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Ausgabe:

1995

Spalte:

900-902

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Pope, Michael

Titel/Untertitel:

Alfred Delp S.J. im Kreisauer Kreis 1995

Rezensent:

Schrader, Franz

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Theologische Literaturzeitung 120. Jahrgang 1995 Nr. 10

900

scher Orientierungen auf dem Wege, den die einstige preußische
Landeskirche in den drei Jahrzehnten vom Beginn der
Weimarer Republik bis zur Ost-West-Konfrontation nach dem
Zweiten Weltkrieg zurücklegte.

Es geht für diese Zeit um die tiefen Einschnitte der kirchlichen
Neugestaltung nach dem Ende des landesherrlichen
Summepiskopats, sodann um den radikalen Situationswandel
1933 mit dem Kirchenkampf und der Zerstörung der Landeskirche
, schließlich um die Neuordnung nach dem Zweiten Weltkrieg
. Die diese Brüche übergreifende, auf durchgehende Linien
achtende Darstellung führt bis zur Grundordnung von 1953.
Erst sie habe mit dem Verzicht auf eine Anknüpfung an die
Verfassung von 1922 sowie auf die Bezeichnung „altpreußisch"
(auf Verlangen der DDR) die rechtliche Kontinuität zur Vergangenheit
in Frage gestellt (412). Jedoch habe sich die „Evangelische
Kirche der Union" als wirksames Ost-West-Bindeglied
bewährt. Im Gesamthorizont der Darstellung findet auch die
nach 1945 an die EKD übergehende, ursprünglich führende
Rolle der einstigen preußischen Kirche innerhalb des deutschen
Protestantismus als ganzen Beachtung.

L. versteht die thematischen Leitbegriffe des Buches -
Bekenntnis und Volkskirche - als „Wegmarkierungen", zwischen
denen der Umgang mit den ekklesiologischen Problemen
der wechselnden Zeiten verlaufen ist. Am Ende konnte sich die
volkskirchliche Orientierung allerdings weder nach dem (v.a. in
Sachsen durch L. Ihmels vertretenen) Modell eines Aufbaus der
Volkskirche vom Bekenntnis her noch in einer „liberalen",
beim Kirchenvolk ansetzende Konzeption durchsetzen. - Andere
Orientierungsbegriffe, die temporär eine besondere Bedeutung
erlangten, kommen hinzu: angesichts politischer Übergriffe
das Bestehen auf der Selbständigkeit der Kirche; kurzzeitig
(im Sog der „nationalen Revolution" von 1933) das vehemente
Drängen zur Einheit; bei der Neukonstitution nach 1945 dann
vor allem der sich durchsetzende, nach verschiedenen Seiten
entfaltete Leitbegriff der Kirchengemeinschaft.

Das Erkenntnisinteresse des Vf.s liegt im Bereich der Theologiegeschichte
, die aufgrund des Ekklesiologiethemas freilich
nicht von der wirklichen Kirche abgehoben ist. sondern im engsten
Bezug zum wechselvollen und konfliktreichen Weg der
Kirche während jener Jahrzehnte verläuft. Dem entspricht die
Darstellungsweise. Zu den zeitlichen Hauptphasen des Geschehens
informiert das Buch jeweils zunächst über die wichtigsten
kirchlichen Vorgänge, vor allem die Synoden, schildert dann
deren Hintergründe anhand der spezifischen Zielsetzungen der
agierenden kirchlichen Gruppen und geht schließlich ausführlicher
auf die, soweit eruierbar, expliziten theologischen Begründungen
ein, die in der ekklesiologischen Debatte eine Rolle
spielten. Hier kommen dann viele Einzelstimmen, auch über
den Kreis der bekanntesten Theologen der Zeit hinaus, zu Gehör.

Die Darstellung ist betont deskriptiv-analytisch gehalten. Es
geht dem Vf. darum, „in möglichst differenzierter Weise eine
Orientierung über einflußreiche theologische und kirchliche
Strömungen" zu geben. Gerade angesichts der auf die Fronten
des Kirchenkampfes bezogenen leidenschaftlichen Urteile soll
auf eine „Bewertung der Entwicklung" verzichtet werden. Das
mindert aber, wie sich zeigt, keineswegs das Problembewußtsein
, sondern bietet Raum zur Beachtung sonst meist vernachlässigter
Aspekte und Kontinuitätslinien damaliger ekklesiolo-
gischer Debatten. Verlaufsgeschichtlich ergibt sich eine Grobgliederung
von vier Phasen: Die Neugestaltung nach 1918; Das
Jahr 1933; Der Kirchenkampf; Der Neuanfang nach 1945.

