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Ausgabe:

1995

Spalte:

873-876

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Ahlström, Gösta W.

Titel/Untertitel:

The history of ancient Palestine 1995

Rezensent:

Niemann, Hermann Michael

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Theologische Literaturzeitung 120. Jahrgang 1995 Nr. 10

874

Altes Testament

Ahlström, Gösta W : The History of Ancient Palestinc from
the Palaeolithic Period to Alexanders Conquest. With a
Contribution by G. O. Rollefson. Edited by D. Edel man.
Sheffield: JSOT Press 1993. 990 S., 24 Karten, 8 Abb. 8« =
Journal forthe Study of the Old Testament, Suppl.Series 146.
Lw. £60.-. ISBN 1-85075-367-9.

Der Vf. hat das Erscheinen seines Buches nicht mehr erlebt; er
starb 1992. So liegt der Fachwelt dieses Werk Ahlströms, auf
das von heule aus gesehen alle seine Werke hinführen, quasi als
Vermächtnis, als eine bewundernswerte Synthese seiner Lebensarbeit
vor, in der er bis zuletzt engagiert, flexibel und kritisch
die lebhafte Diskussion und Wissensentwicklung auf dem
Gebiet der Geschichte Israels verfolgt und mitgestaltet hat.

Will der Rez. seinen Lesern und Leserinnen das zu rezensierende
Buch vorstellen, fragt er sich nicht zuletzt, wo es wissenschaftsgeschichtlich
, methodisch, didaktisch und seinen Thesen
nach in der gegenwärtig verfügbaren Literatur zur Sache steht.
Nachdem Martin Noth (in Verbindung mit den grundlegenden
Arbeiten Albrecht Alts) in der Mitte unseres Jahrhunderts eine
dem damaligen Stand der Forschung entsprechende großartige
Synthese vorgelegt hatte1, ist in der Folge durch den Fortgang
der Forschung der erreichte Konsens wieder zerbrochen. Es
kam eine Zeit des Nachdenkens und Verarbeitens einer Fülle
neuer Erkenntnisse auf biblisch-literarischem, traditions- und
religionsgeschichtlichem, archäologischem, ethnologischem
und soziologischem Gebiet. Die Zeit für einen neuen Syntheseversuch
war erst Anfang der 80er Jahre reif: Aber H. Donners
maßstabsetzendes und bis heute im deutschen Sprachraum
unersetztes Werk2 fiel mit Recht zurückhaltend aus. was unsere
f ähigkeil zu eindeutigen Aussagen in vielen Bereichen betrifft.
Dann liegt eine der vielen Stärken dieses auch noch weiterhin
unverzichtbaren Werkes, das für Kenner wie Anfänger ebenso
informativ wie ein sprachlicher Lektüre-Genuß ist. durch souveränen
Durchblick wie klare Stoff-Organisation besticht.

In dem Jahr, als Donners 2. Band erschien, brachte das Autorenteam
J. M. Miller-J. H. Hayes-1 in den USA ein kürzeres ein
bändiges Werk heraus. Vergleichbar gelehrt und souverän, verzichtet
es auf die Detail-Dokumentation der wissenschaftlichen
Diskussion in Fußnoten, bietet am Ende des Buches aber eine
Liste wichtiger Literatur nach Epochen geordnet. Eine Stärke
dieses Buches liegt in der geschickten Organisation des Stoffes,
einer lebendigen, ja. spannenden Darstellung. Der Band isl mit
16 Tabellen. 39 Abbildungen. 29 sehr informativen Karten und
18 in den Text eingefügten „Fenstern" mit zur Darstellung passenden
außerbiblischen Texten didaktisch höchst geschickt arrangiert
.

Ein weiteres, hier wichtiges Kennzeichen (neben anderen positiven Charakteristiken
, die hier übergangen werden können, u.a. einer Einführung zu
.fand und feilten" |Chronologie. Geographie und Alltagsleben| und methodischen
Reflexionen und Klarungen zur schwierigen Erforschung der Frühgeschichte
) ist es. daß die Vff. in jedem Epochen-Abschnitt der Geschichte
Israels separat die Quellen ihrer Darstellung besprechen und dabei vorbildlich
die unterschiedlichen Darstellungsweisen in ihrer jeweiligen Art und
ihrem jeweiligen Wert herausarbeiten: einmal die theologische Darstellungsziele
verfolgende biblische Erzählung im kanonischen Zusammenhang, andererseits
die aulSerbtblisch.cn Zeugnisse aus Archäologie und Epigraphik. Beide
, biblische Geschichtserzahlung in ihrem theologischen Zeugnischarakter
sowie autSerbiblische Dokumente als Material für die Darstellung der Realhistorie
, ergänzen und bedürfen einander: Nur durch ihre vorherige analytische
Trennung und separate Darstellung gewinnt in der Synthese das von Millcr-
Hayes erarbeitete historische und religionsgeschichtliche Bild Israels seine
faszinierende Tiefenschärte. Die Sonderung von theologischem Zeugnis und
realhistorischen Fakten, ihre jeweils selbständige Deutung, zwingend notwendig
durch die Spezifik altorientalischer ..Geschichtsdarstellung", erlaubt
"■'s dann, die biblischen Texte als das zu deuten und auszulegen, was sie sein
wollen: theologische, nicht (in erster Linie) realhistorisch-faktuelle

Dokumente. Sie werden dadurch von der verheerenden Belastung befreit, der
historischen Forschung als (Primär-)Quelle dienen zu sollen und dabei mißdeute
! /Ii «erden.

