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Ausgabe:

1995

Spalte:

67-70

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Dalferth, Ingolf U.

Titel/Untertitel:

Jenseits von Mythos und Logos 1995

Rezensent:

Rößler, Martin

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Theologische Literaturzeitung 120. Jahrgang 1995 Nr. 1

neues, „biblischeres" Wahrheitsverständnis: Wahrheit ist nicht
habbar als das richtige, in theologischer Lehre ausformulierte
Wissen von Heilstatsachen, sondern begehbar als die Wahrheit
des Weges, auf dem man der Wahrheit Gottes teilhaftig wird,
indem man sie tut. Sie offenbart sich, da sie „in die Geschichte
eingeht", ohne in den konkreten Offenbarungssituationen aufzugehen
. Und das heißt für B. grundlegend: „Gottes unendliches
und unauslotbares Mysterium bleibt allen Gerinnungsformen
seiner Offenbarung gegenüber souverän" (207). So kann
man die in der Offenbarung situativ erschlossene Wahrheit
„nicht ,haben', man kann nur in ihr leben. Sie will nicht behauptet
, sondern getan werden. Denn sie ist nicht Dogma, sondern
die kreative und heilende - d.h. Getrenntes zusammenfügende
- Kraft Gottes" (205). Diese Gottes-Wahrheit legitimiert
keine Alleinbesitzansprüche; es kann sie, wenn sie auch „,an
sich' gewiß eine ist, ...in der Menschenwelt nur im Plural partikularer
Wahrheitsauffassungen geben." Und so ist „die Anerkennung
anderer Glaubensformen und der dialogische Umgang
mit ihnen die unausweichliche Konseqenz" (209).

B.s Buch hat einführenden Charakter; und in diesem Sinne ist
es gut informierend und anregend. Unvermeidlich bleiben Fragen
offen, an denen sich die Theologie der Religionen derzeit ja
auch abarbeitet. Etwa die Fragen, wie sich die eine Wahrheit
„an sich" zum Plural partikularer Wahrheits-Auffassungen verhält
, wie sich die Wahrheit, an der man nur handelnd teilhaben
kann, zu den Bekenntnis-Behauptungen verhält; die Frage
schließlich, wie das Mysterium in die Geschichte eingeht, in
einzelnen Offenbarungsereignissen oder -geschichten begegnet,
ohne in ihnen aufzugehen, und sich doch unmißverständlich
wahrhaft zu erkennen geben kann, so daß die Glaubenserkenntnis
nicht im Unbestimmten bleiben und zu bloß relativer Gültigkeit
ermäßigt werden müßte. Hier ist der Dreh- und Angelpunkt
der Diskussion angesprochen: die christologisch-soterio-
logische Fragestellung. Ich glaube nicht, daß man hier mit der
Metapher der „Gerinnungsform" weiterkommt. Die Gefahr vorschneller
Alternativen (Lehre - Leben, Wissen - Tun, Lehre -
Weg, Wahrheitsbesitz - negative Theologie) wird in der Diskussion
um die „Pluralistische Theologie" immer wieder spürbar
; man müßte ihr jeweils behutsam aus dem Weg gehen. Aber
darüber muß man B., der ja in dieser Diskussion wiederholt zu
wichtigen Differenzierungen beigetragen hat, nicht belehren.

Münster Jürgen Werbick

Dalferth, Ingolf U.: Jenseits von Mythos und Logos. Die chri-
stologische Transformation der Theologie. Freiburg-Basel-
Wien: Herder 1993. IV, 313 S. 8° = Quaestiones Disputatae,
142. Kart. DM 48,-. ISBN 3-451-02142-0.

Das Thema „Mythos" ist (immer noch) aktuell. D.s Buch belegt
diese Aktualität, bemüht sich aber zugleich, sie zu deuten.
Dabei wird die Unterscheidung zwischen Mythos und Logos als
„Denkgewohnheit" vorgestellt: Diese Differenz sei „keine begriffliche
Wiedergabe eines wesenhaften Unterschieds an einer
vorausliegenden Sache", sondern eine „spezifisch abendländische
Sprach- und Denkgewohnheit (17). Die christliche Theologie
ist nun D. zufolge auf diese Unterscheidung einerseits
angewiesen, um anschlußfähig zu bleiben und sich im abendländischen
Denkhorizont artikulieren zu können. Andererseits
liegt ihr ureigenstes Thema, die „wirklichkeitsverändernde
Nähe Gottes" in Jesus Christus (5), für D. prinzipiell „jenseits
von Mythos und Logos": „Christliche Theologie gibt es [...]
nicht ohne die Spannung zwischen Mythos und Logos, aber sie
läßt sich weder in das eine noch das andre auflösen, weil sich
der Glaube an Jesus Christus auf etwas richtet, was jenseits von
Mythos und Logos liegt." (163) Auf dem Hintergrund dieses

