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Ausgabe:

1995

Spalte:

1019-1021

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Titel/Untertitel:

Zeitbegriffe und Zeiterfahrung 1995

Rezensent:

Keil, Günther

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1019

Theologische Literatur/.eitung 120. Jahrgang 1995 Nr. 1 I

1020

zwei Hypostasen durch die dritte des Heiligen Geistes zu erweitern
. Dagegen gilt bei ihm für die oberste Stufe der Gottheit
weiterhin die Doppelbestimmung, vovg xcd OTJoia und eke-
xetva vov xal ovoiag zu sein. Somit entsprechen also (bei
aller Verschiedenheit im einzelnen) die zweite und dritte Stufe
bei Plotin der ersten und zweiten bei Origenes.

Z. hat hier Entscheidendes gesehen, was die weitere Forschung
bestimmen wird. Nur als Relikte einer älteren Fragestellung
bei ihm können wahrscheinlich die weiteren Schritte
begriffen weiden. Obwohl ja doch jetzt nur noch ein Vergleich
von Logos und Weltseele sinnvoll wäre, steuert Z. weiterhin
den Vergleich von Heiligem Geist und Weltseele an, der aber
dann gar nicht durchgeführt wird und werden kann, weil Z. ihm
selbst die Grundlage entzogen hat.

Der Rahmen einer Rezension erlaubt nicht, auf alle in dem
interessanten Buch angeschnittenen Fragen einzugehen und ihre
Konsequenzen und Probleme aufzuzeigen. Nur einiges kann
genannt werden: Wie schon deutlich, enthält die Arbeit eine Reihe
vorzüglicher Analysen und Interpretationen. Freilich ergeben
sich auch gerade von diesen her Fragen. Als Fortschritt in der
Klemens-Interpretation ist gewiß auch die Einsicht anzusehen,
dal.i Klemens zwar Einzelaussagen zum Logos macht, diese aber
kaum zu einem Gesamtbild systematisiert werden können. Doch
muß nun gefragt werden, ob Z., nicht genau dieser Versuchung
erliegt, wenn es um den Heiligen Geist bei Origenes geht. Auch
hier zeigt Z. sehr schön auf, wie von Kontext und Intention der
einzelnen Texte her sehr verschiedene Aussagen möglich sind,
die sich z.T. auch widersprechen. Dennoch versucht er hier zu
systematisieren, was zu Aussagen führt, die so nicht bei Origenes
stehen (z.B. über die gemeinsame Natur Gottes).

Ein leidiges Problem ist der Gebrauch des Begriffs „Hypostase
". Hier gehen ein aus den Quellen erhobener und ein forschungsgeschichtlicher
Begriff durcheinander (176-181. 228-
236). Origenes ist der erste, der den Begriff im Plural und spezifisch
gebraucht hat; wie fest er bei Plotin geprägt ist, darüber
kann man streiten. Das späte Eingeständnis, es wäre „sachlich
angemessener, statt von einer Drei-Hypostasen-Lehre von einer
Drei-Prinzipien-Lehre Plotins zu sprechen" (181), hilft gar nicht
weiter, da der eigentliche Gegensatz verwischt ist: {utootuoic
soll ja etwas sein, das aus etwas anderem stammt (177). also
etwas Abgeleitetes, (toyij aber meint etwas unter dem Gesichtspunkt
der Ursprünglichkeit. Nichtsdestoweniger spricht Z. regel-
mäßig on der „Trinitätslehre des Origenes" und der „Drei-
Hypostasen-Lehre Plotins". Die Verhältnisse werden dadurch
nicht einfacher, daß Z. hier bei den irreführenden Ansichten von
Dörrie geblieben ist. Ich werde mich an anderer Stelle ausführlicher
dazu äußern.

Diese Anmerkungen sollen den Wert eines Buches nicht
schmälern, das uns ein Stück in der Kenntnis des 2. und 3. Jh.s
voranbringt.

Greifswald Hans Georg Thümmel

Philosophie, Religionsphilosophie

Baumgartner, Flans Michael [Hrsg.]: Zeitbegriffe und Zeiterfahrung
. Freiburg-München: Alber 1994. 314 S. 8° = Grenz-
I ragen, 21. geb. DM 78,-. ISBN 3-495-47799-3.

