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Ausgabe:

1995

Spalte:

944-945

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Salzmann, Christian Gotthilf

Titel/Untertitel:

Religionsbücher 1995

Rezensent:

Grethlein, Christian

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Theologische Literaturzeitung 120. Jahrgang 1995 Nr. 10

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gewiesen. Ein Literaturverzeichnis fehlt ganz. Am Ende der
jeweiligen Abschnitte oder Kapitel wird auf wenige Quellen (in
nicht immer durchschaubarer Auswahl) verwiesen. Sekundärliteratur
wird selten erwähnt.Dem Lehrbuchcharakter folgt die
Nennung von Kontrollfragen am Ende der Kapitel. Auch die zu
vielen der behandelten Autoren gebotenen - hilfreichen - biographischen
Informationen kommen Einführungszwecken entgegen
. Arbeitshinweisc und ein knapper Lexikonteil am Ende
des Buches sind hier ebenfalls zu erwähnen.

Inhaltlich überrascht zum einen die Konzentration auf den
schulischen Religionsunterricht (also auf Religionsdidaktik,
nicht Rehgionspädagogik), zum anderen - angesichts der im
Titel angekündigten Begrenzung auf das 20. Jh. - der Einsatz
schon bei F. Sehleiermacher. Auch wenn der Autor es im einzelnen
nicht belegt, kann der von ihm hier aufgenommenen These
vom Beginn der wissenschaftlichen Religionspädagogik an der
Wende zum 19. Jh. aber durchaus gefolgt werden. Die skizzenhafte
Darstellung zu Schleiermachers religionsdidaktischen Auffassungen
fällt dann allerdings zu knapp aus und fordert in mancher
Hinsicht kritische Nachfragen heraus: Ist Religion für
Schleiermacher wirklich „keim' öffentliche" Angelegenheit und
also Privatsache? Warum soll Schleiermacher kein Vertreter
„einer prinzipiellen theologischen Erziehungslehre" sein? usw. -
Im übrigen hätte ich mir zumindest einen Hinweis auf die mit der
Reformation einsetzende Katechetik gewünscht: Die Ursprünge
der modernen Religionspädagogik lassen sich zwar ohne den
Kontext der Aufklärung nicht angemessen darstellen, ohne Bezug
auf deren reformatorische Voraussetzungen aber auch nicht
zureichend verstehen. Aus dem 19. Jh. wird dann lediglich noch
C. Pahner aufgenommen (wobei dieser wohl etwas zu einlinig
der Restauration zugeordnet wird). Übergangen werden also insbesondere
die Herbartianer, deren enorme wirkungsgeschichtliche
Bedeutung innerhalb und außerhalb der - evangelischen und
katholischen! - Religionspädagogik des 19. und 20. Jh.s selbst
dann nicht verschwiegen werden darf, wenn ihr Denken heute
vielfach als überholt angesehen werden soll.

Die Vernachlässigung der von J. F. Herbart ausgehenden Wirkungsgeschichte
belastel dann insofern auch die vom Autor gebotene Darstellung
der Religionspädagogik im frühen 20. Jh.. als die starken Einflüsse des Her-
bartianismus auf die beiden hier exemplarisch behandelten Autoren, R.
Kabisch und F. Niebergall. nicht herausgearbeitet werden. Dennoch liegt in
diesem Kapitel zur „liberalen Religionsdidaktik" ein wichtiger Gewinn
gegenüber früheren Darstellungen, die gewöhnlich nur bis zur Evangelischen
Unterweisung zurückreichen und damit den Eindruck erwecken, vor
dieser habe es keine Religionspädagogik gegeben. Ob der scharfen Kritik
an Kabisch und dem Lob für Niebergall so zu folgen ist. wird umstritten
bleiben. Fine Diskussion der gegenteiligen Auffassung beispielsweise bei
(i. Bockwoldt wäre an dieser Stelle hillreich gewesen.

Mit dem Einsatz der Evangelischen Unterweisung beginnt
der eher konventionelle Teil des Buches. Hier werden die be-
kannten religionspädagogischen Konzeptionen zwischen etwa
1930 und 1980 referiert (u.a. G. Bohne, H. Kittel. M. Stallmann
, H. Stock. K. E. Nipkow) - mit auffällig breitem Raum
für den therapeutischen und den kritischen Religionsunterricht
(D. Sioodt, S. Vierzig, G.Otto). Andere Gliederungsvorschläge
, die über diese konventionelle Sichtweise etwa durch die
stärkere Berücksichtigung zeitgeschichtlicher Zusammenhänge
hinauskommen wollen, werden wiederum nicht genannt und
werden auch inhaltlich nicht erörtert. Die vom Autor zum Teil
gebotenen - wertvollen - Hinweise auf die geschichtlichen
Kontexte, in denen die sog. religionspädagogischen Konzeptionen
stehen, machen dabei nur um so deutlicher, daß das Kon-
zeplionen-Denken eigentlich längst überholt ist.

