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Ausgabe:

1995

Spalte:

955-970

Autor/Hrsg.:

Bindemann, Walther

Titel/Untertitel:

Ungerechte als Vorbilder? 1995

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Theologische Literaturzeitung 120. Jahrgang 1995 Nr. 1 1

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Walther Bindemann
Ungerechte als Vorbilder?

Gottesreich und Gottesrecht in den Gleichnissen vom „ungerechten Verwalter" und „ungerechten Richter"

Mit seiner Basileia-Verkündigung sagt Jesus Gottes Präsenz im
Kairos an. Daher ist sein Wille für Jesus „so unmittelbar da, daß
an ihm auch der Buchstabe des Gesetzes... gemessen wird"1.
Das impliziert eine Kritik des pharisäisch-schriftgelehrten Gesetzesverständnisses
. Doch bei aller Gesetzeskritik hat der Jude
Jesus die Tora im Kern bejaht. Seine Gesetzeskritik ist genau
besehen Kritik einer Gesetzlichkeit, die Menschen in ein legali-
stisches Korsett zwängt und damit auch der Tora ihre Radikalität
raubt. Auch für Jesus ist die Tora Ausdruck des göttlichen
Willens, der Menschen bindet und befreit und damit das
„Grundgesetz" des Gottesreiches. Das bringen einige Gleichnisse
des Lukas-Sonderguts zum Ausdruck. Dazu gehören die
Parabeln vom ungerechten Verwalter (Lk 16,1-8) und ungerechten
Richter (Lk 18.1-6).

1. „...und der Herr lobte den ungerechten Verwalter"
(Lk 16,8)

Die Parabel Lk 16,1 ff.2 hat ein umfangreiches traditionsgeschichtliches
Wachstum erfahren-' - ein Zeichen dafür, daß das
Gleichnis in der frühen Kirche „gelebt" hat. Zugleich werden
aber auch die Schwierigkeiten deutlich, welche schon die vorlu-
kanische Kirche mit der Parabel hatte. Ihr „unmoralischer Held"
bildete einen Stein des Anstoßes.

Folgende Überlieferungsstadien zeichnen sich ab:

1. Das ursprüngliche, sicher auf Jesus zurückgehende Gleichnis
Lk 16,1 b-7 (8). Vers 8 gehört zwar nicht mehr zur Substanz
der eigentlichen Gleichniserzählung, jedoch zur selben Überlieferungsstufe
; er bildet einen vorösterlichen Kommentar zur Parabel
.

2. Schon die Einleitung durch la ist sekundär. Sie zeigt bereits
die Tendenz der angefügten Deutungen, das Gleichnis für
die Jünger-Gemeinde auszulegen. Auch die Anwendungen der
Parabel in V. 9-13 legen das Gleichnis „innerkirchlich" aus.

3. V. 9 deutet an, wie mit materiellem Reichtum in guter
Weise umgegangen werden kann: indem man sich Freunde
macht. Terminologische Brücke zur Gleichniserzählung ist der
Ausdruck „Mammon der Ungerechtigkeit"; er steht parallel
zum „Ökonom der Ungerechtigkeit" in V. 8a. Das Wort „Mam-

1 Bornkamm, G., Jesus von Nazareth, Berlin 1977 (Nachdr. der 11. Aufl.).
1977, 89.

2 Neuere Literatur: Bailey, K. £., Poet & Peasant. in: äers. Poet & Peasant
and Through Peasant Eyes. A Literary-Cultural Approach to the Parables in
Luke, Combined Edition, Grand Rapids 1980, 86-118; Barth, M., The Dis-
honest Steward and his Lord. Reflections on Luke 16.1-13; Derrell, J. D. M.,
Fresh Light on St Luke XVI. NTS 7. 1961. 198-219; Fitzmyer, J. A., The
Story of the Dishonest Manager (Luke 16.1-13). in: ders., Essays on the
Semitie Background of the New Testament. Missoula 1974, 161-184; Welcher
, D. /?., The Riddle of the Unjust Steward: Is Irony the Key? JBL 82,
1963. 15-30; Ireland. D. J.. Stewardship and the Kingdom of God. A Histo-
rical, Exegetical, and Contextual Study of the Parable of the Unjust Steward
in Luke 16:13, Leiden/New York/Köln 1992; Jeremias. J., Die Gleichnisse
Jesu, Göttingen, 91977, 42-44.180 f.; Jüngel, £., Paulus und Jesus. Eine Untersuchung
zur Präzisierung der Frage nach dem Ursprung der Christologie,
Tübingen ■'1967, 157-160; Kamiah, E., Die Parabel vom ungerechten Verwalter
(Lk 16.1 ff.) im Rahmen der Knechtsgleichnisse, in: Betz/HengeU
Schmidt [Hrsg.], Abraham unser Vater. Festschrift für Otto Michel. Leiden/
Köln 1963. 276-294: Kloppenborg, J. S„ The Dishonoured Master (Luke
16,l-8a), Biblica 70. 1989, 474-495; Krämer, M„ Das Rätsel der Parabel
vom ungerechten Verwalter (Lk 16,1-13). Auslegungsgeschichte - Umfang
- Sinn. Eine Diskussion der Probleme und Lösungsvorschläge der Verwalterparabel
von den Vätern bis heute. Zürich 1972: Mann, C. S., Unjust Steward
or Prudent Manager.' The hxpository Times 102.1990/91. 234-235:

mon" leitet sich wahrscheinlich vom hebräischen T8K ab; es
bezeichnet das, worauf man traut4. Der Spruch ruft zur Abkehr
vom scheinbar so vertrauenswürdigen Mammon. Dieser Ruf
zur Umkehr impliziert ein „Chancendenken": Wer dem Mammon
sein Vertrauen entzieht, hat eschatologischen Lohn zu erwarten
.

