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Ausgabe:

1995

Spalte:

83-85

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Heidrich, Christian

Titel/Untertitel:

Carlo Bayer 1995

Rezensent:

Hutter-Wolandt, Ulrich

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Theologische Literaturzeitung 120. Jahrgang 1995 Nr. I

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„Gaudium et spes" beschreibt die Ehe „nicht mehr primär als Zeugungsund
Geschlechtsgemeinschaft, sondern zuinnerst als Lebens- und Liebesge-
meinschaft" (145). Der jahwistische Schöpfungsbericht habe besonders eingewirkt
. Deutlich wird, wie der Vf., nicht ohne genau darüber zu diskutieren
, sein Vorverständnis an die Ehelehre des Konzils von 1965 heranträgt.

Kap. 3 behandelt dann „Unterschiedliche Antworten von
Lehramt und Theologie auf die Krise und den Wandel der Ehe
in der modernen Gesellschaft" (149-264) und setzt sich kritisch
besonders mit konservativen Stimmen auseinander. Das
„Kirchliche Lehramt" habe zu wenig beachtet, daß „in der westlichen
Welt ein zweiter Modernisierungsschub" (149) im Blick
auf Theorie und Praxis der Ehe eingesetzt habe, während sich J.
Gründel, D. Mieth und E. Drewermann damit positiv, wenn
auch nicht zureichend, auseinandersetzen.

Damit ist in der Darstellung der Punkt gekommen, wo der
Vf. seinen eigenen „Entwurf eines christlichen Eheverständnisses
" im 4. Kap. (265-344) vorträgt. Mit Hilfe sozio-kultureller
Merkmale wird die heutige Ehe als „umfassende Lebensgemeinschaft
von Mann und Frau" konkret beschrieben, um diese
mit allgemeinen ethischen Wertsetzungen zu verbinden. Die
entschiedene und hingebende Liebe wird zum versittlichenden
Elemente" (286) der christlichen Ehe. Mit Hilfe soziologischer,
kulturphilosophischer, biblischer sowie das „Lehramt" beachtender
Argumentationen wird eine Art schöpfungstheologisch
begründete Basis für das Verständnis der aus der Liebe existierenden
christlichen Ehe gelegt. Daran schließt sich eine sakramentale
Interpretation der Ehe an, die nicht vom Bundesgedanken
, sondern vom Zeugnis der Auferstehung her ihren Ausgang
nimmt. Neu dürfte der Versuch sein, die Sakramentalität der
Ehe unter dem Aspekt einer doppelten Auswirkung zu beschreiben
. Sie gelingt unter der Vermittlung der Glaubenswirklichkeit
, kann aber auch im Scheitern Hoffnung für einen Neuanfang
geben, „sei es als Alleinstehender, sei es in einer neuen
ehelichen Verbindung" (325). An dieser Stelle wird es in der
katholischen Kirche zu Diskussionen kommen.

Als evangelischer Leser ist man geneigt, in der Art des Argumentationsganges
das Schema von Natur und Übernatur, wenn auch soziologisch und
dynamisch ausgelegt, zu verspüren; auch das Bemühen, die sakramental
verstandene Ehe weniger von Schöpfung, Fall und Vergebung als von
Schöpfung und Heiligung her zu deuten. Befremdlich bleibt die, wenn auch
mutige, so doch immer wiederkehrende Auseinandersetzung mit den Aussagen
des „Kirchlichen Lehramtes".

Wir haben es mit einer systematisch hoch reflektierten Arbeit
zu tun. Epische Breite mit einer ganzen Reihe von Wiederholungen
helfen zu einem leichteren Verständnis. Trotz der
umsichtigen Behandlung der Thematik wird die einseitige Betonung
der Sexualität in Freizeit, Medien und moderner Welt
überhaupt in der soziologischen Bestandsaufnahme zu wenig
beachtet.

Zur Betonung seines ganzheitlich personalen Eheverständnisses hätte
sich der Vf. mit weiteren katholischen Autoren positiv auseinandersetzen
können: z.B. W. Kasper, J. Renker, U. F. Schmälzle und G. Teichtweier.
Darauf sei trotz des sehr ausführlichen Literatur- und Personenverzeichnis-
ses (349-370) hingewiesen. Eine Berücksichtigung der evangelischen Ehediskussion
findet bis auf Spuren nicht statt, war aber auch nicht beabsichtigt.

Berlin Friedrich Winter

Heidrich, Christian: Carlo Bayer. Ein Römer aus Schlesien
und Pionier der Caritas Internationalis. Sigmaringen: Thorbecke
1992. 380 S. 8° = Arbeiten zur schlesischen Kirchengeschichte
, 6. Kart. DM 48,-. ISBN 3-7995-6456-X.

