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Ausgabe:

1995

Spalte:

1036-1039

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Breitenbach, Günter

Titel/Untertitel:

Gemeinde leiten 1995

Rezensent:

Hermelink, Jan

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Theologische Literaturzeitung 120. Jahrgang 1995 Nr. 11

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digt diese Methode und Denkhaltung als die nach seiner Meinung
für die Theologie .fundamentale' und er führt diese so
durch, daß er das personal-dialogische Leben als Bewährungsrahmen
seines theologischen Denkens und Redens wählt. Folglich
ist diese Apologetik des Glaubens als eine durchaus persönliche
und konfessorisch theologisch selbstreflexive Rechenschaft
vom Glauben zu verstehen. Das Ziel ist dabei, die theologische
Kompetenz seiner Leser - „zwei Grund-Operationen vollziehen
zu können, die ihrerseits wieder aufs engste ineinander verflochten
sind: die apologetische und die hermeneutische" (14) - zu
fördern; dies vor allem deshalb, um sie für den in der Zukunft
verstärkt zu führenden interreligiösen Dialog in rechter Weise
auszubilden.

Die Kriterien, die sich O. vorgibt, um sein Ziel zu erreichen,
sind: 1. das Streben nach theologischer Präzision und Anschaulichkeit
, 2. die Tradition der apophantischen (negativen) Theologie
aufzunehmen und 3.eine universalistische Haltung.d.h.die In
terdependenz der Religionen zu berücksichtigen (vgl. 7 f.). Interessant
und der Lesbarkeit des Buches durchgehend förderlich ist,
daß als ,Sitz im Leben" dieser Rechenschaft primär der Predigthörer
gewählt ist. Kennzeichen dafür sind die vielen - vor allem in
didaktisch hilfreicher Weise zu Beginn der einzelnen Kapitel -
ganz einfach und konkret formulierten Fragen. Ja - es gehört nach
O. zur Disziplin der personalistisch theologischen Methode
„wesentliche Fragen nicht auszulassen" (11). Die ganze Abhandlung
leidet allerdings darunter - und der Vf. ist sich darüber im
klaren - daß aufgrund der Fülle der angesprochenen Themen diese
vielfach nur sehr kurz erörtert werden; die Floskel: „dies wäre
einer besonderen Analyse würdig" (121) taucht (allzu) häufig auf.

2. Ott hat seine Apologetik in 34 Paragraphen gegliedert und
will damit anzeigen, daß hier nicht wahllos traditionelle fundamentale
Themen - Glaube. Goti. Offenbarung, Personalismus
u.a.) aneinander gereiht sind, sondern durchaus in Ansätzen
eine systematische Vorarbeit für eine fundamentaltheologische
Phänomenologie des Glaubens beabsichtigt ist. Nach einer kurzen
Einleitung (§1), welche die derzeitige dialogische Situation
und Nötigung zu einer theologischen Rechenschaft darlegt, teilt
O. seinen Stoff in fünf Kap.: 1. Rechenschaft (§§2-4); 2. Personalismus
(§§5-15); 3. Mysterium (§§16-19); 4. Verifikation
(§§20-28); 5. Verstehen (§§29-33). Ein .Ausblick' (§34) beschließt
die Abhandlung. Angehängt sind acht kleine Reflexionen
zu theologischen Begriffen, in denen ansatzweise die Diskussion
mit O.s bevorzugten theologischen Partnern (Rahner,
Barth, Pannenberg, Jüngel, E. Brunner, P. Tillich) geführt wird.
Obwohl O. immer wieder im Verlauf seiner Argumentation
den Dialog mit anderen theologischen Meinungen sucht, verweisen
diese Anhänge indirekt auf einen Mangel bzw. auf ein
Spezifikum des Buches: Eine klare Abgrenzung des dialogischtheologischen
Redens wird und soll nicht stattfinden, da O. eine
„nicht positionale, nicht-propositionale Theologie" (134) sich
konsequent zum Programm gemacht hat:

„Statt einer fremden Position sogleich /.u widersprechen, wird man also
eher geneigt sein, deren implizite, verhorgene Möglichkeilen der Konvergenz
auszuloten, etwa nach dem Modell: ,XY hat das zwar nicht so gesagt,
er hat es sogar explizit bestritten, aber nach seinem recht verstandenen
Grundanliegen hätte er es durchaus auch zugeben können. Es ist im Potential
seines Denkens mit angelegt.' Ich verhehle nicht, daß mir ein solches
Verfahren ungleich mehr Fingerspitzengefühl und geistige Anstrengung zu
erfordern scheint als die bisher übliche theologische Polemik." (137)

3. Wird im 1. Kap. der Begriff der Apologetik im Sinne einer
theologisch-wissenschaftlichen Rechenschaft als Wesen der
Theologie entfaltet, so im 2. Kap. ausführlich das Personale,
d.h. „die Wirklichkeit, der Wirklichkeitsraum, des Personseins
im weitesten Sinn, mit allen seinen Implikationen (z.B. nicht
nur dem individuellen Personsein, sondern auch dem gesellschaftlichen
Sein)" (18). Die Pointe dabei ist, daß die Explikation
eines Sachverhalts immer auch schon die Applikation, ein
zeitgemäßes Verstehen implizieren soll.