4. V. 10-12 führen ein neues Thema ein: den verantwortlichen
Umgang mit kleinsten Dingen, wozu auch ungerechter
Mammon und fremdes Gut gerechnet werden. Hier zeigt sich
die „christliche Bürgerlichkeit", welche die lukanischc Kirche
mindestens teilweise geprägt haben muß.

5. Während in V. 10-12 vom Mammon nicht nur negativ die
Rede ist. wird der Mammonsdienst in V. 13 eindeutig abgelehnt,
da der Mensch nicht zwei Herren, Gott und dem Mammon, dienen
könne. Mit diesem ethischen Dualismus ist nun allerdings
die ursprüngliche Intention der Parabel völlig außer Sicht.

Die traditionsgeschichtliche Analyse läßt m.E. nur den
Schluß zu, daß der narrative Kern, also V. 1 b-7 in Verbindung
mit 8, den ältesten Bestand der Parabel bilden. Bestätigt wird
das durch ein von Flusser formuliertes Formgesetz.: „Gleichnisse
, deren Schwerpunkt ein Gespräch ist, erreichen ihre Endschaft
mit dem Ende des Gesprächs - darnach folgt nichts
mehr."^ Eine weitere Bestätigung ergibt der Vergleich mit der
Parabel vom ungerechten Richter (Lk 18,1 ff.). Von dort her
fällt auch Licht auf die Frage nach dem xi>qioc; von Lk 16,8a,
die von den Auslegern kontrovers beantwortet wird6.

Moxnes. H., The Economy of the Kingdom. Social ConfUct and Economic
Relations in Luke's Gospel. Philadelphia: Fortress Press 1988, 139-143;
Oakman, D. £., Jesus and the Economic Questions of His Day. Studies in the
Bible and Early Christianity, Vol. 8, Lewiston, New York und Queenston,
Ontario, 1986; Parrott, D. M., The Dishonest Steward (Luke 16.1-8a) and
Luke's Special Parable Collection. NTS 37, 1991, 499-515; Porter, St. £.,
The Parable of the Unjust Steward (Luke 16.1-13): Irony is the Key, in: Cli-
nes/Fourt/Porter (ed.), The Bible in Three Dimensions. Essays in cclehrati-
on of forty years of Biblical Studies in the University of Sheffield, JSOT
Suppl. Ser. 87, Sheffield 1990, 123-157; Preisker, H., Lukas 16,1-7, ThLZ
74, 1949, 85-92; Schramm. TAJiwenstein, K., Unmoralische Helden. Anstößige
Gleichnisse Jesu, Göttingen 1986; Schwarz, G.,.....lobte den betrügerischen
Verwalter"? (Lukas 16,8a). BZ N F. 18, 1974, 94-95; Steinhäuser,
M. G.. Noah in his Generation: An Allusion to Luke 16.8b. „tic njv yeveav
ttyv eauTÜv", ZNW 79, 1988, 152-157; Via. D. O., Die Gleichnisse Jesu.
Ihre literarische und existentiale Dimension. München 1970. 146-151. Ältere
Literatur bei Kissinger, W. S., The Parables of Jesus. A Hislory of Interpretation
and Bibliography, Metuchen und London 1979. 398-408 und Krämer
, a.a.O.

Exemplarisch die traditionsgeschichtliche Analyse von Jeremias.
Gleichnisse 42 ff., die dort (42) als „besonders typisches Beispiel" für eine
Akzentverschiebung angeführt wird, wie sie die Gleichnisse Jesu häufig in
der Gemeindeverkündigung erfahren haben.

4 Hauck, F., uauwvüc, , ThWNT IV, 390.

5 Flusser, />., Die rabbinischen Gleichnisse und der Gleichniserzähler
Jesus. 1. Teil: Das Wesen der Gleichnisse. Bern/Frankfurt/M./Las Vegas
1981. 300, mit Hinweis auf die Jesus-Gleichnisse vom Feigenbaum (Lk
13,6-9), vom Unkraut (Mt 13,24-30), vom großen Mahl (Lk 14,15-24), vom
gottlosen Richter (Lk 18.1-5). von den Arbeitern im Weinberg (Ml 20.1-14).
von den Minen (Lk 19,1 1-27). von den Talenten (Mt 25,14-30) und den zehn
Jungfrauen (Mt 25.1-13) sowie eine Reihe rabbinischer Gleichnisse (300 f.).

6 Eine gute Übersicht Uber die unterschiedlichen Positionen bietet In land.
Stewardship 60-65. Hauptargument für die These, der Herr von V. 8 sei der
Arbeitgeber des Verwalters, ist der dreimalige Gebrauch von ö xi'oioc, in
der Erzählung (V. 3.5.8a). Argumente für die Gegenthese, nach der der
xiipioc von 8a Jesus ist: 1. 6 xuoioq wird im Lukasevangelium mindestens
I7mal für Jesus gebraucht: 2. eine direkte Parallele findet sich Lk 18,6 (s.u.);
3. der Einsatz von V. 9 mit ryn) üpiv zyu> setzt voraus, daß Jesus schon in
V. 8 als Sprecher eingeführt wurde; 4. das Lob des Haushallers durch seinen