Es bietet sich an. A.s Werk mit denen von Donner und Miller-
Hayes zu vergleichen. A.s Manuskript wurde 1986 abgeschlossen
, dokumentiert also nahezu denselben Forschungsstand wie
Donner und Miller-Hayes. Freilieh konnte A. noch dank moderner
Computer-Technik einiges an später erschienener Literatur
einarbeiten. A. bzw. sein Buch sieht interessant zwischen wissenschaftlichen
Fronten. Fr war ein Denker und Forscher, der
nicht im engen Sinne einer wissenschaftlichen Schule einzuordnen
w ar: ein europäisch-schwedischer Forscher, seit 1962 in Chicago
, einer amerikanischen Universitätsstadt mit bedeutender
orientalistischer Forschungstradition. Mit dem Werk Donneis
teilt A. die gelehrte, wissenschaftlicher Tradition verpflichtete
Darstellungsweise, die souveräne Formulierung der eigenen
Position mit fairer Atiseinandersetzung und Dokumentation in
einem - gegenüber Donner umfangreicheren - Anmerkungsap-
parat verbindet. Wie Donner ist A. in Orientalistik und Archäolo
gie ..zu Hause". (Damit isl nicht gesagt, daß Miller-Hayes diese
Züge fehlen.)

Gibt es nun auch Differenzen zwischen den drei Werken, die
das hier anzuzeigende Buch besonders kennzeichnen? Hat A.
evtl. ein Plus? Grundsätzlich scheint dem Rez.. daß alle drei
Bücher nebeneinander unverzichtbar als die wissenschaftlich
verantworteten kritischen Analysen der Forschung zur Geschichte
Israels in den 80er Jahren zu gelten haben. Neben schon
angedeuteten Besonderheiten sind folgende zu nennen:

Wenn Donner die Forschungsliteratur in Anmerkungen knapp
anführt. Miller-Hayes auf Anmerkungen verzichtet, führt A. leb
haft und breit (europäische w ie amerikanische) alttestamentliche,
altorientalische und archäologische Literatur mit offensichtlichem
Vergnügen diskutierend, mit originellen, gelegentlich
eigenwilligen, immer anregenden Meinungsäußerungen vor. Es
ist erfrischend zu lesen, wie anders und neu er traditionell akzeptierte
T atbestände in ein ganz neues Lieht zu setzen versteht. Hei
aller Hochschätzung des Wertes archäologischer Ergebnisse bewahrt
er sieh bei der Deutung und Auswertung ein gesundes Maß
an Vorsicht.

Was Donner als Problem bereits scharf erkannt und als Aufga
be angepackt hatte. Miller-Hayes exemplarisch vorführten: Unterscheidung
und gesonderte Darstellung von "story and
history", das bemüht sich A. konsequent durchzuführen: "to pre-
sent the history of the peoples of Palestinc through the millenia in
a form fteed from the bias of the biblical w riters" (10). Wie theologisch
verdienstvoll diese Bemühung ist. wurde oben schon ausgeführt
. In diesem Umfang und dieser Gründlichkeit stellt das
Werk A.s das erste dieser Art dar4.

A. schreibt bewußt eine Geschichte Alt-Palästinas (und seiner
Völker) insgesamt, die nicht auf Israel und Juda beschränkt sein
will, also Regionalgeschichte, Geschichte einer Region in Syrien
-Palästina. Er löst so seine Zielvorstellung der Vermeidung
einer Engführung auf das geschichtstheologisch-biblische „Israel
" ein. Auch damit macht sich A. theologisch verdiene Das biblische
Israel/Juda in seinem bescheidenen Gebirgswinkel, last
seine gesamte Geschichte hindurch durch Händel oder/und Handel
den benachbarten Großmächten negativ und/oder positiv verbunden
, wird sowohl in seiner Bescheidenheit als auch in seiner
Große und weltgeschichtlichen Bedeutung durch seine Traditions
- und Textbildung vor dem imposanten altorientalischen Hintergrund
in die richtige Dimensionierung gerückt. Wie dieses
äußerlich bescheidene und doch zugleich (in der Fernwirkung)
bedeutende Israel/Juda (mit seiner wenige Jahrhunderte währenden
staatlichen und noch kürzeren unabhängigen Existenz) in die
Jahrtausende des Stroms der altorientalischen Geschichte Palästi
na-Syriens zwischen Ägypten und Mesopotamien eingebettet ist.
wird schon aus der Kapitel-Benennung deutlich: