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Ausgabe:

1995

Spalte:

887-889

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Rose, Christian

Titel/Untertitel:

Die Wolke der Zeugen 1995

Rezensent:

Löhr, Hermut

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Theologische Literaturzeitung 120. Jahrgang 1995 Nr. 10

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Vielmehr reicht die paulinische Argumentation weit tiefer, indem sie auf
den Fluch des Gesetzes verweist, von dem Christus erlöst hat (289). Wer zu
Christus gehört, ist mit ihm gekreuzigt, so daß Mil-Christus-gekreuzigt-
Sein die hleibende Existenz des Gerechtfertigten charakterisiert (219). Im
Anschluß an I Kor 13 kann das Leben der Christen auch als eschatologische
Existenz in der Liebe besehrieben werden (100). die zugleich als Liebe zu
Gott und als Liebe zum Nächsten zu begreifen ist (103).

Seine Eschatologie entwickelt der Apostel vom Christusbekenntnis her.
das ihm auch das Verständnis der Schrift erschließ! (132). Die endzeitliche
Hoffnung ist nicht von apokalyptischen Spekulationen getragen, sondern
richtet sieh auf die Rettung der Glaubenden (423. 430f.), die am Ende bei
ihrem Herrn sein werden (441). Seine Königsherrschaft aber ist nicht
mythologisch zu verstehen, sondern ..im innersten Herzen eines jeden Menschen
zu suchen". „Dort wird der Kampf um Leben und Tod ausgetragen,
und dort wird Christus König, aber nicht ohne die Zustimmung, ohne den
aktiven Einsatz und die Mitwirkung der Christen." (405)

Alle Studien, die in diesem Band miteinander verbunden
worden sind, zeichnen sich durch gründliche Auswertung der
einschlägigen Literatur aus. Wie in den eigenen Arbeiten mehrere
europäische Sprachen mit souveräner Beherrschung verwendet
werden, so ist auch der Horizont der herangezogenen
wissenschaftlichen Veröffentlichungen weit gespannt. Der kundigen
Interpretation des Vf.s folgt man mit durchgehender Zustimmung
und hohem Respekt, der gleicherweise der umfassenden
Kenntnis der internationalen Diskussion wie auch den stets
sorgfältig erwogenen exegetischen Entscheidungen gilt. Lassen
sich aus den v erschiedenen Studien Grundzüge einer Theologie
des Apostels erheben, so kommen die Interpretationen einzelner
Abschnitte paulinischer Texte oft geradezu einem gründlichen
Kommentar gleich. Mit dem Dank für reiche Belehrung verbindet
daher der aufmerksame Leser ungeteilte Anerkennung für
die meisterhafte Kunst des Exegeten, die in allen Studien in
gleichmäßig bewährter Sorgfalt zum Ausdruck gelangt

Göttingen Eduard I .ohse

Rose. Christian: Die Wolke der Zeugen. Eine exegetisch-traditionsgeschichtliche
Untersuchung zu Hebräer 10.32-12,3.
Tübingen: Mohr 1994. XI, 445 S. gr.8° = Wissenschaftliche
Untersuchungen zum Neuen Testament. 2. Reihe. 60. Kart.
DM 128.-. ISBN 3-16-146012-X.

Die anzuzeigende Studie, eine überarbeitete Tübinger Dissertation
von 1990/1991, untersucht das Glaubensverständnis des
Hebräerbriefes, indem sie das Kapitel 11 der rätselhaften frühchristlichen
Schrift, den sogenannten tractatus defide, und seinen
Kontext einer vor allem traditionskritisch orientierten Analyse
unterwirft. Rose erhofft sich von diesem Vorgehen einen
Erkenntnisgewinn hinsichtlich der nach wie vor ungeklärten
traditions- und religionsgeschichtlichen Einordnung des Hebr.
Zudem soll vor allem die Eschatologie der neutestamentlichen
Schrift besser verständlich werden (4).

Der Aufbau der Studie ergibt sich aus der Themenstellung.
R. beginnt mit der Datstellung und Diskussion verschiedener
Gliederungsvorschläge zum Hebr, um so begründet eine Abgrenzung
des zu untersuchenden Textes vornehmen zu können
(5-33). Besonderes Anliegen des Vf.s ist es. daß unter Berücksichtigung
verschiedener formaler wie inhaltlicher Kriterien die
wechselseitige Bedingtheit von theologischer Darlegung und
Paränese in der Gliederung zum Ausdruck kommt: „Theologische
Grundlegung und Paränese sind im Hebr gleichgewichtig
(25) Hervorhebung von R.", allerdings so. daß die Paränesen als
„Auslegung des Christusbekenntnisses" (ebd.) erkennbar werden
.

Am Ende dieser Analysen steht R.s eigener, plausibler Gliederungsvorschlag
(30-33), der für den Hebr drei Hauptteile
(1,1-4,13; 4,14-10,31: 10.32-12.29) sowie einen brieflichen Abschluß
(13,1-25) annimmt. D.h.: keine Zäsur zwischen 4,14 und
15. kein struktureller Einschnitt nach 10.18 und vor allem: enge

Zusammengehörigkeit der paränetischen Abschnitte 10,32-39
und 12.1-17 mit dem eingeschlossenen elften Kapitel (allerdings
sieht R. die Verse 4 bis 17 des zwölften Kapitels vom
Vorhergehenden doch abgesetzt und bezieht sie nicht in die
Untersuchung ein [26 Anm. 109]).

