Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1995

Spalte:

1077-1078

Kategorie:

Neues Testament

Titel/Untertitel:

Ist die Bibel richtig übersetzt? 1995

Rezensent:

Rohde, Joachim

Ansicht Scan:

Seite 1

Download Scan:

PDF

1077

Theologische Literaturzeitung 120. Jahrgang 1995 Nr. 12

1078

wäre es auch schwieriger gewesen, die Einheitlichkeit des Briefes zu behaupten
. Wegen der zu einfachen einleitungswissenschaftlichen Grundlö-
sung hat auch die in vieler Hinsicht einsichtsreiche Einzelinlerpretation an
Tiefe verloren.

In dem fünften und letzten Hauptkapitel untersucht die Autorin
die Verse 2Kor 11,30-12,10 und meint, daß sie durch die
Interpretation dieser Verse eine Bestätigung ihrer Grundergebnisse
bekommt. Sie findet hier drei eng zusammengehörende
Erlebnisberichte, von denen der erste (11,30-33) mit dem efcjü)
ävOfjcojroq, der zweite (12,1-7a) mit dem ßooo (ivOpojjrog und
der dritte (12,7b-10) mit dem „brieflichen Ich" des Paulus zu
tun hat. Schon die Art und Weise, wie die Abschnitte eng miteinander
verbunden werden, ist nicht problemlos: Im paulini-
schen Text scheint ja im Vers 12,1 ein neues Thema zu beginnen
, das nicht mit dem vorangehenden zusammengehört. Darüber
hinaus ist es nicht leicht zu glauben, daß Paulus selbst die
verschiedenen Teile seines „Ichs" mit Absicht auf diese Weise
geteilt hätte. Der spätere Leser könnte den Text vielleicht auch
auf diese Weise zu verstehen versuchen. Am wenigsten überzeugt
hier jedoch die Interpretation, daß die zwei ersten Erlebnisse
nur als Parodien zu verstehen seien, während Paulus erst
in dem letzten Erlebnis mit vollem Ernst schreiben würde.

Die Erzählung über die Flucht aus Damaskus wäre noch leicht als eine
selbstironische Erzählung aus dem „Hcldenlebcn" des Apostels zu interpretieren
. Daß aber auch die Erzählung über die Himmelfahrt des Paulus so
gemeint wäre, ist schwer zu glauben. Leichter wäre es, mit H. D. Bett den
ganzen Weg zu gehen und auch die dritte Erzählung Uber den Engel des
Satans als Parodie zu verstehen. Wenn die Parodie der Himmelfahrtserzäh-
lung darin zu sehen ist. daß der Apostel von seiner himmlischen Reise keine
Botschaft mitzubringen hatte, wäre die Parodie des „Offenbarungserlebnisses
" in den Versen 12.7b-9a ebenso gut darin zu sehen, daß der kranke Apostel
hier keine Heilung erhielt, wie Bei:, die Erzählungen folgerichtig interpretiert
. Im paulinischen Text haben die Leser - sowohl die ursprünglichen
wie die heutigen - keine wirkliche Möglichkeit, den vermeintlichen Wechsel
von der Parodie zum ernsten Stil mitten in der Perikope 12,1-10 zu merken
. Am besten versteht man die ganze Perikope als einen nicht parodi-
schen Text, in dem die Merkwürdigkeiten aufgrund des für Paulus schwierigen
Themas erklärt werden können. Obwohl die großen Linien der Auslegung
dieser Verse nicht überzeugen, findet man auch in diesem Kapitel
viele wichtige und zum Nachdenken einladende Einzelinterpretationen.

Die These, daß Paulus programmatisch sein Brief-Ich von
dem in den Gemeinden anwesenden Ich unterschieden hätte,
kann nicht als solche angenommen werden. Es leuchtet zwar
ein, daß die sich durch Briefe äußernde Person sich auf die eine
»der andere Weise von der anwesenden Person unterscheidet -
und darauf aufmerksam zu machen ist das Verdienst dieses
Buches -, aber die ganze Wirklichkeit, die hinter dem Text des
2Kor steht, ist komplizierter als die Autorin sehen will.

Helsinki Lars Aejmelaeus

Lapide. Pinchas: Ist die Bibel richtig übersetzt? Bd. 2.

Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 1994. 94 S. 8° = GTB,
1441. Kart. DM 14.80. ISBN 3-579-01441-2.

Im Jahre 1986 publizierte der jüdische Theologe und Neutesta-
mentler Pinchas Lapide in der Siebensternreihe den ersten Band
unter dem Titel „Ist die Bibel richtig übersetzt?" (vgl. meine
Rez. in ThLZ 113. 1988. 355-357). Ihm folgt nun in der gleichen
Reihe ein zweiter Band nach.