Das Institut für ostdeutsche Kirchen- und Kulturgeschichte in
Regensburg hat im Rahmen seiner jährlichen Ausschreibung
des Kardinal-Bertram-Stipendiums dieses Thema aus dem Bereich
der katholischen schlesischen Kirchengeschichte 1986
gestellt. Ausgewählt für diese Aufgabe wurde ein junger Geistlicher
, der selbst aus Oberschlesien stammt. Christian Heidrich
konnte auf keinerlei Vorarbeiten zurückgreifen, sondern war
bei seiner Arbeit vollständig auf Quellen und Archive angewiesen
. Das Material stammt aus dem Archiv der Caritas Internationalis
in Rom, dem Archiv des Europäischen Hilfsfonds in
Wien, dem Archiv des World Church Council in Genf, dem
Archiv des Collegium Germanicum in Rom, dem Erzbischöfli-
chen Archiv in Freiburg sowie einzelnen Privatarchiven. Es war
offensichtlich so ergiebig, daß die Arbeit den vorgegebenen
Rahmen (150 Schreibmaschinenseiten in zwei Jahren) weit
überschritten hat und als umfangreiches Buch vorgelegt werden
konnte.

Karl Johannes Bayer wurde 1915 im niederschlesischen
Obernigk geboren. Mit Kindheit und Jugend in Schlesien, dem
Studium in Rom und der Kriegszeit beschäftigt sich der I. Teil
(Ein Römer aus Schlesien).

Besonders prägend war für Bayer seine Zugehörigkeit /um katholischen
Schüler- und Studentenbund Neudeutschland, dem er sich in seiner Trebnitzer
Schulzeit angeschlossen hatte. Seine Arbeit für den Bund war nicht nur
theoretisch ausgerichtet, sondern konfrontierte ihn mit den kritischen sozialen
Verhältnissen in Breslau und im Waldenburger Bergland, wo zu Beginn
der 30er Jahre hohe Arbeitslosigkeit herrschte. Als Ergebnis dieser Eindrücke
finden sich in der Verbandszeitschrill „Leuchtturm" kurze Beiträge
zu karitativen Fragen. Nachdem er 1934 ein Semester in Breslau an der
Katholisch-Theologischen Fakultät studiert hatte, verließ er Schlesien, um
am Germanicum Teutonicum in Rom sein Studium fortzusetzen. 1940 wurde
er zum Priester geweiht: „Die priesterliche Berufung, die in seiner schlesischen
Heimat aufgekeimt war, kam durch die Weihe in der Ewigen Stadt
zu ihrer ersten bedeutenden Blüte" (54).

Erst im Zweiten Weltkrieg kam Carlo Bayer nach Schlesien zurück, wo
er im Oktober 1941 in Trebnitz seine Heimatprimiz leierte. Nach Stationierungen
in Frankreich und Spanien war er bei Kriegsende in Italien, wo er
sich von 1945 bis 1947 für die deutschen Kriegsgefangenen in Italien einsetzte
und die Hilfe des Vatikans für das zerstörte Restdeutschland koordinierte
. Seine besondere organisatorische Gabe bewies er im Jahre 1950. als
er ohne größere Probleme das Pilgerbüro für l(K).0()0 Deutsche leitete, die
zum Anno Santo in die Ewige Stadt gekommen waren.

Das Lebenswerk Bayers ist aber ohne Zweifel seine Arbeit
für die Caritas Internationalis von 1950 bis 1970, als er diesem
Verband als Generalsekretär vorstand (II: Pionier der Caritas
Internationalis). Er trug wesentlich dazu bei, daß die Caritas-
Idee, die durch die katholischen Sozialreformer des 19. Jh.s
definiert worden war, auch für die Dritte Welt Geltung fand;
sein besonderes Augenmerk galt dabei den Menschen in Lateinamerika
. Einen weiteren dringlichen Aufgabenbereich sah
er in den Ländern Osteuropas, wo die Kirchen durch den Konimunismus
unterdrückt wurden. Vor allem zu Ungarn, Jugoslawien
und Rumänien unterhielt er regelmäßige Kontakte, während
er zu Polen - nach Ansicht des Vf.S wohl aus persönlichen
Gründen - eine distanzierte Haltung einnahm (vgl. 360).
Außerdem hatte Bayer durch seine Position Kontakte zur ökumenischen
Bewegung und zum Weltrat der Kirchen in Genf-
Dieser Aufgeschlossenheit wurde, vor allem von den Diplomaten
des Vatikans, mit Mißtrauen begegnet. Seine Stellung war
nicht mehr unumstritten.

Im Juli 1970 bot sich ein Anlaß zu seinem Sturz. Nach Ansicht
von Kardinal Giovanni Benelli und Monsignore Jean Rohhain
, die an seiner Ablösung maßgeblich beteiligt waren, hatte
Bayer durch Eigenmächtigkeiten in der Biafra-Hilfe dem Vatikan
schweren außenpolitischen Schaden zugefügt. Bayer selbst
stand zu seinem Einsatz für die Menschen in Biafra: „Ich zweifle
nicht daran, daß ich Fehler gemacht habe. Ich stand vor der
Alternative so zu helfen oder nicht zu helfen. Ich habe so geholfen
" (371). Licht in diese Vorgänge und die Demission könnten
nur die Akten des Vatikans bringen, die für den Vf. leider nicht
zugänglich waren.

Julius Kardinal Döpfner sorgte dafür, daß Bayer weiterhin
für die Katholische Kirche wirken konnte. Von 1971 bis zu seinem
frühen Tod im Jahre 1977 war er im Rahmen des Europäischen
Hilfsfonds für die Kirchen Osteuropas tätig (III: Die