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Ausgabe:

1995

Spalte:

1034-1036

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Ott, Heinrich

Titel/Untertitel:

Apologetik des Glaubens 1995

Rezensent:

Brändle, Werner

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Theologische Literatur/.eitung 120. Jahrgang 1995 Nr. 11

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Nur in der methodologischen Einleitung tritt gegenüber der
breiten Entfaltung des Schriftverständnisses, die sich durch eine
sensible Bearbeitung der Nöte und Sorgen eher biblizistisch orientierter
Gemeinden angesichts historischer Kritik auszeichnet,
die besondere Leistungsfähigkeit des methodistischen Quadrila-
terals in der Zuordnung von Schrift. Tradition, Vernunft und
Erfahrung überraschenderweise zurück. Dabei hat gerade Wes-
leys Betonung der Komplementarität von rationaler Vertretbarkeit
und Erfahrungsorientierung christlicher Glaubenslehre, die
er in seiner Auseinandersetzung mit den Vertretern des philosophischen
Rationalismus und Empirismus ausarbeitete, für heutige
theologische Reflexion eine wichtige Orientierungsfunktion.

In den materialen Teilen des Grundrisses führt die Orientierung
an Wesley zu einer soteriozentrischen Konzeption der
Theologie. Wesleys Unterscheidung von vorlaufender, rechtfertigender
(rettender) und heiligender Gnade (85) wird als Darstellung
der Offenbarungstrinität verstanden und als Struktur-
prinzip der Dogmatik in der Beziehung von Gottes schöpferischem
, versöhnendem und erneuerndem Handeln entfaltet (vgl.
224). Das hat zwei wichtige Konsequenzen: Die soteriozentri-
sche Konzeption führt erstens /u einer Konzentration auf das
Wirken Calles, wobei dieses Wirken als Ausdruck von Gottes
Wesen als Liebe verstanden wird. Eine explizite Entfaltung der
Gotteslehre, etwa in Form einer Lehre von den Eigenschaften
Gottes oder einer ausgearbeiteten Trinitätslehre fehlt. Ähnlich
in der Christologie: Sie ist ganz als christologische Soteriologie
und damit als Lehre vom Werk Christi konzipiert; die dabei
..vorausgesetzte" Lehre von der Person Christi bleibt implizit
(vgl. 160). In paralleler Weise wird die Pneumatologie als „die
andere Seite der Soteriologie" (189) entfaltet, wobei die im personalen
Wirken des Geistes vorausgesetzte Personhaftigkeit des
Gastes wiederum stillschweigende Voraussetzung bleibt.
Zweitens führt der soteriozentrische Ansatz auch zu einer
anthropozentrischen Konzeption der Dogmatik. Dies ist deutlich
darin dokumentiert, daß die Schöpfungslehre auf die
Erschaffung des Menschen als Ebenbild Gottes, als Gegenüber
seiner I .iebe, abzielt.

Dabei distanzieren sieh die Autoren nachdrücklich von der auch von
Wesley vertretenen Auffassung vom Verlust der Gottebenhildlichkeit im
Sündcnl'ull: ..Der Mensch hat seine Ebenbildlichkeil nicht geschaffen und
kann sie darum au ch gegen den Willen des Schöpfers, der sich selbst und
seiner Schöpfung treu bleibt, nicht zerstören." (1011 Mit dieser, auch exegetisch
begründeten Auffassung ergeben sieh allerdings auch gelegentlieh
Spanntingen zur Theologie Wesleys. der das Ziel des Kommens Christi als
die ..Wiederherstellung des Menschen als Gottes Ebenbild" und als „Erfüllt-
werden mit der Fülle Gottes" (161) interpretierte. Analog wird bei Wesley
die Wiedergehurt als Verwandlung in das Ebenbild Gottes (271) verstanden
, wobei die Wiedergeburt in der Heiligung ihr Ziel hat. die nichts
weniger ist ..als die Ebenbildlichkeit Gottes, die dem Herzen aufgeprägt
wird. Sie ist nichts anderes als die völlige .Gesinnung Jesu Christi'." (J.
Wesley ZU. 272)

Das Proprium methodistischer Theologie kommt besonders als
3. Teil zum Tragen, in dem die Wirklichkeit des Glaubens als
erlebte Gnade und gelebte Heiligung beschrieben wird. Hier werden
- auch dies ein in dieser Deutlichkeit im weltweiten Methodismus
besonderer Akzent - die reformatorischen Grundlagen
von Wesleys Glaubensverständnis detailliert und präzise herausgestellt
und Wesleys modifizierende Weiterentwicklung der
Rechtfertigungslehre durch die Lehre von der Wiedergeburt und
Heiligung als Grundlage gegenwärtiger Besinnung auf die Dynamik
der Lebenswirklichkeit des Glaubens entfaltet. Die Autoren
halten daran fest, daß ..die Verkündigung und das Leben der Heiligung
... nach Wesley die Existenzberechtigung der methodisti-
schen Bewegung" (280) ist. Während sie Wesleys arminianische
Ablehnung der Irrestibilität der Gnade teilen (vgl. 221) und in
der Kontroverse zwischen Wesley und Whitefield eindeutig für
Wesley Stellung nehmen, üben sie deutliche Kritik an Wesleys
Vorstellung der vollständigen Heiligung (entire sanetification)
als erreichbarem Zustand christlicher Vollkommenheit (vgl. 301

