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Ausgabe:

1995

Spalte:

934-937

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Janz, Oliver

Titel/Untertitel:

Bürger besonderer Art 1995

Rezensent:

Winkler, Eberhard

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Seite 1, Seite 2, Seite 3

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Theologische Literaturzeitung 120. Jahrgang 1995 Nr. 10

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einleitenden Kapitel über den Auslandsfunk der offiziellen Sender
eines Landes, die aus politischen Gründen ihre Grenzen überschritten
, wird in elf Unterabschnitten die „Christliche Rundfunkarbeit
im Kontext des internationalen Rundfunks" dargestellt.
Dabei wird kein Kontinent ausgelassen und keine Konfession.
Selbst die Rundfunkversuche von Christian Science und Adventismus
, ja des Islam werden referiert. Es ist frappierend, was vom
Autor dazu alles beigebracht wird. Er kann nicht nur berichten,
wann welche Menschen mit wieviel Geld und in wievielen Sprachen
auf welchen Wellen einen Sender zu betreiben versuchten,
sondern auch wieviel Hektar Land an welcher Stelle des Globus
sie dafür kauften.

Der Autor berichtet beiläufig, daß er selber seit vielen Jahren
mit einem Weltempfänger die Sender in aller Welt abgehört hat.
Dazu hat er die Hausmitteilungen ausgewertet, natürlich die
spärliche Sekundärliteratur gelesen und brieflich Kontakte zu
den Produzenten gesucht. So ist das Buch das Ergebnis einer
immensen Fleißarbeit.

Wer diese Berge an Information durcharbeitet, erfährt, daß
die christlichen Sender in der Regel von Privatpersonen gegründet
wurden. Einige von diesen Funkenthusiasten beriefen sich
dazu auf Visionen oder andere besondere Berufungen. Viele
fühlten sich durch die Erfahrung von Fügungen bestätigt, und
wenn dies auch nur eine Kursschwankung war, die ihnen den
Ankauf teurer Sendeanlagen plötzlich ermöglichte. Man kennt
dergleichen auch aus der allgemeinen Missionsgeschichte. Aber
daneben gab es auch die rationale Weitsicht und gescheite Verantwortung
von Fachleuten, die früher als offizielle Kirchenlei-
tungen die Bedeutung des Mediums erkannt hatten.

B. versucht, auch mit den Seltsamkeiten, über die er zu
berichten hat. fair umzugehen. So weckt er Verständnis dafür,
daß die privaten Produzenten oft aus finanzieller Not darauf
verzichten mußten, ein einheitliches Programm für ihren Sender
durchzugestalten, sondern vielmehr gezwungen waren, Sendezeit
zu verkaufen und so hintereinander Sendungen ähnlicher
Art von verschiedenen Gruppen auszustrahlen, was für den
Hörer zweifellos eine gewisse Eintönigkeit bedeutete. Nur wenige
Sender konnten sich ein eigenes „Format" leisten. Und oft
wurde bewußt oder unbewußt in Kauf genommen, daß nicht nur
geistliches Interesse die Sendung bestimmte. Wer Sendezeit
verkauft, holt sich oft auch politische Aussagen ins Programm,
die nicht theologisch reflektiert sind.

In seinem Eifer, alle diese Anfänge und Enttäuschungen und
Neuanfänge der privaten Produzenten darzustellen, übersieh!
der Autor, daß die Pioniere der privaten Rundfunkarbeit eigentlich
die publizistische Aufgabe, die ihnen das Medium stellte,
nicht erfaßt haben. Lediglich und ausgerechnet bei der Darstellung
der Arbeit der ..Christlichen Wissenschaft", die ja zu den
klassischen Sekten gerechnet wird, aber mit ihrer Zeitung
..Christian Science Monitor" immer schon eine gute publizistische
Arbeit machte, weil sie trennte zwischen Propaganda für
den Glauben ihrer Gruppe und zwischen publizistischer Verantwortung
für die Kunden, konstatiert der Autor, daß „Journalismus
und Religion deutlich getrennt" seien.

Wo der Autor zur Darstellung der neueren rundfunkpolitischen
Situation in Deutschland gelangt und referiert, wie die
Kirchen auf die Herausforderung des Privatfunks reagierten,
erklärt er zwar, daß wegen der Kulturhoheit der Länder die
Lage im Land sehr unterschiedlich sei. beschränkt sich dann
aber auf die Darstellung in Bayern. Das wirkt angesichts seines
Bemühens um weltweite Differenzierung sonst ziemlich unverständlich
und provinziell.

