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Ausgabe:

1995

Spalte:

1005-1008

Kategorie:

Neues Testament

Titel/Untertitel:

The Book of Acts in its ancient literary setting 1995

Rezensent:

Wolter, Michael

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Theologische Literaturzeitung 120. Jahrgang 1995 Nr. 11

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schied /ur Umwell hervor und betont: „Das häufige Vorkommen
und die qualitative Bedeutung der Exorzismen bei den
Synoptikern gegenüber der nicht-christlichen Exorzismusüberlieferung
der Antike ist eines der frappierendsten Ergebnisse
der vorliegenden Untersuchung" (428). Doch wenn diese Feststellung
dann schnurstracks theologisch ausgemünzt wird, wird
man den Vf. an seinen eigenen soziologischen Weg der Erklärung
der frühjüdischen Phänomene erinnern dürfen (291)
und betonen: Die synoptische Sonderstellung insgesamt kann
ebenfalls durch eine soziologische Erklärung gedeutet werden:
In der weitgehend traditionalen Umwelt des Neuen Testaments
geht viel mündliche Tradition verloren. Nur der Literarisierungsprozeß
der Jesustradition bewahrte ausnahmsweise für
diesen Bereich solche erzählten Exorzismen. Jedenfalls bezeugen
für die Synoptiker Stellen wie Lk 9.49 f. par; 11.19 par
doch eher die Auffassung: Abgesehen von ihrer spezifischen
Deutung (Lk 11.20) ragen Jesu Exorzismen aus der Umwelt
nicht besonders heraus.

Der aktualisierende Ausblick (431 ff.) hebt heraus, daß der
Auftrag Jesu an die Jünger. Dämonen auszutreiben, ein niemals
abgegoltener Auftrag an die Kirche bleibt. Nur die verschiedenen
Verständnisse des Dämonischen fühlen zu verschiedenen
Einlösungen des Auftrags. Dabei wird man Matthäus folgen
sollen und die Exorzismen unter die charismatischen Heilungen
einordnen (432). Jedenfalls sollte man die (iahe der Heilung
nicht den Freikirchen und Sekten überlassen (434). Wird hier
nicht doch zu direkt und glalt ein Aspekt antiker Wirklichkeits-
deuiung ausgezogen? Muß man nicht doch grundsätzlicher
anfangen und fragen, wie man mit dem ..Fremden" bei Jesus
und dem Urchristentum insgesamt umgehen sollte, bevor man
einen solchen Linzelaspekt so glatt aktualisiert'.'

Am Schluß bleibt zu betonen, daß der matthäische und religionsgeschichtliche
Hauptteil so gründlich und eindringlich zu
W erke gehen, dal.! das Buch einen deutlichen Gewinn für die
ntl. Forschung darstellt.

Kiel Jürgen Becker

Winter. Bruce W [Ed.]: The Book of Acts in Its First Cen-
tur Setting 2: The Book of Acts in Its Graeco-Roman Set-
ting. Ed. by D. W. J. Gill and C. Gempf. Grand Rapids: Eerd-
mans: Carlisle: The Paternoster Press 1994. XIII. 627 S.
gr.8<>. ISBN 0-8028-2434-X u. 0-85364-564-7.

Nur wenige Monate nach dem ersten Band dieses auf sechs
Bände angelegten Reihenwerkes (s. ThLZ 120, 1995, 38-42)
erscheint bereits der zweite, dessen Beiträge der Darstellung der
historischen, geographischen, kulturellen und sozialen Kontexte
der hellenistisch-römischen Welt gewidmet sind, in die der Vf.
der Apg die pln. Mission einzeichnet. - Die Hgg. haben die
Aufsätze zu zwei Gruppen zusammengestellt.

Die sieben Beiträge des ersten Teils ("Cultural and Social
Issues") orientieren sich an einzelnen Sachthemen: Für B. M.
Rapske (Acts, Travel and Shipwreck, 1-47) zeigen die lk und
pln Reiseangaben Paulus als einen „unerschrockenen" ("intre-
pid", 6) Reiseprofi, der auch ungünstigen Reisebedingungen getrotzt
habe.

So habe er nur deswegen in Korinth überwintern wollen (I Kor 16.50. um
der Gemeinde Gelegenheit /u gehen, ihn bei seiner weiteren Mission zu
unterstützen (5). Die ephesischen Presbyter hätte Paulus deswegen nach
MHet gebeten (Act 20.17). um der Zuneigung der ephesischen Gemeinde
(daß die sehr groll gewesen sei. zeige Act 20,36-38) zu entgehen: Hätte er in
Fphesus selbst Station gemacht, wäre er zu einem zeitraubenden Aulenthalt
genötigt worden. Auf neutralem Territorium hingegen sei er mit einer kurzen
Unterbrechung davongekommen (15 ff.). Lukas erweise sieh in den
Sehilderungen der Details der pln. Reisen als mit den allgemeinen Reiseumständen
seiner Zeit so eng vertraut (wie sollte er auch nicht?), daß er aus
diesem Grunde als intimer Kenner, wenn nicht gar als Teilnehmer der von
ihm berichteten Kreignisse gelten müsse.

