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Ausgabe:

1995

Spalte:

921-923

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Autor/Hrsg.:

Nußbaum, Norbert

Titel/Untertitel:

Deutsche Kirchenbaukunst der Gotik 1995

Rezensent:

Neumann, Helga

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Theologische Literaturzeitung 120. Jahrgang 1995 Nr. 10

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sierend vorgeht, legt es sich nahe, in einem weiteren dritten
Kapitel Barths Haltung zum Christusbild in der Kirche nunmehr
in einer systematischen Entfaltung darzustellen. Barth hat
immer betont, daß er kein allgemeines Urteil über die Kunst
abgebe, wohl aber als Theologe Kunst rezipiere. Folglich gilt
Barths Interesse vor allem der Frage nach der Kunst in der Kirche
. Und hier w achsen mit zunehmender Entfaltung des theologischen
Gesamtwerkes seine Vorbehalte. Der Vf. zeichnet diese
Spur des Bardischen Denkens überzeugend nach. Nur dort, wo
die Kunst die ehrfürchtige Distanz zu ihrem Gegenstand wahrt,
ist sie für Barth legitim. Gerade diese gewahrte Distanz ermöglicht
die Nähe zu ihrem Gegenstand. Es fällt jedoch auf, daß
Barth diese theologische Bestimmung nirgendwo ästhetisch
reflektiert. Er sieht in der christlichen Kunst, vor allem in den
Christusdarstellungen, ehereine illegitime .Zudringlichkeit' am
Werk, die letztlich .peinlich' wirke. Angesichts vieler sogenannter
.christlicher Kunstwerke' bis in unsere Tage hinein
kann man Barth da wohl nur zustimmen. Als grundsätzliches
ästhetisches Urteil vermag es jedoch nicht zu überzeugen.

Damit bin ich bei der Frage nach dem Ertrag der Arbeit angelangt
. Zunächst einmal ist es dem Vf. zu danken, daß er an einem
der gewichtigsten Theologen der protestantischen Theologiegeschichte
materialreich und detailliert dessen lebenslange Auseinandersetzung
mit einem konkreten Kunstwerk dokumentiert und
behutsam interpretiert hat. Bei der Lektüre des Buches bin ich
aber immer skeptischer geworden, ob wir für die gegenwärtig
neu aufgebrochene Debatte um das Verhältnis von Kunst und
Kirche. Theologie und Ästhetik von Barth wirklich etwas lernen
können. Diese Frage stellt sich mir gerade deshalb, weil ich den
theologischen Grundansatz Karl Barths für keineswegs Uberholt
oder widerlegt halte. Von Karl Barth habe ich in meiner eigenen
theologischen Biographie viel gelernt. Bei der Lektüre des hier
zu besprechenden Buches mußte ich - so fürchte ich - aber auch
w ieder einmal lernen, daß wir bei der Frage nach Kunst und
Ästhetik von Barth nichts (oder vorsichtiger: sehr, sehr wenig!)
lernen können. Barth führt als Theologe ein Gespräch über die
Kunst, er führt es aber nicht mit der Kunst. Deshalb geraten seine
theologischen Urteile ästhetisch nicht überzeugend. Eine gewisse
Ausnahme im Rahmen der Kunst hat Barth bekanntlich immer
Mozart zugeschrieben. Barth hat mit der Kunst Mozarts gelebt.
Und deshalb sind seine Urteile hier auch ästhetisch fundiert. Was
er aber an der Kunst Mozarts so rühmt, hätte er ohne Weiteres
auch bei Cezanne (und wohl auch Grünewald!) entdecken können
. Das kann man aber nur. wenn man sich auf einen wirklichen
Dialog einläßt. Karl Barths Theologie ist eminent dialogfähig.
Hinsichtlich der Kunst hat Barth diese Dialogfähigkeit nicht ausgeschöpft
. Mit Barth im Rücken muß das ästhetisch-theologische
Gespräch aufs neue beginnen - und anders geführt werden, als
dies Barth selbst getan hat.

Wuppertal Albrecht Grözinger

Nußbaum. Norbert: Deutsehe Kirehenbaukunst der Gotik

Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1994. VI, 455
S. m. 246 Abb. gr.8°. Lw. DM 68.-. ISBN 3-534-12542-8.

Im vorliegenden Band hat der Vf. ein Werk geschaffen, das
weit entfernt ist von den bekannten Übersichtsbüchern einer
Stilepoche. In acht Kapiteln werden alle Wurzeln und Zweige
des deutschen gotischen Kirchenbaus untersucht und miteinander
verknüpft.

