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Ausgabe:

1995

Spalte:

869-871

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Klostermaier, Klaus K.

Titel/Untertitel:

A survey of Hinduism 1995

Rezensent:

Kraatz, Martin

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Theologische Literaturzeitung 120. Jahrgang 1995 Nr. 10

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tet hat, um eine Tat. deren Wirkung nicht definitiv von ihm
erlebt werden muß, falls er während der Tat oder unmittelbar
danach ein starkes Gefühl des Bedauerns und der Reue empfindet
... Wenn ein hoher General oder das Oberhaupt einer Regierung
mit der Motivation, alle gegnerischen Truppen zu zerschlagen
, den eigentlichen Befehl zum Krieg gibt, sammelt er
alle schlechten Taten des Tötens an. die in diesem Krieg durch
seinen Befehl geschehen, selbst wenn sein Körper nicht physisch
an der Durchführung der Handlungen beteiligt ist" (73).

Der Buddhaweg ist, wie schon der Name sagt, zum Gehen
da. zum Tun. Religiöse Praxis nimmt auch in diesen Darlegungen
des Dalai Lama den ihr gemäßen Platz ein. Auch sie wird
natürlich zum Gegenstand der Gelehrsamkeit, welche z.B. die
Stufen und Arten der Meditation sorfältig analysiert und schematisiert
. Aber auch hier gibt es immer wieder Äußerungen,
welche die Theorie von der Praxis wie mit einem Spot erhellen:
••Ein Übender ist also ein echter Soldat, der aber nicht gegen
äußere Feinde kämpft, sondern gegen die feindlichen Kräfte,
die in ihm selbst sind: Wut, Haß. Begierde und viele andere. Sie
sind die wirklichen Feinde" (102).

Immer wieder einmal zeigt sich auch der bescheidene und
sympathische Mensch hinter seiner Rolle als Lehrautorität:
■ Was meine eigene Motivation angeht, so bemühe ich mich
ernsthaft: ich tue, was mir möglich ist. Ob ich ein bestimmtes
Ziel dann auch erreiche oder nicht, ist eine andere Sache. Zumindest
muß ich nicht bereuen, es nicht versucht zu haben"
•234). ..Bei meinen eigenen Übungen denke ich mehr als sechsmal
täglich an meinen Tod und die einzelnen Phasen des Sterbevorgangs
. Das heißt: Immer wieder üben, üben, üben - nachdenken
, nachdenken, nachdenken. Obwohl ich dabei nicht
wirklich sterbe, bereite ich mich auf den Tod vor. Allerdings
weiß ich nicht, ob ich auch erfolgreich sein werde, wenn er
dann wirklich kommt! Aber auf jeden Fall bereite ich mich vor.
Ich nehme an, es ist auch möglich, daß man das ganze Leben
damit verbringt, sich vorzubereiten, um am Ende dann doch
völlig zu versagen!" (125). Der Dalai Lama versteht es auch,
die Essenz seiner religiösen Tradition in brillanter Kürze zu
benennen: „Ist es dir möglich, so hilf anderen. Ist es dir nicht
möglich, so füge ihnen wenigstens keinen Schaden zu" (239).

Marburg Hans-Jürgen Greschat

Klostermaier. Klaus K.: A Survey of Hinduism. 2nd Ed.

Albany, NY: State University of New York Press 1994. XIII,
715 S., m. Abb. gr.8o. Pp. $ 19.95. ISBN 0-7914-2109-0.

Die erste Auflage dieses bemerkenswerten Buches ist 1989
erschienen und im 115. Jg. der ThLZ von Hans-Werner Gensi-
chen besprochen worden (1990, Sp.l4f.). Was ich mir vor einem
Blick in diese erste Rezension bei der Lektüre des Buches notiert
hatte, ist fast alles dort schon erwähnt, bis hin zu einem Hinweis
auf zwei frühere Publikationen Klostermaiers, die, so Gensichen,
••bisher von seinem Lebensdialog mit Hindu-Indien Rechenschaft
gegeben haben". „Hinduismus" von 1965 und den sehr
Persönlichen, reflektierenden Bericht „Christ und Hindu in Vrin-
daban" von 1968. der in die Bibliographie des "Survey", die
überwiegend Titel in englischer Sprache enthält, nicht aufgenommen
ist.

Die Grundinformation über "A Survey of Hinduism" kann
sich der Leser der ThLZ also aus dem genannten früheren Jahrgang
holen. Hier sei nur das herausgestellt, was in der zweiten
Auflage anders und neu ist.

