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Ausgabe:

1995

Spalte:

846-847

Kategorie:

Liturgiewissenschaft, Kirchenmusik

Titel/Untertitel:

Meditative Zugänge zu Gottesdienst und Predigt 1995

Rezensent:

Krause, Friedrich

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845

Theologische Literaturzeitung 120. Jahrgang 1995 Nr. 9

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Schwestern gestalteten Stundengebet eine Laien-Liturgie. Dies
belegen die merowingischen Frauenviten, wobei die Gebetsordnungen
der Regeln ergänzend zeigen, wie Inhalt und Ablauf der
Hören konkret ausgesehen haben (106-129). Was die Fragen
der „,äußere(in' Gebetsordnung" (129-169) betrifft, bleiben
Einzelheiten wie die Ausstattung des Oratoriums, die Sitzordnung
im Chor oder die Form der Prozession zwar offen, doch ist
ebenso deutlich, daß alles dem einen Ziel zu dienen hat, das
klösterliche Leben im Sinn von IThess 5,17 (laus perennis
I30ff) zu durchdringen. Freilich verschweigt die Vfn. nicht, wie
sehr die „Verpflichtung zu Gebet und Gottesdienst" (165-169),
die sogar durch Strafandrohung eingeschärft wurde, von mittelalterlichem
Denken geprägt ist. und sie fragt mit Recht, was es
bedeute, „wenn Psalmen - Gebete! - Strafleistung sind" (167).
Unbeschadet dieser Problemanzeige hält sie aber daran fest, daß
das (lebet im Leben der frühmittelalterlichen Klöster „die Richtschnur
des Alltags" (169-191) gewesen ist. Weil es „alle Verrichtungen
eines Tages" umschlossen habe, habe es sinnenfällig
vor Augen geführt, daß das ganze Leben „heilsbezogen" ist
(178). Auffällig ist freilich, daß das dem persönlichen Verhältnis
zu Gott Ausdruck gebende Privatgebet in den Quellen kaum
Erwähnung findet (170ff), während gleichzeitig die Fürbitte für
Lebende und Verstorbene eine um so größere Bedeutung hatte.
Nicht selten wurde sie sogar als „angefordertes Auftragsgebet"
(182) praktiziert. M. begründet dies mit der Überlegung, man
habe „dem Gebet der Schwestern besondere Kraft zugesprochen
" (189), bestätigt damit aber zugleich den keineswegs unproblematischen
„Leistungscharakter" (167) des klösterlichen
Gebetes.

Im /weiten Abschnitt des Hauptteils untersucht M. „besondere
liturgische Vollzüge" (192-352) und unter ihnen zunächst die
„Eucharistie" (192-222). Zu ihrem Vollzug hatte der Bischof
bzw. ein Priester ins Kloster zu kommen, während die Schwestern
durch Gesang. Gabendarbringung. Friedensgruß und
Kommunion beteiligt waren. Eine „priesterlose" Eucharistiefeier
gab es also nicht, zumal „die Idee der kultischen Reinheit"
(203 u.ö.). wie sie auf Konzilien und in Bußbüchern formuliert
wird, den Frauen die Annäherung an den Altar verwehrte. In
diesem Zusammenhang weist die Vfn. zwar darauf hin, daß in
den Viten die Frauen oft „in unmittelbarer Nähe des Altars"
gezeigt werden und dessen Berührung geradezu als „Reinheitsbeweis
" (219) gilt. Ob diese Beobachtung aber für eine Neubewertung
des frühmittelalterlichen Sakramentsverständnisses
etwas austrägt (was M. zu vermuten scheint), ist fraglich. Dagegen
spricht auf jeden Fall, daß das ..generelle Verbot für Frauen
, die Taufe zu spenden" (347). uneingeschränkt auch in den
Klöstern galt, wo den Nonnen noch nicht einmal die Übernahme
des Patenamtes gestattet war. Die Sakramentsfrage stellt
sich noch einmal in anderer Weise bei der „confessio" (222-
263), die nach dem Vorbild der großen Kirchenbuße auch im
Kloster geübt wurde, deren Leiterin jedoch nicht der Bischof,
sondern die Äbtissin als „mater spiritualis" (232 u.ö.) war. Die
Tatsache, daß sie für die Schwestern die einzige mögliche Form
von Buße war. wirft für M. die Frage auf, ob aus diesem Grund
nicht auch der Klosterbuße „eine Stufe von Sakramentalität"
(262f) zugekommen sei. Im folgenden Kapitel „Gelübde" (263-
312) werden die mit dem Eintritt ins Kloster zusammenhängenden
Themen diskutiert, u.a. die Frage, aus welchen Elementen
der Aufnahmeritus bestand, wie die Weihe von Diakoninnen und
Witwen aussah und wie die Oblation von Mädchen gehandhabt
wurde. Der Abschnitt über die „Totenliturgie" (312-343) geht
schließlich darauf ein. auf welche Weise in den Frauenklöstern
liturgischer Sterbebeistand gewährt wurde und mit welchen
Riten der Klosterkonvent Verstorbene zu Grabe getragen hat.

