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Ausgabe:

1995

Spalte:

883-885

Kategorie:

Neues Testament

Titel/Untertitel:

Matthäus-Kommentar, I 1995

Rezensent:

Wiefel, Wolfgang

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Theologische Literaturzeitung 120. Jahrgang 1995 Nr. 10

884

Großen Wert legt C. auf den Aspekt "Yahweh as a corporate
person" (173ff.). Er beruft sich hier vor allem auf Aubrey R.
Johnson', auf dessen These vom Menschen; dieser besitze "the
Israelite concept of man as possessing 'an indefinable extension
of the personality" or corporate dimension" (173). Da nun die
Hebräer Gott weithin in anthropomorpher Begrifflichkeit erfaßten
, schließt Johnson von der genannten Sicht des Menschen
auf Gott, auf Jahwäh, "as having extensions of Iiis own person"
im Geist, göttlichen Wort, Namen und Bundeslade. Also (174):

"Johnson concludes thut the Israelites. wiihin a monotheistic framework,
coneeived of their one God as having plural manifestations. Given this
background. it was possible for Jews like Paul and other early Christians to
consider Messiah Jesus to be a manifestation of Yahweh. The Hebrew concept
of Yahweh as a corporate person provided the category which made
possible the application of Old Testament Yahweh texts to Jesus. Apparent-
ly Paul believed Jesus was not just a divine agent but Got himself, manifest
as the Messiah. Although there were other ways to express his unity with
God. the application of Yahweh texts to Jesus more than any other title or
phrase asserted his Identification with Yahweh."

C. beendet das 3. Kap. mit dem Abschnitt "Paul's 'High'
Christology", in dem er "some important similarities" zwischen
Paulus und dem Evangelisten Johannes herausstellt. C. hat recht
(181): "Paul's christological use of Yahweh texts calls into que-
stion the construet that Christianity moved from a 'low' Christology
, represented by Paul's letters, to a 'high' Christology,
represented by the Fourth Gospel."

Insgesamt ein bedenkenswertes, ja notwendiges Buch! Es
verdient im einzelnen kritische Lektüre, geboten ist vor allem
kritische Lektüre'. C. zeigt, daß Jesu Sein als vere deus et vere
homo vom AT her neu zu reflektieren ist. Allerdings bedarf die
Begrifflichkeit des amerikanischen Exegeten, vor allem der
Begriff „Manifestation", weiterer gründlichster hermeneuti-
scher Reflexion. C. hat eine Untersuchung vorgelegt, auf deren
Basis m.E. sogenannte konservative und sogenannte kritische
Forscher weiterarbeiten können.

Göttingen Hans Hübner

' Capes zitiert R. Scroggs, Christology in Paul and John. Philadelphia
1988, 52 (Hervorhebung durch mich).
2M. Hengel, Judentum und Hellenismus (WUNT 10). Tübingen 31988.
1 Hervorhebungen durch mich.

"* Dieser Terminus steht im genannten Zusammenhang nicht bei Capex:
ich habe ihn hier gebracht, weil bei aller Inflation dieses Wortes es hier
angebracht ist.

* L.W. Hurtado, One God. One Lord: Early Christian Devotion and
Ancient Jewish Monotheism. Philadelphia 1988.
^ Hervorhebungen durch mich.

7 A. R. Johnson, The One and the Many in the Israelite Conception of
God. Cardiff 1961.

Frankemölle, Hubert: Matthäus-Kommentar 1. Düsseldorf:
Patmos 1994. 332 S. gr.80. geb. DM 54.80. ISBN 3-491-
77948-0.

Die Arbeit des in Paderborn wirkenden Neutestamentiers Hubert
Frankemölle ist von zwei Merkmalen gekennzeichnet: durch die
Wahrnehmung des Judentums als Teilhaber einer bibelbestimm-
tetl Ökumene und die Rezeption der Methoden moderner Literaturwissenschaft
. Das Matthäusevangelium steht seit seiner Dissertation
Jahwebund und Kirche Christi, der 1974 zuerst erschienenen
Studie zu Form- und Traditionsgeschichte des ersten
Evangeliums (vgl. Rez. W. Trilling, ThLZ 101. 1976. 580-583)
im Zentrum seiner Theologie. So ist nicht überraschend, aus seiner
Feder einen Kommentar zu diesem Evangelium vor uns /ti
haben, erschienen im Patmos Verlag, der nach seiner Geistlichen
Schriftlesung (1962-1976) - bekannt auch durch die Parallelausgabe
im St. Benno Verlag Leipzig - neue Wege der Auslegung
sucht. Der Vf. versteht seine Arbeit als „Ergänzung zur bisherigen
Weise der autororientierten Textinterpretation" (10). Griechische
Sprachkenntnisse werden dabei nicht vorausgesetzt.

