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Ausgabe:

1995

Spalte:

79-80

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Titel/Untertitel:

Religion in der Grundschule 1995

Rezensent:

Grethlein, Christian

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Seite 1

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79

Theologische Literaturzeitung 120. Jahrgang 1995 Nr. I

SO

Herausgeber durchgehend das gleiche Interesse bewahren
konnten, theologische und pädagogische Kriterien aufeinander
abzubilden imstande waren, der Relativität aller Entwicklungen
zu Politik und Gesellschaft gerecht werden konnten.

Ich möchte mich mit vier Fragen begnügen, die nicht nur für
die Lektüre der beiden Bände nützlich sind, sondern auch Fragen
für die Weiterarbeit der RP sein könnten:

1. Welches Verhältnis zwischen Glaube und Bildung, Theologie
und Pädagogik, Kirche und Schule, Religion und Politik
wird der Frohen Botschaft ebenso gerecht wie den Adressaten
im Horizont moderner Lebenswelt? Genügt es da, Konvergenzen
festzustellen?

2. In welchem Verhältnis stehen RP und Gemeindepädagogik
im Blick auf die weitgehend gleichen Adressaten?

3. Welches Verhältnis zwischen RP und Praktischer Theologie
, RP und systematischer, RP und exegetischer Theologie
wird den zu lösenden Aufgaben von heute und morgen am ehesten
gerecht?

4. Welche Bedeutung kann die christlich-jüdische Tradition
angesichts ihrer augenscheinlichen Ferne von den Fragen unserer
Zeit haben und wie kann es möglich werden, dem Anspruch
der Bibel als Heilige Schrift ebenso gerecht zu werden wie den
kritischen Fragen der Jugend?

Wie immer, die beiden vorliegenden Teilbände dokumentieren
die RP des 19. und 20. Jh.s umfassend. Die Auswahl der
„Texte" zeugt nicht nur von Sachkenntnis, sondern auch von
einem klaren Blick für Wesentliches. Die Kommentare zeugen
von methodischer Sicherheit, breiten historischen Kenntnissen,
was die allgemeine Geschichte, die Kirchen- und Wissenschaftsgeschichte
und die Geschichte der Pädagogik anbetrifft,
und nicht zuletzt auch von der Fähigkeit, die Interdependenz
der verschiedenen „Geschichten" zu erkennen und zu beurteilen
.

Wahrlich „eine substantielle Darstellung der Geschichte der
RP, wie sie bisher noch nicht vorlag" (Klappentext). Den Hgg.
gebührt Dank und hohe Anerkennung.

Bern Klaus Wegenast

Schweitzer, Friedrich, u. Gabriele Faust-Siehl [Hg.J: Religion
in der Grundschule. Religiöse und moralische Erziehung.
Beiträge zur Reform der Grundschule 92/93. Frankfurt/M.:
Arbeitskreis Grundschule - Der Grundschulverband 1994.
ISBN 3-930024-35-7.

Der Sammelband ist eine immer wieder über die Grundschule
hinausreichende Einführung in wichtige Probleme heutiger (vor
allem evangelischer) Religionsdidaktik, die durch das Nebeneinander
von grundlegenden, didaktischen und praktischen Beiträgen
an Eindrücklichkeit und Anschaulichkeit gewinnt.

Im Teil I „Theoretische Grundlagen" stellen u.a. G. Faust-
Siehl und F. Schweitzer programmatisch: „Religion in der
Grundschule: Zur pädagogischen Begründung und Gestaltung
von Religionsunterricht" (12-25) dar. Sie stellen die traditionellen
Argumentationsmuster kurz dar und erweitern sie um eine
„von den Kindern ausgehende, entwicklungspsychologische
Begründung" (17): die von den Kindern in die Schule mitgebrachten
religiösen Vorstellungen bedürfen der Klärung und die
gerade im Grundschulalter zu beobachtende religiöse Entwicklung
einer sachgemäßen Begleitung. Unterrichtsorganisatorisch
wird auf die Problematik gerade in der Grundschule hingewiesen
, die die Konfessionalität des Religionsunterrichtes und die
daraus resultierende Trennung der Lerngruppe nach sich ziehen
. Diese Schwierigkeit nimmt K. E. Nipkow vertiefend in der
Frage auf: „Religion in der Grundschule - in welcher Form?"