Überblicken wir die vorliegende Untersuchung, liegt ihr Ertrag
auf drei Gebieten: I) Zunächst trägt sie zur Erhellung der
konkreten Ausgestaltung des Stundengebets in merowingischen

Frauenklöstern bei. Wer sich über den liturgischen Alltag von
Klöstern im 677. Jh. informieren will, wird hier verläßliche Information
finden. 2) Sodann liefert sie neue Gesichtspunkte
zum frühmittelalterlichen Verständnis der Sakramente, die die
Rolle des Priesters nuancieren. Daß die Vfn. dabei sensible Fragen
der katholischen Lehre berührt, zeigt ihre vorsichtige und
oft in Frageform gehaltene Sprache. 3) Schließlich profiliert sie
die Rolle der Frauen im Frühmittelalter. Daß die Mitglieder der
Frauenklöster die Stundenliturgie allein und ohne priesterliche
Hilfe gestaltet haben, ist für M. Ausdruck einer „Vollmacht",
die auch in der Rede von der „famula dei", dem „weiblichen
Gegenstück zum ,vir Dei'" (354), zum Ausdruck gekommen ist.
Bei diesen .Dienerinnen Gottes' handelt es sich um heilige
Frauen, denen aufgrund von Askese, Jungfräulichkeit, Gebet
und Almosen eine besondere Kraft zuteil wurde, die sie zu
„Zeichen göttlicher Präsenz in der Welt" (353) werden ließ. Mit
der Frage, was ihre Heiligkeit für „die Wertigkeit hierarchischer
Systeme" besagt hat. bzw. „welche Formen der Teilhabe an der
Macht für die Frauen galten" (366), beschließt die Vfn. ihre
Untersuchung. Sie gibt darauf keine Antwort mehr. Daß sie
aber davon überzeugt ist, daß auch das scheinbar ferne Frühmittelalter
für die Gegenwart Bedeutung hat und ihr einen kritischen
Spiegel vorzuhalten vermag, ist deutlich.

Bleibt nur noch nachzutragen, daß diese Untersuchung, der
interessierte Leserinnen und Leser zu wünschen sind, durch ein
ausführliches Quellen- und Literaturverzeichnis (IX-LI), einen
Anhang mit den Sonntags-, Werktags- und Osterordines der
Regeln des Caesarius und des Aurelian (374-385) sowie durch
ein Namens- und Sachregister (386-396) abgerundet wird.

Genf Heinrich Holze

Ruhbach, Gerhard, Grün, Anselm, u. Ulrich Wilckens [Hrsg.]:
Meditative Zugänge zu Gottesdienst und Predigt. Predigttext
- Reihe II, I u. 2: Advent bis Ewigkeitssonntag. VIII. VI.
354 S. Reihe III, 1 u. 2: Advent bis Ewigkeitssonntag. VIII,
VI, 343 S. ISBN 3-525-60268-5 u. 3-525-60269-3. Reihe IV,
1 u. 2: Advent bis Ewigkeitssonntag. VIII. VI. 344 S. ISBN 3-
525-60270-7 u. 3-525-60271-5. Reihe V, 1 u. 2: Advent bis
Ewigkeitssonntag. VI, VI, 342 S. 3-525-60272-3 u. 3-525-
60273-1. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1991-95. 8«.

Die vorliegenden Bände gehören in die ursprünglich auf zwölf,
nun um vier Teilbände erweiterte Reihe der für Gottesdienst und
Predigt ausgewählten Texte der evangelischen Kirche, unter Einbeziehen
der Lesereihen der katholischen Kirche. Sie wenden
sich an alle, die im verordneten Dienst und im Dienst als mitarbeitende
Laien bei der Verkündigung stehen. Die „Meditativen
Zugänge", die sich nicht als Konkurrenz, sondern als Ergänzung
bisher veröffentlichter Hilfen für Gottesdienst und Predigt verstehen
, sind einheitlich nach drei Stufen aufgebaut: liturgische
Einordnung, exegetische Vertiefung und meditative Erschließung
. Dabei werden die von vornherein auf Vielstimmigkeit
angelegten Beiträge und das Angebot hin zu einer ökumenischen
Identität als die beiden Intentionen der Hgg. erkennbar.

Auch wenn die einzelnen Vff. die vorgegebenen Arbeitsschritte
unterschiedlich angehen, wird doch das Bemühen deutlich
, die liturgischen Bausteine des Gottesdienstes zu kommentieren
und in die Zusammenhänge der Texte, ihren übergreifenden
Rahmen und in die Einordnung in das Kirchenjahr einzuführen
. Die so dargestellte „innere Architektur" mit den möglichen
Hinweisen auf ökumenische Gemeinsamkeiten ist gelegentlich
mit Empfehlungen zum liturgischen Ablauf (Textauswahl
, Lied- und Gebetsvorschläge) verbunden. Leitendes Interesse
bleibt die Frage nach dem Stellenwert des Predigttextes in
dem Beziehungsgeflecht der liturgischen Elemente.