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Ausgabe:

1995

Spalte:

1001-1002

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Kirchhoff, Renate

Titel/Untertitel:

Die Sünde gegen den eigenen Leib 1995

Rezensent:

Haufe, Günter

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Seite 1

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Theologische Literaturzeitung 120. Jahrgang 1995 Nr. 1 I

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continuous with IsraeTs Scripture because it reads that Scriptu-
re the way that Scripture reads itself." (Paul and the Scriptures,
63) Aul diese Weise verliere die Analyse "its critical force and
falls into tnere descriptiveness" (ebd.). Für Green läßt sich nicht
bestreiten "that the narrative of election and promise that Paul
sees in Israel's Scripture is completed by something outside the
Scripture. something on-scriptural" (62). Aus entgegengesetzter
Richtung kommt die Kritik von Beker: Hays habe die Spannung
von Gesetzesgerechtigkeit und Glaubensgerechtigkeit bei Paulus
vorschnell eingeebnet (68). Auch hier sieht sich Hays also
einer Doppelfront gegenüber. Dabei ist man als Leser natürlich
auf die Antwort von Green besonders gespannt: Hays zitiert
zur Verteidigung Rö 3.21.31 - bietet zunächst also wieder die
von Green kritisierte Textbeschreibung, der es in der Tat dann
auch in der Fortsetzung an der notwendigen analytischen Klarheit
fehlt: Der Anspruch der Schriftgemäßheit des Christusge-
schehens (IKor 15.3-5) und die Inanspruchnahme von .Gesetz
und Propheten" als Zeugen der geoffenbarten (!) Gottesgerechtigkeit
(Rö 3.21) sind nicht durch literarische Analyse (der in
der Tat vielfältigen Rückbezüge auf die Schrift) zu legitimieren.
Das weiß auch Hays (82 f.). Nur - warum ist er dann nicht
bereit, daraus auch Konsequenzen zu ziehen'.' Warum gesteht er
Green nicht zu, daß das Christusgeschehen tatsächlich nicht
Gegenstand von „Gesetz und Propheten" ist. aber daß gerade
deshalb „Gesetz und Propheten" neu gelesen werden können -
ja müssen?

Münster Dielrich-Alex Koch

Kirchhof!'. Renate: Die Sünde gegen fjcn e{genen Leib. Studien
zu rtÖQVTJ und JtOQvelct in IKor 6.12-20 und dem sozio-
kulturellen Kontext der paulinischen Adressaten. Göttingen:
Vandenhoeck & Ruprecht 1994. 227 S. gr.8<> = Studien zur
Umwelt des Neuen Testaments. 18. geb. DM 74.-. ISBN 3-
525-53372-1.

Die herkömmliche Exegese von IKor 6.12-20 geht davon aus.
daß sich Paulus gegen den Sexual verkehr erklärter Libertinisten
der korinthischen Gemeinde mit nichtchristlichen Prostituierten
wendet. Dabei dominiert die Frage nach der theologischen Begründung
dieses Verhaltens, nicht die Frage nach seinem so-
zio-kulturellen Kontext. Die hier anzuzeigende, von Chr. Bur-
chard betreute Heidelberger Dissertation hat sich die Aufgabe
gestellt, diese geläufige Sicht der Dinge im Rahmen einer
semantischen und sozialgeschichtlichen Fragestellung erheblich
zu korrigieren.

Kap. I geht dem Sprachgebrauch von pörne und porneia in
jüdischen und paganen Texten nach, um anschließend den
Lebensraum der Prostituierten zu erhellen. Die semantische Untersuchung
ergibt, daß Paulus mit pörne eine Frau bezeichnet, die
in der Regel eine Prostituierte ist. deren generelles Merkmal aber
darin besteht, daß für sie ein Christ nicht der einzige Sexualpartner
ist. Nicht alle pörnai sind Prostituierte, und porneia bezeichnet
den regelwidrigen Sexualverkehr überhaupt. Sozial sind die
Prostituierten vor allem Sklavinnen und Freigelassene, darunter
viele Ausländerinnen. Als Angehörige der breiten Unterschicht
sind sie keineswegs aus der Gesellschaft ausgegrenzt. Auch der
Verkehr angesehener Bürger der Oberschicht mit ihnen ist gesellschaftlich
akzeptiert. Das bedeutet: Die Freier unter den
korinthischen Christen konnten mit gesellschaftlicher Akzeptanz
ihres Verhaltens rechnen. Die negative Konnotation, die das
Wort pörne bei Paulus trägt, gibt keinen gesellschaftlichen Konsensus
Uber die Prostituierten wieder" (67). Die Übersetzung mit
..Hure" und „Dirne" sollte unterbleiben.

