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Ausgabe:

1995

Spalte:

889-893

Kategorie:

Neues Testament

Titel/Untertitel:

Die Theologie der Evangelien 1995

Rezensent:

Merk, Otto

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Theologische Literaturzeitung 120. Jahrgang 1995 Nr. 10

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pretierende Paraphrase des jeweils behandelten Textstückes.
Doch nicht in jedem Fall ist der Bezug auf die Glaubensdefiniti-
on ll.l vollständig herstellbar (für 11,29-31 gesteht R. selbst
ein [303}; auch das Noah-Bespiel 11,7 wäre m.E. hier zu nennen
). Möglicherweise ist also der Glaubensbegriff des Hebr
aspektreicher und weniger einseitig eschatologisch orientiert,
als es 11,1 zu erkennen gibt. Zudem bleibt, und dessen ist der
Vf, sich bewußt, der Nachweis traditionsgeschichtlicher Voraussetzungen
des Hebr aus den frühjüdischen Schrillen oftmals
schwierig (zur Frage der Targum-Datierung vgl. den die Methode
reflektierenden Exkurs „Die Targumim und das Neue Testament
" |I63-1681). Ein einheitliches Bild von der Herkunft des
benutzten Materials (und den Wegen seiner Vermittlung) will
sich nicht ergeben: exemplarisch hebt R. die Bedeutung so heterogener
Schriften wie Jub. 4 Makk und der Targumim zu Gen 4
für seine exegetische Arbeit hervor (349).

Dali das traditionsgeschichtliche Vorgehen R.s auch methodische Probleme
birgt, will ich am Beispiel der Esehatologie zeigen, die auch nach
Ansicht des Vf.s weiterhin den ..Kernpunkt" (351) des Rätsels lies Hebräerbriefes
ausmacht. R. bemüht sieh, ein einheitliches Bild der eschatologi-
schen Naherwartung des frühchristlichen Textes zu zeichnen (vgl. die Skizze
zum „Weltbild" des Hebr 11221). wobei er die katdpausis-Vorstellung der
Kapitel 3 und 4 mit der Vorstellung vom zweigeteilten himmlischen Heiligtum
verbindet (ist die katdpausis mit dem himmlischen debir identisch oder
ist sie umfassender zu verstehen .'). Besonders bei der Deutung von 12.18-
24 gerät R. in Schwierigkeiten: Die offensichtliche Spannung zwischen
11.39 f. und 12.23 soll dadurch entschärft werden, daß man für den Hebr das
frühjüdisch bezeugte Theologumenon vom leiblosen Zwischenzustand der
Seelen annimmt (330f.) und daß ferner festgehalten wird, die Seelen der
vollendeten Gerechten nach 12.23 seien zwar im himmlischen Jerusalem,
aber eben noch nicht im himmlischen Allerheiligsten (331 mit Anm. 1150).
Entspricht das der Absicht des Textes, der den Zutritt zur neuen Heilsordnung
mit dem zur irdischen Sinai-Offenbarung vergleicht? Will die Passage
einen eschatologisehen Vorbehalt herausarbeiten? Wollte man so exegesie-
ren. bliebe zu fragen, wo sich der im folgenden Vers genannte Mittler des
neuen Bundes, Jesus, und das von ihm dargebrachte Blut befinden, zu
denen die Adressaten „hinzugetreten" sind. Das postulierte Theologumenon
läßt sich am Text nicht ohne Eintragung und Harmonisierung nachweisen.
R- steht m.E. noch zu sehr unter dem Eindruck des alten Streites um die -
nicht gelungene - "gnostisehe" Herleitung der Esehatologie des Hebr.
Gewiß ist der Traditionsiii nie ig rund des Hebr zuerst im (auch hellenistisch
beeinflußten!) jüdischen Umfeld zu suchen. Doch darf dies nicht zum Einlesen
von Vorstellungen in den Text verführen, denn man begäbe sich so
der Chance, die Textaussagen gerade in ihrer Eigenart in eine Entwicklungslinie
der Tradition einzuordnen. Und auch die frühjüdisch-apokalyptische
Esehatologie etwa ist kein erratischer Block, sondern vielgestaltig und
veränderlich.

Es ist nicht notwendig, alle z.B. eschatologisehen Aussagen
des Hebr aus einer völlig kohärenten Vorstellung zu erklären;
gerade Brüche und Spannungen sind Kennzeichen lebendiger
Glaubensüberzeugungen und aktiver Traditionsrezeption! Stärket
als R. würde ich daher nach der pragmatischen Funktion
dieser Aussagen fragen, gerade in beziig auf die im Text unbestreitbar
präsente Naherwartung.

Diese Bemerkungen sollen das Verdienst von R.s Arbeit
nicht schmälern. Die Studie zeichnet sieh durch Genauigkeit,
Sachlichkeit und Nüchternheit im Urteil aus und formuliert
überraschend häufig den exegetischen Konsens. Den Dissens
besehreibt sie angenehm unpolemisch. R. ist nicht auf spektakuläre
Thesen erpicht, sondern bemüht sich erfolgreich um die
„gew issenhafte Exegese" des Hebräerbriefes, die er eingangs (4
Anm. 14) mit einem DHctum Franz Laubs fordert.