D. Fronch (Acts and the Roman Roads of Asia Minor. 49-58)
zeigt, daß - anders als bei der 1. Missionsreise - die Stationen
der beiden anderen nicht durch gut ausgebaute Verkehrswege
miteinander verbunden waren. Paulus habe auf diesen Reisen
die Hauptverkehrswege und größeren Städte Kleinasiens
gemieden, weil er "hostile public, civic and official attitudes"
(58) aus dem Wege gehen wollte. - B. W. Winter (Acts and
Food Shortages. 59-78) gehl es darum. Act 11.27-30 in den
Umgang mit kaiserzeitlichen Nahrungsmittelverknappungen
einzuordnen. Hier sei das Amt des curator annonae von Bedeutung
, dessen Aulgabe es war. den überhöhten Getreidepreis zu
drücken und dafür auch die Beteiligung der reichen Polis-Bür-
ger zu gewinnen.

Winter hält es für möglich, daß der in Act 13.1 erwähnte
Manaen aufgrund seiner Herkunft und Beziehungen sowie sei
nes Vermögens diese Funktion übernommen habe (75). Er sieht
aber den besonderen Charakter der in Act I 1.291 beschriebenen
Hilfsaktion darin, daß nicht nur die wohlhabenden Christen sich
an ihr beteiligt hätten, sondern „alle" Angehörigen der antio-
chenischen Gemeinde "who could work" (76).

In Chapter 4 sind unter der Überschrift "Acts and Roman
Religion" zwei Beiträge zusammengefaßt: D. W. J. Gill (Religion
in a Local Setting, 80-92) gibt einen gedrängten Überblick
über die lokalen Kulte, die für die von Paulus besuchten provin-
zial-römischen Städte bezeugt sind, ohne dabei jedoch auf
Antiochien und Korinth einzugehen. -B.W.Winter (The Imperial
Cult, 93-103) will die Motivation, die hinter dem von den
korinthischen Juden vor Gallio gegen Paulus erhobenen Vorwurf
(Act 18,121) steht, historisch verständlich machen.

Er gräbt dafür die ..wissenschaftliche Legende" (so schon H.
Conzelmann1) vom Judentum als „religio licita" wieder aus
und behauptet, die Ankläger des Apostels hätten gehofft, daß
Gallio das Christentum zur „religio illicita" erklärt (101). Dieser
habe sich jedoch verweigert und im Christentum eine jüdi
sehe Sekte "and therefore religio licita" gesehen (ebd.). W.s
Rekonstruktionsversuch basiert auf einem unhistorischen Kon-
strukt und muß darum als gründlich mißlungen gelten.

I). W. ./. Gill (Acts and the Urban Elites. 105-1 18) setzt sich
mit der sozialgeschichtlichen Untersuchung von W. A. Mceks-
auseinander:

Während dieser sieh in bezug auf den sozialen Status der Urchristen vor
allem auf die pln. Briete stützte und die Angaben der Apg für eine anachronistische
Fiktion hielt, will G. die Angaben der Apg historisch ernster nehmen.
Er kommt dann auch ZU dem Ergebnis - und hierbei grenzt er sich erneut von
Meeks ab -. daß sich die urchristlichen Gemeinden nicht lediglich aus den
"levels in between"' zusammensetzten, sondern auch in den »elite familics«
der provinzialrömischen Städte Fuß gefaßt hätten (117). So groß ist der
Unterschied freilich nicht, denn es gelingt auch G. nicht, in der Apg einen
Christen namhaft zu machen, der dem ordo equester bzw. senatortut
angehörte, und daß Eraslus (Rö 16.23) mit dem gleichnamigen korinthischen
aedilii und decurio identisch ist. dürfte mehr als zweifelhaft sein-*.

Abgeschlossen wird ditfser 'feil des Bandes durch ilie tun
langreiche Darstellung von Ii. Blue (Acts and the House
Church, I 19-222 mit einem Anhang von 34 Abb.). deren Wert
vor allem in der Präsentation des archäologischen Materials
liegt. Sie hat nicht die frühchristlichen Hausgemeinden zum
Gegenstand (insofern ist der Titel etwas irreführend), sondern
ist archäologisch und architekturgeschichtlich angelegt: Ks geht
um das Haus als Gebäude, in dem die Gemeinden ihre gottesdienstlichen
Versammlungen abhielten, und der Beitrag liefert
einen ganz instruktiven Überblick über die diesbezüglichen
äußeren Rahmenbedingungen des frühchristlichen Gemeindelebens
.

Der zweite Teil des Bandes ("Provinces") ist geographisch
orientiert und stellt in insgesamt sieben Beiträgen die römischen
Provinzen sowie Rom und Italien vor. die Paulus nach
der Darstellung der Apg bereiste). Zusammengestellt werden in
der Regel die bereits bekannten wesentlichen Daten zur Topo-