Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1995

Spalte:

1074-1077

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Bosenius, Bärbel

Titel/Untertitel:

Die Abwesenheit des Apostels als theologisches Programm 1995

Rezensent:

Aejmelaeus, Lars

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2, Seite 3

Download Scan:

PDF

1073

Theologische Litcraturzeitung 120. Jahrgang 1995 Nr. 12

1074

absehbarer Zeit neben einem zweiten Band zum Deuteronomi-
um und Deuteronomismus mit einem Band seiner wichtigen
Koheletstudien rechnen?

Naumburg/Erfurt Rüdiger Lux

Nägele, Sabine: Laubhütte Davids und Wolkensohn. Eine
auslegungsgeschichtliche Studie zu Arnos 9,11 in der jüdischen
und christlichen Exegese. Leiden-New York-Köln:
Brill 1995. XVI, 276 S„ gr.8° = Arbeiten zur Geschichte des
antiken Judentums und des Urchristentums, 24. Lw. Nlg
175.-. ISBN 90-04-10163-2.

Auf den ersten Blick erscheint die Konzeption der Studie (1993
in Tübingen als Dissertation angenommen) ungemein reizvoll:
sich auslegungsgeschichtlich der Auslegung des Textes Am
9.11 selbst anzunähern. Apg 15.16 f. ist dann gleichermaßen
Interpretation der jüdischen Bibel, Auseinandersetzung mit
deren jüdischer Auslegungstradition als auch „Brücke zur
christlichen Exegese von Am 9,1 1" (XII), die diachron, wie N.
formuliert, in ihren wichtigsten Auslegungen zu Wort kommen
soll (108). „Laubhütte Davids" und „Wolkensohn" versteht sie
als die beiden Pole der jüdisch-christlichen Auslegungsgeschichte
, die ausmündet in ihre „Eigene Exegese von Arnos
9.1 II" (159-220). Für den internationalen Gebrauch steht am
Schluß der Arbeit ein English Summary (223-238).

Im einzelnen findet N. in CD 7,15f. auf dem Umweg über das
Laubhüttenfest „die Tora als Laubhütte", die in der Qumrange-
meinde als dem wahren Israel aufgerichtet werde (16). Für den
eschatologischen Midrasch 4Q174 läßt sie „die Begriffe ,Zion-
Jerusalem-Heiligtum' sich überlagern, weil nämlich in den Tagen
Belials alle diese Größen durch die Qumrangemeinde repräsentiert
werden" (34), und assoziiert den „Sproß Davids" über
das Griechischen) mit Num 24,17 (28), so daß sich sagen läßt:
-Es ist daher nicht unmöglich, daß die Gemeinde, die sich selbst
als .heiligen Sproß' betrachtete (1QH 8,10) und den ,Sproß
Davids" hervorbringen würde (4QFlor 1,11: 4QpJesa), glaubte,
daß sich sein Laubdach, d.h. der Einflußbereich der Qumrange-
meinde, so weit ausdehnen würde, daß in dieser .Hütte Davids'
ganz Israel Rettung fände" (37). Die rabbinischc Auslegungsgeschichte
zeigt, daß die Stelle Am 9,11 nur einmal, nämlich in
bSan 96b. im strengen Sinn messianisch gedeutet wurde, u.zw.,
wie Nägele meint, auf den Messiasnamen „Wolkensohn". Diese
Singularität wurde Bestandteil des Buchtitels.

Das sog. ..Apostelkonzil" Apg 15 stellt, so N., die „architektonische
Mitte" der ganzen Apostelgeschichte dar. da sie den
Übergang zur Heidenmission markiere. Entsprechend bilde die
Auslegung von Am 9.1 1 im Rahmen von Apg 15,13-21 eine
Schlüsselstelle für die Entwicklung der Geschichte des Christentums
. Von der (archäologisch nicht verifizierbaren) Hypo-
these her, daß die Jerusalemer Urkirche in unmittelbarer Nachbarschaft
des sog. Essenerviertels ihren Sitz hatte (80). schließt
die Autorin auf einen lebhaften Austausch zwischen beiden
Gruppen und rekonstruiert die Gemeindeversammlung in Jerusalem
im Sinne einer qumranischen „Sitzung der (Gemeinde)-
Vollversammlung" (79). das sog. „Aposteldekret" als „Gemeindeempfehlung
" im Sinne von *sh 1QS 6,9 (80) und ermittelt,
daß „Form und Aussage der Prophetenstelle durch die Auseinandersetzung
mit den exegetischen Traditionen der Qumrangemeinde
geprägt wurden" (103). Demnach ist die Textwiederga-
be in Apg 15,16 f. als impliziter Midrasch (86) aufzufassen,
..die gefallene Hütte Davids" wie in Qumran als „ein Heiligtum
aus Menschen", die Gemeinde als das endzeitliche Jerusalem
bzw. der endzeitliche Tempel (91). Zwar besteht das endzeitliche
Heiligtum der urchristlichen Gemeinde aus Juden(christen)
und Heiden(christen) - worin man sich von Qumran trennt (95)