„Jenseits"-Postulats (vgl. 5f, 80, 131, 141) unternimmt D. daher
zunächst eine „kritische Rückbesinnung" auf die Geschichte der
Theologie „im Orientierungsparadigma von Mythos und Logos
" (35), um daran anschließend eine Neuorientierung der
Theologie „jenseits" dieser „Denkgewohnheit" zu entwerfen.
Entsprechend bieten die ersten Kapitel eine z.T. ausführliche
Darstellung der Theologie- und Philosophiegeschichte unter
dem Gesichtspunkt der Unterscheidung von Mythos und Logos:
die Entstehung dieser „Denkgewohnheit" in der griechischen
Philosophie (Kapitel 2) und ihre Aufnahme in der christlichen
Theologie (Kapitel 3). Dabei zeichnet sich im Christentum
zunächst eine „Logifizierung des Glaubens" (100) ab, die in der
Ausprägung des trinitarischen und christologischen Dogmas
ihren greifbaren Ausdruck findet. Eine einschneidende Veränderung
ergibt sich jedoch mit dem Beginn der Neuzeit: Konnte
bisher die Theologie auf der Seite des Logos gegen den Mythos
auftreten, so stellt sich das Problem des Verhältnisses zwischen
Mythos und Logos jetzt innerhalb der Theologie (vgl. 37, 101,
163). Denn die „Selbstverständlichkeit der alten Allianz zwischen
Theologie und Logos"(37) wird spätestens durch die Aufklärung
kritisch in Frage gestellt: Der Logos ist nicht mehr fraglos
mit dem Christentum verbunden, sondern wird als autonome
Vernunft zur Beurteilungsinstanz, vor der sich das Christentum
als eine Religion unter anderen verantworten muß. Dadurch
kann die außerchristliche Wahrheitserkenntnis nicht mehr nur
ausschließlich von christlichen Prämissen aus beurteilt und als
Mythos abgetan werden. Gegenstand des 4. Kapitels ist daher
die gewandelte theologische Auseinandersetzung mit dem
Mythos: Interpretation statt Abgrenzung. Denn zum zentralen
Problem wird nun die Frage nach dem sachgemäßen Umgang
mit mythischen Elementen in der eigenen Tradition. Und die
Antwort, die darauf im 19. und 20. Jh. gegeben wurde, beschreibt
D. als ,Mythenhermeneutik": Mythen werden jetzt so
interpretiert, „daß sie selbst als Interpretationen behandelt werden
" (105). Unter dieser Formel lassen sich so unterschiedliche
theologische Entwürfe wie die Evangelienkritik von D. Fr.
Strauß und das Entmythologisierungsprogramm R. Bullmanns
zusammenfassen, die D. ausführlich diskutiert (115-157). Das
5. Kapitel wendet sich dann der strukturalen Mytheninterpretation
zu, die den Mythos als ein „logisches Modell zur symbolischen
Vermittlung realer Widersprüche''' (170) erweist: „Der
Logos des Mythos ist die Analogie" (171, 174). Diese Perspektive
wird noch dadurch erweitert, daß nicht nur „Rede-Texte",
sondern auch „Handlungs-Texte", d.h. religiöse Rituale, in den
Blick genommen werden (181 ff). Auf dem Hintergrund dieser
Analyse kommt D. etwas unvermittelt auf die Dogmalik ZU
sprechen, die er als begriffliche Reflexion und Entfaltung des in
einer Religion präsentierten Heils bestimmt: Sie soll den Inhalt
und die Art der Teilhabe an diesem Heil begrifflich rekonstruieren
(vgl. 1910. Dieser so verstandenen Dogmatik eignet eine
„grammatische Rationalität" (195): Sie kann mit der Unterscheidung
von Mythos und Logos nicht eingefangen werden.
Denn die Grammatik teilt zwar mit dem Logos die Distanzierung
: „Die Grammatik einer Sprache ist etwas anderes als der
Vollzug dieser Sprache" (ebd.). Aber sie unterscheidet sich vom
Logos dadurch, daß sie keine „Aufhebung in einen allgemeineren
Begriff darstellt (ebd.). Vielmehr faßt sie den Sprachgebrauch
in Regeln und macht ihn damit einerseits überprüfbar,
andererseits leitet sie zu einem kompetenten Mitvollzug an
(196). Deswegen entspricht es der Aufgabe und Funktion der
Dogmatik, sich als „Grammatik christlichen Glaubenslebens"
zu entwerfen.

An dieser Stelle gehl also die theologiegeschichtliche Darstellung
der Auseinandersetzung mit dem Mythos über in einen
Neuentwurf der Dogmatik als Grammatik, die „jenseits" von
Mythos und Logos stehen soll. Dieser Übergang wird zwar von
D. nicht deutlich markiert; er zeigt sich aber spätestens im