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Ausgabe:

1995

Spalte:

940-942

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Dimpflmaier, Anton

Titel/Untertitel:

Neues Testament und Glaubensweitergabe 1995

Rezensent:

Wegenast, Klaus

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Theologische Literaturzeitung 120. Jahrgang 1995 Nr. 10

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Dogmen, Traditionen etc.) fragen, können wir auch deren
Wesen erfassen."(79). Theologisch untermauert der Vf. seine
Position mit Hilfe des biblischen geschichtlichen Gottesbildes,
von dem her Wahrheit nicht abstrakt-zeitlos, sondern als konkretes
Geschehen verstanden werden muß, wie auch von der
Lehre vom Heiligen Geist her: Alles Wirken des Geistes müsse
man nach Paulus daran messen, ob Jesus dadurch Herr und die
Gemeinde gebaut werde.

Im zweiten Teil werden mit Hilfe dieses Denkschemas wichtige
theologische Themen abgeschritten, die heute besonders kontrovers
diskutiert werden. So stehen beispielsweise das Schriftverständnis
, die Sakramentslehre, das Verhältnis von Kirche und
Staat und das Verständnis von Evangelisation und Bekehrung auf
dem Programm. Der Vf. skizziert dabei jeweils die beiden vom
ihm kritisierten Positionen „Mystik" bzw. „Magie" mit ihren
Ansichten zur Sache, um dann seine Ansicht darzustellen. So
wehrt er sich z.B. bei der Wahrheitsproblematik gegen Dogmatismus
(Magie) und Relativismus (Mystik), um dann seine funktionale
Sicht dagegen zu setzen: „Unsere theologischen Formeln
haben für den Gemeindeaufbau in einer bestimmten Situation
nützlich zu sein, nicht mehr, aber auch nicht weniger" (128).
Beim Schriftverständnis stellt er sich ausdrücklich hinter
Luthers „funktionales" Prinzip „was Christum treibet", und er
kritisiert Fundamentalismus und Eklektizismus.

Man wird dem Vf. schlecht unterstellen können, er vertrete hier die weithin
üblichen evangelikalen Denkmuster. Es ist vielmehr zu vermuten, dal.!
gerade evangelikale Vertreter mit mancher hier gemachten Äußerung Mühe
haben dürften. Doch auch für lutherische Leser dürften gelegentlich Grenzen
des Verstehenkönnens erreicht sein, wenn sie sich z.B. in der Sakramentslehre
im Denkmuster „Magie" wiederfinden - relativ dicht neben
einem von K. Deschner (!) zitierten Beispiel für ein magisches Taufmißverständnis
in einem katholischen Handbuch für Pastoralmedizin von
1923. Ob der Vf. selbst - und wenn ja: wie, mit einer Präsenz Christi in den
Sakramenten rechnet, bleibt ziemlich offen, da er theologische Formeln hier
bewußt vermeidet und ihm von seinem funktionalen Ansatz her Gestaltungsfragen
wichtiger werden.

In einem dritten Teil geht der Vf. schließlich auf Konsequenzen
für den Gemeindeaufbau ein. Freilich bleibt er auch hier im
Bereich des Grundsätzlichen. In der Konsequenz seiner Unterscheidung
und Zuordnung von Institution und Ereignis geht es
ihm nun darum, einige grundlegende Fragen der „gemeindekybernetischen
Strategie" (251) zu entfalten. Das vom Vf. propagierte
neue Paradigma des funktionalen Ansatzes wird hier einmal
von Seiten biologisch-organischen Denkens her ergänzt.
Sein funktionales System will nicht im technokratischem Sinne
einer „Macher-Ideologie" verstanden werden: „Funktionalität
in dem in diesem Buch vertretenen Sinne bedeutet gerade, sich
an den Prinzipien zu orientieren, die Gott seiner Schöpfung gegeben
hat" (264). Hier wie auch an anderen Stellen des Buches
wird gelegentlich deutlich, daß sich der Vf. von Tendenzen
einer Fixierung auf zahlenmäßiges Wachstum der Gemeinden,
wie sie in den Reihen der Gemeindewachstums-Bewegung bisweilen
erkennbar sind, lösen möchte. Im biblischen Schöpfungsglauben
sieht der Vf. auch den theologischen Grund für
die Möglichkeit, säkulare kybernetische Erkenntnisse für den
Gemeindeaufbau zu nutzen. Von diesen theologischen Rahmenbedingungen
her entwickelt der Vf. dann seine „gemeindekybernetische
Strategie", die sich aus acht „Basisprinzipien"
(bezogen auf Inhaltsfragen), sechs „gemeindekybernetischen
Grundregeln" (Methodenfragen) und einer „Minimumsfaktor-
Strategie" (Frage nach dem Zeitpunkt) zusammensetzt. Überlegungen
zur Frage der Machbarkeit des Gemeindeaufbaues, die
der Vf. mit IKor 3,6-9 zu beantworten sucht, und ein Ausblick
auf den „Weg ins dritte Jahrtausend" mit Vorschlägen, wie der
Gemeindeaufbau die gesellschaftlichen „Megatrends" positiv
nutzen könnte, beschließen das Buch.