Das erste Kapitel bringt einen Überblick über die For-
schungsgeschichte von der Romantik bis zur Gegenwart. Die
langsam sich anbahnende Wertschätzung der Gotik im 19. Jh.
fand dann sein schnell ihren Gipfel in der Begeisterung für die
großen Kathedralen, deren Vollendung als nationale Aufgabe

gefeiert wurde. Gegen Ende des Jh.s wich die diffuse Verehrung
des Mittelalters einer wissenschaftlichen Untersuchung
des Baustils, wenn es auch noch bis zu Dehio Unterschiede in
der Bewertung einzelner Stilphasen gibt. Nußbaum charakterisiert
die Forschungsmeinung der Gegenwart: „Sie [die Gotik]
hat kein System, sondern allenfalls eine Vielzahl von Systemen,
die sieh wechselseitig durchdringen und höchst eigenwillige
Schöpfungen hervorbringen".

Die Frage des Stilbeginns ist Inhalt des zweiten Kapitels. Das
Problem wird erschwert durch unterschiedliche Meinungen über
den Beginn der Gotik in Frankreich. Was sind nur Varianten der
späten Romanik, und was ist ein tatsächlicher Neubeginn? Daß
Deutschland im 12. Jh. Anregungen aus dem Nachbarland übernommen
hat und sie in seine heimische Tradition einarbeitete,
steht fest. Es entsteht damit eine Art Ubergangsstil, den N. mit
„Gotisches in der Spätromanik" beschreibt. In diese Phase gehören
unter anderem. Kirchen wie Limburg, Köln St.Gereon, der
Westteil von Bamberg und der Ostchor des Magdeburger Doms.
Als erste gotische Bauten in Deutschland sind die Liebfrauenkirche
in Trier und die Elisabethkirche in Marburg anzusehen. Mit
dem Zentralbau in Trier und der Hallenkirche in Marburg wurden
damit Bautypen in die Gotik übernommen, die schon in der
Romanik eine große Rolle spielten. Im dritten Kapitel, über die
Entfaltung der gotischen Architektur, untersucht N. die großen
Kathedralbauhütten und ihr Umfeld. Die neue Lichtästhetik eines
Suger von St.Denis prägt den Stil, der über Straßburg und Köln
sich nur zögernd in Deutschland durchsetzt. Aus immer wieder
anderen Quellen schöpft die deutsche Gotik und bringt damit
auch immer wieder andere Varianten des Kirchenbaus hervor. So
wird die Hallenkirche zu einer Konkurrentin der basilikalen Kathedrale
, die Zisterzienser übertragen aus ihrem Ursprungsland
Frankreich neue Chorformen, und die Bettelorden setzen eine
neue Einfachheit des Bauens durch. Die Backsteingotik entwickelt
mit dem anderen Material auch andere Bauformen und
prägt damit einen regionalen Stil.

Der „Stilpluralismus des 14. Jahrhunderts", wie N. sein viertes
Kapitel überschreibt, führt begonnene Tendenzen weiter fort, sei
es der Hallenbau, die Kirchen der Bettelorden oder die Backsteingotik
mit immer komplizierteren Netzgewölben. Dabei werden
die Kleinräume „zu Versuchsfeldern neuer Bauideen". Die
Architektur der Parierzeit füllt das fünfte Kapitel. N. spannt den
Bogen dieser Zeit weit. Er berücksichtigt in besonderer Weise
die politischen Bedingungen und die Rolle Karls IV. Prag als
letzte große Kathedrale wurde nicht mehr vollendet, und damit
begann ein bürgerliches Zeitalter mit bürgerlichen Auftraggebern
und einer neuen Organisation des Baugewerbes. Im fünften
Kapitel wird die Architektur des 15. Jh.s untersucht. N. geht
den vielfältigen Definitionen des Begriffs ...Spätgotik" nach und
behandelt dann einzelne Motive der Baukunst. Er untersucht
die neuen Turmprojekte. Chorfassaden. Ziergiebel und Portale,
sowie den Typ der neuen Stadtkirchen mit ihrem vereinheitlichten
Raum und den figurierten Gewölben.

Die Kirchenbauten in der spätesten Phase der Gotik bringen
eine „Dynamisierung der Architektur" (sechstes Kapitel). Die
strenge Struktuierung der Wände und Gewölbe weicht einer ve-
getabilen Auflösung oder einer Steigerung abstrakter Schmuckformen
. Besonders deutlich wird diese Tendenz vorerst in Kleinräumen
, an Emporen oder Ausstattungsstücken w ie z.B. an der
Tulpenkanzel in Freiberg oder an der 'kaufe in der Erfurter
Severi-Kirche. Allmählich verdrängen die pflanzlichen Ornamente
die abstrakten. Die Gewölbe werden zu Blüten, gedrehte
Säulen zu knorrigen Bäumen. Die sächsischen Hallenkirchen,
böhmische und süddeutsche Bauten sind Beispiele dieser Entwicklung
. In einem letzten kurzen Kapitel wird das Verhältnis
von Gotik und Renaissance untersucht. Auch diese Epochengrenze
ist von der Forschung heiß umstritten und läßt sich nicht
formal durch Stilunterschiede bestimmen. Im Kirchenbau be-