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Ausgabe:

1995

Spalte:

975-977

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Bal, Mieke

Titel/Untertitel:

On meaning-making 1995

Rezensent:

Schenk, Wolfgang

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975

Theologische Literaturzeitung 120. Jahrgang 1995 Nr. 11

976

Das Kap. 5 dient als kurze Anleitung zur wissenschaftlichen
Literaturrecherche und Kap. 6 gibt Hinweise dazu, wie Literatur
zitiert und verzeichnet wird.

Den Abschluß bilden Kap. 7 - ein „Bibliothekarisch-bibliographisches
Fach- und Fremdwortverzeichnis" -, Abkürzungsverzeichnisse
in Kap. 8 sowie ein Gesamtregister in Kap. 9, das
die Verfasser, Bearbeiter, Eierausgeber, Titel und Sachbegriffe
der angegebenen Materialien erschließt.

Insgesamt liegt damit ein wichtiges und notwendiges Orien-
tierungsinstrument für alle Studierenden in neuerlicher Aktualisierung
vor, wofür dem Autor. Leiter der Landeskirchlichen
Bibliothek Karlsruhe, zu danken ist.

A. W.

Bibelwissenschaft und Hermeneutik

Bai, Mieke: On Meaning-Making. Essays in Semiotics. So-
noma: Polebridge Press 1994. VII, 312 S. gr.8«. Kart. $ 29.95.
ISBN 0-944344-39-9.

„Sinn-Erzeugung" ist der cantus firmus der gesammelten Aufsätze
der Amsterdamer Professorin für Literaturtheorie, der wir
seit zwanzig Jahren immer neue Anregungen und Sichtungen
im Dschungel der Moden und Methoden verdanken. Die 13
Kapitel hier sind sachlogisch und nicht chronologisch (und un-
überarbeitet) wiedergegeben, so daß so etwas wie eine Einführung
in die Semiotik entstand (3-20 werden Anfänger didaktisch
geschickt eingeführt). Der Bogen spannt sich von biblischen
Erzählungen über Rembrandts Bilder ("as a supreme bib-
lieal scholar" 211) bis zu modernen Filmen und Reportagen
(z.B. Ideologie und Manipulation in der Darstellung von Farah
und dem Schah von Persien, 243-261).

Bei Bibelwissenschaftlern ist die Analytikerin spätestens seit
ihren Analysen des Richterbuches geschätzt (1988a: Death and
Dissymmetry: The Politics of Coherence in the Book of Judges;
1988b: Murder and Difference: Gender, Genre, and Scholarship
on Sisera's Death), deren Ergebnisse auch hier immer wieder
exemplarisch aufgegriffen werden:

"JucJges is a hook that problematizes languagc by proposing uncanny
kinds of speech-acls to challenge language as purveyor of meaning. Judges
is. for example füll of riddles, the speech-act of the Zacking meaning. In
addition to riddles Judges is also füll of vows, speech-acts based on an
excess of meaning. acts that emblematize the power of words in the most
radical way" (274. exemplifiziert 263-279 am Leviten und seiner toten Frau
von Ri 19, wie sie sieh in der lilerarisehen Rezeption von J.-J. Rousseau und
der piktographischen durch Rembrandt darstellen: "the woman is killed in
and as speech; this linguistic murder occurs several times there: betöre her
death bv ihe gang-rape she is surrendered linguistically. and after her death
she is dispatched as language. when her body is cut into pieces and sent to
the tribes of Israel, as a letter - a piece of writing not containing but embo-
dying a message - and as a slaughtered piece of meat: butchering equals
writing here. and death equals vision", 275)

Der letzte Beitrag der Sammmlung bietet "a polilical reading of Esther"
(281-303):

"Esther's feast is a feast of writing. Writing is. precisely. the mediator
between sight and speech... The Esther scroll is a celebration of writing, and
as a climax of the story. so is Esther's banquet... Writing is the meeting-
ground of words and images, of visual and verbal, and. speeifieally in
Esther, of fate and agency. of randomness and history. of providing and
plotting... But if Esther is about writing, it is also about itselt" (285 f.) und
damit "lipon the possible uses of the coneept of self-reflection" (2871. deren
vier Formen dann an der Esther-Rolle exemplifiziert werden (phantasmati-
sche. narzistische. theoretische und metakritische Selbstreflexion).

