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Ausgabe:

1995

Spalte:

895-896

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Titel/Untertitel:

Freunde und Feinde 1995

Rezensent:

Seidel, Jürgen

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Seite 1

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895

Theologische Literaturzeitung 120. Jahrgang 1995 Nr. 10

896

merksam gemacht sei auf den Nachtrag zur KGA-Edition von
Schleiermachers Abhandlung ..Über den Gegensatz zwischen
der Sabellianischen und der Athanasischen Vorstellung von der
Trimtät" (14. Anm. 61).

Leipzig Kurt Nowak

Dietrich, Christian, u. Uwe Schwabe [Hrsg.|: Freunde und
Feinde. Dokumente zu den Friedensgebeten in Leipzig zwischen
1981 und dem 9. Oktober 1989. Dokumentation. Mit
einem Vorw. v. H. Wagner. Hrsg. im Auftrag des „Archiv
Bürgerbewegung e.V." Leipzig. Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt
1994. 571 S. 8«. Kart. DM 38.-. ISBN 3-374-
01551-4

Die Phase der Ersttags-Publikationen zur politischen ..Wende'"
1989 in der ehemaligen DDR neigt sich ihrem Ende zu. Der
Übergang zu vertiefter Darstellung und geordneten Dokumentationen
ist bereits eingeleitet. Es wird trotzdem noch längere Zeit
dauern, bis die vielfachen Hintergründe über das Ende der DDR
und der (in-)direkte Beitrag der Kirchen nicht nur emotional,
sondern auch wissenschaftstheoretisch dargestellt werden können
. Während dazu die Aktenbestände der staatlichen und gesellschaftlichen
Größen in der ehemaligen DDR größtenteils
jedermann offenstehen, bleiben nach wie vor die Kirchenarchive
(für die vorliegende Dokumentation besonders diejenigen
des Dresdner Landeskirchenamtes und der Bischofskanzlei)
weitestgehend verschlossen. Dadurch muß sich die Würdigung
des Beitrags der Kirchen zu den Ereignissen von 1989/90 meist
auf den Tagesjournalismus und auf Erinnerungen der Zeitzeugen
begrenzen.

Eine erhebliche Wertsteigerung erfährt die Arbeit durch die
Nutzung des Archivs der Bürgerbewegung in Leipzig und
durch eine aufwendige Materialbeschaffung über ein Net/ persönlicher
Beziehungen. Die Hgg. haben sich nicht begnügt mit
einer allgemeinen Zusammenstellung von Berichten und Erin-
nerungen von Beteiligten, sondern haben versucht, unterschiedliche
Perspektiven in ihre Darstellung einzubeziehen und die
einzelnen Anlässe in einem größeren Zusammenhang erkennbar
werden zu lassen, d.h. das System der Kommunikation, aber
auch der Hehlinterpretationen, Mißverständnisse, Vorurteile
und Wirkungen im Verhältnis Staat-Kirche und innerhalb der
kirchlichen Gremien, aber auch zwischen Kirche und den diversen
Friedensgruppen aufzuhellen. Den offiziellen kirchlichen
und staatlichen Verlautbarungen werden Hintergrundinformationen
beider Seiten sowie solche aus dem Bestand der Stasi-
Unterlagen beigegeben. Die kirchlichen Quellen setzen sich
hauptsächlich zusammen aus Texten der Veranstaltungen in
Leipziger Kirchen, Protokollen kirchlicher Gremien, Reflexionen
der Kirchenleitungen und Gruppen sowie Gedächtnisprotokollen
von Beteiligten. Überwiegend Fehlanzeige herrscht
allerdings bzgl. der Leipziger Theologischen Fakultät und ihres
Lehrkörpers, obwohl St. Nikolai seit der Sprengung der Universitätskirche
1968 die Universitätsgottesdienste beherbergt.

Im Jahre 1980 nahmen die Friedensgebete ihren Anfang mit
der Einführung der Friedensdekade in der evangelischen Kirche
der DDR. Eine intensivere Friedensarbeit setzte jedoch bereits
1978 nach der Einführung des Pflichtfaches Wehrkunde in den
DDR-Schulen ein. Den Hgg. stand für ihren Raum allerdings
erst seit 1981 entsprechendes Material zur Verfügung. Der
Schwerpunkt der Sammlung liegt eindeutig auf den Texten der
letzten beiden Jahre, in denen sich die gesellschafts- und kirchenpolitischen
Spannungen nach verschiedenen Richtungen
hin verschärften. Diese Entscheidung der Hgg. bedauert der
Rez. insofern, als damit die Vorgeschichte der sog. Leipziger
Revolution großenteils noch im Graubereich bleiben muß und

damit die Herbstereignisse 1989 in der Stadt relativ isoliert hervortreten
.