-, aber es stellt sich die Frage: „Wenn durch die Akzeptanz von
Heiden das Ritualgesetz relativiert wird, welche Geltung hat
dann die Tora überhaupt?" (105). Die Gebotsreihe der Gemein-
deempfehlung zeigt die Antwort, indem sie die Juden- und Heidenchristen
auf die .schöpfungsmäßigen Reinheitsvorstellungen
hinweist (106f.).

Ohne eigentliche Strukturierung der Auslegungswege notiert
N. - weder im Sinne exemplarischer noch vollständiger Darbietung
- in chronologischer Folge unterschiedliche exegetische
Meinungen von der Zeit der Alten Kirche zum Mittelalter
(wofür als einzige Gestalt Nikolaus von Lyra steht) über M.
Luther bis zur Aufklärung. Erst die neuere Auslegung (ab 1860)
wird in exegetischen Positionen grob zusammengefaßt: Die
„gefallene Hütte Davids" steht für Dynastie bzw. Königtum
Davids oder für das geteilte bzw. untergegangene davidische
Großreich. Und was sagt dann Nägele selbst? Das Modell des
Laubhüttenfestes zugrunde legend, bezieht sie die „Laubhütte
Davids" zunächst auf den Tempel (den David immerhin hat
bauen wollen, 213), dann von Jes 1,8 her auf Jerusalem und
bestimmt so - wie den Amosschluß, V. 11-15. insgesamt - Am
9,11 als ein Wort des Propheten des 8. Jh.s.

Mit ihrer Fülle sprachlich-formaler Mängel legt die Studie keine Ehre ein.
weder für den Verlag noch für die Wissenschaft. Anlage und Durchführung
erweisen die zunächst reizvoll erscheinende Konzeption des Buchs als Fehlgriff
, wie Wiederholungen, Einführung von Begriffen und Aussagen, die erst
später erklärt bzw. begründet werden. Ungereimtheiten in der Gliederung
indizieren. Merkwürdig finde ich u.a., dal5 Apg 15 nicht zur christlichen Auslegung
zählt, dafür aber M. Buber. daLi der Text Jes 1,8, der sich ja auf das
Jahr 701 bezieht, Voraussetzung für das Wort des ältesten Schriftpropheten
in Am 9,11 sein soll (wobei S. 183 aber durchaus zustimmend die Beobachtung
zitiert wird, daß die Formel „an jenem Tage" zur Einführung sekundärer
Passagen diene), daß wir sehr viel über die Assoziation Hütte und Laubhütte
erfahren, darüber aber die Bedeutung des Namens David gemäß der „Gna-
den/usagen an David" weitestgehend vernachlässigt wird.

Weingarten Roland Bergmeier

Neues Testament

Bosenius, Bärbel: Die Abwesenheit des Apostels als theologisches
Programm. Der zweite Korintherbrief als Beispiel für
die Brieflichkeit der paulinischen Theologie. Tübingen-Basel
: Francke 1994. XIII, 231 S. 8" = Texte und Arbeiten zum
neutestamentlichen Zeitalter, II. Kart. DM 84,-. ISBN 3-
7720-1862-9.

Warum schreibt der Apostel Paulus Briefe? Warum tut er das
auch dann, wenn er die Gemeinde hätte besuchen und seine
Botschaft persönlich vermitteln können? Die Autorin betont,
daß der paulinische Brief nicht nur ein Ersatz für einen unmöglich
gewordenen persönlichen Besuch ist, sondern eine eigenständige
positive besondere Rolle neben der persönlichen Anwesenheit
spielt. Es gibt Ziele, die Paulus nur durch Briefe,
nicht durch persönliche Gegenwart erreichen kann oder will.
Paulus benutzt den Brief als Mittel, schwierige theologische
Konflikte zu lösen, um bei Besuchen im positiven Sinn als Seelsorger
und Verkündiger der frohen Botschaft fungieren zu können
. Diese These versucht die Autorin durch den 2Kor zu
begründen.

Das Buch teilt sich in fünf Hauptkapitel. Im ersten Kapitel
kommen die Einleitungsfragen zur Sprache. Bei der Interpretation
des Inhalts des 2Kor spielen sie sowieso eine große Rolle,
und insbesondere, wenn die Motive des paulinischen Briefeschreibens
unter die Lupe genommen werden. Die Autorin
wählt bei den Einleitungsfragen eine sehr konservative Linie.
Sie meint, daß Paulus vor dem Abschicken des als einheitlich