Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1995

Spalte:

914-915

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Heinz, Daniel

Titel/Untertitel:

Church, state, and religious dissent 1995

Rezensent:

Barton, Peter F.

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

913

Theologische Literaturzeitung 120. Jahrgang 1995 Nr. 10

914

Man kann nur holten, daß der Titel mögliehe Leser nicht
abschreckt, die meinen könnten, hier handele es sich um Spezi-
alprobleme einer uns sehr lernen Menschengruppe. Man könnte
von einer Befreiungstheologie für die Hispanics sprechen, würde
aber damit das Anliegen des Vf.s schon verfälschen. Denn
ihm gehl es nicht um eine Sondertheologie für eine marginali-
sierte Menschengruppe, wenn er auch iTnmer wieder auf die Erfahrungen
der Hispanics rekurriert, sondern um eine kontextu-
elle Theologie, die den biblischen Ursinn aufdeckt und geltend
macht gegenüber der stark traditionellen Theologie des US-Protestantismus
. So zeigt er z.B. am Sündenbegriff, daß der Gott
der Bibel sich offenbar mehr für den Mißbrauch von Eigentum
und Besit/ als für den Mißbrauch der Sexualität interessiert,
wahrend die in den Kirchen verbreitete Hochstilisierung sexueller
Sünden und die damit verbundene ..Privatisierung" der
Sünde als Problem zwischen Gott und dem Individuum dem
gesellschaftlichen Interesse der Besitzenden und Mächtigen
entspricht. G. stellt heraus, daß die Verletzung des Für-andere-
Seins, d. h. für Gott, für die Schöpfung und für die Mitmenschen
, im biblischen Sinne die Ursünde darstelle.

Der Vf. hat existentiell erfahren, was es im katholisch geprägten
Lateinamerika bedeutet, als Protestant einer religiösen Minderheit
anzugehören, deren Geschichtsverständnis durch die US-
Missionare allerdings so beeinflußt worden ist, daß ihnen die
US-Kulturals die christlichere und fortschrittlichere erschien. In
der Gegenwart erfährt er nun, was es heißt, als Angehöriger einer
ethnischen Minderheit in den gepriesenen USA unter den Glau-
bensgeschwistern zu leben, ohne als gleichwertig anerkannt zu
werden. Viele biblische Aussagen erschließen sich ihm besser
aus der Perspektive der Randständigen als aus der der Herrschenden
. Die Zugehörigkeit zu einer ethnischen Minderheit hat ihm
den Blick für Unterdrückung geschärft. ..die überall in der amerikanischen
Gesellschaft zu finden ist" (13) und die nicht mehr
durch die Schmelztiegeltheorie kaschiert werden kann. G. erkennt
ein entscheidendes Übel der US-Zivilisation in der Verklärung
der brutalen Landnahme. Weil man sich weigert, die
W ahrheit über die eigene Geschichte zur Kenntnis zu nehmen,
wird man sich im Schutz, der scheinbaren Unschuld nicht der
Ungerechtigkeit der Machtausübung und der Gesellschaftsordnung
der USA bewußt.

Die Stärke des Vf.s liegt darin, daß er alle theologischen
Aussagen auf ihre gesellschaftliche Relevanz befragt. z.B. auch
die christologisehen Streitfragen der alten Kirche. So kann man
streckenweise ein sein aufschlußreiches und gut verständliches
Korreferat zur traditionellen Dogmengeschichte lesen, wobei
der tiefe Einschnitt der konstantinischen Wende deutlich wird.
Heute erkennt der Vf. einen tiefgreifenden Veränderungsprozeß
im Selbstverständnis der Kirche, dessen Folgen er für drastischer
hält als die der Reformation des 16. Jh.s. Er ist gekennzeichnet
durch das Ende der konstantinischen Epoche, durch
das Versagen des Nordens gegenüber dem Süden, durch den
neuen Dialog zwischen den jungen Kirchen und den Kirchen
des Nordens, in dem letztere ganz, unerwartet lernen, die Bibel
anders zu lesen, den Zusammenhang zwischen Orthodoxie und
Orthopraxis erkennen, aus dem folgt, daß die neue Reformation
einen ökumenischen Charakter hat. d. h. ..daß sowohl das katholische
als auch das protestantische Verständnis des Heils der
Korrektur bedarf" (42). Wenn nun im Norden keine universal
gültige Theologie mehr getrieben werden kann, heißt das nicht,
daß Minderheiten. Schwarze oder Frauen jetzt eine allgemeingültige
Theologie treiben. Vielmehr ist ihre Theologie in dem
Sinne konkret, daß sie partikulare Interessenkonflikte reflek-
tiert, ohne die Kommunikator zwischen den verschiedenen Kirchen
unmöglich zu machen. Dieses Paradoxon erklärt sich aus
der Menschwerdung Christi, die es uns verbietet. Universalität
und Partikularität im Sinne Piatos als logisches Problem vorzustellen
. Nach dem biblischen Verständnis von Wahrheit ist das

von Kierkegaard sogenannte „Skandalon der Partikularität" ..für
alle christliche Theologie schlechthin unaufgebbar" (44).