Während sich der Vorgängerband zum vorliegenden (1991:
"On Story-Telling: Essays in Narratology') auf narrative Schrifttexte
konzentrierte, werden hier nun interdisziplinär grundsätzlichere
Fragen des Problemfeldes verhandelt, in die ihre 'Narratology
: Introduction to the Theory of Narrative' (1985) eingebettet
ist, und die dennoch (sehr zum Schaden der Sache) zu oft
übersehen werden, die der allgemeinen Theorie der Semiotik:
"The place of semiotics as a method. a paradigm. a perspective,
or just an eye-opener, in relation to the sense of crisis and the
new, exiting events in and around ait history, is worth asses-
sing" (211). Bai ist eine gute Verbündete, die sich am Finklagen
der semiotischen Voraussetzungen und Grundlagen aller
Fragestellungen und Methoden im Bereich menschlicher Kommunikalion
und damit der Textwissenschaften beteiligt: Es gibt
keine unsemiotischen Analysen, sondern höchstens solche, die
semiotisch naiv (also unsystematisch) sind und deren Kennzeichen
ein Eklektizismus sowie eine stark metaphorische Sprache
sind (130 f.).

Die Kap. 1-3 stellen diese Beziehung denn auch ausdrücklich
her (21-76 'Narratology as a Semiotic Theory"). Im Sinne der
Textpragmatik beschreiben die Kap. 4-6 das Subjekt als das
semiotische Subjekt, wobei die dafür geleisteten methodischen
Vorarbeiten der Psychoanalyse zum Tragen kommen (77-135
'Reading the Subject'). Kap. 7-9 (Ko-Autor: N. Bryson) weiten
den Objektbereich auf visuelle Objekte aus (Kunstgeschichte:
137-203 'Semiotic and Art History'; leider wird die semiotische
Kunsttheorie von Max Bense und seiner Schule an keiner Stelle
diskutiert, was wohl mit einer Überschätzung der Leistungsfähigkeit
der Psychoanalyse zusammenhängt). Abschließend
werden in Kap. 10-13 die Beziehungen von Bild und Redetext
zueinander ausführlich diskutiert (105-303 'Discourse and
Image'; vgl. zu der nicht hierarchischen, sondern interaktiona-
len Beziehung auch H. Dölvers, Rivalisierende Diskurse in
Text und Bild, ZfS[emiotik] 15, 1993,269-301).

Die zeichentheoretische Grundfrage lautet ja: Welche Phänomene
werden als Zeichen verwendet, um bestimmte Sinngehalte
/Bedeutungen zu übermitteln? (241: die grundlegend men-
talistischen Ansätze von C. C. Peirce und F. de Saussure werden
165-178 auf 'Visual Art' angewendet, wobei unerklärt
bleibt, warum das Standardwerk von Saussure in der vorkritischen
Schüleredition - also der .Vulgata' der Saussure-Semio-
tik - und deren sehr eigenwilliger englischer Übertragung von
Roy Harris verwendet ist; vgl. meinen Artikel ,.Saussure' in
BBKL 8. 1994. 1305-131 I). Durchgehendes Ziel ist. "to chal-
lenge the linguo-centric assumptions of much literary theory.
The common ground is narrative, used wether the medium is
verbal, visual, or bodily. Narrative as a mode of implicit argu-
mentation which runs through all diese different bodies of writing
. Narrative as a mode of representation is a tool of manipula-
tion, a figure of rhetoric" (263; vgl. 247: "in a novel the text of
the narrator dominates the dialogue of the characters", eine Einsicht
, die auch in der Evangelienforschung zunehmend beachtet
wird).

Da nach U. Ecos berühmter Definition .Zeichen' als die Mittel
definiert sind, die das Lügen ermöglichen, heißt die Übertragung
auf die Leser-Perspektive: "A sign is everything thal can
be misunderstood. Mis-readuig, then, is a key to semiosis, just
as mis-seeing is the key to opening" (276). In einer gewissen
Spannung dazu steht das Bestreben, der Psychoanalyse wenigstens
in heuristischer Hinsicht den Status eines semiotischen
'Mastercodes' zuzusprechen (178 f.). Wenngleich umsichtig rein
analogisierende oder spezifizierende Übertragungen kritisch ausgeblendet
werden (79-97.173-203), so bleiben doch wissen
schaftstheoretische Zweifel an der Begriffsbildung (.Trieb'.
.Un-bewußtes') und dem mechanistischen Modell (.Verdrängung
') der Psychoanalyse als solcher. Ist in Fällen von Inkohärenz
(87) bei Kontingen/.- und Korrelationsverteilungen
nicht zuerst auch nach Verhaltens- und kognitionspsychologi-
scher Erklärungsadäquatheil aus individuellen Schwächen zu
fragen, ehe man das fragwürdige Axiom eines ,Un-bewußten'