ff.). In der Behandlung des Themas von Rechtfertigung und Heiligung
ergeben sich so komplementäre Stärken und Schwächen
lutherischer und methodistischer Lehrbildung. Die lutherische
Tradition betonte nachdrücklich die Passivität der Konstitution
des Glaubens, neigte aber gelegentlich da/u, die aktive Gestalt-
werdung des passiv konstituierten Glaubens im christlichen
Leben zu vernachlässigen. Die methodistische Tradition hat ihre
Stärke in der anschaulichen Entfaltung der Dynamik des Glaubenslebens
als Praxis der gelebten Gnade, tendierte aber gelegentlich
dazu, dadurch die Passivität der Konstitution des Glaubens
undeutlich zu machen. K. und M. versuchen, diese Konsequenz
/ii vermeiden, indem sie die vorlaufende Gnade Gottes
ganz grundsätzlich als Grund der Möglichkeit menschlichen
Glaubens und Handelns interpretieren: „Gottes Gnade ist unserem
Tun immer voraus..." (408).

Im 4. Teil wird die Sozialgestalt der gelebten Gnade hinsichtlich
ihres Ursprungs, ihrer inneren Verfassung, ihrer Sendung
und ihrer Existenz in der Welt und für die Welt beschrieben.
Die Autoren sind in eindrucksvoller Weise bemüht, die faktische
Existenz real existierender Gemeinden der methodistischen
Kirche theologisch zu begreifen und theologische Leitlinien
für die Gestaltung ihres Gemeinschaftslebens zu formulieren
. Die Gemeinde, die „Geschöpf der Liebe Gottes" ist (vgl.
314 IT.). ist zur Teilhabe an der Missio Dei berufen (341 ff.) und
erfüllt als „Sozialgestalt des Evangeliums" (352) ihren Auftrag
in der Welt. Dabei ist intendier!, daß die in Kap. 3 dargestellte
Heilserfahrung des Einzelnen und das in Kap. 4 beschriebene
Leben der Gemeinde als komplementäre Seiten derselben Wirklichkeit
erlebter und gelebter Gnade verstanden werden.

Dieser Grundriß der Theologie aus methodistischer Perspektive
kann in unterschiedlichen Kontexten unterschiedliche Punktionen
erfüllen. Für die Ev.-methodistische Kirche ist sie eine
exemplarische Darstellung ihrer theologischen Grundlagen, die
zur gegenwärtigen Identitätsbestimmung der ..Leute, die Methodisten
genannt werden", einlädt. Dabei hat das konstruktive
Festhalten an den Themen der methodistischen Tradition und die
kritische Auseinandersetzung mit den Thesen Wesleys durchaus
paradigmatische Bedeutting für die Auseinandersetzung anderer
Denominationen mit ihrem theologischen Erbe. Im ökumenischen
Gespräch ist dieses Werk eine wichtige Hilfe zur Auseinandersetzung
mit den theologischen Akzenten, die der eigen
tümliche Beitrag des Methodismus zum Verständnis des gemeinsamen
christlichen Glaubens sind. In Deutschland ist damit
die Chance gegeben, die Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft
zwischen der EKD und der EmK mit Leben zu erfüllen.

Die evangelische Theologie wird durch dieses Werk mit aller
Deutlichkeit daran erinnert, daß die Botschaft von der Gnade
Gottes in Jesus Christus nicht eine abstrakte und unanschauli-
che theologische Richtigkeit ist, sondern in der konkreten Wirklichkeit
der gelebten Gnade Gestalt gew innen muß. Die theologische
Darstellung dieses Vorgangs ist bei allen unterschiedlichen
Akzentsetzungen ein zentrales gemeinsames Thema reformatorischer
und methodistischer Theologie.

Kiel Christoph Schwöbel

Ott. Heinrich: Apologetik des Glaubens. Grundprobleme einer
dialogischen Fundamentaltheologie. Darmstadt: Wiss. Buchgesellschaft
1994.212 S. 8°. DM 39,80. ISBN 3-534-12328-X.

I. Daß ausgerechnet ein Karl Barth-Schüler eine „Apologetik des
Glaubens" vorlegt, verwirrt auf den ersten Blick. Doch der
Untertitel von Otts Abhandlung verweist darauf, daß es dabei
auch nicht um die von Barth verachtete Verteidigung, sondern
um eine Einführung in die phänomenologische Methode der
Bewußtseinsanalyse des christlichen Glaubens geht. Ott vertei-