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Ausgabe:

1995

Spalte:

1062-1064

Kategorie:

Allgemeines

Titel/Untertitel:

In the last days 1995

Rezensent:

Frenschkowski, Marco

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1061

Theologisehe Literaturzeitung 120. Jahrgang 1995 Nr. 12

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ständnisses von ..Jugendkultur" (Wolfgang Rat/mann. Helmut
Hanisch, Roland Biewald). Ganz offensichtlich sind Johannes
Hempel und die Festschrittautoren sich einig, daß viel intensiver
als bisher „die Sprache der Kirche den Menschen verstellbar
bleiben muß (8). Viele Beitrage in dem vorliegenden Band
zeugen davon, daß dazu auch die neue Erschließung alter Kulturfaktoren
innerhalb der Kirche gehört. Daß hierher im Freistaat
Sachsen auch das Musikschaffen Bachs (Martin Petzoldt)
und der Kirchenbau des Barock in der Oberlausitz (Hartmut
Mai) gehören, wird angemessen aufgezeigt.

Die auf Neues mutig hinweisende und auf bewährtes Alte neu
aufmerksam machende Festschrift stellt so etwas wie eine mögliche
neue Qualität von Festschriften vor, die in gewisser Weise
sogar zum verlängerten Sprachrohr für die Anliegen des jeweils
Geehrten werden könnten. (Diese Bemerkung souffliert natürlich
keinesfalls, daß Hempel mit allem Geäußerten nun auch einverstanden
sein müßte, aber - wie der Rez. weiß - hat er in einem
langen Kirchenleitungsleben mit Anregungen umzugehen gelernt
, die nicht in jedem Fall seiner Meinung entsprechen).

Auf dem Hintergrund obiger Anmerkungen mögen nun Themen
und Thesen verstanden werden, die die bunte Reihe der
Beiträge ausmachen. Häufig liegen ihnen bereits gehaltene Vorträge
zugrunde. Heutigentags vielgebrauchte Begriffspaare signalisieren
bisweilen den Spannungsbogen. Ulrich Kühn bezieht
theologisch-wissenschaftliche Verpflichtung und kirchliche Bindung
aufeinander. Beides kann nach des Vf.s Auffassung nicht
ohne einander sein: „Die wissenschaftliche Theologie ist insgesamt
der kirchlichen Praxis verpflichtet, ihre Arbeit... hat in der
Glaubens- und I.ebenspraxis der Gemeinde Christi, ihrem Gottesdienst
und ihrer Weltverantwortung ihren notwendigen Bezugspunkt
." (23) Matthias Petzoldl bezieht Fundamentalist«
und Säkularisierung aufeinander, wobei über das Wesen der
Säkularisierung weniger gesagt wird als über das gegenwärtig
viel verhandelte Phänomen des Fundamentalismus. Der Vf. rät
zu einen kritischen Umgang (49) mit diesem Ausdruck im Rahmen
„auch hermeneutischer Verantwortlichkeit". Das Bcgrills-
Paar „Recht und Gerechtigkeit" beleuchtet Christoph Kähler.
Keiner der beiden termini darf ohne den anderen sein: „Wer...
Gerechtigkeit ohne den langen Weg formalen Rechts sucht, wird
über kurz oder lang wieder bei der Diktatur landen." (61) Und:
--Ohne Ethik läuft auch wirtschaftlich auf Dauer nichts mehr.
Rechtsetzung und Rechtsprechung muß dem Rechnung tragen."

Ein weiteres ethisches Thema behandelt der Kirchenhistoriker
Kurt Nowak. ..Wie ging man mit den Antagonismen des
Kalten Krieges" in den protestantischen Kirchen Deutschlands
um? Der Vf. bemerkt kritisch: „Grosso modo wird man sagen
müssen, daß die Kraft zur Äquidistanz sowohl im Westen wie
im Osten in dem Maße erlahmte, in dem die europäische Nachkriegsordnung
... festzustehen schien." (158) „Zu Erfahrungen,
wie Blöcke und Mauern aufgesprengt werden, zählt unser Wissen
um die Kraft transnationalen solidarischen Denkens." Hier
haben wir durchaus Anleitungen zum künftigen Handeln! -
Nicht weniger kritisch geht der Alttestamentler Hans Seidel an
das weiterhin wohl unreflektiert gebrauchte „Königsbild Jesu"
in dem neuen Gesangbuch für unsere Kirchen heran. Er mahnt
-.Leitbilder! n I" an. ..die friedvoller sind" (165).