Mit dieser Enttäuschung im historischen Teil ist der Leser aber
schon vorbereitet auf Entsprechendes im grundsätzlichen Teil
„Christliche Rundfunkarbeit als grenzüberschreitendes Evangelium
". Schon diese Titelformulierung entbehrt der Schärfe. Die
..Arbeit" dient wohl bestenfalls dem Evangelium, ist es doch aber

nicht. Und wenn dann in einem ersten Unterkapitel „Modelle
christlicher Rundfunkarbeit" versprochen werden, dann wird die
schöne Vielfalt der Rundfunk-Wirklichkeit in ein Prokrustes-
Bett der Begrifflichkeit gezwungen. Dem Autor zufolge gibt es
zwei Grundmuster der Kommunikation: Gemeinschaft und Unterscheidung
. Bezogen auf die Dualität der Rundfunksender
ergibt sich daraus ein vierfaches Schema: Wo sich der Privatfunk
von der Welt unterscheidet, führt das zu einem „Entscheidungsmodell
" für das Programm. (Der christliche Privatsender ruft zur
Entscheidung auf.) Wo der Privatfunk zur Gemeinschaft mit der
Welt bereit ist, ergibt sich ein „Agenturmodell", nach dem den
Sendern christliche Ware geliefert wird. Wo der Gesellschaftsfunk
eine Unterscheidung von der Welt zuläßt, kann sich nur ein
„Nischenmodell" für den christlichen Funk ergeben. Wo der Gesellschaftsfunk
Gemeinschaft mit der Welt zuläßt, ist ein „Inte-
grationsmodell" angebracht. Der Rez. vermag nicht zu beurteilen
, ob solche Modellbauerei auf den Philippinen oder in Venezuela
angemessen ist, für den deutschen Bereich hält er diese
Unterscheidungen allerdings für eine aufgesetzte realitätsferne
Künstlichkeit, die der Praxis nicht dient.

Ein weiteres Unterkapitel „Zwischen Einwegkonimunikation und vollem
Erleben" füllt auf die verbreitete Ungenauigkeit in der Begrifflichkeit herein
, wenn die mediale Kommunikation der personalen entgegengesetzt
wird, als ob es überhaupt Kommunikation geben könnte, die nicht personal
wäre. Hier dürfte der Autor ein Opfer seiner Lektüre geworden sein. Im
Schlußstück ..Evangelium zwischen dem Anspruch Gottes und dem Dialog
der Gottsucher" wird vom Titel mehr versprochen, als dann gehalten wird.
Der Dialog der Gottsucher wird jedenfalls nicht dargestellt als Austausch
von Erfahrungen der Menschen untereinander über ihre Gotteserfahrungen.
Es geht dem Autor vielmehr um die Probleme, die sich aus dem Traditionsabbruch
ergeben. Daraus werden dann gewisse Konsequenzen für die Verkündigung
abgeleitet. Aber was da im einzelnen angesprochen wird, gilt für
jegliches kirchliches Arbeitsfeld und nicht nur für die Rundfunkarbeit.

Hannover Gerhard Isermann

Janz, Oliver: Bürger besonderer Art. Evangelische Pfarrer in
Preußen 1850-1914. Berlin-New York: de Gruyter 1994. XV.
615 S. gr.8° = Veröffentlichungen der Historischen Kommission
zu Berlin, 87. Lw. DM 264.-. ISBN 3-11-014140-X.

Diese philosophische Dissertation ist eine Fundgrube für die
Geschichte des evangelischen Pfarrers und des Pfarrhauses. Das
materialreiche Werk enthält einerseits mehr, als der Untertitel
verspricht: Zeitlich bezieht es den Vormärz, und teilweise das
18. Jh. ein. Regional werden die Grenzen Preußens des öfteren
überschritten. Andererseits konzentriert J. sich weithin auf
Westfalen, weil ihm die Daten sämtlicher von 1850-1914 dort
tätigen Pfarrer vorlagen. Zusammen mit vielen anderen Quellen
und ausgewerteter Sekundärliteratur gewann er eine Fülle empirischen
Materials, das er übersichtlich in zahlreichen Tabellen
zusammenstellte (500-570).

Das Verhältnis von „Pfarrer, Kirche und Staat" im Jahrhundert
nach dem Allgemeinen Landrecht für die Preußischen Staaten
wird im /. Kap. dargestellt. Die seit 1808 betriebene Zentralisierung
und Hierarchisierung der preußischen Landeskirche
unter staatlicher Kirchenhoheit bewirkte eine stärkere Kontrolle
des Zugangs zum Pfarramt (Examensordnungen) sowie der
Amts- und Lebensführung. „Die Pfarrer wurden zu Beamten
einer hierarchisch-bürokratischen Staatskirche" (26). Der damit
verbundene soziale Status wurde durch den Kulturkampf angeschlagen
. In den sozialen Kämpfen der 2. Hälfte des Jh.s wurden
den Pfarrern eigene Initiativen verwehrt und waren sie
widersprüchlichen Weisungen ausgesetzt. Im beruflichen und
davon nicht zu trennenden privaten Leben hatten sie einen
„umfassenden Verhaltenskodex zu beachten, dessen Rigidität
noch über das für die Staatsbeamten gültige Maß hinausging"
(60) und der volle Loyalität gegenüber dem Staat einschloß.