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Ausgabe:

1995

Spalte:

992-996

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Otto, Eckart

Titel/Untertitel:

Theologische Ethik des Alten Testaments 1995

Rezensent:

Kessler, Rainer

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Theologische Literaturzeitung 120. Jahrgang 1995 Nr. 11

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Augenschein nimmt. Bei dieser figürlichen Redeweise geht es
nicht nur um informative Sprachfunktionen, sondern auch um
performative, d. h. solche, welche die Anteilnahme der Leser
bzw. Hörer hervorrufen sollen (vgl. 43).

Im ganzen sind es vier Bildbereiche, welche die Vfn. näher
untersucht: l. "Child Imagery and the Rhetoric of Rebellion"
(Kap.2; 46-84). Hier geht es um das Bild von Jerusalem/Juda
als rebellischem Kind, das. obwohl von Göll liebevoll aufgezogen
, sich immer wieder empört. Die das Jesajabuch durchziehenden
Passagen, in denen diese Metapher auftaucht, werden
besprochen und als Ergebnis notiert (58), die Absicht dieser
rhetorischen Figur sei es, die Leser zu motivieren, sich mit
denen zu solidarisieren, die „umkehren" (bereuen) (vgl. Jes
1,27) und sich von den Sündern zu distanzieren, die Jahwe verlassen
(vgl. 1,28). Während im ersten Teil des Buches (Kap. I-
39; bes. Kap. 1-3) Israel wie der aufsässige Sohn von Dt 21,18-
21 erscheint, hebt Jes 40-55 diese Beurteilung nicht auf, hat
aber seinen Schwerpunkt auf dem Angebot der Liebe und Vergebung
Gottes, die allerdings angenommen werden muß. In Jes
56-66 kehrt das Thema der Rebellion vielfach wieder, aber auch
das der Buße und des Angebots der Gnade Gottes für die Bußfertigen
, während den Rebellen seine Strafe droht.

Ein weiteres - gewissermaßen das zentrale - Kapitel (3; 85-
123) behandelt einen Bildbereich, der die Vfn. schon früher
beschäftigt hatte (vgl. bes. "Far More Precious then Jewels":
Perspectives on Biblical Women. Louisville 1991): die Vergleiche
mit Frauen und ihrem typischen Verhalten. Hierzu gehören
- jeweils in Unterüberschriften hervorgehoben - die nach
damaligem Verständnis gängigen Charakteristika wie Unterordnung
und Abhängigkeit, Schwachheit und Verwundbai keil,
aber auch Hochmütigkeit (Jes 3,16-4,1). begrenztes Wissen und
Kompetenz. Dazu kommen das Bild der geliebten Tochter oder
(von ihrem Ehemann Jahwe abgefallenen) Ehefrau; außerdem
die Bilderwelt von Fruchtbarkeit. Geburtswehen und Geburt,
mütterlicher Liebe. Kinderernährung und Mitleid mit Kindern,
Menstruation als Unreinheit, weiblicher Sexualität außerhalb
der Ehe und ihren Gefahren.

Zwei Kapitel (Kap.4, zu Jes 1-39; 124-164. Kap. 5, zu Jes 40-
66: 165-204) sind dem Schicksal der als Frauen personifizierten
Städte gewidmet. In Kap. 1-39 steht das Schicksal Zion/Jerusa-
lems im Mittelpunkt: ihre mitleiderregende prekäre Lage w ird
geschildert, sie erscheint als befleckte Hure, ihre Zerstörung
wird angekündigt: eine Reinigung wird nötig, an deren Ende
aber eine glorreiche Zukunft in Aussicht steht. Diese dreifache
Charakterisierung ergibt sich für einen diese Kapitel in ihrer
Reihenfolge durchgehenden Leser. Betont wird aber, daß dieses
Thema bei weitem nicht das einzige in Kap. 1-39 ist (164). Für
die Lektüre von Kap. 40-66 bringt der von Kap. 1-39 herkommende
Leser bestimmte Erwartungen mit: Jahwe hat einen Plan
mit der Frau Jerusalem und ihre fremden Partnerinnen. In Kap.
40-55 werden diese Erwartungen nicht enttäuscht: Babel, die
Erbfeindin, wird bestraft werden, auf Jerusalem wartet eine
Umkehrung ihres bisherigen Schicksals: Kinderreichtum. Frieden
, Reichtum und Versöhnung mit ihrem Ehemann. Jes 56-66
kehrt (vor allem in Jes 56-57 im Vergleich mit Jes 1) fast wieder
zum Anfang zurück: die Geschichte der Rebellion und Abgötterei
Jerusalems gegen Jahwe ist noch nicht beendet, die
Vorwürfe gegen die herrschenden Kreise tauchen erneut auf.
Die Durchführung von Jahwes Plan zum endgültigen Heil steht
noch aus; sie muß geschehen in der Vernichtung der äußeren
Feinde durch den heiligen Krieger Jahwe und der Befreiung
Jerusalems von seinen rebellischen Führern auf der einen, der
Belohnung für Jahwes treue „Diener"" auf der anderen Seite.

