Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1995

Spalte:

885-886

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Harris, Elizabeth

Titel/Untertitel:

Prologue and gospel 1995

Rezensent:

Becker, Jürgen

Ansicht Scan:

Seite 1

Download Scan:

PDF

885

Theologische Literaturzeitung 120. Jahrgang 1995 Nr. 10

886

vorerst von 1,1-9.35 - ist vor allem ein Reden über die (mitunter
problematisch abgegrenzten) Perikopen, weniger detailorientierte
Auslegung des Textes. Der versweise Durchgang ist die Ausnahme
, (etwa bei 5.17-20. den Antithesensätzen, dann wieder in
6.1 1-14). Es erscheint signifikant, daß die Übersetzung nicht den
jeweiligen Abschnitten vorgeordnet ist. sondern weitab im Einleitungsteil
des Bandes (17-33) ihren Platz hat. Einen sinnvollen
Umgang mit diesem Kommentar kann man sich nur so vorstellen
, daß man ihn (wohl auch im Sinne des Vf.s. vgl. o. 10) als
Ergänzung zu einer die Verse des Textes begleitenden Auslegung
verwendet, wie etwa die praktischen Darbietungen von F.
Niebergall und L. Fendt einst die Synoptikerexegese von E.
Klostermann begleiteten. Gewiß steckte damals die Hermeneutik
noch im Jugendalter. Das aufmerksame Hören auf das Wort ist
jedoch auch im Zeitalter des christlich-jüdischen Dialogs und der
Rezeptionsästhetik unverzichtbar.

Halle (Saale) Wolfgang Wiefel

Harris. Elizabeth: Prologue and Gospel. The Theology of the
Fourth Evangelist. Sheffield: Sheffield Academic Press 1994.
215 S. 8° = Journal for the Study of the New Testament, Sup-
pl.Series 107. Lw. £ 25.-. ISBN 1-85075-504-3.

Die Arbeit entstand als Dissertation für die Erlangung des PhD
am King's College in London bei Chr. E. Evans. H. nimmt sich
darin vor, einer der alten und in der jo. Forschung inzwischen
klassisch gewordenen Fragen abermals nachzugehen, nämlich
wie sich jo. Prolog und viertes Evangelium zueinander verhalten
. Dafür untersucht sie das Verständnis von Prologen in der
griechischen und römischen Antike nach Funktion und Gestalt.
Als Ergebnis hält sie fest:

"The prologue was intended to inform the readers... in advance about the
drama to be unfolded. In highly compressed Statements it announced past
events, intimated the presenl Situation and iis cosmic proportions, and intro-
dueed the maifl characters, who were about to fulfil the ordained will of
God. (and) other characters being part of the scenery..." (189).

Dieses Verständnis eines Prologs wird nun auch für das JoEv
vorausgesetzt. Dabei wird man nicht nur erörtern müssen, ob
denn die ursprunghaft judenchristliche Gemeinde überhaupt in
der glatten Weise, wie es die Vfn. möchte, von griechisch-römischer
Kultur beeinflußt war. Man wird weiter im einzelnen nachfragen
müssen, warum dann im jetzigen Bestand von Jo 1,1-18
z.B. nur als Personen der Täufer. Moses und Jesus Christus
erscheinen, jedoch vom breit gefächerten personellen Inventar
der Gegenspieler Jesu - von den jüdischen Gegnern bis zu Pilatus
- gar nichts zu finden ist. Man wird endlich noch einmal zu
bedenken haben, ob denn dem Leser bei den drei genannten Personen
im Prolog eine so eindeutige Vorbereitung auf das Gesamtevangelium
gegeben wird. Um es an Jesus Christus aufzuzeigen:
Vom Logos ist z.B. im Vierten Evangelium nicht mehr gesprochen
. Von der Inkarnation ist im solennen Sinn nur im Jo 1.14
gehandelt. Umgekehrt fehlen im Prolog manche jo. Hoheitstitel
und jede Andeutung der Ereignisse ab Jo 13 mitsamt der Deutung
der Kreuzigung als Erhöhung und Verherrlichung. Das alles
sind nur ausgewählte Indizien, die andeuten, daß das Verhältnis
von Prolog und Evangelium wohl doch komplexer sein muß, als
es die Vfn. in glatter Eindeutigkeit beschreibt. Der Vorzug der
Arbeit, nämlich zu erkunden, wie stark die Brücken zwischen
Prolog und Evangelium wirklich sind, also den oft zu tief empfundenen
Hiatus zwischen beiden einzuebnen, in Ehren! Jedoch
geht die Autorin auf diesem Weg zu weit. Man wird bezweifeln,
daß sich der Knoten der respektablen Forschungsgeschichte zum
Prolog, die fast durchweg komplexere Lösungen vorschlägt, so
glatt zerschneiden läßt.