Die Friedensgebete in der dadurch weltweit bekanntgewordenen
Stadtkirche St. Nikolai wurden zu einem „entscheidenden
Symbol für die Revolution in der DDR" (31). Wagner weist in
seinem Vorwort einschränkend darauf hin, daß er die Friedensgebete
und die anschließenden Demonstrationen in Leipzig
nicht für wichtiger erachtet als diejenigen in der übrigen DDR
und in Berlin. Allen Aktivitäten gemeinsam war letztlich, daß
ihnen machtpolitisch nicht beizukommen war. Das Bild der in
der ostdeutschen Öffentlichkeit ramponierten DDR-Kirche, der
eine „Kumpanei" mit dem SED-Staat vorgeworfen wurde,
gewinnt durch deren einsehbare Friedensaktivitäten positive
Nuancen zurück.

Die Dokumente bestätigen einen (m. E. in demokratischen
Ordnungen völlig normalen) Konfliktbereich, der zuweilen
zwischen den hierarchischen und basisdemokratischen Orientierungen
in der (evangelischen) Kirche aufgebrochen war. Zudem
wird einmal mehr erkennbar, daß auch die evangelische Pfarrerschaft
in der DDR in sich uneins war hinsichtlich ihrer Stellung
zu verschiedensten Erscheinungen und Optionen des DDR-Staates
sowie ihrer Position zu den politisch alternativen (Friedens-
)Gruppen. Inwieweit die Wende 1989 Gespräche hierüber abgebrochen
oder neue in Gang gesetzt hat. bedarf eingehender
Untersuchungen. Wahrscheinlich könnte eine Offenlegung auch
kirchlicher Internas verschiedene die Kirche insgesamt noch
belastende Unklarheiten mindern.

Von Interesse wäre es ebenfalls, die Herbstereignisse 1989
und den kirchlichen Beitrag dazu auch aus dem Blickwinkel kirchenferner
Bevölkerungsschichten zu dokumentieren und darzustellen
. Im Vorwort wird ausdrücklich daraufhingewiesen, daß
für den Zusammenbruch der SED-Herrschaft neben der prekären
wirtschaftlichen Situation und dem politischen Bankrott der
SED auch die Reformbewegung in Osteuropa eine entscheidende
Rolle gespielt hat. Punktueller Auslöser für die vorletzte Szene
der DDR-Geschichte war bekanntlich, daß der ungarische Staal
die Reise-Vereinbarung mit der DDR aufkündete, so daß fortan
DDR-Bürger ohne Genehmigung ihres Staates in Drittländer -
und damit ins westliche Ausland - ausreisen durften.

Die vorliegende Publikation bildet einen wichtigen Mosaikstein
zur Darstellung der DDR-Geschichte der achtziger Jahre.
Leider muß der Rez. das Fehlen eines Seitenregisters zu Personennamen
und eines Verzeichnisses der in den Zusammenhang
gehörenden und bisher bekannten IM, OV usw. anzeigen, die
angesichts der Flut der zu erwartenden Dokumentationen zum
parallelen Lesen unersetzlich sein dürften.

Jenins J. Jürgen Seidel

Kersting. Andreas: Kirchenordnung und Widerstand. Der

Kampf um den Aufbau der Bekennenden Kirche der altpreußischen
Union aufgrund des Dahlemer Notrechts von
1934 bis 1937. Gütersloh: Kaiser/Gütersloher Verlagshaus
1994. XII, 427 S. gr.8» = Heidelberger Untersuchungen zu
Widerstand. Judenverfolgung und Kirchenkampf im Dritten
Reich, 4. Kart. DM 98.-. ISBN 3-579-01853-1.

Die noch von Heinz Eduard Tödt betreute Heidelberger Dissertation
analysiert die Geschichte des Kirchenkampfes innerhalb
der Evangelischen Kirche der altpreußischen Union bis 1937
vor dem Hintergrund, „daß in der bisherigen kirchlichen Zeitgeschichtsforschung
immer noch eine Untersuchung über den Kirchenkampf
seit 1933 fehlt, tlie sich schwerpunktmäßig mit seiner
kirchenrechtlichen und institutionellen Seite befaßt" (14).
Wenn man sich bisher mit der kirchenrechtlichen Bedeutung
des Dahlemer Notrechts der BK auseinandersetzte, ging es