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Ausgabe:

1995

Spalte:

72-73

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Turner, Dean

Titel/Untertitel:

Escape from God 1995

Rezensent:

Langer, Jens

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Seite 1, Seite 2

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Theologische Literaturzeitung 120. Jahrgang 1995 Nr. 1

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Wahrheit sachgemäßer Glaubensverkündigung wird nur im
Glaubensakt selber erfaßt und entzieht sich jeder anderen Beurteilung
. Es muß jedoch möglich sein, mit bloßer Vernunft zu
erkennen, daß es tatsächlich nicht gelingt, der Glaubensverkündigung
anders als im Glauben gerecht zu werden." (412 u.ö.)
Aus solcher Betonung der zirkulären Begründungsstruktur des
christlichen Glaubens folgt für den Aufbau des Werkes, daß die
FTh der Reihenfolge nach den Inhalt (Gott, Wort Gottes und
Glaube - theologisch reflektiert in den Grunddogmen der Dreifaltigkeit
Gottes, der Menschwerdung des Sohnes und der Gemeinschaft
der Glaubenden im Heiligen Geist), die Weitergabe
(Schrift, Überlieferung und Lehramt) und die Annahme der
christlichen Botschaft zu behandeln hat. Der dritte und kürzeste
Hauptteil thematisiert die für herkömmliche FTh charakteristischen
apologetischen Problemstellungen (Voraussetzungen des
Glaubens, Glaubens-Würdigkeit der Glaubensverkündigung,
Verhältnis der Glaubenszustimmung zu anderen Lebensvollzügen
) - freilich auf eigene Weise. Soll mit diesem Ansatz und
Vorgehen die FTh davor bewahrt werden, dem Abweg des
Rationalismus zu verfallen, meint der Autor zugleich auch dem
Fideismus als anderem Extrem zu entgehen, „dadurch daß die
Unglaubwürdigkeit des Unglaubens, die darin besteht, daß jede
letztlich vom Glauben verschiedene Stellungnahme zu sachgemäßer
Verkündigung willkürlich bleibt, nachgewiesen werden
kann" (429).

K.s Ansatz bei dem dem hörenden Glauben inhärenten Verste-
hensprozeß reiht sich bei aller Eigenständigkeit und Eigenwilligkeit
ein in Konzepte hermeneutischer FTh auf katholischer Seite
(Biser, Stirnimann, Schillebeeckx, Schüssler Fiorenza), die Beispiele
sind für einen noch viel facettenreicheren Aufbruch dieses
Fachs nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil.

So perspektivenreich der Gedankengang des Autors ist, lebt
doch die Überzeugungskraft seiner Argumentation auch von
problematischen Implikationen, z.B. von der Ausweitung des
im Gottesbegriff verankerten Gedankens der Unüberbietbarkeit1
auf die Glaubensaussagen, zielend auf ihre generelle Qualifizierung
als unfehlbar und einhergehend mit der Bestreitung
der These vom hypothetischen Charakter derselben (316ff.).
Danach ist es „gar nicht möglich, als Glaubensaussagen verstehbare
Aussagen, die dennoch falsch wären, überhaupt herzustellen
." (214) Wohlgemerkt leitet sich daraus für K. die Unfehlbarkeit
des „gemeinsamen Lehramtes" aller Glaubenden ab,
zu dem das „besondere Lehramt" nur in dienendem Verhältnis
steht (298ff.). Durch die „ordentliche" wie „außerordentliche"
Wahrnehmung des „besonderen Lehramtes" werde lediglich die
„Feststellung der Übereinstimmung im Glauben bzw. die „Übereinstimmung
in der Feststellung der Übereinstimmung im
Glauben" zum Ausdruck gebracht (306-332). Dennoch führt
diese Vorverlagerung des Problems in neue Schwierigkeiten.
Zwar betont der Vf. zu Recht an vielen Stellen seines Buches
den personalen Charakter des aus dem Hören kommenden
Glaubens, so daß im Wort Gottes als dem Von-Gott-angespro-
chen-sein Inhalt und Geschehen zusammenfallen und somit
„Glaubensaussagen im Sinn einer Selbstmitteilung Gottes verstehbar
" sind (323). Dies erfordert aber - eigentlich - eine
Unterscheidung zwischen personaler Grundebene (Vertrauen)
und kognitiven Reflexionsebenen (von Vorstellungen bis zu
Lehrsätzen) des Glaubens (wofür die herkömmliche Unterscheidung
zwischen fides qua und fides quae creditur nur eine
unzureichende Begrifflichkeit bietet). Glaube formuliert auf
jenen Reflexionsebenen Aussagen, die prinzipiell hypothetisch
und darin überholbar sind. K. hingegen springt, wenn es um die
Frage der Unfehlbarkeit geht (ansonsten weiß er sehr wohl zwischen
Glaube und Theologie zu unterscheiden), undifferenziert
zwischen personalem Glauben und Glaubenslehre hin und her
und formuliert pauschal: „Angebliche Glaubensaussagen können
nur entweder wahr sein, oder sie sind nicht als Glaubensaussagen
im Sinn göttlicher Selbstmitteilung verständlich."
(322) Zu erwartende Einwände der Sprachphilosophie werden
mit der Handbewegung abgetan, daß eine Unmöglichkeit des
vom Autor behaupteten „Sachverhalts" sich nicht nachweisen
lasse (323). Hier fehlt es der Argumentation in der Tat an
sprachanalytischer Durchklärung (so etwa nach der Austin-
schen Unterscheidung zwischen performativer und konstativer
Sprache).