Zu glatten Lösungen neigt die Vfn. überhaupt. So kann sie
sich gar nicht mit dem Gedanken anfreunden, das JoEv könne

eine diachrone Geschichte haben. Kommt sie auf Probleme auf
der synchronen Textebene zu sprechen, die die Dimension einer
Diachronie erkennen lassen (z.B. 49; 186f.), findet sie sehr
schnell eine Erklärung, die es ihr erlaubt, die mögliche Diachronie
nicht weiter diskutieren zu müssen. Diese konsequente
Option, den Text nur als literarische Einheit zu verstehen,
schlägt auch bei der Einschätzung des Prologs durch. Auch er
ist für Frau H. vom Vf. des JoEv unmittelbar für sein Werk geschaffen
. Ihm liegt also kein Hymnus aus der jo. Gemeinde
zugrunde (18ff.). Diesen Weg ging unter den großen Auslegern
des JoEv zuletzt C. K. Barrett, dem die Autorin sich denn auch
besonders verpflichtet weiß. Aber diese scheinbar so einfache
Lösung hat man schon C. K. Barretts in vielen Stücken so
großem Kommentar nur ausnahmsweise abgenommen. Ohne
die Annahme einer Schichtung wird man jedenfalls die das textliche
Netzwerk hart unterbrechenden Täuferstücke in Jo 1,6-
8.15 nicht erklären können. Wer diesem auffällig breiten Forschungskonsens
zustimmt, wird zwischen Hymnus und kommentierend
dem JoEv vorangestellten Prolog unterscheiden.
Damit ist dann die Perspektive eröffnet, das Verhältnis von Prolog
und Evangelium dialektischer zu beschreiben, als die Vfn.
es tut.

Abschließend sei angemerkt, daß die Autorin insbesondere
bei der in französischer und deutscher Sprache vorliegenden
Literatur eine sehr restriktive Auswahl trifft.

Kiel Jürgen Becker

Lambrecht, Jan: Pauline Studies. Collected Essays. Leuven:
University Press; Leuven: Peeters 1994. XIV, 465 S. gr.8° =
Bibliotheca Ephemeridum Theologicarum Lovaniensium,
115. Kart. BEF 2500.-. ISBN 80-6186-623-5 u. 90-6831-
622-2.

Der Vf., der sich durch viele einschlägige Untersuchungen zur
Umwelt des Neuen Testaments und zu exegetischen Problemen
der biblischen Schriften auf das beste ausgewiesen hat, hat in
diesem Band 24 Aufsätze zusammengefaßt, die in der Zeit von
1978 bis 1994 zur Auslegung der authentischen Paulusbriefe entstanden
sind. Fünf Studien sind dem Römerbrief gewidmet, weitere
fünf den beiden Korintherbriefen; sieben gelten dem Gala-
terbrief, einer dem Philipper- und zwei dem 1. Thessalonicher-
brief. Am Ende stehen vier Abhandlungen, die Einzelthemen der
paulinischen Theologie behandeln. Da die Arbeiten bei unterschiedlichen
Anlässen niedergeschrieben wurden, finden sich
hier und da gewisse Überschneidungen. Diese wirken sich jedoch
nicht nachteilig aus, sondern dienen eher dazu, bestimmte
Ausführungen mit dem erforderlichen Nachdruck zu versehen.

Wie die starke Konzentration auf den Römer- und den Galaterbrief
erwarten läßt, legt der Vf. besonderes Schwergewicht auf die Rechtfertigungslehre
des Apostels. Für Paulus ist Abraham der erste Mensch, der die
Gerechtigkeit aus Glauben empfing (19). so daß er sowohl aus der Verheißung
wie aus der Kraft des Glaubens lebt und darum Vater der Glaubenden
is( (21). Jeder Ruhm wird im Licht dieser Erfahrung ausgeschlossen,
weil Sich-Rühmen nur unter der Forderung von Werken des Gesetzes Platz
haben kann, nicht aber unter dem Gesetz des Glaubens (301.). Seine Theologie
der Rechtfertigung verteidigt Paulus gegen verschiedene Einwände
(204), indem er die Universalität des Heilsgeschehens heraushebt. Hat Gott
in Christus die Welt mit sich selbst versöhnt, so gilt der Universalismus des
Heils in gleicher Weise Juden und Heiden (170. 173. 306). Im Blick auf das
künftige Geschick Israels kann es darum auch keinen sog. Sonderweg für
die Juden geben (33); denn der Retter, der vom Zion erscheinen wird, ist für
Paulus kein anderer als Christus (46).

Im Licht der Rechtfertigungslehre ist auch das paulinische Verständnis
des Gesetzes zu sehen. Da Christus des Gesetzes Ende ist. wird derjenige
zum Übertreter, der die Heilsnotwendigkeit des Gesetzes wiederaufrichten
wollte (224. 230). Die Kritik, die der Apostel an einer gesetzlichen Frömmigkeit
übt. kann deshalb nicht lediglich sog. "identity markers" betreffen,
nach denen man sich auf Beschneidung. Reinheitsvorschriften und Beachtung
der Festtage als Zeichen der eigenen Identität beziehen wollte (281 f.).