Einen interessanten Aspekt der Darstellung bilden die aus
dem 19. Jh. datierenden preußischen Kirchenparteien: die
„Positive Union", die sich, unionsbejahend, gegenüber dem
Liberalismus vor allem für das christologische Bekenntnis stark
gemacht hatte; die vermittelnde, am persönlichen Glauben und
am volkskirchlichen Bezug orientierte „Evangelische Vereinigung
", deren Linie traditionell auch im Kirchenregiment zur
Geltung kam; die kirchenpolitisch am Rande befindliehen
„Konfessionellen" beider Bekenntnisse sowie die liberalen
„Freunde der freien Volkskirche". Der Situationsbruch 1933,
der diese Parteien ihres synodalen Forums beraubte, ließ sie
zugunsten neuer Gruppierungen (DC. Jungreformatorische
Bewegung, BK) verschwinden. Die Stellungnahmen namhafter
Theologen und Kirchenleute aber lassen, wie der Vf. vielfältig
belegt, das Fortwirken der alten Orientierungen erkennen, nun
freilich in veränderten Konstellationen und z.T. auch die Fronten
des Kirchenkampfes übergreifend.

Die thematische Perspektive ergibt interessante Aspekte für
das Wirken einzelner Gestalten wie Dibelius, Barth, Bonhoet-
fer, E.Hirsch, Althaus und Eiert, des von der Dialektischen
Theologie her zu den DC kommenden Hans Michael Müller
oder Adolf Schlatters, der einerseits als „Vater der Deutschen
Christen", andererseits als zur BK gehörend gesehen wurde -
um hier nur einige Namen zu nennen. Ein kontinuierliches Interesse
des Vf.s gilt dem Fortwirken liberaler Positionen in den
20er Jahren und sodann unter der Bedingung veränderter Frontverläufe
. Besondere Würdigung erfährt auch das in der Traditionslinie
Schleiermachers entwickelte, als „Interpretation der
Verfassungsurkunde von 1922" erarbeitete synthetisch-integra-
tive Kirchenmodell Günther Holsteins, das von der Volkskirche
ausging und mit seiner pneumatologischen Zentrierung dem Vf.
..auch heute noch beachtenswert" (96; 484) erscheint.

Im Ergebnis ging dann doch die volkskirchliche Orientierung
verloren. Eine Erneuerung der Union nach 1945 unter diesem
Vorzeichen, wie sie Dibelius anstrebte, habe nicht stattgefunden
. Der Vf. konstatiert hier einen „die Union seit 1933 begleitende
^) Kontinuitätsabbruch", dem nur einzelne Theologen
wie R.Hermann und H.E.Weber auf ihre Weise entgegenzuwirken
versucht hätten. Der „Prävalenz der Bekenntnisfrage gemäß
", habe sich „das positive Modell latent durchgesetzt": Kirchengemeinschaft
im Zeichen von Unio und Confessio (4831).

Die problemorientierte, facettenreiche Darstellung ergibt insgesamt
so etwas wie eine Topographie der ekklesiologischen
Thematik und Gedankenbildung während der wechselvollen
Geschichte jener Jahrzehnte. Dem Vf. ist für ein sehr lehrreiches
Buch zu danken, das gerade durch das Aufzeigen von üblicherweise
weniger beachteten Linien das Verständnis des Weges
der Evangelischen Kirche der Union und des deutschen Protestantismus
in unserm Jh. fördert und durch gründliche Information
der Erörterung zentraler Sachfragen zu dienen vermag.

Berlin Rudolf Mau

Pope, Michael: Alfred Delp S.J. im Kreisauer Kreis. Die

Rechts- und sozialphilosophischen Grundlagen in seinen
Konzeptionen für eine Neuordnung Deutschlands. Mainz:
Grünewald 1994. XX, 233 S. gr.8° = Veröffentlichungen der
Kommission für Zeitgeschichte. Reihe B: Forschungen. 63.
ISBN 3-7867-1769-9.

Der Vf. teilt sein Buch in 4 große Abschnitte ein. Nach einem
Blick auf das Gesamtwerk von P. Delp und die darin liegenden
Grundlagen für die spätere Widerstandstätigkeit von P. Delp (4-
48) folgt der in 7 Kapitel gegliederte Hauptteil des Werkes (48-
158) mit dem Titel: Der Beitrag Alfred Delps für die Neuordnungskonzeptionen
des Kreisauer Kreises. Diesem Hauptteil
folgen dann noch 2 kleine Teile. Zunächst folgt ein Abschnitt,
der überschrieben ist: Die Stellung und Bedeutung Alfred Delps
im Kreisauer Kreis (159-196) und dann der Schlußteil: Einordnung
, Kritik und Würdigung (197-227). Grundlage für das
Werk des Vf.s ist eine erst posthum im Jahre 1955 erschienene
nachgelassene Schrift von P. Ddp: „Der Mensch vor sich