Bevor er sich an zahlreichen Einzelbeispielen mit Fehlübersetzungen
in den deutschen Bibeln auseinandersetzt, betont er in
einem ersten Kap. ganz stark das Judesein Jesu, der fest in den
Traditionen und Bräuchen des Judentums gestanden habe. Dazu
gehöre seine Beschncidung am 8. Tag des Lebens, seine Auslösung
im Tempel am 40. Lebenstag durch Marias Opfer von zwei
Täubchen, seine Bar-Mitzwa 02jähriger Jesus im Tempel)
während des Wallfahrtsfcstes in Jerusalem. Er versteht ihn als
pharisäischen Rabbi, der mit Ausnahme des Abstechers nach
Zareptha nie das Gebiet des Heiligen Landes verlassen habe.

Bei der Verkündigung der Jesus-Geschichte an ein heidnisches
Publikum im Mittelmeerraum in griechischer Sprache durch die
Endredaktoren der Evangelien sei aber nach der Zerstörung Jerusalems
im Jahre 70 ein politischer Keil zwischen Jesus und sein
Volk getrieben worden, d.h.. man habe versucht, ihn zu entjuden
und gar zu einem Gegner der Juden zu machen. Die Übertragung
der Geschichte Jesu in griechische Vorstellungsweisen sei dem
eigentlichen hebräisch-aramäischen Sitz im Leben Jesu nicht
gerecht geworden. So sei das Christentum zu der einzigen Wellreligion
geworden, deren Heiland Zeit seines Lebens einer anderen
Religion angehört habe, nämlich dem Judentum.

Viele Fehlleistungen bei den Übersetzungen seien inzwischen
leider sogar zu geflügelten Worten geworden, die sogar
in den säkularisierten Sprachgebrauch von Nicht-mehr-Christen
eingedrungen seien. Der Vf. möchte nun ohne jeden Synkretismus
den schädlichen Schutt an polemischem Geröll abzuräumen
suchen. Zur Förderung eines besseren ökumenischen Miteinander
fordert er, sich folgender Tugenden zu befleißigen:
der Konfliktfähigkeit und Dialogbereitschaft, einem Kompromißwillen
, einer Einfühlsamkeit und der Geduld.

Zum Beweis seiner These von den vielen antijüdischen Fehlübersetzungen
im Neuen Testament setzt er sich mit insgesamt
45 Beispielen aus der gesamten Bibel auseinander, von denen
im Rahmen dieser Rez. aber nur einige wenige genannt werden
können. Dabei unterscheidet er zwischen Übersetzungsfehlern
als typischen Fehlleistungen, die zum Schmunzeln veranlassen
sollten, und zwischen beabsichtigten und tendenziösen Übersetzungen
mit verleumderischen Entstellungen und Verzerrungen
des Sachverhaltes:

1. Judas sei kein Verräter gewesen und einen Judaslohn von 30
Silberlingen habe es gar nicht geben können, sondern Mt 27,5 sei
aus Saeh 11,2 f. herausgesponnen worden. Zur Zeit Jesu habe es
als Geldmünzen keine Silberlinge, sondern Denare, Minen,
Schekel und Drachmen gegeben. Das griechische Wort paradido-
nai heiße auch nicht verraten, sondern dahingehen oder überliefern
. Folglich dürfe es auch nicht in der Abendmahlsliturgie
heißen: „Unser Herr Jesus Christus, in der Nacht, da er verraten
ward...", sondern „... da er dahingegeben ward..." (47-49).

2. In der Darstellung von der Heilung des Blindgeborenen
liege beim 4. Evangelisten (Kap. 9,1-14) eine direkte Fälschung
des Markustextes von Kap. 8,22 ff. vor; denn It. Johannes
geschah sie am Sabbath, während bei Markus eine Wochentagsangabe
gänzlich fehle.

3. Falsch sei die Übersetzung im Wort vom Kamel und dem
Nadelöhr: Tatsächlich handele es sich um ein Schiffstau (gam-
ta), das zu dem hebr. Wort gamal (Kamel) mißverstanden sei.

4. Die Antwort Jesu auf die Frage nach der Berechtigung des
Zensus sei sowohl eine Absage an die römischen Okkupanten
als auch an ihre Kollaborateure im Inneren um des Reiches
Gottes willen gewesen, habe aber nichts mit der lutherischen
Zwei-Reiche-Lehre zu tun. die die Welt säuberlich teile in eine
Welt des Kaisers, selbst eines mit braunem Hemd, und die Welt
Gottes (58).

5. Bei dem Damaskuserlebnis des Paulus habe es sich nicht
um eine Bekehrung zu einer anderen Religion gehandelt, sondern
um eine Berufungsvision (epiklesis), denn sein Messias
Jesus sei für ihn zeitlebens Jude geblieben. Die sog. Bekehrung
vor Damaskus sei ein eindeutiger Übersetzungsfehler, tue Paulus
Unrecht und sollte ihm postum nicht länger angedichtet
werden (83 u. 85).

L. sucht den Lesern seines Buches also klar zu machen, daß
die Feindbilder und Fehlübersetzungen in den deutschen Bibelübersetzungen
nicht als unkorrigierbar gelten dürften, sondern
daß bei vielen Bibelstellen ein kritisches Überdenken des
Wortlauts der Übersetzungen notwendig sei.

Berlin Joachim Rohde