Es folgen 4 hochaktuelle Beiträge, die dem Generalthema
--Jugend und Kultur" gewidmet sind (Wolf-Jürgen Grabner.
Detlef Pollack. Wolfgang Ratzmann. Helmut Hanisch. Roland
Biewald). Das große wieder neue Thema Religionsunterricht in
der Schule begegnet hier selbstverständlich mit am konturierte-
sten. Alle Ausführungen machen den Lesern klar, daß jetzt
Neuland erkannt und betreten werden muß. Das ist auch zum
Schlußbeitrag von Jürgen Ziemer zu sagen, wenn er die kirchliche
Haltung zum „ganz, normale(n) Chaos der Liebe" untersucht
. In einer neuen „Ethische(n) Grundorientierung" erwartet
der Vf.. daß „die Kirche... Menschen unserer Zeil aul ihren so

unterschiedlichen Partnerschaftswegen begleitet" (283). Hier ist
wohl ein dringliches Thema eher kräftig angesprochen als
schon abschließend behandelt.

Gottfried Kretzschmar trägt etwas von den friedlichen Erfahrungen
eines Kurpredigerdaseins in Ost und West vor. Aber
auch er weist auf Unterschiede hin. und zwar bei der Kurseelsorge
„in der früheren DDR und dem Freistaat Bayern" (268).
so daß auch hier Reflexionsbedarf besteht.

Summa: Die Festschrift ist nicht nur einfach Lektüre, sie will
alle, denen Kirche und Theologie wichtig sind, aufrufen, der
neuen Stunde Gottes mit seinem Volk neue Wegmarkierungen
folgen zu lassen. Nicht zuletzt will ganz, gewiß dieses auch
Johannes Hempel, der auf diese gute Weise Geehrte!

Berlin Joachim Rogge

Jeppesen, Knud. Nielsen, Kirsten, u. Bent Rosendal [Ed.]: In
the Last Days. On Jewish and Christian Apocalyptic and its
Period. Aarhus: Aarhus University Press 1994. 261 S.. I Taf.
gr.SO. ISBN 87-7288-471-1.

Der angezeigte Band ehrt Benedikt Otzen zu seinem 65. Geburtstag
am 16. Dez. 1994. Warum diese Veranlassung nur aus
dem Vorwort und nicht aus dem Titelblatt ersichtlich ist. bleibt
allerdings unverständlich. Im Anschluß an ein zentrales Arbeitsgebiet
Otzens wird eine feine Sammlung von 20 Studien
meist aus dem Umfeld der Apokalyptik-Forschung geboten,
von denen mehrere für diesen ganz in Englisch gehaltenen
Band aus dem Dänischen übersetzt wurden. Die Autoren sind
weithin Kollegen und Schüler Otzens aus dem Umfeld der Universität
Aarhus.

Per Bilde versucht in seiner sicher mit Absicht an den Anfang
gestellten grundsätzlichen Studie "Gnosticism. Jewish
Apocalypticism and Early Christianity". ein allgemeines Modell
für die Entstehung der Gnosis zu umreißen, in dem diese im
wesentlichen als christlich gefilterte und variierte Fortschrei-
bung und Radikalisierung apokalyptischer Themen und Theolo-
gumena erscheint. Dabei bleiben seine Ausführungen allerdings
so allgemein, daß eine Besprechung nur schwer möglich ist,
zumal er auf jede Quellendiskussion verzichtet. Immerhin muß
eine Suche nach der traditionsgeschichtlichen Lebensmitte der
Gnosis wohl doch stärker nach dem Kristallisationspunkt fragen
, von dem her ihre Bausteine (Dualismus. Erlösermythos,
heilsvermittelnde Erkenntnis usw.) zusammenwachsen. Die
eigentliche crux ist dabei die intensive und gleichzeitig ahwer-
tend-antijüdische Heranziehung atl. Bezüge, ein Phänomen, das
für die Psychologie der frühen Gnosis (etwa 90-150 n.Chr.)
fundamental sein dürfte und von Bilde kaum thematisiert wird.
In statu nascendi kann das „Umkippen" jüdischer Traditionen ja
z.B. bereits im johanneischen Gebrauch des Begriffes ..die
Juden" gesehen werden, dessen Ambivalenz aus einer innerjüdischen
radikalisierten Frontstellung heraus zu erklären ist und
Parallelen in sektiererischen Verwendungen des Wortes ..Kirche
" hat. Es wäre zu fragen, welche spezifischen (von der späteren
Großkirche nicht geteilten) Bedingungen die gnostische
Form dieser Entwicklung ermöglicht haben. In Bildes Darstellung
wird nicht deutlich, warum nicht das gesamte Christentum
gnostisch wurde. Weiter muß eine traditionsgeschichtliche
Erklärung des gnostischen Dualismus (ein wichtiges Thema
Bildes) doch wohl zuvor präziser verschiedene Typen von Dualismen
unterscheiden (wie dies etwa Jürgen Becker geleistet
hat). Bildes Studie ist insofern ein Beitrag zu dem sich abzeichnenden
Konsens, daß die Bausteine der Gnosis zwar vorchristlich
sind, diese selbst aber nachchristlich ist: sie kann jedoch
den Vorgang der Rcligionswerdung der Gnosis nicht erklären.