(26-37). Konzentriert weist er auf die beiden pädagogischen
Aufgabendimensionen der Grundschule hin: die Förderung des
Gemeinsamen und Verbindenden und zugleich die Erziehung
zur Achtung des Individuellen und Unterscheidenden. Die
gegenwärtig virulente Diskussion um den „allgemeinen Religionsunterricht
" läßt sich von dieser Spannung her gut rekonstruieren
, ohne daß man zu einer eindeutigen (hier nämlich zugleich
einseitigen) Lösung käme.

Der bis dahin nur durchschimmernde Bezug der Argumentation
auf die Verhältnisse westdeutscher Grundschulen prägt
noch stärker die folgenden, vornehmlich der Kognitionspsycho-
logie verpflichteten Beiträge von F. Schweitzer (Kinder und
Religion - Religiöse Sozialisation und Entwicklung im Grundschulalter
), F. Oser (Der Aufbau der Gottesbeziehung in der
[frühen] Grundschule) und A. A. Bucher/F. Oser (Kind und
Moral). Übersichtlich werden hier die entsprechenden Forschungsergebnisse
zusammengefaßt - allerdings ohne Hinweis
auf deren Herkunft aus der Untersuchung westdeutscher
(Schweizer) Kinder.

Der Beitrag von R. Degen (Zwischen Nachahmung und eigenem
Weg. Zum Religionsunterricht in den neuen Bundesländern
) verbleibt weitgehend in einer Schilderung der schwierigen
Situation bei der Einführung des Religionsunterrichts in
den neuen Bundesländern, stößt aber nicht zu einer Ergänzung
der auf westliche Kinder konzentrierten kognitionspsychologi-
schen Forschung vor.

Auch der Teil II „Didaktische Perspektive" enthält interessante
, die gegenwärtige Diskussion gut zusammenfassende und
zur Weiterarbeit anregende Beiträge: U.a. fragt H. K. Berg nach
„Bibel oder thematischer Unterricht?" (108-117); A. A. Bucher
stellt kurz die „Symbolerziehung" (118-125) vor.

Dem an immer mehr Orten besonders vordringlichen Problem
der Begegnung von Kindern unterschiedlicher Religion in
der (Grund-)Schule geht vor allem J. Lähnemann (Nicht-christlicher
Religionsunterricht - Interreligiöser Unterricht) nach. Er
verweist auf die weitergehenden Erfahrungen der interreligiösen
"religious education" in Großbritannien, bei dem die
Gefahr eines „Religionen-Tourismus" zu einer verstärkten
Bemühung führt, die Religionen in ihrer Ganzheit emstzuneh-
men. Interessant ist auch der Bericht über Versuche eines islamischen
Religionsunterrichtes in der Bundesrepublik.

Die in den beiden ersten Teilen vorgestellten Konzepte und
Ansätze werden in dem Teil III „Praxisbcispiele" in verschiedener
Hinsicht ausgeführt, wobei hier besonders die knappe Darstellung
von Autoren gefällt, die sich anderweits bereits ausführlicher
zu den Gegenständen geäußert haben. So führt z.B.
W. Neidhart in das „Erzählen von biblischen Geschichten"
(180-186) ein, I. Baldermann schreibt zum Thema „Wie Kinder
sich selbst in den Psalmen finden" (187-195).

Abgerundet wird der Band durch den Teil IV „Hilfen", der
u.a. Materialien, Überblicke über evangelische und katholische
Religionslehrpläne und eine Auswahl-Bibliographie zum Religionsunterricht
in der Grundschule enthält.

Insgesamt liegt hier ein durchaus anspruchsvolles, nicht nur
auf die Grundschule bezogenes Kompendium neuerer Religionsdidaktik
vor, das sich sowohl zur Einarbeitung in neue Themenbereiche
als auch - etwa im Zuge der Examensvorbereitung
- zur Wiederholung und Vertiefung von bereits Gelerntem eignet
. Zu bedauern ist allein, daß bei einer 1994 erschienenen
Publikation die spezifisch ostdeutschen Probleme der Religionsdidaktik
noch kaum Berücksichtigung finden. Aber auch
hier scheint das Buch den gegenwärtigen Forschungsstand zu
repräsentieren.

Halle (Saale) Christian Grethlein