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Ausgabe:

1995

Spalte:

75-79

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Titel/Untertitel:

19. und 20. Jahrhundert 1995

Rezensent:

Wegenast, Klaus

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Theologische Literaturzeitung 120. Jahrgang 1995 Nr. 1

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Herausforderungen und Problemstellungen der neuen sozialen
Bewegungen und deren Lernerfahrungen. Es ist dem Buch zu
wünschen, daß es - trotz des nicht zu leugnenden Charakters
einer Habilitationsschrift - nicht nur die theoretische Debatte
um die Erwachsenenbildung der Kirchen belebt; ich denke an
eine Diskussion der etwa von B. Uphoff (Kirchliche Erwachsenenbildung
. Stuttgart 1991), R. Englert (Religiöse Erwachsenenbildung
. Stuttgart 1992) und dem Rezensenten (Erwachsenenbildung
zwischen Parteilichkeit und Verständigung. Göttingen
1989) vorgelegten Entwürfe mit dem von B.-K., zeichnet
sich doch hier ein Konsens jenseits konfessioneller Grenzen
und Trägerschaften in der Erwachsenenbildungsdebatte ab, der
auch in weiten Passagen des Buches selbst bereits Gestalt
gewinnt; darüberhinaus bietet die Arbeit die Möglichkeit zu
einer neuen Eröffnung des Gesprächs zwischen kirchlicher und
gewerkschaftlicher Erwachsenenbildung im Blick auf die Themenbereiche
Arbeit, Arbeitszeitgestaltung und individuelle
Lebenszeitgestaltung bzw. Familienbiographien. Insbesondere
aber wünsche ich der Arbeit eine weite praktische Rezeption in
den Arbeitsfeldern kirchlicher Erwachsenenbildung.

Rothenburg Gottfried Orth

Nipkow, Karl Ernst, u. Friedrich Schweitzer [Hg.]: Religionspädagogik
. Texte zur evangelischen Erziehungs- und Bildungsverantwortung
seit der Reformation. Bd. 2/1: 19. u. 20.
Jahrhundert. 2/2: 20. Jahrhundert. Gütersloh: Kaiser; Gütersloh
: Gütersloher Verlagshaus 1994. 223 S. u. 285 S. 8« =
Theologische Bücherei, 88 u. 89. Kart. DM 58,-. u. 68,-.
ISBN 3-579-02064-1 u. 3-579-02065-X.

Im Jahrgang 117, 1992, 787-789 habe ich den ersten Band der
hier anzuzeigenden beiden Teilbände rezensiert und meiner
Freude darüber Ausdruck verliehen, daß die Religionspädagogik
(RP) im vergangenen Jahrzehnt den Raum der Geschichte
für ihre Theorie und Argumentation zurückgewonnen hat. Mit
Ch. Bizer (JRP 1993,162) bin ich der Meinung, daß die RP sich
„nur im Durchgang durch ihre eigene Geschichte und ihre Vorgeschichten
... zu einer kritischen Wissenschaft entwickeln
(kann), die in der Selbstreflcxion auf ihre historischen Bedingungen
das Gespräch mit sozialwissenschaftlichen, psychologischen
und anthroplogischen Entwürfen so führen kann, daß sich
die jeweiligen Implikationen und Setzungen der Disziplinen
wechselseitig erhellen."

Die beiden vorliegenden Teilbände umfassen neben Texten
aus den genannten Zeiträumen ausführliche Einleitungen der
Hgg. (2,1: 17-43; 2,2: 19-56), einen Ausblick zur „Religionspädagogik
im geteilten Deutschland von den 70er Jahren bis
zum staatlichen und kirchlichen Einigungsprozeß" (2,2: 218-
241) und eine zwar nicht vollständige, aber doch zureichende
Bibliographie.

In beiden Teilbänden versuchen die Hgg., die ausgewählten
Texte nicht nur nach theologischen und pädagogischen Kriterien
zu bündeln und einer bestimmten Thematik zuzuordnen,
sondern auch unter Würdigung historischer und gesellschaftlicher
Bedingungen und Voraussetzungen. Das geht schon aus
den Formulierungen der Kapitelüberschriften hervor.

Bd. 2.1: I. Neues kirchliches Bewußtsein und Liberalismus: Der Streit
um Kirche, Schule und Religionsunterricht in der Zeit bis zur Mitte des 19.
Jahrhunderts. (Johann Hinrich Wichern, Christian Palmer, Wilhelm von
Humboldt, Friedrich Adolph Wilhelm Diesterweg). 11. Restauration und
Kaiserreich: Sittlich-religiöse Bildung und kirchliches Katechumenat.
(Stiehlsche Regulative von 1854. Tuiskon Ziller, Ernst Thrändorf, Carl
Adolf Gerhard von Zezschwitz und Friedrich Wilhelm Dörpfeld). III. Die
religionspädagogische Reformbewegung bis zum Ersten Weltkrieg (Ellen
Key, Otto Baumgarten, Bremer Denkschrift von 1905, Zwickauer Thesen
miii 19(19. Düsseldorfer Thesen von 1910, Friedrich Niebcrgall und Richard
Kabisch).