Das ganze Buch ist sprachlich überarbeitet. Kleinere Ergänzungen
, vornehmlich an den Kapitelenden, aktualisieren die Darstellung
durch Hinweise auf Entwicklungen, Geschehnisse und
Publikationen in der Zeit nach 1988. dem Erscheinungsjahr der

ersten Auflage. In einem längeren Einschub im Kapitel 16, "Lord
Vishnu and His Devotees", wird der „Gnadenweg", pushtimarga.
des im 15./16. Jh. lebenden Telugu-Brahmanen Vailabha vorgestellt
, dem heute mehrere Millionen Inder folgen und der in den
letzten Jahren auch außerhalb Indiens literarisch stärker beachtet
worden ist.

Zwei vom Rez. angemahnten Themen widmet der Autor je ein
neues Kapitel. In "Stridharma: The Position of Women in Hinduism
" (361-376) diskutiert Klostermaier die Wandlungen der in
Indien traditionellen Rolle der Frau von vedischer Zeit an bis in
die Gegenwart. Dabei wird deutlich, daß gewisse aktuelle illegale
Praktiken wie der Mitgift-Mord oder die Selbstverbrennung
von schwangeren Witwen nicht in der Tradition begründet sind,
sondern gerade darum entstehen konnten, weil Überkommenes
seine Geltung verloren hat. Nicht zu bestreiten ist. daß die Wertung
der Frau in Indien heute nicht dem entspricht, was sie für
die Bewahrung der Hindu-Lehren und Hindu-Bräuche leistet.
Doch das zu ändern, sollte nicht nur das Anliegen der Feministen
sein, sondern der ganzen Gesellschaft. Denn „es gibt in den verschiedenen
Strängen der Hindutradition vieles, das sich für eine
längst fällige Verteidigung der Rechte der Frauen und für die
Entwicklung eines zeitgerechten stridharma, der in der urindischen
Geistigkeit verankert und so flexibel ist, daß er den sich
immer wieder verändernden Belangen der modernen Gesellschaft
angepaßt werden kann, eignet" (376). Und im vorletzten
Kapitel, nach dem über Reformen und Reformer und vor dem
Finale des Buches, "Hindu Nationalist Politics and Hinduism as
a World Religion", berichtet er über "Mahatma Gandhi: A Twen-
tieth-Century Karmayogi" (447-460). Sein Mosaik aus wichtigen
Momenten in Gandhis Biographie ergibt als Ganzes das Bild
eines geschickten Politikers, der praktisch dachte, dem es um das
Wohlergehen der Menschen ging - der aber alles, was er tat. als
religiöses Handeln ansah, getragen von der Hindu-Tradition, in
die er hineingeboren war, die er im einzelnen auf die Erfüllung
der Bedürfnisse der Menschen hin interpretierte. Denn „alles
Land gehört Gott und ist den Menschen zu treuen Händen anvertraut
: alle sollen haben, was sie brauchen, niemand soll mehr
besitzen" (459).

Mit den Veränderungen und Ergänzungen in etwa zwanzig der
dreißig Kapitel setzt K. einige Akzente anders als in der 1. Aufl.
So betont er jetzt noch stärker die historisch wie auch aktuell
hohe Prägekraft der Traditionen Südindiens, ja, deren Überlegenheit
gegenüber denen des Nordens.

Und ausdrücklich dokumentiert er sein noch stärker gewordenes
persönliches Engagement. Schon in der l. Aufl. hatte er
geschrieben, daß es nicht nur darum ginge, etwas über den Hinduismus
zu erfahren, sondern auch vom Hinduismus zu lernen.
Jetzt heißt es deutlicher: „Ein typisch ,westlicher' Forscher wird
seine oder ihre Aufgabe als erfüllt ansehen, wenn ein Text philologisch
und grammatisch analysiert ist. Ein typisch .indischer'
Gelehrter würde sich mit den Fragestellungen, die in dem Text
behandelt werden, identifizieren, möglicherweise Stellung beziehen
und sich für eine bestimmte Denkrichtung aussprechen.
Während ersterer mit einer rein historischen Darstellung religiöser
Vorstellungen zufrieden wäre, würde letzterer diese erinnerlichen
und ihre existentiellen Implikationen betrachten. Als ein
'insider-outsider' habe ich versucht, beide Anliegen zu berücksichtigen
, wobei mir völlig bewußt ist, daß es nicht immer möglich
ist, eine Stellungnahme zu vermeiden" (4).

Stellung nimmt der Autor, indem er von innen heraus kritisiert
(z.B. menschenverachtende Verhaltensweisen in der Kastenpraxis
, politische Radikalisierung in der Durchsetzung religiöser
Ideen), auf interne Lösungsmöglichkeiten hinweist (vgl. oben die
Bemerkungen zum stridharma), schließlieh dem Hinduismus
weltweite Bedeutung voraussagt: „Der Hinduismus könnte die
Religion der Zukunft werden, eine wahre und echte Weltreligion
" (428).