„... eine Antwort auf die Leitfrage nach der Einheit der aus verschiedenen
Zeiterfahrungen des Menschen hervorgehenden
Zeitkonzepte wurde indessen nicht gefunden. Vermutlich auch
deshalb nicht, weil einerseits die Basis/eit allzu schnell und fast
unreflektiert immer wieder von der physikalischen Zeit... aus

verstanden wurde, und weil andererseits eine schlüssige philosophische
Anthropologie der Zeiterfahrungen, die die Einheit
der Zeit in der Vielfalt ihrer Begriffe aus einer Grunderfahrung
von Zeit und Zeitlichkeit verdeutlichen könnte, nach wie vor
fehlt." (300) Mit diesem Satz, der das Resultat gut zusammenfassen
kann, endet das Buch, das die Beiträge und Diskussionen
auf der Jahrestagung 1992 der Görres-Gesellschalt für interdisziplinäre
Forschung (Naturwissenschaft - Philosophie - Theologie
) wiedergibt. Die Frage nach der Zeit endet offen, ein auch
nur einigermaßen einheitliches Resultat in einer Frage, die den
Menschen wie kaum eine andere angeht, ist nicht in Sicht. Dennoch
behandelt das Buch so viele und interessante Teilaspekte
der Zeitproblematik aus den verschiedensten Forschungsbereichen
(Physik, Biologie, Medizin, Meßtechnik, Philosophie.
[kath.| Theologie), daß es sich sehr zu lesen lohnt. Der erste
Beilrag „Zeit in Natur und Universum" von Hans Fahr. Bonn,
behandelt physikalische Aspekte der Zeit und der Zeitmessung.
Gegen die sich aus der Relativitätstheorie nahelegende Symmetrie
der Zeit, also ihre Umkehrbarkeil wird aufgrund des Entropieverlustes
in geschlossenen Systemen, einem unumkehrbaren
Vorgang, vorläufig, aber bewußt auch nur vorläufig die unumkehrbare
gerichtete Zeit, der Zeitpfeil bevorzugt. Dabei bleibt
freilich Zeit letztlich bewußtseinsbezogen, „weil sie nichts als
die eigentliche Weise unseres Bewußtseins ist, sich überhaupt
Ereignisse und Geschehnisse als etwas Bewußtseinstranszendentes
gegeben zu machen." (44) Deshalb entspringt der Zeitpfeil
, also die ausschließliche Vorwärtsgerichtetheit der Zeit,
letztlich unserem Willen: „Das Vorwärts in der Zeit ist die
Manifestation unseres Willens, mit dem wir immer schon über
unser Bewußtsein hinausgehen." (44)

Der zweite und dritte Beitrag „Biologische Uhren. Zeit in
biologischen Systemen" von Karl Decker, Freiburg i.Br. und
„Zeit als Aufgabe für die Lebewesen" von Wolfgang Wickler,
München, behandelt das Problem von biologischen Aspekten
bzw. solchen der Verhaltensforschung her. Decker gehl den
„biologischen Uhren", also der inneren Zeitwahrnehmung verschiedener
Lebewesen nach, wie und in welcher Form diese die
für ihr Überleben so wichtige Zeitempfindung gewinnen. Obwohl
der Nichtbiologe hier die Tatbestände einfach hinnehmen
muß, liest er doch sehr interessiert, wie und wodurch die einzelnen
Lebewesen je verschieden sich in die Zeit einfügen und sie
sich zunutzemachen. Wickler plädiert ebenfalls für den Zeitpfeil
und zwar von evolutionären Theorien her: Wer eine Entwicklung
durch Anpassung an die Lebensumslände annimmt,
kann schon vom Entwicklungsgedanken her nur eine einseilig
nach vorn gerichtete Zeit annehmen. Nur bleiben dabei die Fragen
, ob denn ein höherentwickeltes Wesen wirklich seiner
Umwelt angepaßter sei als ein weniger entwickeltes (sie leben
doch beide gleich gut); und ob nicht biologische Abläufe, ilie
grundsätzliche Aussagen über Zeit machen sollen (75). nicht
selbs! schon Zeit voraussetzen, über welche Basiszeit dann gar
nicht reflektiert wird. Zum Schluß werden weltanschauliche
f ragen diskutiert. Wie von der evolutionären Theorie her zu
erwarten, ist dabei der Pragmatismus kaum noch zu überbieten
- wie z.B. bei der Frage nach der Ewigkeit: „Also kann die
Erwartung einer kompensierenden Ewigkeit das Leben gesünder
machen und liefert dann sogar einen unmittelbaren Anpassungsvorteil
." (100) Das ist zwar nur von der Verhaltensforschung
her gesagt: aber läßt sich von daher überhaupt über
Weltanschauung etwas sagen, ohne in eine metabasis eis allo
genos zu geraten?

Der Beitrag von Hermann Hepp, München. „Die Zeit des
Menschen. Anthropologische und medizinische Aspekte" beschäftigt
sich mit der Entstehung und dem Sterben menschlichen
Lebens als den Grenzmarken unserer Lebens„zeit". Er
bleibt in gutem Sinne rein medizinisch, auch wo ethische Probleme
tangiert werden, und vermittelt auch dem Nichtmediziner