Wegen des besonderen Interesses, das in der neutestamentlichen Exegese
derzeit Textanalysen finden, die mit den Kategorien antiker Rhetorik arbeiten
, hätte man sich von R. die kritische Würdigung der hier einschlägigen
Studie von Walter G. Übelacker von 1989 gewünscht, welche S. 9 Anm. 18
nur genannt wird. Zur Strukturanalyse des Hein ist ergänzend hinzuweisen
auf die interessante Arbeit von George H. Guthrie. The Structure of He-
brews. A Text-Linguistic Analysis. Dissertation Southwestern Baptist
Theological Seminary 1991. jetzt NT.S 73. Leiden u.a. 1994.

In drei großen Schritten folgen textanalytische und traditionsgeschichtliche
Untersuchungen zu Hebr 10,32-39 (34-77); Hebr
11.1-40 (78-333) und Hebr 12,1-3 (334-344). „Zusammenfassung
und Ausblick" (345-351) beschließen die Studie, der
zuverlässige und ausführliche Stellen- und Sachregister beigegeben
sind.

Zwar vergleicht R. Hebr 1 I mit anderen Paradigmenkatalogen aus
frühjüdischen und -christlichen Quellen und nähert sich so dem formgeschichtlichen
Problem (82-91): im Anschluß an Untersuchungen Hartwig
Thyens u.a. vermutet er Einfluß des Lehrstils der jüdisch-hellenistischen
Synagoge (82). Doch könnte m.E. noch weiter nach dem Ort der Kataloge
im jeweiligen Textganzen gefragt werden: erst so würde die literarische
Funktion der Formen vollständig erhellt.

Mit überzeugenden Argumenten lehnt R. lilerarkritische Scheidungen
und damit die These einer verarbeiteten Vorlage für Hebr weitgehend ab:
„Allenfalls beim Abschnitt I 1.32-38 kann erwogen werden, ob der Verfasser
auf eine Vorlage zurückgegriffen hat" ( 346).

Für den Gang der weiteren Untersuchung bestimmend ist
zum einen die Einsicht in die zentrale Bedeutung des - nach R.
vom Vf. selbst gestalteten - Mischzitates ans Jes 26.20 und Hab
2.3I.LXX in Hebr 10,371'. Denn einerseits zeugt die Passage
nach R.s Auflassung von der intensiven Naherwartung des
Hebr, der seine Adressaten angesichts der ausbleibenden Paru-
sie zum Durchhalten „bis zum Ende" ermuntern wolle. Andererseits
biete das Habakuk-Zitat mit seiner Verknüpfung von
Glaube und Gerechtigkeit den Schlüssel zur Traditionsrezeption
durch den auetor ad Hebraeos: „Wo im Alten Testament oder
im antiken Judentum von einem der Vorbilder ausgesagt wird,
daß die betreffende Person dücaios sei. isi für den Hebr zugleich
erwiesen, daß dieser Person auch pfstis zukommt" (71). Das
besondere Augenmerk bei der Sichtung des traditionsgeschichtlichen
Materials hat von daher den Attributen des Gläubig- oder
des Gerecht-Seins zu gelten.

Des weiteren kommt entscheidendes Gewicht der Glaubensdefinition
in Hebr 11.1 zu. R. widmet sich dem Verständnis
dieses Verses und seiner Begrifflichkeit ausführlich (92-146)
und übersetzt: „Es ist aber der Glaube ein Feststehen bei dem.
was man erhofft, ein Überführtsein von Dingen, die man nicht
sieht" (vgl. 146). Dem Glaubensverständnis des Hebr eignet so
eine subjektive wie eine objektive Komponente: beide sind bezogen
auf int zeitlichen wie im räumlich-transzendenten Sinne
eschatologische Realitäten. Deutlich setzt R. den Glaubensbegriff
des Hebr von der paulinischen pistis ab und plädiert somit
eindrücklich für das theologische Eigenrecht der frühchristlichen
Schrift.

Auf der Basis dieser Einsichten untersucht R. die einzelnen
Glaubensbeispiele aus der „Wolke der Zeugen" nach der eigentlichen
Textanalyse jeweils im Dreischritt: Zunächst wird erwogen
, weshalb der auetor ad Hebraeos dem genannten Zeugen
pt'stis zuschreibt. Dann wird allgemeiner nach den erkennbar
verwendeten alttestamentlichen und frühjüdischen Traditionen
gefragt. Schließlich wird der Bezug des Glaubensbeispiels zur
Glaubensdefinition in 11.1 überprüft. Die Arbeit bietet hier eine
reiche Dokumentation traditionsgeschichtlichen Materials: neu
ist vor allem das konsequente Heranziehen der targumisehen
Haggada. Am Ende eines jeden Analyseschrittes steht die inter-