Bonn Hermut Lohr

Weiser, Alfons: Theologie des Neuen Testaments II. Die

Theologie der Evangelien. Stuttgart-Berlin-Köln: Kohlhammer
1993. 237 S. gr.8° = Kohlhammer Studienbücher Theologie
, 8. Kart. DM 34.-. ISBN 3-17-012044-1.

Der Hinweis auf dem Klappentext „Die .Kohlhammer Studienbücher
Theologie', konzipiert für das Studium an der Hochschule
, für das Selbststudium wie auch für die Weiterbildung,
führen in alle Bereiche der katholischen Theologie ein. Sie stellen
in didaktisch überzeugend strukturierter Form das Grundwissen
der einzelnen Disziplinen dar, informieren über den
aktuellen Diskussionsstand", gilt auch für den hier anzuzeigenden
Band. Es geht um die theologischen Hauptinhalte der synoptischen
Evangelien, die ihnen sachlich und zeitlich voranstehende
Redequelle Q. die dem LkEv zugeordnete Apg. das JoEv
und die JoBriefe, die Offenbarung des Jo und abschließend um
eine Rückblende auf den hinter den Synoptikern erkennbaren
Jesus der Geschichte. Der Untertitel des Buches triff! somil
nicht ganz. Die einleitungswissenschaftlichen Fragen begegnen
nur. soweit sachlich notwendig, da ihnen ein besonderer Band
in dieser Reihe gewidmet ist.

„1. Die Theologie der Redenquelle"' (21-43): Für „Q" sind
nach A. Weiser (i.F. Vf.) Redaktionen (= ..Arbeitsgänge'", „die
zu der Größe" Q hinführten) wie Rezensionen (= ..Arbeitsgänge
", „die nach dem Zustandegekommensein von Q vollzogen
wurden") zu beachten, wobei im Ergebnis QMi und QLk. QMt
und Ql k unterschieden werden, also eine „modifizierte Zweiquellentheorie
" zugrundegelegt wird (26). Der Ursprung von Q
ist palästinischen Gemeinden zuzuschreiben, verschiedene
Schichtungen innerhalb der Redenquelle tragen gewandelten
urchristlichen Situationen Rechnung. Mag da und dort die theologische
Leistung der Evangelisten ,Mt" und ,Lk' in ihrer jeweiligen
Aufnahme von „Q" unterschätzt sein und somit die vom
Vf. intendierte synoptische Lösung verkompliziert erscheinen,
zutreffend werden im folgenden theologisch relevante „Inhalte
der Redequelle" herausgestellt: „Johannes der Täufer", „Chri-
stologie und Esehatologie", „Ethik" (wobei das Toraverständnis
in Q wohl differenzierter eingebracht und deutlicher mit Jesu
Vollmachtsanspruch konfrontiert werden müßte: vgl. z.B. J.
Becker, Das Ethos Jesu und die Geltung des Gesetzes, in: Neues
Testament und Ethik. Für R. Schnackenburg. 1989. 31 ff.
[passim]).

„II. Die Theologie des Markusevangeliums" (44-78) wird
zutreffend unter dem Gesichtspunkt herausgestellt, daß hier erstmals
„innerhalb der urchristlichen Geschichte das Wirken, Leiden
und Sterben Jesu erzählend dargestellt" wird in der Weise,
daß „zugleich Heilsverkündigung, Bekenntnis und ermahnende
Ermutigung geschehen"" (76: vgl. 45). Unter dem vom Evangelisten
für sein Werk als „Bolschaft von und über Jesus"', herangezogenen
Begriff „Evangelium" (ebd.) - unter dem er nicht eine
irgendwie geartete Vorstellung von „Biographic" subsumiere
(47, Anm. 53) - vermag er sein literarisches wie theologisches
Anliegen in Aufbau (drei Teile: 1,2-8,26; 8.27-10.52; 1 1,1-16,8)
und Konzeption einzubringen, wie der Vf. in guter Zusammenlassung
sowohl der übergreifenden theologischen Gesichtspunkte
als auch der in das Evangelium eingegangenen Traditionen
über die Verkündigung und das Wirken Jesu zeigt („Die Bolschaft
von der Basileia Gottes", „Die Botschaft der Wunderer-
zählungen"; 56ff. 60ff.). „Die Erzählstruktur" des Evangeliums,
der es um Jesus in Zeit und Geschichte geht, drängt zur Entfaltung
christologiseher Bezüge (65ff.) und zur Eruierung des vom
Evangelisten übernommenen, bewußt gestalteten, für seine Gesamtkonzeption
maßgebenden Passionsberichtes (70ff.).

Nicht zutreffend ist die Peststellung: ..William Wirde sah... die Lösung
des Problems darin, daß Markus mit Hilfe der Idee vom .Messiasgeheimnis'
aus dem unmessianischen irdischen Jesus den nachösterlichen Christus
gemacht habe" (51). denn nach W. isl das .Messiasgeheimnis' als Konstrukt
nachösterliches, aber vormarkinisches Christologumenon.

Zu präzisieren und in ihren Konsequenzen zu bedenken ist die These des
Vf.s. im MkEv liege „ein ähnliches Verständnis der Gottesherrschaft vor
wie in der Redenquelle Q" (77). M.E. geht es sachlich in Q wie im MkEv
um das gleiche Verständnis der Gottesherrschaft als dein Kerngehalt der
Verkündigung Jesu.