Im 3. Kap. wird - vor allem in Anlehnung an K. Rahner - das
Thema ,Gott' und Gottes Handeln (Heilsgeschichte) dargelegt
. O. versteht darunter eine .Seinsfülle', „über die sich
auch der menschliche Geist, der alle Dinge durchforscht und
hinterfragt, nie hinauszuschwingen vermag. In dieser Seiner
Fülle ist Gott dem Menschen gegenwärtig." (78) Da Gottes
Handeln in Jesus Christus universalen Charakter beansprucht,
muß die „Ganz.-Andersartigkeit" (87) der Heilsgeschichte im
Unterschied zur Profangeschichte betont werden. Um Mißverständnisse
diesbezüglich abzuwehren, geht O. im 4. Kap. auf
die notwendige Verifikation seiner theologischen Rede ein. In
den hier vorgelegten Abschnitten zum Problem der „Struktur
der religiösen Sprache" (§23) und zur „Geschichtlichkeit der
Wahrheit selbst" (§27) liegt in. E. ein Zentrum dieser Abhandlung
. Theologisches Reden ist nach O. immer in Symbolen verflochten
:

„Es lauscht auf den in den Bild-Worten anklingenden Wahrheitsanspruch
der ganz-anderen Wirklichkeit des Geheimnisses (welcher ein in sich differenzierter
Wahrheitsanspruch ist. für den christlichen Glauben zum Beispiel
differenziert nach den heilsgeschichtlichen Wirklichkeiten von Menschwerdung
, Kreuz. Auferstehung usw.), sinnt diesem Wahrheitsanspruch nach
und ist bestrebt, die personal-dialogische Wirklichkeit des Lebens im l icht
dieses Anspruchs auszulegen." (133)

Im 5. Kap. sichert O. sein Verfahren durch bekannte Hinweise
auf die Hermeneutik H. G. Gadamers nochmals ab. In den
abschließenden Hinweisen zu einer künftigen Phänomenologie
des Glaubens rekurriert er vor allem auf das Prinzip der phänomenologischen
epoche (Husserl) und versucht. Glauben als
intentionales Bewußtseinsleben gegen den Vorwurf, das reformatorische
,extra nos' aufzugeben, zu verteidigen.

4. Die Stärke von O.s Apologie einer Phänomenologie des
Glaubens liegt zweifellos darin, daß er - neben den schon erwähnten
konkreten Fragesiellungen - konsequent auf die theologische
und philosophischen Probleme aller phänomenologisch
ausgerichteten Theologie dadurch aufmerksam macht, daß er
gerade die phänomenologischen Schwächen seiner theologischen
Lehrer (Barth, Bultmann, Tillich) aufzuheben versucht. Sicher isl
theologisches Denken geschichtlich und vollzieht sich in einem
offenen Dialog; und sicher ist die Sache der Theologie sprachlich-
dialogisch konstituiert. Der deshalb von O. gestellten entscheidenden
Frage: „Welche Art von Wirklichkeit (und Wahrheit -
denn sie zeigt sich ja und wird erkannt) ist dies, die so heraufbeschworen
|sic!| wird, von der hier die Rede ist?" (125) bleibt er
mit seiner vagen Antwort: ...Sie muß existentieller Art sein, denn
sie wirkt offenbar als aufnehmendes Gefäß und zugleich als formende
Kraft der (Lebens-)Erfahrung." (ebd) allenfalls auf der
Spur. Die von O. selbst geforderte Präzision des theologischen
Denkens (7) bleibt jedenfalls weiterhin die Aufgabe einer phänomenologisch
intendierten Apologetik des Glaubens.

Hildesheim Werner Brändle

Praktische Theologie: Allgemeines

Breitenbach, Günter: Gemeinde leiten. Eine praktisch-theologische
Kybernetik. Stuttgart-Berlin-Köln: Kohlhammer 1994.
366 S. 8«. Kart. DM 49,80. ISBN 3-17-012848-5.

Daß die alte praktisch-theologische Disziplin der Kybernetik
dringend einer Revitalisierung bedarf, ist in den letzten Jahren
häufig, im Blick auf die wissenschaftliche Praktische Theologie
jedoch nahezu folgenlos festgestellt worden. Diese Zurückhaltung
dürfte mit der pragmatistischen, theologisch unreflektierten
Weise zu tun haben, mit der das Stichwort „Kybernetik" sowohl
Anfang der 70er als auch, in der Debatte zum Gemeindeaufbau,