Kap. 2 wendet sich der Frage nach den speziellen Adressaten
von I Kor 6.12-20 zu. Die verbreitete Annahme, daß es sich um

eine Gruppe libertinistischer Pneumatiker handelt, die ihr Verhalten
mit einem eigenen theologischen Konzept begründen,
wird als überflüssig und nicht verifizierbar zurückgewiesen.
Die korinthischen Gemeindeglieder insgesamt gehören mehrheitlich
derselben sozialen Schicht an wie die Prostituierten.
Der Kontakt zu diesen ist Teil ihres Alltages, der sexuelle Verkehr
mit ihnen gesellschaftlich nicht ungewöhnlich. Die Adressaten
des Textes sind allgemein Christen, die aus ihrer
Zugehörigkeit zur christlichen Gemeinde die notwendigen Konsequenzen
für ihre Sexualpartnerin ..(noch) nicht gezogen
haben" (101). Das Schlagwort „alles ist mir erlaubt" (V. 12) ist
nicht eine Parole von erklärten Libertinisten. sondern Anspielung
auf die in der Gesellschaft verbreitete und gebilligte Praxis
, mit Prostituierten zu verkehren, von der sich deutlich zu
unterscheiden Paulus mit Nachdruck fordert. Ein derartiges
Verbot jedes nichtehelichen Sexualverkehrs ist weder in der
kultischen noch in der philosophischen Umwelt der korinthischen
Gemeinde bekannt. Für Paulus hängt an seiner Realisierung
das Bleiben in der Christusgemeinschaft, ebenso aber die
Möglichkeit, die Überlegenheit über nichtchristliche Männer zu
demonstrieren.

Kap. 3 analysiert die paulinische Reaktion und Argumentation
in IKor 6,12-20. Sie erfolgt nach der Einleitung (V. 12) in drei
Argumentationsgängen (V. 13 f. 15-17.18-20), die auf eine starke
affektive Beteiligung von seilen der Angesprochenen zielen.
Ihnen soll klar werden, daß der christliche Status porneia ausschließt
. Weder ist diese als Macht verslanden, noch ist die pörne als
Verführerin im Blick. Positiv maßgebend ist das mit dem Stichwort
sbma angesprochene Zusammenspiel von Befähigung und
Verpflichtung auf der Grundlage der Taufe. Kap. 4 faßt die Ergebnisse
der gedanklich und methodisch sehr klar durchgeführten
Untersuchung in 11 'fliesen zusammen,

Der Versuch, das regelwidrige Verhalten korinthischer Christen
aus der sozialen Realität und nicht aus einer speziellen
theologischen Position abzuleiten, kann nur begrüßt werden,
beinhaltet er doch eine exegetische Horizonterweiterung, die
überfällig war. Trotzdem bleibt die Frage, ob er genügend abgesichert
ist. Der Rez. vermißt das Bemühen, die hier vorgetragene
Erklärung mit der sachlich verwandten Thematik von
IKor 7 in ein sinnvolles Verhältnis zu setzen. Soll sie überzeugen
, müßten sich auch die hinter I Kor 7,1 ff erkennbaren asketischen
Tendenzen allem aus der sozialen Realität ableiten lassen
. Das aber will m.E. noch weniger gelingen. Das Nebeneinander
gegensätzlicher Verhaltenstendenzen in derselben Gemeinde
ist ohne spezifische theologische Begründung schwer
vorstellbar. Die soziale Realität behält trotzdem das ihr zukommende
Gewicht. Das macht die vorliegende Arbeit mit Recht
deutlich. Der Hintergrund des von Paulus kritisch angesprochenen
Verhaltens ist komplex und nicht einlinig zu denken.

Greifswald Günter Haute

Grelot, Pierre: La condition de la f'emnie d'apres le Nouveau
Testament Paris: Desclee de Brouwer 1995. 167 S. 8°. Karl
(Er 110.-. ISBN 2-220-03574-3.

Vorgelegt wird hier ein Buch über die Frau im Neuen Testament
, das aus konservativer katholischer Sicht geschrieben ist.
Bewußt kalkuliert der Vf. folgende Stellungnahme zu seinen
Ausführungen ein: »II est possible que certains lecteurs de mes
reflexions les regardent comme retardataires et peu oecumeni-
ques« (154). Welches Pathos den Vf. leitet, w ird am besten aus
folgender Passage deutlich (der Vf. läßt zunächst einen fiktiven
Kritiker seiner Position zu Wort kommen): »>Vous regardez
donc comme nul et non evenu le ministere exerce. dans les egli-