Mit evangelischer Theologie bietet sich an diesem Punkt keine
Konsensmöglichkeit an. Aus wissenschaftstheoretischen wie
aus soteriologischen Gesichtspunkten wird sie die Irrtumsfähigkeit
und Fehlbarkeit jeglicher theologischer Rede (übrigens
auch ihre Wandelbarkeit im geschichtlichen Verstehensprozeß)
ins Bewußtsein heben.

Leipzig Matthias Petzoldt

1 Auch Knauers Beweisführung der Geschöpflichkeit (bes. 43-56) partizipiert
an dieser Ausweitung des ontologischen Theorems der Unüberbiet-
barkeit des Gottesgedankens. Danach bedeutet ,„Geschaffensein'... ein
.restloses Bezogensein auf.../ in restloser Verschiedenheit von...'. Das Woraufhin
dieser Beziehung nennen wir ,Gott': Gott ist der, ,ohne den nichts
ist'." (ebd., 32) - Kritisch wäre hierzu anzumerken: 1) Wieso fällt K.s
Argumentation an dieser Stelle aus dem Zirkel des von ihr explizierten Ver-
stehensprozesses des Glaubens heraus und unternimmt den Versuch eines
„Vernunftbeweises" (53) der Geschöfplichkeit? Wie der Vf. seihst zu
erkennen gibt (344), schlägt hier die Tradition des praeambula-fidei-Den-
kens durch. 2) Es ist nicht zu sehen, wie K.s Argumentation ein relativistisches
Denken des „Unglaubens" (um hier einmal so abgekürzt zu reden)
von der Plausibilität ihrer Beweisführung überzeugen könnte, noch ist
erkennbar, wie dieselbe das relativistische Denken, für das Natur eben nicht
als Kreatur bzw. Wirklichkeit nicht als Schöpfung einsichtig ist, wenigstens
der Unvernünftigkeit oder Willkürlichkeit zu überführen vermag.

Turner, Dean: Escape from God. The Use of Religion and
Philosophy to Evade Responsibility. Pasadena: Hope Publishing
House 1991. XII, 294 S. gr.8«. Pp. $ 17.95.

Der welterfahrene Autor (s. Anhang nach 291, mit Foto nebst
Collie „Scout"; ferner ThLZ 105, 1980, 22410 schreibt engagiert
und in kultureller Weite gegen die Flucht vor Gott an. Diese
Flucht stellt die Unfähigkeit von Menschen dar, Gott aufrichtig
ins Antlitz zu schauen, weil sie sich vor der ungeheuren Botschaft
der Verantwortung scheuen, die seine Augen vermitteln.
Bereits dieser Versuch einer Definition macht die Verbindung
jener Weite mit persönlich fundierter Frömmigkeit deutlich.
Diese Verbindung durchzieht die gesamte Darstellung.

Was ist Leben, was Dasein als Subjekt oder Objekt? Diesen
Fragen und den Antworten darauf widmet Turner gewichtige
Abschnitte seines Werkes, um das Phänomen der Flucht vor
Gott verständlich zu machen. Leben ist demnach die Erfahrung
von Wert und das Streben danach. Das trennt Objekt und Subjekt
scharf voneinander.

Auf der Basis einer realistischen und biblischen Anthropologie
gehört Leiden zur Kreatürlichkeit des Lebens, und zwar
nicht allein für dessen niedrigere Formen, sondern auch für Gott
selbst. Wie alles Leben seinen Preis hat, so zahlt auch Gott für
seine heilige Liebe. Von dieser Position aus kritisiert T. den
klassischen Theismus als widersprüchlich und unrealistisch,
weil er das höchste Subjektsein einerseits als perfekt und inaktiv
, andererseits als schöpferisch versteht. Unwissentlich macht
der Theismus sozusagen in nobelster Absicht Gott zu einem
kosmischen Objekt. Diese Theologie ist also im Grunde auch
eine Form der Flucht vor dem wirklichen, lebendigen Gott, wie
das für den Atheismus in anderer Weise gilt. Denn Gott ist
interessiert am Lebendigen, sorgt sich darum und erweist sich
als fähig zu Risiko, Freiheit und Verantwortung, er kennt Bedürfnisse
und Herausforderungen.