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Ausgabe:

1995

Spalte:

839-842

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Schroeter-Wittke, Harald

Titel/Untertitel:

Kirchentag als vor-läufige Kirche 1995

Rezensent:

Grünberg, Wolfgang

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Theologische Literaturzeitung 120. Jahrgang 1995 Nr. 9

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und nach der der Frau eine untergeordnete Stellung gegenüber
dem Mann zukommt.

Anschließend entfaltet und interpretiert G. die Diskussion,
die zunächst in der Bekennenden Kirche und dann in den 50er
und 60er Jahren auf dem Hintergrund der Faktizität des von
Theologinnen ausgeübten Pfarrdienstes infolge eines Mangels
an Pfarrern in der Notsituation des Krieges entstanden ist. Sie
arbeitet heraus, daß in diesem Zusammenhang das Modell eines
Pfarramtes für die Frau als eines Amtes „sui generis" entwickelt
wurde. Hiernach kommen dem Amt der Frau sui generis infolge
speziell weiblicher Charismen besonders katechetische und diakonische
, nicht aber gemeindeleitende Funktionen zu. Begründet
wird dies damit, daß die Haustafeln des NT das Gebot der
hypotage, der Unterordnung der Frau, enthalten würden (E.
Käsemann; K. Barth). Im Bereich lutherischer Theologie wird
diese Argumentationslinie durch die Argumentation mit einer
„Schöpfungsordnung" zwischen Mann und Frau verstärkt (P.
Brunner). Erste Ansätze, sich aus dieser Argumentationslinie zu
lösen, finden sich bei Else Kähler.

Schließlich geht G. der Frage nach, mit welchen theologischen
Vorgaben die lutherischen Kirchen in die zuvor skizzierte
Diskussion um die Frauenordination eingetreten sind. Sie entfaltet
die im 19. Jh. zwischen J. F. W. Höfling und F. J. Stahl
geführte amtstheologische Diskussion. Auf diesem Hintergrund
werden die Stellungnahmen und Argumentationen von P. Brunner
, J. Heubach, W. Eiert und P. Althaus im Kontext von deren
ekklesiologischen Konzeptionen interpretiert.

Abschließend entfaltet G. ihre eigene ekklesiologische These
vom allgemeinen Priestertum „als Grundlage für eine partizipa-
torische Gestaltung kirchlicher Wirklichkeit" (143) und verbindet
diese mit dem „Grundgedanken der Ständelehre": der „Verknüpfung
von geistlich-priesterlicher Existenz und konkreter
Berufstätigkeit" (153). Dabei nimmt sie unter Heranziehung des
Begriffs der Institution (in Anlehnung an E. Wolf) auf die veränderte
Frauenrolle in der Gesellschaft in ihren Konsequenzen
für die gegenwärtige Ekklesiologie und Amtstheologie Bezug.

Die Untersuchung von G. ist durch die Spannung zwischen
ekklesiologischem Zugang und pragmatischem Abheben auf
die sich im Laufe der Geschichte ändernde gesellschaftliche
Rolle der Frau geprägt. Dahinter steht ein ethischer Ansatz, der
die Geschichtlichkeit von Institutionen besonders gewichtet.
Von diesem Ansatz her bringt G. Verständnis auf gegenüber der
Verletzung des reformatorischen Gleichheitsgebots in bezug
auf Männer und Frauen in einer Zeit, in der die gesellschaftliche
Rolle der Frau durch Unterordnung unter den Mann bestimmt
war, auch wenn sie dies aus heutiger Perspektive als patriarchal
charakterisiert. Ich hätte mir mehr theologische Parteilichkeit
für die Sache der Frauen gewünscht. Doch vielleicht ist das zu
viel verlangt von einer Untersuchung, die einer Theologischen
Fakultät als Dissertation vorgelegt werden sollte; sie wurde
1992 von der Theologischen Fakultät der Christian-Albrechts-
Universität in Kiel als Dissertation angenommen.

Hamburg Katrin Gelder

Schröter, Harald: Kirchentag als vor-läufige Kirche. Der

Kirchentag als eine besondere Gestalt des Christseins zwischen
Kirche und Welt. Stuttgart-Berlin-Köln: Kohlhammer
1993. 437 S. gr.80 = Praktische Theologie heute, 13. Kart.
DM 59,80. ISBN 3-17-012556-7.