Der theologisch grundsätzlichen Veröffentlichung aus der
Feder des Institutsleiters in Emmelsbüll sollte hohe Aufmerksamkeit
zuteil werden. Es ist eine Studie, die Grenzen der
Abgrenzung der theologischen Lager zu überschreiten sucht.
Dafür ist dem Vf. zu danken. Er hat die Fähigkeit, didaktisch
und sprachlich geschickt zu schreiben. Durch das durchgängige
Prinzip der Zuordnung und Abgrenzung von Mystik und Magie
macht er die vorgetragenen Inhalte durchsichtig und interessant.
Das Buch ist für interessierte Laien wohl ebenso gut lesbar wie
für Fachleute. Es ist sehr geeignet, das theologische Gespräch
intern - also in den Reihen der Gemeindeaufbau-Vertreter unter
dem Zeichen von „geistlicher Gemeindeerneuerung" und „Gemeindewachstum
" - wie auch extern - mit den anderen theologischen
Ansätzen des Gemeindeaufbaues - anzuregen. Aus der
ganzen Fülle möglicher Fragen, die mit dem Vf. zu diskutieren
wären, will ich nur zwei zentrale Punkte herausgreifen:

1. Terminologisches: Ich gestehe, daß die benutzten Begriffe, so leserfreundlich
sie oft sind oder scheinen, mir oft erhebliche Mühe machen. Das
beginnt schon mit dem plakativen Titel. Der Vf. schreibt in dem Anspruch,
nach der Reformation im 16. Jh. und nach der pietistischen Reform nun eine
neue - die dritte Reformation - einläuten zu wollen. In großer Selbstverständlichkeit
wird von „Strategie" gesprochen und damit doch begrifflich
der Gemeindeaufbau in die Nähe eines (Eroberungs-)Feldzuges gerückt.
Die einzelnen „Prinzipien" und „Regeln", in denen bestimmte Erfahrungen
festgehalten sind, werden in einer Weise präsentiert, die mich - trotz aller
gegenteiligen Versicherungen des Autors - dennoch an technokratisches
Denken erinnern. Und in großer Selbstverständlichkeit wird von „der Gemeindeaufbau
-Bewegung" gesprochen, womit der Vf. - wenn ich recht
sehe - ausschließlich die dem evangelikalen Denken nahestehende Gruppe
meint. Dieser „Alleinvertretungsanspruch", der die vielen Konzepte und
Aktivitäten anderer - z.B. aus der früheren DDR oder von Seiten der
VELKD - ignoriert, ist mir schwer erträglich.

2. Denksystem: Die Zuordnung zu den „Schubkästen" Magie bzw. Mystik
gibt dem Buch eine interessante und etwas schrille Farbigkeit. Aber
wird sie dem christlichen Glauben gerecht? Jesus gehört mit seiner Art des
autoritativen Redens, mit seiner Heilungspraxis - so fürchte ich - in das
Schubfach der Magier, mit seiner Freiheit vom Gesetz andererseits wohl zu
den Funktionalisten, wenn nicht gar zu den Mystikern. Ist es ein Zufall, daß
Schwarz die Rückbindung seines Systems auf Jesus vermeidet? Hier stellte
sich wohl die Unhaltbarkeit dieser Negativtypologie heraus. Wird nicht
„Institution" auch in diesem Werk viel zu wenig problematisiert? Unter
„institutio" kann ja das „Stiftungskapital" der Kirche (die Faktoren impliziter
Ekklesiologie bei Jesus) ebenso verstanden werden wie die darauf bezogenen
Sakramente und fundamentalen Dimensionen einerseits und die
ganze Fülle weiterer - oft sehr menschlicher - Einrichtungen, mit denen das
Evangelium „auf Dauer gestellt" werden soll, andererseits. Hier muß unterschieden
werden, wenn nicht die Substanz der Kirche pauschal unter der
Überschrift „Institution" funktionalistisch gefährdet werden soll. Natürlich
kann es eine Kirche geben ohne Oberkirehenräte oder gregorianische Melodien
. Aber gibt es nicht einen Unterschied zwischen solchen „Institutionen"
und dem Verkündigungsauftrag und dem Vollzug der Sakramente?

Leipzig Wolfgang Ratzmann

Praktische Theologie:
Katechetik/Religionspädagogik

Dimpflmaier, Anton: Neues Testament und Glaubensweitergabe
. Zum Problem der Begründung theologischer Inhalte in
der Religionspädagogik. St. Ottilien: EOS Verlag 1994. 348
S. 8° = Studien zur Praktischen Theologie, 43. Kart. DM
38,-. ISBN 3-88096-721-0.

Aus Rom hört man von maßgeblichen Autoren, daß es an der
Zeit sei, den ganzen Glauben „systematisch und vollständig" an
die nachwachsende Generation weiterzugeben. Für diese Forderung
fungiert der sogenannte Missionsbefehl von Mt 28 als
Beleg: „Und lehret sie halten alles, was ich euch befohlen
habe.", als ob Jesus damit an den Glauben qua Lehre mit den
fünf Hauptstücken erinnert hätte.