Natürlich fallen dem Fachmann auch noch andere Namen ein
zu den verschiedenen „Themen", aber Meinungsführer der Zeit
sind m.E. zureichend dokumentiert und auch mit Gründen
zugeordnet worden.

Der Bd. 2,2 sieht folgende Schwerpunkte vor: I. Evangelische Schulpolitik
und Religionspädagogik in der Weimarer Republik. (Otto Dibelius,
Richtlinien für die höheren Schulen Preußens von 1923, Otto Eberhard,
Theodor Hecke], Gerhard Bohne, Wilhelm Koepp, Magdalene von Tiling
und Martin Doerne). II: Evangelisches Erziehungsdenken in der Zeit des
Nationalsozialismus (Helmut Kittel, 4. Bekenntnissynode der Deutschen
Evangelischen Kirche. Martin Rang. Oskar Hammelsbeck, Memorandum
zu Kirche und Schule 1943). III. Evangelische Religionspädagogik von der
Nachkriegszeit bis Anfang der 70er Jahre. Aus verständlichen Gründen ist
dieses Kapitel zweigeteilt in einen Abschnitt zur Entwicklung in der Bundesrepublik
und in der DDR. Bundesrepublik: Hehnuth Kittel, Hans Slock.
Martin .Stallmann, Kurt Frör/Gert Otto, Hans Bernhard Kaufmann, Gert
Otto/Hans Rauschenberger, Evangelische Kirche in Deutschland: Stellungnahme
der EKD zu verfassungsrechtlichen Fragen des Religionsunterrichts
1971. DDR: Walter Zimmermann. Dieter Reiher. Jürgen Henkys.

Schon der Titel beider Bände, „Religionspädagogik", zeigt,
daß die Hgg. sich dazu entschieden haben, die Bemühungen um
evangelische Bildung und Erziehung auch aus Zeiten, da der
Begriff RP noch nicht geläufig gewesen ist, unter diesem Begriff
zu subsumieren und damit zu dokumentieren, daß schon
im 19. Jh. Fragestellungen für bedeutsam gehalten wurden, die
zu Beginn des 20. Jh.s als charakteristisch für die jetzt „RP"
genannten Theorien und Praxisversuche galten. Zu denken ist
an die Frage nach einem allgemeinen, also nicht-konfessionellen
Religionsunterricht, an die Ernstnahme exegetischer Forschung
, der Psychologie, der Religionswissenschaft und der
Volkskunde, an die Beachtung und Ernstnahme des Kindes und
vieles andere mehr. Zu warnen ist allerdings davor, den Kultur-
protetantismus der Religionspädagogik des beginnenden 20.
Jh.s ins 19. Jh. zurückzuprojiziercn und zu vergessen, daß es da
ja auch noch eine konfessionelle Katechetik gab, die später verdrängt
worden ist, deren Intentionen aber, z.B. die, Evangelium
und Adressat miteinander zu verschränken, auch heute noch
bedenkenswert erscheinen.

Der mir für die Rezension zur Verfügung stehende Raum läßt
es nicht zu, sowohl die Auswahl der Texte als auch die Prinzipien
der Darstellung und Kommentierung ausführlich zu würdigen
. Deshalb beschränke ich mich auf eine Würdigung der Einleitungen
und des Ausblicks am Ende des 2. Teilbandes.

Die Fragehinsichten für beide Bände und die darin dokumentierten
Epochen der RP sind, „ob das reformatorische Erbe
bewahrt", ob die von Schleiermacher und anderen vorgezeichnete
Synthese von Religion und religiöser Erziehung mit der
gesellschaftlichen und religiösen Modernisierung gelungen
erscheint und ob die sozialen und kulturellen Herausforderungen
seit der Mitte des 19. Jh.s wirklich aufgenommen und bearbeitet
werden konnten. (20) Interessant ist es, daß die Hgg. auf
diese Fragen in allen Kapiteln beider Bände keine einhelligen
Antworten zu geben vermögen. Das gilt sowohl für den Streit
um Kirche, Schule und Religionsunterricht, als auch für die
religionspädagogische Reformbewegung vom Beginn dieses
Jh.s und die „Reflexe" von Pädagogen und Theologen auf die
Restauration nach dem Scheitern der 48er Revolution. Stets zeitigen
sich alternative Positionen: Auf der einen Seite stehen
Versuche, im Nachgang zu Schleiermacher Überlieferung und
Modernität zu integrieren; so Ch. Palmer im Streit um Kirche
und Schule, die Herbartianer Ziller und Thrändorf im Zusammenhang
mit ihrer Vorstellung von einer sittlich-religiösen Bildung
und Erziehung als integrierende Bestandteile der Erziehung
überhaupt und die liberalen Religionspädagogcn vom
Beginn des Jh.s Baumgarten, Niebergall und vor allem Kabisch.

Auf der anderen Seite stehen Autoren, denen es um die Verteidigung
des status quo kirchlicher Macht, aber auch eines
kirchlichen Bewußtseins zu tun ist. Die Hgg. sehen da C. A. G.
v. Zezschwitz mit seiner Betonung einer Alleingeltung von