesem Zusammenhang auch „homiletische Erwägungen
" formuliert und auf diese Weise jener „theologische(n)
Rechenschaftspflicht exegetischer Forschung" entspricht, an
die ihn sein Lehrer E. Gräßer immer wieder erinnert hat (1).

Was in der „Einführung" einerseits und in den abschließenden
„Perspektiven der Paraklese" andererseits programmatisch
ausgesprochen wird, erfährt in den beiden Hauptteilen der
Arbeit - „Sünde im Hebr" (11-135) und „Umkehr im Hebr"
(137-289) - die entsprechende Ausführung. Ohne daß im einzelnen
der traditionsgeschichtliche Hintergrund beider Lexeme
vernachlässigt wird, ist das Bemühen des Vf.s doch stets darauf
gerichtet, beide Lexeme in ihrem engeren wie auch in ihrem
weiteren Kontext zu analysieren und sie auf diese Weise im
Zusammenhang einer letztlich pastoral ausgerichteten Theologie
des Hebr insgesamt zum Verstehen zu bringen. Dies hat zur
Folge, daß hier über die ausdrücklichen Bezugnahmen auf das
Lexem „Sünde" hinaus (hier bes. auch zur Frage einer Unterscheidung
verschiedener Arten von „Sünde": 22-68) weitergehende
„inhaltliche Präzisierungen" anhand der „mahnenden und
warnenden Textpassagen" (von 2,1-4 bis hin zu 12,25-29) vorgetragen
werden (69-133), mit dem Ergebnis am Ende, daß die
„Sünde... dem Hebr nicht eigens Thema" ist, sondern daß der
Hebr „sich der Rede von der Sünde im Zusammenhang des entwickelten
Problems drohender Glaubenslosigkeit" bedient (134
f.). Also: Einbeziehung aller Rede von der „Sünde" in den
Gesamtkontext und damit auch in die Gesamtbewegung des
Hebr als einer „Trost- und Mahnrede", die eine im Glauben verunsicherte
Adressatenschaft bei dem Grund ihres Glaubens
behaften will.

Entsprechendes gilt auch für das Thema „Umkehr im Hebr":
Über die Analyse der einschlägigen Textstellen (6,1.6; 12,17:

139-162) hinaus werden auch hier die mit dem Stichwort
„Umkehr" verbundenen Vorstellungen in die Betrachtung einbezogen
(163 ff.), so insbesondere - im Zusammenhang mit 6,4
f. - das Thema der „Erfahrung des Heils" (188 ff.) sowie die in
diesem Zusammenhang vorliegenden „Drohungen" (215 ff.),
was die letzteren betrifft, mit dem Fazit:

„Dabei sind die Aussagen über Gericht, Strafe und Ausschluß vom Heil
für den Hebr keine theoretisch-abstrakten Theologumena. sondern sie
haben ihren Ort und ihre Berechtigung im Rahmen des Kampfes, welchen
der Vf. um das Glaubensleben der Adressaten, diesen zugute, führt. In einer
Situation der Gefährdung scheint es ihm unangemessen, bedingungslos
Heil... zu predigen" (235).

Solcherlei Überlegungen weisen dann freilich ihrerseits darauf
hin, daß der sog. Bußrigorismus des Hebr - trotz 10,25! -
nicht in einem Begründungszusammenhang mit einer „Naherwartung
" steht (229 ff, hier bes. 233 f.), sondern viel eher -
wenngleich im Hebr selbst nicht ausdrücklich ausgesprochen
(245 f.) - letztlich eine Konsequenz der im christologisch-sote-
riologischen Zentrum des Hebr entfalteten „Theologie der Einmaligkeit
" darstellt (242 ff., bes. 248 f. sowie 286 ff.). Gerade
so verweist der „Umkehr"-Rigorismus des Hebr die Adressaten
seinerseits wiederum auf die ihnen „ein für allemal" gewährte
Gabe zurück und legt ihnen nahe, sich als „Glaubende auf dem
Wege" zu verstehen (289; vgl. 294). In diesem Zusammenhang
trägt die (nicht primär an der historischen Situation, sondern an
dem im Hebr „sich aussprechenden theologischen Verstehen
christlicher Existenz ,in diesem Aon'" orientierte) Fragestellung
: „Wo stehen die Adressaten?" (250-285) wiederum wesentliches
zum theologischen - „und damit zugleich pastoral
bezogenen" - Gesamtverständnis des Hebr bei.

Einer vordergründigen Sachkritik am sog. Bußrigorismus des
Hebr ist damit die Legitimation entzogen. Im Sinne des Vf.s
schließt dies begründete Sachkritik - bis hin zur Frage nach der
Legitimität der „Drohpredigt" des Hebr (296, Anm. 18) - keineswegs
aus (288 und 294 ff), legt aber allen Auslegern des Hebr
die Verpflichtung auf, mehr als bisher die Integration der Lexeme
„Sünde" und „Umkehr" in den Gesamtzusammenhang der
Pastoraltheologie des Hebr entsprechend in Rechnung zu stellen.

In diesem Sinne und in dieser Ausrichtung ist das mit umfangreichem
Quellen- und Literaturverzeichnis (299-344) sowie mit
umfassenden Registern (345-375) ausgestattete Buch allen an der
theologischen Eigenart des Hebr Interessierten mit Nachdruck
zur Lektüre zu empfehlen. Der Rez. selbst gesteht gern ein, daß
er über alle Übereinstimmung in Grundfragen mit dem Vf. hinaus
für sein eigenes Verständnis des Hebr aus diesem bemerkenswerten
Buch mancherlei Neues zum Hebr gelernt hat.

Rostock Hans-Friedrich Weiß

Peres, Jacques-Noel: L'Epitre des apötres aecompagnee du
Testament de notre Seigneur et notre Sauveur Jesus-
Christ. Presentation et traduetion de Pethiopicn. Turnhout:
Brepols 1994. 149 S. 8° = Apocryphes, 5. ISBN 2-503-
50400-0.

Das Buch ist erschienen in: Apocryphes; collection de poche de
l'AELAC, in welcher Sammlung schon einige Apokryphen
erschienen sind. Der vorliegende Text ist eine anonyme Schrift
ohne Titel; der Titel wurde ihr von den Hgg. aufgrund des
Inhalts gegeben. Sie ist nur in den ersten Abschnitten ein „Brief
der Apostel"; der Hauptteil ist eine Belehrung des Auferstandenen
an seine Jünger vor seiner Himmelfahrt. Viele andere Apokryphen
berufen sich ja in gleicher Weise auf solche Offenbarungen
! Die vorliegende Ausgabe bietet die Übersetzung des
äthiopischen Textes dieser Schrift - es gibt daneben noch koptische
Versionen und Handschriften - nach dem Text von Louis
Guerrier; angeschlossen ist aufgrund derselben Textausgabe