Kap. 6: ..Keine Kraft zum Gebären" (205-227) geht von dem
Sprichwort Hiskias in Jes 37,3b = 2. Kgs 19.3b aus, vergleicht
das Sprichwort und seine Aussagekraft in der konkreten Situation
der Bedrohung durch die Assyrer, geht auf das Vorkommen

des Bildes in Jes 26.18 ein und behandelt dann die Umkehrung
in Jes 66,7-9.

Der Band reiht sich ein in die Versuche, Schneisen durch die
verwirrende Vielfalt der Aussagen im Jesajabuch zu schlagen
und Zusammenhänge zwischen seinen unterschiedlichen Teilen
ausfindig zu machen. Die Vfn. ist sich bewußt, daß sie nur eine
Auswahl unter den vielfältigen Perspektiven des Buches und
seiner Bilderwelt vorlegt, und diese ist gewiß subjektiv (225).
Man wird aber sagen können, diese Perspektiven sind reizvoll.
Im ganzen gehört die Arbeit aber in den Umkreis des auch von
B. Childs in seiner „kanonischen Exegese" Erstrebten (obwohl
nur dessen Introduction to the Old Testament as Scripture von
1979, nicht die neueren Arbeiten erwähnt werden).

Eine andere Frage ist, ob das "sequential reading" des fiktiven
Lesers (s.o.) gewollte Zusammenhänge innerhalb des Buches
aufdeckt und nicht vielleicht doch etwas nur durch die
Zusammenordnung der Teile zufällig Zusammengekommenes.
Liegt schriftstellerische Bearbeitung und Fortschreibung vor
((). H. Steck; fehlt im Literaturverzeichnis, das sich leider mit
englischsprachiger Literatur begnügt) oder muß man mit andersartigen
Akkumulierungsvorgängen rechnen? Beim Werden
des Jesajabuches als ganzen ist noch vieles unklar. Deshalb ist
auch die methodische Stringenz einer derartigen Untersuchung,
wie sie hier vorliegt, durchaus noch zu diskutieren. Ihr Reiz,
aber auch ihre Begrenzung liegt in ihrer ästhetischen Subjektivität
.

Technisch hätte man sich vom Verlag gewünscht, daß die
Möglichkeiten modernen Computerdrucks genutzt, echte Fußnoten
gebracht und die Anmerkungen nicht altmodisch in den
hinteren Teil des Bandes verbannt worden wären.

Bochum Henning Gral Reventlow

Otto, Eckart: Theologische Ethik des Alten Testaments.

Stuttgart -Berlin-Köln: Kohlhammer 1994. 288 S gr.K» =
Theologische Wissenschaft 3,2. Kart. DM 39,80. ISBN 3-17-
008923-4.

Wer eine „Theologische Ethik des Alten Testaments" vorlegt,
muß zunächst angeben, welches ihr Gegenstand ist. (). findet
ihn in Abgrenzung zu einer Theologie des AT ,.in den expliziten
Normensystemen des AT und ihrer Geschichte'" (10). Dabei
bewege sich die Rekonstruktion der Ethik des AT „im Horizont
von drei Fragestellungen. Sie rekonstruiert (I.) die Geschichte
der Normensysteme, (II.) ihre Begründungen und Legitimationen
... und (III.) die Bearbeitungen der kontinuierlichen Erfahrung
einer Diastase von Ethos und gelingendem Leben" (264).
Aus der Aufgabenstellung der historischen Rekonstruktion folge
in Verbindung mit allgemeinen hermeneutischen Erwägungen
, daß „eine Ethik des AT nur deskriptiv, nicht aber präskrip-
tiv sein" könne (10).

Der Aufgabe der historischen Rekonstruktion widmet sich O.
in drei Hauptteilen: „Vom Recht zum Ethos im Bundesbuch
und in verwandten Rechtsüberlieferungen" (18-116). „Ethos
und Schöpfungsordnung: Die Ethik der Weisheit" (117-174)
und „Die Begründung von Recht und Ethos durch die Offenbarung
Gottes in der Geschichte" (175-263).

In seiner Analyse des Bundesbuchs setzt O. weitreichende
literarkritische Entscheidungen voraus, die hier nicht im einzelnen
nachgezeichnet werden können. Insgesamt geht er davon
aus, daß die „Entstehung des BB... als die Verbindung ursprünglich
selbständiger Sammlungen in einem kontinuierlichen
Prozeß zunehmend expliziter theologischer Rechtsbegründung
, verbunden mit der Differenzierung zwischen Recht und
Ethos"" zu beschreiben sei (24). Als eine der Wurzeln des israelitischen
Rechts beschreibt O. zunächst (24-31) das kasuistische