Welches Gewicht die jüdische Schriftrezeption für das Evangelium
hat, wird schon im ersten der beiden Einleitungskapitel
(34-76) deutlich, das man als Abriß der Hermeneutik aus der
Sicht des bibelwissenschaftlich engagierten Kommentators ansehen
kann. Dem Leser wird eingeschärft, daß die heiligen
Schriften, die das Werk des Matthäus formieren, das Gesetz
und die Propheten der Synagoge sind; es also als wichtigste
Voraussetzung des Verstehens des Evangeliums gelten muß.
daß diese für seine Leser „nicht nur Hintergrund, sondern Lebens
- und Glaubenshorizont" (59) bedeuten. So ist auf die Vermittlung
durch den jüdischen Schulbetrieb, auf die für das Frühjudentum
spezifische aktualisierende Rezeption, wie wir sie aus
Qumran und dem Rabbinat kennen, auf Methoden wie Allegorie
, Typologie und Pescher zu achten. Dies alles erfreut sich
heute weitgehender Anerkennung: doch wäre gerade hier entschieden
zu fragen, wie das Christusereignis und seine eschato-
logische Relevanz die Weise der Schriftrezeption verändert.
Wie schon in früheren Arbeiten möchte er die aus der historisch
-kritischen Synoptikerexegese stammende Zweiquellentheorie
ergänzt sehen durch eine „Dreiquellentheorie", wobei
als letzte Stufe die aus den heiligen Schriften genommene theologische
Rezeption der Jesusgeschichte gilt, die dem Evangelium
die spezifische Prägung verleiht. Wie schon in der Dissertation
entfaltet, erscheint dabei das „Deuteronomium als singulä-
re Tradition von nicht zu überschätzender Bedeutung" (120).
Problematisch bleibt, ob hier die Benennung als Quelle angemessen
ist, da nicht nur das sog. Sondergut des Matthäus
gemeint sein kann, es sich vielmehr sowohl um neu formulierte
Tradition als auch um redaktionell kommmentierte Überlieferung
handelt. Nicht jeder wird es als zutreffende Einordnung
ansehen, daß Matthäus ausschließlich in eine Linie eingestellt
wird, die durch Tenak, Qumran und das rabbinische Judentum
bestimmt ist, während das hellenistische Judentum einschließlich
der LXX (die doch wohl die Bibel seiner griechischen
Leser war) außerhalb der Betrachtung bleibt. Haben wir es mit
einer Blickverengung zu tun, die vom christlich-jüdischen Dialog
ausgehend ausschließlich auf jenen Teil jüdischer Überlieferung
fixiert ist, der eine Fortsetzung im weiteren Gang der
jüdischen Glaubensgeschichte gefunden hat. während der abgestorbene
Zweig unbeachtet liegengelassen wird?

Jene Seite des Kommentars, der sich dem Engagement des
Autors im christlich-jüdischen Dialog verdankt, ist eng verbunden
mit der anderen, wo versucht wird. Gegenwartsbezogenheil
dadurch zu erreichen, daß man mit Hilfe der gegenwärtigen
Rezeptionstheorie vom Verstehenshorizonl der ersten Adressaten
zur Aufnahme des Textes aus der Perspektive des heutigen
Lesers übergeht. Dabei arbeitet der Kommentator mit Termini
wie „Rollenangebot" und „Partitur", Signalworte seiner Sicht,
die jenseits der tradierten Betrachtung eine ganzheitliche Erfassung
des Textes ermöglichen soll. Von hier aus mögen sich
durchaus Zugänge zu vorkritischen Methoden des Umgangs mit
den heiligen Schriften in Synagoge und Kirche erschließen,
doch fragt es sich, ob das, was als Schritt nach vorn (über die
kritische Rezeption hinaus) gedacht ist. nicht letztlich ein
Schritt zurück ist.

Man ist erstaunt, wenn man liest, daß die „Vorgeschichte"
entgegen aller gängigen Synoptikerexegese nicht die beiden
ersten, sondern die ersten vier Kapitel umfassen soll; man wundert
sich noch mehr, wenn gesagt werden kann: „Matthäus hat
ein Werk mit 28 Kapiteln geschrieben, das von seinem Autbau
her klar in seiner Einheit verstanden werden will" (47), - als
wüßten Autor und informierte Leser nicht, daß die Kapiteleinteilung
ein Werk des hohen Mittelalters ist.

Was dann als Kommentar im engeren Sinne geboten wird, die
„Kontinuierliche Lektüre des Matthäusevangeliums" (128-332) -