Mit diesen Andeutungen muß es sein Bewenden haben. Dieses
Buch sei möglichst vielen Theologen an Universitäten und
in kirchlicher Praxis zur Lektüre empfohlen, nicht nur um etwas
über Lateinamerika, die USA. die Hispanics in den USA und
den US-Protestantismus zu lernen, sondern um mit dem Vf. in
einen Nord-Süd-Dialog über die Herausforderungen, vor denen
christliche Kirche am Ende des zweiten Jahrtausends steht, einzutreten
. Abschließend ein kleiner Hinweis für die Übersetzer:
Highschool (Sekundarschul-(Abgänger kann man nicht als
..Hochschulabgänger" übersetzen (23) und die US-Anglikaner
sollte man lieber mit ihrem Namen als Episkopalkirche bezeichnen
, statt als „Bischöfliche Kirche" (61).

Köln Hans-Jürgen Prien

Hein/.. Daniel: Church, State, and Religious Dissen!.

A Hislory of Seventh-day Adventists in Austria. 1890-1975.
Frankfurt/M.-Berlin-Bem-New York-Paris-Wien: Lang
1993. 206 S. 8° = Archivcs of International Adventist
History, 5. Kart. DM 48.-. ISBN 3-631-45553-4.

Die Geschichte der nicht-römisch-katholischen Konfessionen
und Religionsgemeinschaften in Osterreich ist - wie der Rez.
als Präsident der ..Gesellschaft für die Geschichte des Protetan-
tismus in Osterreich" nur allzu gut weiß - immer durch Bedrückungen
und Frustrationen geprägt gewesen. Das mußte
auch die Adventbewegung in (Österreich - deren Werdegang bis
1975 hier der Vf. ebenso liebevoll wie kritisch schildert - erleben
, wobei betont werden muß, daß die Staatskirchenhohcil in
Österreich wesentlich pointierter und die Behandlung der nichtanerkannten
kleinen Religionsgesellschaften bei weitem rigider
isi als etwa in der BRD. Der Vf. konnte bereits 1992 in „Zwischen
Zeit und Ewigkeit. Darstellung einiger adventistischer
Glaubenslehren" (Wien o.J.) das theologische Programm seiner
Glaubensgemeinschaft vorlegen. Es dürfte selten der Fall sein,
daß ein anderskonfessioneller Kirchenhistoriker als Rez. aus
der Einleitung erfährt, daß seine „stimulating lectures" den
Autor motiviert haben, sich intensiv auch mit der Geschichte
tles Protestantismus in Mittel- und Osteuropa zu beschäftigen.
Das Ergebnis dieser Hinwendung zur Kirchengeschichte isi ein
Werk, auf das man als ..unbewußter Anreger" slolz sein kann.

Das Jahr 1975 wurde vom Vf. wohl deshalb als Zäsur gewählt
, weil in diesem Jahr in Wien die erste außerhalb Nordamerikas
abgehaltene „Generalkonferenz" stattfand - ein grosses
Ereignis für die damals etwa 2800 österreichische Glieder
zählende Glaubensgemeinschaft. In Österreich-Ungarn gelang
die erste Gemeindegründung 1895 im siebenbürgischen Klausenburg
, wo auch aufgrund langer toleranter Traditionen und
unitarischer Präsenz, ein wesentlich liberaleres religiöses Klima
heriseine. Im heutigen Österreich war lange Zeit hindurch Christine
Rottmayer die einzige Adventistin. In Wien stieg die Zahl
der Anhänger bis 1907 auf 5 an. 1908 wurde die bis heule einzige
österreichische ..Kirche" der „Advent-Mission" in Wien etabliert
. Die 1914 ausgesprochene Bitte nach öffentlich-anerkannter
Religionsausübung wurde von Franz Joseph I. ..nicht
einmal ignoriert" und die Kriegsereignisse erschwerten die
Samstagsheiligung der langsam wachsenden Gemeinschaft. Die
religiöse DeStabilisierung, die auch nach 1918 zum Aufschwung
einer Los-von-Rom-Stimmung beitrug (und in Osler
reich zum neuerlichen Anwachsen des Protestantismus und in
der CSR zur Entstehung der hussitischen Nationalkirche führte
), war für die Erfolge der Adventmission günstig. An der im
Adventismus üblichen Bibelinterpretation waren zweifellos
österreichische Katholiken stärker interessiert als Lutheraner