Ein knapper Ausblick mit zusammenlässenden Überlegungen
zu theoretischen Fragen (Erfahrungsbezug, Bildungsbegriff, Subjektverständnis
u.a.) beschließt das Buch. Neuere Entwicklungen
wie die Symboldidaktik weiden nur noch gestreift. Die Elementarisierungsdiskussion
, an der sich der Autor auch selbst beteiligt
hat, kommt erstaunlicherweise ebensowenig vor wie die seit den

8()er Jahren breit geführte Diskussion um (entwicklungs)psycho-
logische Fragen. Die Diskussion über Religions- und Gemeindepädagogik
in der früheren DDR wird nirgends aufgenommen.

Sein besonderes Profil - und damit überwiegt am Ende doch
der persönliche Essay - gewinnt dieses Buch durch das Interesse
an einer Religionsdidaktik, die vom „Primat der Didaktik"
im Verhältnis zur fachwissenschaftlichen Orientierung oder gar
Ableitung bestimmt ist. Die Bedeutung des Buches liegt daher
weniger bei einem „Prüfungswissen", wie es der Titel erspricht
, als in einer positionell-perspektivischen Darstellung
ausgewählter geschichtlicher Aspekte einer Theorie schulischen
Religionsunterrichts. Um so mehr ist zu bedauern, daß auf alle
Nachweise von Zitaten, Literatur usw. ebenso verzichtet wurde
wie auf das (kritische) Gespräch mit anderen Deutungen der
Entwicklung von Religionspädagogik als Wissenschaft.

Mainz Friedrich Schweitzer

Salzmann. Christian Gotthilf: Religionsbücher. Erster Unterricht
in der Sittenlehre für Kinder von acht bis zehn Jahren.
Wohlfeile, unveränd. Ausg., 1805 (1803). Heinrich Gottschalk
in seiner Familie, oder erster Religionsunterricht für Kinder
von 10 bis 12 Jahren. Wohlfeile, unveränd. Ausg., 1807 (I 804).
Unterricht in der christlichen Religion. Wohlfeile Ausg.. 1808.
Nachdr. mit einer Ein!., hrsg. von R. Lachmann. Köln-Weimar-
Wien: Böhlau 1994.XLVIII.278 S.,284 S.,82 S.gr.S« = Schulbücher
vom 18. bis 20. Jahrhunderl für Elementar- und Volksschulen
, 6. Lw. DM 198,-. ISBN 3-412-08893-5.

In der Reihe „Schulbücher vom 18. bis 20. Jahrhundert für Elementar
- und Volksschulen" erschienen als Band 6 drei von
Christian Gotthilf Salzmann in Schnepfenthal erarbeitete Religionsbücher
: Erster Unterricht in der Sittenlehre für Kinder von
acht bis zehn Jahren: Heinrich Gottschalk in seiner Familie,
oder erster Religionsunterricht für Kinder von 10 bis 12 Jahren;
Unterricht in der christlichen Religion.

Der Salzmann-Fachmann R. Lachmann leitet den Band kundig
mit einer über dreißigseitigen Einführung ein. Hier werden
Salz.manns Leben und Werk in Erinnerung gerufen und eine
kurze Einführung in Salzmanns religionspädagogisches Werk
gegeben. Dabei verdienen vor allein die anhand der Publikationen
Salzmanns herausgearbeiteten Hinweise auf dessen pädagogische
und theologische Entwicklung besonderes Interesse
. Ein Werkverzeichnis Salzmanns sowie eine Bibliographie
von Arbeiten über ihn runden die Einleitung ab und ermöglichen
eigenständige Weiterarbeit.

Neben dem historisch Interessanten und durch die Romanform
der beiden ersten Bücher auch Unterhaltsamen liegt systematisch
gesehen heute vielleicht bei der damaligen Schwäche die Stärke
von Salzmanns Bemühungen. Lachmann bemerk! kritisch gegenüber
dem Programm Salzmanns, erst die Sittlichkeit der Kinder
zu wecken und dann zu einem natürlich-theologischen Got-
tesverständnis zu führen: „Didaktisch dürfte es sieh dabei als
problematisch herausstellen, bei Kindern von immerhin schon
zehn Jahren so zu tun, als wüßten sie von Gott noch nichts, um
dann unter dieser künstlichen Voraussetzung mit ihnen zusammen
den langen, fünf Abschnitte umfassenden induktiven
Anmarschweg zu ,Gott dem .verständigen Wesen, das alles,
was da ist. hervorgebracht hat', durchzustehen." (XXXVIII)

In vielen ostdeutschen Gegenden, aber auch in manchen westdeutschen
Großstadtvierteln dürfte der Säkularisierungsprozeß
soweit fortgeschritten sein, daß sich heute vermehrt im Religionsunterricht
die Aufgabe einer konstruktiven Einführung des
Gottesbegriffs stellt. Dazu enthält der gewiß zeitgebundene Versuch
Salzmanns, mittels spannender Familienromane zu religiösen
Inhalten zu führen, anregendes Potential. Auch die durch die