Wir haben „alle Ursache, der drohenden Möglichkeit einer modernen Kleri-
kalisierung der evangelischen Kirche die größte Aufmerksamkeit zuzuwenden
... (W)eil wir die Form nicht gefunden haben, wie die Anteilnahme des
Laien am kirchlichen Neuaufbau vergegenständlicht... werden kann,... wird
das Laienglied der Kirche weiterhin dazu verurteilt, lediglich die passive
Stellung des Predigthörers und Abendmahlsgastes einzunehmen. ...ist mit

Sicherheit vorauszusagen, wer auf die Dauer die größere Anziehungskraft
auf die junge Generation der Kirche ausüben wird. Dann werden (trotz aller
erfreulichen Anfänge der letzten Jahre) die Kirchenbänke des Sonntags wieder
leer stehen..., bis mit der letzten alten Frau der sonntäglichen Gottesdienste
das Leben der Kirche, der Reformation zugleich endgültig zu Grabe
getragen sein wird. Der Laie kann es nun einmal nicht in den Kopf kriegen,
daß er mit seinen Gaben und Kräften... in der Kirche nirgends wirklich
einen Platz angewiesen bekommt... Die unausbleibliche Folge ist die fast
unausrottbare Vorstellung im Kirchenvolk, die Kirche sei im Grund nur
eine Art notwendigen Beerdigungsinstituts und habe es nicht mit den Lebendigen
, sondern mit den Toten zu tun." (309f.)

Diese Worte stammen nicht etwa aus der Zeit der Reformeuphorie
der 60er Jahre sonder Reinhold von Thadden-Trieglaff
(RvTT) schrieb sie im Jahre 1935 im Blick auf die Bekennende
Kirche. Sie sind wahrhaft prophetisch und kennzeichnen den
Autor doppelt: als scharfsinnigen Analytiker und zugleich als
prophetische Existenz. Es ist darum geradezu überfällig gewesen
, die Bedeutung Reinhold von Thadden-Trieglaffs als Gründungsgestalt
des Deutschen Evangelischen Kirchentags angemessen
zu untersuchen und darzustellen. Entstanden ist ein Opus
tnagnum, das zwei Dissertationsthemen in sich integriert: eine
Darstellung über die Gründungsgestalt der Kirchentagsbewegung
und eine Geschichte der Kirchentage von 1949 (Hannover)
bis 1963 (Dortmund). Beide Themen sind unter kirchentheoretischen
Gesichtspunkten zu einer in sich schlüssigen Studie verarbeitet
, die eine klare, im Titel angedeutete kirchentheoretische
These - gleichsam zur Prüfung - bis in die 80er Jahre hinein verfolgt
: „Der Kirchentag als vor-läufige Kirche". Es ist unmöglich,
die Aspektfülle dieser Studie, die als praktisch-theologische Dissertation
bei Henning Schröer in Bonn 1992/93 vorgelegt worden
ist, hier nachzuzeichnen. Im folgenden soll darum der Versuch
gemacht werden, jedenfalls den Bauplan nachzuzeichnen.

Der Kirchentag ist, so die zentrale „These dieser Studie", seinem
Selbstverständnis nach „vor-läufige Kirche", und zwar aus
vier Gründen: 1. Er ist vorläufig, „weil er sterben kann", 2. „der
Kirchentag ist ein Seismograph, der das vorläufig und kurzzeitig
anzeigt, was Christen in der Welt bewegt". 3. Der Kirchentag
ist vor-läufig, weil er - aus der intensiven Begegnung mit
der Welt her herkommend - für die Kirche eine innovative
Kraft darstellt." (11) 4. Der Kirchentag ist vorläufig, weil er
„eine bekennende Kirche ohne Bekenntnis darstellt... in der
Form... eines offenen Gesprächsangebotes... als... .Zwischen-
Raum' zwischen Kirche und Welt..." (13).

Die Arbeit enthält 7 Kapitel und einen sog. .Anhang', der auf
über 70 Seiten ahnen läßt, was der Vf. in 6jähriger Arbeit mit
immensem Fleiß zusammengetragen hat. Hier liegt die erste
umfassende Bibliographie der Texte RvTT.s und eine umfassende
Literaturzusammenstellung zur Geschichte des Kirchentages
vor (ca. 2.800 Titel), sowie ein ausführliches Personenregister
. Der „Anhang" dokumentiert also nicht nur den Hintergrund
der Studie und seiner Quellen, sondern wird auch für die
Zukunft unentbehrliche Hilfsquelle für alle Arbeiten sein, die
den Kirchentag betreffen.

Zurück zum Bauplan in den erwähnten 7 Kapiteln. Nach der
Vorstellung der „grundlegenden These" (Kapitel I) und methodischen
Klärungen (Kapitel II) wird in Kapitel III die „Gründungsphase
des Deutschen Evangelischen Kirchentags von 1949 bis
1950" vorgestellt. Kapitel IV beleuchtet die Zeit 1951 bis 1954
unter der Überschrift: „Wir sind doch Brüder - Kirchentag für
den Gesamtdeutschen Protestantismus". Kapitel V behandelt die
Zeit 1955 bis 1961 unter dem Thema: „Wirklichkeit heute - Kirchentag
in der Standortfindung", Kapitel VI die Zeit bis zur
Übergabe des Präsidentenamtes an Richard von Weizsäcker
(1964). Schließlich wird die grundlegende These noch einmal
aufgegriffen und eine kirchentheoretisch reflektierende Zusammenfassung
des Kirchentags als besonderer Gestalt von Kirche
vorgestellt, und zwar als „(L)ebendige Volkskirche zwischen
Kirche und Welt" und als „Bekennende Kirche zwischen Institti-